Auch wenn es keine Hellseherei gibt…

Wer hätte vor einem Jahr vorhersagen können, was 2014 bringt? Die Eskalation auf der Krim und in der Ostukraine, das Verschwinden von Passagierflugzeugen, die Erfolge der AfD, das Aufkommen von Pegida, die Explosion der Flüchtlingszahlen – Entwicklungen, die zumindest nicht in dieser Dramatik von irgendjemandem vorhergesagt werden konnten. So wird es auch im neuen Jahr sein. Es werden politische und gesellschaftliche Entwicklungen stattfinden, die heute noch niemand auf dem Schirm hat. Dennoch möchte ich ein paar Themen streifen, die absehbar oder aus meiner Sicht wichtig in 2015 sind oder werden.
Niemand weiß sicher, wie in wenigen Wochen die Parlamentswahlen in Griechenland ausgehen. Die Meinungsforscher sehen derzeit linke Parteien vorn, die der Sparpolitik des Landes, zumindest partiell durchaus erfolgreich, den Garaus machen wollen. Wird das so kommen, wird Athen wieder damit beginnen, Geld zum Fenster hinaus zu schmeißen, schadet sich das Land selbst gewaltig und könnte vermutlich die ganze Euro-Zone erneut in Turbulenzen bringen. Der Euro wird deshalb nicht abgeschafft, und die EU wird nicht zusammenbrechen, aber die Geduld der letzten Steuerzahler dürfte dann flöten gehen. Nutznießer dieser Entwicklung könnten die Euroskeptiker überall in Europa werden, in Deutschland die AfD. Mit ihren Wahlerfolgen im vergangenen Jahr hat die Partei den Grundstein dafür gelegt, sich politisch rechts von der Union dauerhaft zu etablieren. Doch zuvor steht noch die Bewährungsprobe auf der Tagesordnung, an der schon viele hoffnungsvolle Parteigründungen gescheitert sind: die Realpolitik und die innerparteilischen Klärungsprozesse. Regelmäßige Leser meiner Texte wissen, dass ich seit langem die programmatische Unschärfe der neuen Partei kritisiere. Oder können Sie mir sagen, wie die AfD zum Betreuungsgeld oder zum Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare steht? Ja, ja, ich weiß, was Frau von Storch dazu sagt – aber eine Beschlusslage gibt es nicht, und unvergessen ist die Teilnahme der Berliner AfD am Christopher Street Day 2013. Viel gravierender könnte sich allerdings der aktuelle Zwist zwischen den Führungspersonen auswirken. Parteisprecher Bernd Lucke lädt unabgesprochen die Kreisvorsitzenden zum Gespräch, führende Parteifunktionäre um Gauland und Petry bestellen Lucke zum Gespräch ein, Henkel macht aus seiner Abneigung gegenüber der Kreml-Fraktion auch öffentlich keinen Hehl und Ende Januar will Lucke beim Bundesparteitag eine Satzungsänderung durchsetzen, die ihn zum alleinigen Vorsitzenden macht – ein Unterfangen, gegen das sich große Teile der jungen Partei massiv wehren. Was, wenn Lucke scheitert? Was, wenn er sich durchsetzt? Meine These: Wenn Lucke abgesägt wird, wenn Henkel hinschmeißt, wird die AfD scheitern, weil auch für neue Parteien gilt: Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Kaum vorstellbar, dass die vielen ehemaligen Unions- und FDP-Wähler ohne diese bürgerlichen Zugpferde bei der Stange bleiben.
Wie es in der Ukraine weitergeht, weiß kein Mensch. Ich denke, die schweren wirtschaftlichen Turbulenzen in Russland werden Herrn Putin die Freude an weiteren Abenteuern erst einmal vermiesen. Dennoch wird es weiter Gewalt in der Ostukraine geben, denn Russland hat kein Interesse an einer Stabilisierung, die das Land weiter Richtung Westen treiben würde. In Deutschland wird es höchste Zeit, dass wir zu einer breiten öffentlichen Debatte über das Freihandelsabkommen TTIP kommen, das aus meiner Sicht viel besser ist, als sein Ruf hierzulande. Doch die beiden langfristigen Themen, die mich auch 2015 umtreiben, und zu denen ich immer wieder publizistische Zwischenrufe starten werde, sind der schleichende Verlust unserer Freiheit durch einen allumfassenden Staat und die Daueroffensive progessiver Kräfte gegen die traditionelle Familie, die ja nach wie vor ein großes Erfolgsmodell ist. Das Herabsetzen der Leistung von Müttern („Heimchen am Herd“, „vergeudetes Potential“), die fortgesetzten Angriffe auf die Ehe aus Mann und Frau („Familie ist überall, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen“), der mit unendlichen Steuermillionen forcierte Gender-Schwachsinn, die Frühsexualisierung unserer Kinder („Gang Bang“ und „Darkroom“ als Unterrichtsstoff für Zwölfjährige) sind für mich das Thema, das langfristig die größte Bedrohung für unsere Art zu leben, darstellen. Erfreulich, dass 2014 der Widerstand von Eltern und Lehrern gegen diesen Irrsinn in Form von Petitionen und Demonstrationen zugenommen hat. Diese Entwicklung sollte sich im neuen Jahr immer stärker fortsetzen.
Und die Zuwanderung? Und die Flüchtlinge? Und der Islam? Alles schwierige Themen, die einer differenzierten Betrachtung bedürfen, die hier den Rahmen sprengen würde. Nur eins: Welches christliche Abendland sollen wir verteidigen, wenn wir ungerührt zuschauen, wie Tausende Menschen im Mittelmeer jämmerlich ersaufen? Nächstenliebe ist eine der tragenden Säulen des christlichen Abendlandes. Wer seine Augen vor dem Leid der Menschen und seine Grenzen vor den Todgeweihten verschließt, soll mir bitte nichts mehr vom „christlichen Abendland“ erzählen!

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Dieser Artikel wurde 3 mal kommentiert

  1. K. Kastning Antworten

    Sehr geehrter Herr Kelle,

    auch Ihnen ein gesundes und zufriedenes 2015.
    Wobei sich Zufriedenheit kaum mehr jemand leisten kann, der sehenden Auges und wachen Verstandes durch „unser“ Land blickt. In wenigen Zeilen sprechen Sie erneut vielerlei Misstände an, und eine der gravierendsten Ursachen ist eine unglaubliche Doppel-Moral, die leider seit langem mehrheitsfähig geworden ist.
    (Fast) Alle wollen Zuwanderung (zur Absicherung unseres maroden Rentensystems), aber bitte nicht in ihrer Strasse, ihrem Stadtviertel oder ihrer Stadt.
    (Fast) Alle wollen eine Tempo 30-Zone vor Ihrer Tür, aber eine Autobahn-Auffahrt in weniger als 3km Entfernung.
    (Fast) Alle verurteilen den Steuersünder Ulli H., aber nehmen es mit ihrer eigenen Erklärung nicht ganz genau.
    Immer sollen die „Anderen“ bitte dem eigenen Wunschbild entsprechen, für sich selbst aber genehmigt man sich vielerlei Ausnahmen.
    Unsere Politiker-Kaste taugt schon seit Jahrzehnten nicht mehr als Vorbild, und auch unsere Spitzensportler dopen, lügen und betrügen. Wer taugt denn noch als Vorbild? Längst hat sich doch folgendes „Denkmuster“ durchgesetzt:
    „Wenn jeder an sich selber denkt, ist an jeden gedacht.“

  2. Robert John Bennett Antworten

    Danke für diese Bemerkung: „Wer seine Augen vor dem Leid der Menschen und seine Grenzen vor den Todgeweihten verschließt, soll mir bitte nichts mehr vom ‚christlichen Abendland‘ erzählen!“ Um ehrlich zu sein bin ich einer, der versucht wurde, die Augen vor dem Leid dieser Menschen zu verschließen – und ich sehe mich als Christ. Manchmal aber – obwohl ich auch Amerikaner bin – frage ich mich, warum Europa? Warum können Länder wie Saudi Arabien, China oder Russland Flüchtlinge aufnehmen?

  3. Alexander Droste Antworten

    Es heißt doch: Liebe deinen Nächsten wie dich selber. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn ich also nicht im Mittelmeer ersaufen möchte, sollen es andere auch nicht müssen. Aber um der Ordnung willen muss man versuchen, den Grund, weswegen Leute in totale Verzweiflung geraten, abzustellen. Hierin wäre die Nächstenliebe vor allem gebraucht. Was wird also getan gegen Despoten oder besser was kann man tun, damit auch sie alle ihre Landsleute lieben, wie sich selber? Das beginnt schon hier bei uns mit Bildung und Erziehung. Respekt, Ethik und Moral lernt man in Kindergarten und Schule am leichtesten. Da liegt aber vieles im Argen. Selbst bei uns wird allzu gern schon gegen §1 des Grundgesetzes verstoßen und erniedrigt, was das Zeug hält. Und das ist der Anfang von Allem.

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