In Istanbul haben gestern Abend 2.000 Demonstranten gegen den Erfolg Erdogans beim Referendum in der Türkei demonstriert. 2.000! In der Türkei leben 75 Millionen Menschen. Die Beteiligung der Wähler am Refrendum lag bei 80 Prozent. Erdogan hat gewonnen. Das mag uns nicht gefallen, aber das Ergebnis wird nicht ernsthaft angezweifelt. Ja, es habe einige Unregelmäßigkeiten gegeben. Ja, das Ergebnis müsse auf Antrag der Opposition noch einmal überprüft werden. Klar muss es das. Dennoch wird sich nicht daran ändern, dass Erdogan sich – mal wieder – durchgesetzt hat, und das weite Teile des Landes hinter ihm stehen.

So wie weite Teile der Vereinigten Staaten hinter dem neuen Präsidenten Donald Trump stehen. Es sind die großen Metropolen, die dem Mainstream folgen – in Istanbul ebenso wie in New York, Los Angeles oder auch London und Berlin. Aber die anderen Menschen, die in der Provinz, gehören genauso zu einer Gesellschaft wie die hippen Progressiven.

Das mag uns im Falle der Türkei befremden, das freut mich aber, wenn an einem Wahlabend die Ergebnisse aus dem Unterallgäu oder dem Münsterland bekannt werden. Noch schöner wäre es, wenn sich diese bodenständigen Menschen dort nicht nur alle vier Jahre bei einer Wahl zu Wort melden, sondern auch zwischendurch und zwar kraftvoll.

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Dieser Artikel wurde 6 mal kommentiert

  1. Uwe_aus_DO Antworten

    Der Beurteilung der Provinz kann ich nur zustimmen. Ich möchte einen weiteren Gedanken einbringen – der jetzt in vielen Medien diskutierten Frage, warum so viele in Deutschland lebende Türken mit Ja gestimmt haben.

    Diese Menschen kosten hier alle Vorteile eines Rechtsstaats (bei allen Fehlern: eines der besten der Welt) aus – und schicken ihre Landsleute daheim in eine Diktatur.

    Dazu noch eine Frage: Wenn wir diese Menschen jetzt vor die Wahl stellen würden, welche Staatsbürgerschaft sie wählen – wofür würden sie sich entscheiden….?!? Und vor allem: Wir sollten das nicht nur abstrakt diskutieren, sondern tun!

  2. wkrüger Antworten

    Ich denke, es ist schon richtig, hier den Finger in die Wunde zu legen „Demokratie geniessen aber Diktatur wählen“. Nur: zur alltäglichen Realität von uns Menschen gehört auch, sich die Dinge nach eigenem Vorteil (sehr subjektiv) zurechtzubiegen. Das kennen wir doch alle in unterschiedlichem Ausmass. Als Transferempfänger, (erschlichener) Frührentner, reingemogelter Migrant, als Steueroptimierer, als Ehepartner, als Fremdgeher: wir finden immer Gründe, warum uns dies oder jenes zusteht und warum das doch richtig sein muss, was wir gerade wünschen und tun.

    Viele Türken sind einfach ziemlich ungebildet, durch die türkischen Proagandasender gehirngewaschen und traditionell hierarchisch orientiert. Deutlich wird letzteres auch, wenn Türken sich in ärztliche Behandlung begeben: sie wünschen sich weniger „gleiche Augenhöhe“, sondern öfter klare Leitung und Ansagen, dann fühlen sie sich sicher (unter der Autorität des Arztes).

    Und so ähnlich fühlen viele eben auch gegenüber Erdogan.

    Es gibt hier meiner Erfahrung nach jedoch viele Facetten, auch das islamische Menschenbild, sowie auch die Suche nach Identität (Stolz auf die Türkei) spielt eine wichtige Rolle.

    Daher kann ich nur sagen: willkommen liebe Politiker und Medien in der Welt der Realität muslimischer Zuwanderung.

  3. S v B Antworten

    Mich beunruhigen die in immer mehr Laendern zunehmenden und immer deutlicher hervortretenden soziopolitischen Spaltungstendenzen von Staatsgesellschaften. Dieses nach laengerer Verschnaufpause – jedenfalls in der westlichen Welt – wieder auftretende Phaenomen wird juengst nicht nur in Laendern wie den USA und der Tuerkei, sondern auch in Deutschland in besorgniserregendem Masse sichtbar. Dabei ist nicht auszuschliessen, dass sich die sich in lange nicht gekannter Unversoehnlichkeit gegenueber stehenden Lager mit der Zeit fanatisieren Die Gegensaetze werden anscheinend immer unueberbrueckbarer. Auf demokratischem Wege – mit Wahlen – herbeigefuehrte knappe Mehrheiten werden von der jeweiligen Gegenseite ueberhaupt nicht mehr akzeptiert. Eine knappe Mehrheit wird nicht als solche ueberhaupt nicht mehr anerkannt. Sie soll einfach nicht gelten.

    Wenn die Entwicklung weiterhin in diese Richtung geht, koennte dies letztlich das Aus fuer die Demokratie in einem Staatswesen bedeuten. Letzteres wird durch solche Verhaeltnisse schliesslich unregierbar. Dieser Gedanke bereitet mir grosses Unbehagen.

    PS: der Kommentar wurde auf einer englischen Tastatur getippt.

  4. Walter Lerche Antworten

    Ist es nicht so, dass der Nato und der europäischen Wirtschaft inkl. Großkapitals der Wahlsieg Erdogans willkommen ist?

    • Heribert Joppich Antworten

      hallo Herr Lerche,

      ich hoffe, dass Sie unrecht haben. Leider war das Großkapital im Dritten Reich ja auch positiv zu Hitler eingestellt. Aber ich hoffe dennoch, dass Sie unrecht haben.
      Erdogan weist schon jetzt gewisse Parallelen zu Hitler auf. Wo geht das noch hin. Eine Türkin meinte, dass alle in Deutschland lebenden Türken, die mit ja stimmten, doch zurück in die Türkei gehen sollten. Recht hat sie!

  5. Friedrich Albrecht Antworten

    Mir stellt sich die Frage: Auf welcher staats- bzw. völkerrechtlichen Basis leben diese vielen Türken eigentlich hier? Zuerst waren es einige tausend Gatsarbeiter, denen man nach einiger Zeit den Familiennachzug gestattete; jetzt sind es 3 bis 4 Milionen, die zum großen Teil die türkische Staatsbürgerschaft besitzen. Als Polen EU-Mitglied wurde, waren polnische Bürger viele Jahre vom Aufenthaltsrecht als EU-Bürger in Deutschland ausgeschlossen. Wie konnte es zum Aufenthaltsrecht für so viele Bürger aus einem Land, das nicht EU-Mitglied ist, kommen? Und das bei Leuten, die mental anscheinend in beträchtlichem Umfang primär der Türkei verbunden sind. Eine unheilvolle Rolle spielt in diesem Zusammenhang die vorbehaltlose Gewährung der doppelten Staatsbürgerschaft. Das müßte als erstes abgeschafft werden, um der weiteren Zunahme von Parallelgesellschaften zu begegnen.

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