Ein Brief aus der Vergangenheit und meine Gedanken dazu

Wie es so manchmal passiert. Ein Onkel aus dem Ausland ruft an und bittet uns, ein lange verschollenes Dokument zu suchen, das er braucht. Meine Mutter (90) setzte sich also gestern mehrere Stunden an alte Kisten aus dem Keller. Gefunden hat sie dieses Dokument nicht, aber ein anderes, das meinen Vater betrifft. Der hatte sich am 20. Februar 1938 an die Verwaltung seiner Heimatstadt Lage gewandt und um eine Stelle im Öffentlichen Dienst beworben. Am 18. März 1938 schickte der Bürgermeister, ein Nazi, die Bewerbungsunterlagen zurück. Mein Vater wurde nicht eingestellt, erfuhr er im Brief des Bürgermeisters, weil er „nicht gewillt und bereit“ sei, „jederzeit rückhaltlos für den heutigen nationalsozialistischen Staat einzutreten“. Wer zu den „Formationen der nationalsozialistischen Bewegung rückhaltend oder abwartend“ stehe, dürfe eben in öffentlich rechtlichen Betrieben nicht beschäftigt werden. Ich habe den Brief nochmal gelesen und nochmal, und ich war verdammt stolz auf meinen alten Herrn, der schon vor 15 Jahren von dieser Welt geschieden ist.

Ich bin sicher, das es einzelne Leute gibt, die jetzt denken: Wenn der da nicht eingestellt wird, dann hatte das wohl auch einen Grund. Aber keine Spur davon. Er war einfach nicht in „der Partei“. In keiner. Mein Vater war überhaupt nicht politisch, sondern ein junger Mann, den man wie Millionen andere in einen wahnsinnigen Krieg geschickt hat. Er war Pilot, hatte sich den Traum vom Fliegen als Segelflieger erfüllt und fand sich irgendwann im Cockpit eines Kampfbombers an der Ostfront wieder. Über der Krim. Ausgerechnet. Dann dreieinhalb Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft in einem Lager in Sibirien. Wie so viele. Mein Vater überlebte und baute sich und unserer Familie ein neues Leben auf. Wir haben in all den Jahren nicht oft über den Krieg und was er dort gesehen und erlebt hat, gesprochen. Unzweifelhaft war er kein Nazi, kein Täter im eigentlichen Sinne des Wortes. Unvergessen ist mir ein Satz, den er mir als Junge mal sagte. Sinngemäß: „Wir wussten schon 1944, dass der Krieg verloren ist. Aber wir haben weiter unseren Dienst gemacht, damit die Rote Armee nicht bis an den Rhein durchmarschiert.“ Ein Soldat, einer von Millionen Soldaten. Junge Männer aus Deutschland, aus England, Frankreich oder Russland. Wollten sie Krieg führen? Viele sicher. Aber ich glaube, es ging den meisten nicht um Politik, um eine mörderische Ideologie, sondern um ihr Verhältnis zum eigenen Land. Man dachte, man müsse eine Pflicht erfüllen. Man wollte Patriot sein, der sein Vaterland liebt. Und das ist nichts grundsätzlich Schlechtes, auch wenn diese jungen Männer in Deutschland von einem widerwärtigen Verbrecherregime missbraucht wurden.

Warum schreibe ich das hier? Weil es mich bewegt hat. Und weil ich es einfach mal niederschreiben wollte.

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Dieser Artikel wurde 21 mal kommentiert

  1. Verena v. Buch Antworten

    Meinem Vater wurde die Doktorarbeit nicht abgenommen,weil er und keiner aus der Familie in der Partei war und auch nicht Mitglied werden wollte.

  2. Dieter Krüll Antworten

    Sehr geehrter Herr Kelle,
    Sie dürfen stolz sein auf Ihren Vater. Wir alle dürfen stolz sein auf so viele, die wie Ihr Vater Unrecht ertragen haben und gleichwohl Ihrem Vaterland gedient haben. Gleichwohl müssen wir uns auch heute noch schämen für die Idioten und Verführten, die sich zu einem ungerechten Krieg und sogar zum Völkermord haben hinreißen lassen.
    Leider wissen wir alle: Idioten sterben nie aus.

    Ihr
    Dieter Krüll

  3. Walter Lerche Antworten

    Es gibt viele Parallelen zu meinem Vater. Nur 1. bewarb der sich nicht bei einem „öffentlich-rechtlichen“ Arbeitgeber im 3. Reich, 2. musste er in Russland zu Fuß laufen und 3. übernahm er nach Rückkehr aus 4-jähriger russ. Gefangenschaft den elterlichen Handwerksbetrieb in der Ostzone, seine 4 Brüder waren gefallen, und er nahm 1961 ein Job-Angebot von Vileroy&Boch bei Stuttgart, wo er vor dem Krieg als Handelskaufmann tätig war, nicht an und sicherte seine Familie und Eltern daheim im Osten als bis zuletzt selbständiger Müllermeister. Für den Verlust seines Auges im Krieg bekam er in der DDR nichts. Nach der Wiedervereinigung bekam er 140 Euro dafür und er wurde ehrenamtlich aktiv im Reichsbund e.V. (heute Sozialverband) und half vielen anderen, die schlimme gesundheitliche Folgen des Krieges erlitten, zu ihrem „Recht“. Mit 79 Jahren begann er sich mit Computer zu beschäftigen, besuchte dazu Volshochschule und wurde zum Anlaufpunkt für viele, die weniger offen für das Neue waren. – Ich bin auf meinen Vater mehr als stolz, er prägte mich und ist mein Vorbild.
    Bei uns am Gymium (10. Klasse) wurde erfasst, „wer hat Konfirmation oder Jugendweihe oder beides gemacht. ALLE, jeder, der nur Konfirmation hatte, musste am Ende des Schuljahres das Gymnasium verlassen, durfte kein Abitur machen. In meinem Fall war es so, dass ich als Sohn eines Handwerkers zunächst gar nicht aufs Gymnasium gehen durfte, weil lt. prozentualer Vorgabe der SED (später „PDS“, heute „Die Linke“) 3 Arbeiterkinder den Vorzug bekamen, obgleich die schlechtere Noten hatten. Nur durch beherztes Engagement des Direktors, Mitglied der Blockpartei NDPD, als Schutz, damit er nicht als Direktor in die SED musste, wurde ein zusätzlicher 4. Platz am Gymnasium für mich eröffnet. Von den 4en haben nur 2 studiert und nur einer wagte sich in die Welt hinaus.
    Ich selbst lebte mit Situationen wie in diesem alten Dokument zu lesen und mich haut dessen Text nicht um. So war das damals bei den Nazis und in der DDR.
    Zusammenfassung: Berufsverbote gibt es in allen ideologie-geführten Gesellschaften: Im 3. Reich, im Sozialismus – Und was soll man davon halten, wenn in der BRD Professoren von der Universität vor die Tür gesetzt werden, weil sie Kritik am Islam geübt haben? Aus Erfahrung sprechend betrachte ich die aufziehende, mittlerweise beherrschende Links-Grüne-Gender-Großkapital-Lobby-Ideologie als sehr gefährlich für unser freiheitliches Leben.

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  5. Siegfried Kieselbach Antworten

    Mein Vater ( er hieß übrigens auch Ernst ) hatte ein ähnliches Schicksal. Als Sohn eines Bauern in Ostpreußen geboren, aber nicht der Hoferbe, ging er mangels Arbeitsmöglichkeiten nach Hamburg zur Schutzpolizei. Seine Polizeieinheit wurde in eine Einheit der Waffen-SS umgewandelt ! Es traute sich keiner, zu widersprechen. Seine Artillerieeinheit war in Russland, Griechenland, Frankreich und Jugoslawien eingesetzt. Nach Aussage meines Vaters war die Einheit nicht in Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung verstrickt. Gegen Ende des Krieges gelang ihm die Flucht von den Seelower Höhen nach Westen und kam in britische Kriegsgefangenschaft. Dort wurde festgestellt, dass er und seine Einheit nicht in Kriegsverbrechen verwickelt war. Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft arbeitete Vater im Gefangenenlager. Der Antrag auf Wiedereinstellung in den Polizeidienst der Hansestadt Hamburg wurde abgelehnt mit Hinweis auf Mitgliedschaft in der Waffen-SS. Mein Vater wäre gerne in Hamburg geblieben.

  6. Andreas Schneider Antworten

    Auch mein Vater wurde 1944 mitsamt seiner etwa 20-köpfigen Klasse (seinerzeit wurden Jungen und Mädchen getrennt unterrichtet) als Teil des „Letzten Aufgebots“ einberufen. Seinen gesundheitlichen Einschränkungen verdankte er, bis zum 6. Mai 1945 von einem Fronteinsatz verschont geblieben zu sein. Wieso er darob überhaupt einberufen wurde, mag als Anzeichen der chaotischen Umstände jener Zeit gewertet werden.

    1992 kam es zum ersten Klassentreffen, nachdem er nach dem Ende der DDR in seiner alten Heimatstadt Halle/Saale auf die Suche hatte gehen können. Man war zu Zweit. Als die Beiden sich gegenüber standen, habe ich den Raum verlassen. Ich hätte heulen können.

    Dass die Nazis nicht nur Unheil über Andere gebracht, sondern auch Verbrechen am eigenen Volk begangen haben, wird aus solchen Schicksalen recht deutlich. Die aktuell angesagte Reduzierung der deutschen Historie auf die Jahre 1933-1945 machte jedoch aus diesen Opfern einer Verbrecherregimes in den Augen besserwisserischer Klugsch…er unserer Tage, die nicht einmal mehr wie Herr Kelle und ich zur einer Generation gehören, die immerhin noch Spätfolgen der Ereignisse persönlich registrieren und verarbeiten können, „Täter“. Die Hybris solch überheblicher Denkweise steht m. E. der menschenverachtenden Ideologie des NS-Regimes kaum nach.

    Hat diese Gesellschaft wirklich nichts gelernt?

  7. St.Ex Antworten

    Hier, wo ich lebe hat die CDU das Sagen (über 60 Prozent). Entsprechend ist auch die öffentliche Meinung.
    Einige ehemalige Nazis bekleideten nach dem Krieg öffentliche Ämter. Zumindest einer erhielt Ende der Siebziger Jahre das Bundesverdienstkreuz.
    Der Stiefvater meiner Mutter wurde niemals auch nur erwähnt. Er war bis 1933 Ortsvorsteher und wurde dann von den Nazis abgesetzt (die, die später in der CDU in Amt und Würden standen). 1945 wurde er von den Amerikanern nach vorheriger Rücksprache mit dem Pfarrer wieder als Ortsvorsteher eingesetzt, bis zu seinem Tod 1964.
    Andererseits ist das „Totschweigen“ seiner Verdienste nur zu verständlich. Der Mann war hart aber gerecht und stand zu seinen Idealen. Er hat nach 1945 den Eintritt mehrerer „Parteimitglieder“ in die CDU für viele Jahre verhindert. Das scheinen sie ihm nicht verziehen zu haben.

    Laut Peter Bamm („Die unsichtbare Flagge“) ist es an der Krim zum Jahresende 1943 schlimmer als in Stalingrad gewesen. Die 17. Armee hatte an der ukrainischen Front aufgehört zu bestehen. Die Soldaten hätten nicht für die Parolen der „Anderen“ (Nazis) sondern nur noch für ihre Kameraden und ihre Angehörigen in der Heimat gekämpft. Und Peter Bamm, der das totalitäre System mit dem „primitiven Mann an der Spitze“ mit allen Nuancen selbst erlebt hat, schreibt auch, dass jeder, der wirklich gegen die Mordkommandos protestiert hätte binnen 24 Stunden verhaftet worden wäre. Er sagt, dass ein solches Opfer nicht moralisch sinnlos, aber praktisch nutzlos gewesen wäre.

    Ich glaube, dass heute einige Zeitgenossen bei Ihren Urteilen über diese Zeiten aus der sicheren Bequemlichkeit ihres beschaulichen Wohnzimmersessels diese Fakten übersehen und/oder nur noch der heute gültigen Meinungsdoktrin huldigen.

    • Walter Lerche Antworten

      Sehr guter Kommentar, vor allem der letzte Satz.
      Und weil viele Meinungsmacher nicht nur die Vergangenheit, sondern auch andere Gesellschaften und Länder in der Gegenwart durch die gerade aktuelle Brille heute gültiger Meinungsdoktrin aus ihrer sicheren Bequemlichkeit sehen, wird alles verteufelt, was nicht in dieses Bild passt (Beispiele: Hetze gegen Russland, Pegida, alle Staatsformen in der Welt, die den USA keinen Einlass gewähren). Ich habe keine Ahnung, warum so viele intelligente Menschen nicht wirklich tolerant sein können.
      Ich habe festgestellt, dass sich die Menschen von damals, die Menschen aus Asien und die Menschen hier und heute nicht voneinander unterscheiden. Unterschiedliche Rituale ändern daran nichts. Ich meine, daraus müsste doch etwas Gutes und Vernünftiges zu machen sein.

      • St.Ex Antworten

        „..warum so viele intelligente Menschen nicht tolerant sind…?“
        Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ich glaube man muß diese Frage relativieren. Ich glaube die meisten intoleranten Menschen sind dumm, d. h., die können nach entsprechender „Gehirnwäsche“ vor jeden Karren gespannt werden. Die anderen intoleranten sind nicht dumm, sondern ausgesprochen intelligent. Allerdings ist diese Gruppe nicht am Allgemeinwohl interessiert sondern nur an eigenem Machtzuwachs und Ansehen. Sie würden uns heute dies und morgen jenes verkaufen, wenn es nur ihrem Fortkommen dient. Beide Gruppierungen gibt es in allen Gemeinschaften und Staatsformen, sowohl in totalitären wie demokratischen.
        Warum die Lehren aus der Vergangenheit nicht zu Veränderungen in der Gegenwart führen ist schwer nach zu vollziehen. M. E. hängt es mit Bequemlichkeit und Gutgläubigkeit des Souverän zusammen. Kritische Geister machen sich zudem Unbeliebt (auch die, die wie hier Leserbriefe und Kommentare verfassen). Einem Sammlerkollegen wurde die „Lizenz“ entzogen, weil er zu den Vorkommnissen in Köln im Internet kritisch Stellung bezogen hatte.

  8. Walter Lerche Antworten

    So ein Brief aus der Vergangenheit kann uns die Augen öffnen für die Dinge von heute und morgen. Er führt uns vor Augen, wie unsinnig und schädlich machtergreifende Ideologie für uns „anständige“ Leute ist und werden kann.
    Das Wissen über unsere Vergangenheit sollte uns helfen, Fehler nicht zu wiederholen.

  9. Felix Becker Antworten

    Ein Vetter meines Vaters war im 2.Weltkrieg Ubootkommandant! Er bewarb sich bei Gründung der Bundeswehr um eine Einstellung als Bundeswehroffizier. Beim Einstellungs-/Bewerbungsgespräch wurde er gefragt, ob er bereit sei für Europa zu kämpfen. Der Vetter antwortete ja, dazu sei er bereit – aber in erster Linie würde er für Deutschland kämpfen. Diese Antwort führte dazu, dass er nicht eingestellt wurde.
    Ich war in den 80 und 90er Jahren im öffentlichen Dienst auf kommunaler und Landesebene beschäftigt. Wer da so alles über die Parteischiene -auch unter „Beugung“ von Laufbahnverordnungen eingestellt bzw. auch „abgelehnt“ wurde-:)

    • St.Ex Antworten

      Ja, Vaterland scheint man heute anders zu interpretieren als in der vor 68’er Zeit. In den Sechziger Jahren konnte man mit nationalem Epos noch punkten. Danach war es mit dem Nationalstolz vorbei. Zu Zeiten des Bundespräsidenten Johannes Rau waren patriotische Gefühle angesagt. Ich zweifele nicht daran, dass es alsbald auch damit vorbei sein wird. Übrigens bei unseren westlichen Nachbarn ist das noch ganz anders. Dort wird der 14. Juli mit Militärparaden gefeiert. Genauso wie der letzte Überlebende des 1. WK der vor Jahren in Frankreich mit allem Pomp beerdigt wurde. In Köln war kurz zuvor der letzte deutsche 1. WK Teilnehmer verstorben. Das wurde von uns in aller Stille erledigt. Es ist schon bemerkenswert wie sich die Einstellungen der „Bürgerinnen und Bürger“ zu diesen Dingen gewandelt hat. Die skandalöse Aussage „Alle Soldaten sind Mörder“ kommt nicht von ungefähr.

  10. Dorothea Hohner Antworten

    Mein Großvater mütterlicherseits war Altphilologe, also er unterrichtete Latein, Altgriechisch und Geschichte im Gymnasium als Studienrat, er also war im öffentlichen Dienst. Nachdem auch er nie einer, wie auch immer gearteten Partei beitrat, wurde er auch aus dem Schuldienst entfernt. Meine Großmutter saß im Gefängnis und beide Kinder in Angst und Sorge um ihre Eltern, wußten sehr genau, was sie zu sagen hatten, wenn die Gestapo ins Haus kam. Mein Onkel war in russischer Gefangenschaft und kam mit TBC wieder, er verstarb bald nachdem er wieder im Lande war, auch er tat nur seine Pflicht, es kam ja keiner aus, ob er wollte oder nicht. Mein Großvater starb nach dem Krieg an Magenkrebs. Es waren also viele, viele keine Täter, wie es uns von links/rot/Grün/Innen-verstrahlten so oft glauben gemacht wird. Auch ist es wohlfeil, aus der deutungshoheitlichen Sicherheit heraus, die Klappe aufzureißen, genau diese Leute hätten ihren Mund sehr wohl gehalten in dieser Zeit. Denn bei den schlimmsten Deutschenhassern, wie Trittin, Gabriel usw. wissen wir, daß ihre Eltern hohe SS-Tiere oder hohe Parteibonzen waren. Es ist nicht so, daß dieses besser wird, wenn man jetzt alles deutsche in Bausch und Bogen verurteilt, in einer absurden Sühneaktion, die nichts rückgängig macht, schon gar nicht die Sünden IHRER Eltern.

    • St.Ex Antworten

      „…es waren viele, viele kleine Täter die uns (heute) die uns heute von links/rot/grünen/innen verstrahlten glauben gemacht wird..“
      Ja, das denke ich auch. Es soll uns glauben gemacht werden. Aber warum? Ich glaube einmal um von der eigenen Schmach (der der unmittelbaren Vorfahren) abzulenken und weil die jetzige Marschrichtung ihnen das persönliche Weiterkommen sichert. Der Letztgenannte Grund ist also keineswegs ihrer ehrlichen Überzeugung entsprungen, sondern nur kaltem Kalkül. Das jedoch ist genau die Vorgehensweise, die damals in der vordemokratischen Zeit, die Macher angetrieben hat. Die Charakter sind also dieselben.
      Mir will man also jetzt erzählen, dass der Bauernsohn, der 1939 eingezogen wurde und als MG Schütze ausgebildet wurde und bis zu seinem „Helden“Tod 1943 durch halb Europa geschickt wurde und unter anderem mit dem „Gefrierfleichorden“ ausgezeichnet wurde, das der die deutsche Nationalschuld auf sich geladen hat und nicht z. B. der Parteibonze der zu Hause den „Widerstand“ gegen die Juden organisierte indem er die Horden Pöbel mobilisierte die den Juden Geschäfte und Wohnungen demolierte.

      „Und wenn es alle tun (glauben), ich nicht!“

  11. Felix Becker Antworten

    Ich denke, dass die Bewältigung unserer Nazigeschichte allmählich abebbt (Zeit heilt Wunden). Eine „industrialisierte“ Vergangenheitsbewältigung interessiert immer weniger – auch wenn intensivere Erinnerung (insbesondere von interessierter Seite) versucht wird zu verordnen. Für mich ist in diesem Erinnerungsgehabe zu viel 68er Geist. Ich finde es allerdings auffällig, dass nach meinem Eindruck die Bewältigung der SED-Diktatur (sie war 3-4mal solange wie die 12Jahre Nazideutschland) sehr viel stiller und sehr viel mühsamer veranstaltet wird als die der Nazi-Diktatur.

    • Andreas Schneider Antworten

      Das Abebben der Nazi-Hype mag kommen, Herr Becker. Immerhin hoffe ich das.

      Jedoch beruht die mangelhafte Bewältigung dieses Teils unserer Geschichte auf einem weitreichenden Versagen der Justiz, aus welchen Gründen auch immer. Ziehe ich nun die jüngere deutsche Geschichte, den zweiten deutschen Unrechtsstaat, der so überstürzt in die alte Bundesrepublik einverleibt wurde, und die „Bewältigung“ des DDR-Unrechts an ihren Bürgern heran, so kann ich mich der Vorstellung nicht erwehren, dass in ca. 15-20 Jahren weitere Welle der Bewältigungsjustiz über uns hinwegschwappen wird.

      Heute zerrt man Greise vor den Kadi, die als Teenager und Produkte eines Verbrecherregimes zu Einsätzen als Gott weiß was verpflichtet wurden. Inwieweit diese Handhabe mit Simon Wiesenthals „Recht, nicht Rache“ konform geht, überlasse ich gern der Wertung Anderer. Ob wir aber eines Tages tatterige „Mauerschützen“ vor Gericht sehen werden – wenn die tatsächlich Verantwortlichen schon lange unter der Erde liegen?

      • St.Ex Antworten

        „…heute zerrt man Greise vor den Kadi…“
        Ich glaube das hat nichts mit Moral oder Gerechtigkeit zu tun, jedenfalls nicht bei denjenigen, die damit in der Öffentlichkeit hausieren gehen.
        Es ist ein Unterschied, ob man gegen die Mächtigen einer Dynastie, wenn auch einer abgelaufenen, wettert oder gegen ein „Überbleibsel“ längst vergangener Zeiten. Im ersten Fall sind die vor kurzem noch Herrschenden auf Grund ihrer langjährigen Übung und ihrer sicherlich noch bestehenden Verbindungen in der Lage „zurück zu schießen“. Da ist es nicht so einfach dem „ans Bein zu pinkeln“.
        Heute dagegen gegen einen „Nazi-Schergen“ vorzugehen erfordert keinen besonderen Mut. Erstens sind Nazis out und zweitens ist nicht zu befürchten das der Angeklagte seine Gesinnungsgenossen mobilisiert.

        Warum hat die Justiz nach dem Krieg keinen einzigen Prozeß (!) gegen die Täter aus den eigenen Reihen geführt?

      • St.Ex Antworten

        „…die als Teenager …ein Verbrecherregime …unterstützten…“
        Ob als Teenager oder als Erwachsener ist gleichgültig. Alle müssen zur Rechenschaft gezogen werden, Handlanger wie Vorgesetzte.
        Es ist nur seltsam, dass jetzt erst gegen diese Leute ermittelt wird. Es kann mir keiner erzählen, dass der vorher unerkannt dort lebte oder keine staatlichen Stellen davon wussten. Es hat sich nur niemand drum gekümmert, es war lange Zeit nicht opportun. Und jetzt ist es opportun – warum?
        Jetzt hängen die „Selbstgerechten“ das Fähnlein nach dem Winde und mit vor Betroffenheit triefendem Gesichtsausdruck mimen sie Trauer und Mitleid mit den Opfern. Sie hätten besser den vom Krieg und den Nazis gebeutelten bessere Hilfe angedeihen lassen, anstatt das Volk heute mit einem Fernsehauftritt an der Nase rumzuführen.

        • Andreas Schneider Antworten

          St.Ex, aus unserem heutigen Blickwinkel einer rund um die Uhr mit Informationen aus Quellen aller möglichen Ursprünge versorgten Gesellschaft sehen wir mit einiger moralischer Überhöhung auf Vorfahren herab, denen diese Möglichkeiten nicht zur Verfügung standen, ja die mit üblen Repressalien zu rechnen hatten, sofern sie nur versuchten, die vorgegebenen Staatsquellen zu umgehen.

          Ich greife dazu nochmals meinen Vater auf. Im August 1944 eingezogen, extrem sehschwach von Geburt an und seit einer versiebten OP im Alter von 5 Jahren mit einer Gleichgewichtsstörung geschlagen. Einen solchen Jüngling überhaupt in eine Uniform zu stecken… Er landete, quasi als Alibi, als Wachtposten in einem Kriegsgefangenenlager. Dieses lag in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem KZ – und natürlich fielen den jungen Soldaten die Häftlinge in gestreifter Kleidung wie auch der widerwärtige Umgang mit ihnen auf. Mein Vater sagte dazu, dass die Vorgesetzten kurz und knapp bemerkt hätten, es handele sich um „Volksschädlinge“, und damit war das Thema gegessen: was von „Volksschädlingen“ zu halten war, „wussten“ die 18jährigen Rekruten. Dafür hatte das System immerhin gesorgt.

          Und und stellen wir uns einmal vor, mein Vater wäre nicht im Kriegsgefangenenlager, sondern in gleicher Funktion im KZ eingesetzt worden.

          Mit unserem bequemen Urteil aus dem noch bequemeren Sofa begeben wir uns auf einen verflucht schmalen Grat, finde ich. Wohlgemerkt: ich rede nicht etwa einem „Befehlsnotstand“ das Wort. Aber eine von Kindesbeinen an indoktrinierte Jugend sollten man schon etwas anders betrachten als eine Generalität, als hochrangige Verwaltungsbeamte, als führende und aktive Parteigänger. Nur: wer aus diesen Gruppen lebt noch?

          Dazu ein persönlicher Eindruck: 1990 besuchte ich erstmals die damals noch exisitierende DDR. Auf der Rückfahrt machte der Bus mit der Reisegruppe einen kurzen Abstecher zum KZ Buchenwald. Ein unangenehm regnerischer Tag, neblig mit schlechter Sicht. Der Weg führte durch zahlreichen Kurven durch ein Waldgebiet; das Areal tauchte nur schemenhaft aus dem Dunst auf. Eine bedrückende Wahrnehmung. Und ich kann mich seitdem nicht des Eindrucks erwehren, dass man selbst heute an solcher Stätte der Teufel weiß was anstellen könnte: man zäune den Wald weiträumig ein, stelle Wachen auf, lasse Streifen patroullieren, hänge vielleicht Schilder im Sinne eines „militärischen Sicherheitsbereichs“ mit Schusswaffengebrauch auf. Wer würde an so exponierter Stelle eindringen wollen, zumal bei Androhung massiver Strafen?

          Ja, heute (wie damals wohl auch) setzte es Gerüchte und Vermutungen. Aber wir sehen doch ganz aktuell, wie schnell man heute zum „Verschwörungstheoretiker“ wird. Dieser kurze Besuch hat mich von meine früheren Überzeugung, dass ein Jeder „etwas gewusst“ haben musste, Abstand nehmen lassen.

  12. Stefan Winckler Antworten

    Wieder einmal ein sehr guter Artikel, Klaus. Mein Opa mütterlicherseits, Jg. 1900, bemühte sich jahrelang, eine Apotheke im Bezirk Aschaffenburg, Alzenau oder Dieburg zu übernehmen, wozu er anhand seiner Staatsexamensnote und seiner beruflichen Erfahrung befähigt gewesen wäre. Es wurde ihm verweigert, weil er einem weltlichen Orden, dem Druidenorden (1935 aufgelöst) angehört und die nationalsozialistische Weltanschauung nicht unterstützt hatte. 1938 klappte es dann, weil er sich als erster um eine bestimmte Apotheke bewarb, und die Behörden ihre Zustimmung nicht mehr so einfach verweigern konnten.

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