Seit gestern gibt es einen neuen Begriff in der Politik, und ich habe den erfunden. „Clapstorm“ heißt er und beschreibt – im Widerspruch zum bekannten „Shitstorm“ – die geradezu hymnische Verehrung einer Person durch endlos erscheinendes Klatschen. Die Mehrheit der CDU-Funktionäre und Angeordneten steht hinter Angela Merkel. Daran kann es seit gestern keinen Zweifel mehr geben. Die kritische Minderheit passt sich an und klatscht eifrig mit, um bloß nicht unangenehm aufzufallen. Dass es keinen Aufstand gegen Merkel geben würde, zeichnete sich schon vor dem Bundesparteitag ab. Aber dass es in Sachen Flüchtlinge keine intensive Debatte um Richtig oder Falsch gab, dass von 1.000 Delegierten ganze zwei gegen das Kompromisspapier mit den vielen schönen unkonkreten Ankündigungen stimmten, das erstaunt mich wirklich. Nun werden sicher wieder Leser schreiben, dass sie nicht erstaunt sind, und dass doch jeder seit Jahren weiß, wie sich die CDU entwickelt. Oder war sie schon immer so? Aber, ja, ich bin jedenfalls erstaunt. Ich bin erstaunt, weil ich in den vergangenen Wochen so viel Unmut über Merkels Flüchtlingspolitik aus der Union, auch von Abgeordneten des Bundestags und aus zwei Landtagen, gehört habe, dass ich mir nicht vorstellen wollte, was für ein festliches Hochamt man für Frau Merkel zelebrieren würde. Und, auch das gehört zur Wahrheit, Merkel hat eine starke Rede gehalten, strategisch brillant, rhetorisch wie üblich. Sie beweist damit erneut, dass sie als Machtpolitikerin in der Champions League spielt.

Wie geht das nun weiter? Schaffen „wir“ das? Der Bundesparteitag der CDU hat kein Problem wirklich gelöst, er hat der Parteichefin und der Bundesregierung eine Atempause verschafft. Vielleicht ist das die Zeit, die noch gebraucht wird, um die Abläufe bei der Aufnahme und Registrierung von Flüchtlingen auf gute deutsche Art zu perfektionieren. Vielleicht reißt der Flüchtlingsstrom nun ab. Offenbar sind es ja inzwischen deutlich weniger, die ins Land kommen, als noch vor ein paar Wochen. Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Ich denke, die Union wird nach diesem Parteitag wieder ein, zwei Prozent bei den Wählern zulegen, denn Unentschlossene versammeln sich gern hinter vermeintlichen Siegern. Und der gestrige Tag ging klar an Merkel, jeder Fernsehzuschauer konnte das sehen. Ob Deutschland die Masseneinwanderung aus Syrien, Nordafrika, Irak und Afghanistan bewältigen wird, ist allerdings längst nicht entschieden. Irgendwie wird es schon funktionieren. Irgendwie funktioniert ja immer alles in Deutschland. Der Tag, an dem sich entscheidet, ob die Bevölkerung die Begeisterung der CDU über Merkels Flüchtlingspolitik teilt, kommt dann irgendwann im Herbst 2017 – bei der nächsten Bundestagswahl.

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Dieser Artikel wurde 15 mal kommentiert

  1. Tina Hansen Antworten

    Guten Morgen,
    der Begriff „Clapstorm“ gefällt mir; das Phänomen an sich ist eher grauslich. „Grenzenloser Jubel“ kommentierte froh die Redaktion von Spiegel Online. Die im sozialen Netzwerk versammelte Lesergemeinde reagierte zu 90 Prozent entsetzt. Interessant, wie viele Leser sich dadurch an die DDR erinnert fühlten. „Die Flüchtlingswelle in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“
    Ich weiß nicht mehr, was ich noch wählen soll. Ich weiß es wirklich nicht.

    • Jürgen Backhaus Antworten

      Auch ich weiß nicht mehr wen man noch guten Gewissens wählen kann. Allerdings wurden auch schon vor der Flüchtlingskrise enorm viele Fehlentscheidungen getroffen, die man aber inzwischen beinahe als nebensächlich ansehen muß. Ansonsten muss ich Ihnen wieder einmal beipflichten Herr Kelleund den neu kreierten Ausdruck finde ich äußerst passent.

  2. Andreas Schneider Antworten

    Auch von mir Beifall für den „Clapstorm“ – rhetorisch nicht minder brillant als die Parteitagsrede der Kanzerlerin. Mit der Bitte um Weiterverwendung! 🙂

    Ich wage eine Prophezeihung (wie ich dies bereits unter deutlicher Androhung verbaler Prügel auf dem Höhepunkt der „Refugees-Welcome“-Hype getan habe): wir haben einen regelrechten Rausch erlebt. Vor Monaten auf den Bahnhöfen der Republik, aktuell auf dem Bundesparteitag. Auf jeden Rausch folgt jedoch bekanntlich ein mehr oder minder übler Kater.

    Die Katerstimmung gegenüber der „Flüchtlings“welle hat uns längst ereilt. Wie lange wird die Hochstimmung der CDU anhalten mögen? Dieses Pendel wird zurückschlagen. Mit Macht!

    Was sagt der „Clapstorm“ (viel mehr noch das Schweigen der vorherigen Kritiker) nun konkret über den Zustand einer CDU aus, von der ich behaupte, dass sie unter Helmut Kohl zum Kanzlerwahlverein degenerierte), was ganz konkret hat der Bürger, hat das Land, hat die Wirtschaft, hat die Gesellschaft von der rhetorischen Finesse, von der macht-/parteipolitisch brillanten Strategie der obersten Lenkerin unseres Landes?

    Ich sehe bestätigt, was ich dieser Tage bereits hier schrieb: die „politische“ Kaste schwebt in einer anderen Dimension. Na, dann klatscht mal schön. 🙁

  3. ALP-Traum Antworten

    Guten Tag,
    Clapstorm, oder lieber Klapp-storm – wie Klappe halten? Mir kam diese Show so vor wie ein großes Heer von Duckmäusern. Blos nichts gegen Chefin sagen, denn Kritiker werden schnell aus der Partei rausgeekelt. Dafür gibt es reichlich Beispiele. Tatsächlich ist der Pateitag der SPD an dieser Stelle etwas ehrlicher, so wie Sie es in einem anderen Beitrag kommentierten. Aber Lösungen haben weder die Einen noch die Anderen. „Wir schaffen DAS“ erinnert mich nur an Bob der Baumeister, und den mochte ich schon nicht, als mein Sohn noch damit spielte.

    • Angelika Schilling Antworten

      Klappstorm im Sinne von Klappe halten, das gefällt mir sehr. Sollte es sich aber um einen Clap-hurricane handeln, bin ich sehr besorgt. Denn man weiß ja, wie ein Hurrikan alles niederwalzt. Und welche Versicherung kommt für die Schäden auf????? Angie Securitas?

  4. Thilo Neu Antworten

    „Merkel hat eine starke Rede gehalten“. Das ist auch mein Eindruck, nachdem ich mir eine Aufzeichnung der Rede bei Phoenix angeschaut und das Manuskript der Rede durchgelesen hatte. Und das, die starke Rede Angela Merkels, war wahrscheinlich der Grund, warum so viele Delegierte applaudiert haben. Merkel ist in ihrer Rede und im Vorfeld auf die Kritiker zugegangen hat nichts beschönigt, die Reduzierung der Flüchtlingszahlen als Ziel ausgegeben und sehr kleinteilig eine ganze Reihe von Maßnahmen auf nationaler, europäischer Ebene und außereuropäischer Ebene genannt, mit denen die Flüchtlingsströme eingedämmt und die Verfahren beschleunigt und geordnet werden sollen. (Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten gegen den anfänglichen Widerstand von Rot-Rot-Grün im Bundesrat, vermehrte Abschiebungen, Schaffung von Sicherheitszonen in Afghanistan, Aussetzung des Familiennachzugs, Besserstellung des UNHCR und Hilfe für die Länder der Region, die sehr viele Flüchtlinge aufnehmen wie Jordanien, Irak, Libanon Türkei etc und schließlich endlich verstärkte Bemühungen den Krieg in Syrien zu beenden, verbesserte Schutz der EU-Außengrenze etc.).

    Ich denke, das ehrliche, unermüdliche Bemühen, die Situation in den Griff zu kriegen, kann man Angela Merkel und den übrigen Verantwortlichen in der Regierung nicht absprechen. Das ist das, was die Delegierten erwartet haben, und das wurde in der Rede von Merkel deutlich und mit Applaus quittiert.

    Natürlich hätte man noch viel über verschüttete Milch, und über tatsächliche oder vermeintliche Fehler der Vergangenheit weinen können. Warum hat man diese Entwicklung nicht kommen sehen, wo doch seit langem klar war, dass der Krieg im Irak und Syrien Millionen von Menschen in die Flucht getrieben hat? Man hätte wissen können, dass die autonome Region Kurdistan im Irak, kleine, wirtschaftlich schwache und politisch instabile Länder wie Jordanien oder Libanon auf Dauer, erst recht bei der Unterfinanzierung des UNHCR, die hohen Flüchtlingszahlen nicht auf Dauer bewältigen können, und dass die Situation der Flüchtlinge dort prekär ist. Man fragt sich in der Tat, warum man nicht schon früher über Unterstützung der Länder des Nahen Ostens gesprochen hat, die Flüchtlinge aufnehmen, und warum man nicht schon früher in Ruhe – und nicht erst jetzt unter massivem Druck – über die faire Verteilung von Flüchtlingskontigenten in Europa gesprochen und beschlossen hat. Und schließlich hätte man lange über die Frage streiten können, warum die internationale Gemeinschaft so lange so wenig getan hat, um einen Beitrag zur Beendigung des Mordens in Syriens zu leisten, und warum man erst aus dem Tiefschlaf erwacht ist, als die Flüchtlinge nach Mitteleuropa gekommen sind.

    Über all das, über die Fehler der Vergangenheit hätte man sich in Karlsruhe zerfleischen können. Aber was hätte uns eine solche rückwärtsgewandte Diskussion und die weitere Beschädigung der Kanzlerin mit Blick auf die Bewältigung der akuten Probleme genützt? Nichts!

    Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Die Delegierten erwarten zurecht, dass die Politik nicht nur die zweifelsohne vorhandenen Probleme benennt und sich weinerlich resignierend in die Schmollecke zurückzieht, sondern auch alles tut, um die Aufgaben zu bewältigen. Diesen Eindruck hatte ich und hatten offenbar auch die Delegierten nach der Rede von Angela Merkel. Da kann man auch mal klatschen.

    • Frank Klein Antworten

      So sehr ich mich nach wie vor von Merkels derzeitiger (Flüchtlings-) Politik nicht vertreten fühle, muss ich Ihnen zumindest in diesem Punkt zustimmen, dass es an dem Parteitag für die CDU strategisch am sinnvollsten war, sich nicht mit Schuldzuweisungen und Ursachenforschung zu verzetteln, sondern zu versuchen, einen Konsens zu finden.

      Merkels Meinung, wonach sie es als unmöglich ansieht, die eigenen nationalen Grenzen zu schützen, hat aber nach wie vor Bestand. Diese – meiner Ansicht nach für eine Bundeskanzlerin im höchsten Maße deplatzierte und unqualifizierte Aussage – bleibt als fader Beigeschmack auch nach dem Parteitag nach wie vor hängen.

      • Tina Hansen Antworten

        Lieber Franz Klein,

        die Grenzen nicht schützen zu können – was eigentlich heißt: nicht schützen zu wollen – ist die Bankrotterklärung eines souveränen Nationalstaates.

  5. Christian Adleff Antworten

    Woran und wie wird eigentlich konstatiert, dass „wir“ es geschafft haben? Zu welchem Zeitpunkt und wer ist in Lage, wer hat die Deutungshoheit dies zu beurteilen?

    • Klaus Kelle Antworten

      Gute Frage, Christian! Wäre schön, wenn die Kanzlerin das mal beantwortet. Da aber kein Ende des Zustroms vorgesehen ist, wird es wohl auch keinen Zeitpunkt geben können, an dem man das „Schaffen“ beurteilen könnte.

  6. Felix Becker Antworten

    Mir gefällt Clapstrom! Um was geht es hier denn eigentlich? Nach dem Wortlaut unserer Verfassung gibt es kein „oberbegrenztes“ Asylrecht (dass diese Verfassung keine „Völkerwanderung im Sinn hatte, lasse ich mal außen vor). Also es gibt nun Kontingente, es geht um Begrenzung, um Solidarität in der EU.
    Es geht jetzt um „Aufrüstung“ von Lägern im Libanon, der Türkei und Jordanien.
    Da bleibt doch nur abzuwarten, bis „Gutmenschen“ die „Zustände“ in den Lägern dieser Länder „menschenunwürdig“ finden und zur Lösung einen „Transfer“ dieser Menschen nach Deutschland vorschlagen.

  7. heribert joppich Antworten

    den CDU -Parteitag kann so oder so sehen. Das langanhaltende Klatschen ist sicherlich zu einem großen Teil der Presse geschuldet, die teilweise danach den Inhalt eines Parteitages oder einer Parteitagsrede beurteilte. Es wäre besser und ehrlicher, wenn man nur kurzen Applaus spendet und keine Ovationen liefert, statt dessen wären eigene Beiträge der Delegierten angebrachter.
    Was mich in diesem Zusammenhang am meisten stört, dass kaum ein Unterschied zwischen Asyl und Flüchtlingen gemacht wird. Asylsuchende werden wir in ihrer Zahl nicht beschränken können und dürfen. Flüchtlingsströme hingegen können in jedem Fall gelenkt. Ich wäre für eine differenziertere Behandlung dieser Themen dankbar.

    • F.Giroud Antworten

      Genau so ist es , Herr Joppich:
      es heißt immer und überall nur „Flüchtlinge“, womit suggeriert wird, dass es sich hierbei um tatsächliche Asylsuchende handelt, die in ihren Heimatländern aus religiösen, politischen , rassischen Gründen verfolgt werden ( nehmen wir aus Beispiel Nordkorea ). Selbstverständlich darf es hier keine Obergrenzen oder Kontingente geben; Die Anerkennungsquote liegt bei deutlich unter 10%.
      Alles andere sind Wirtschaftsflüchtlinge, selbstverständlich auch die „Flüchtlinge“ aus dem Nahen- und Mittleren Osten und Afrika.
      Alle klassischen Einwanderungsländer ( USA, Kanada, Australien ) suchen sich selbstverständlich diese Leute danach aus, ob sie in die Gesellschaft und die Wirtschaft passen. In den USA erhalten Einwanderer in den ersten 10Jahren keinerlei soziale Unterstützung.

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