Offene Debatte statt politischer Machtspiele
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Nicht nur der Weltsicherheitsrat und die Außenminister der EU kommen vor dem Hintergrund der aktuellen Lage zusammen. Heute Abend trifft sich – Achtung, jetzt festhalten! – der Elferrat des Aachener Karnevals Vereins AKV zu einer Sondersitzung. Nun denken Sie vielleicht, man wird dort überlegen, wie man bei der bundesweit bekannten Verleihung der Ritterwürde wider den tierischen Ernst Solidarität mit den Opfern des islamistischen Terrors in Paris zeigen kann. Doch Sie irren sich. Den Aachener Jecken geht es um Wichtigeres. Denn am 23. Januar soll der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) in den Ritterstand erhoben werden, weil er Humor hat und alles nicht so ernst nimmt. Tribute, die man dem Aaachener Elferrat wohl nicht zubilligen würde. Die beraten nämlich heute auf ihrer Sondersitzung, ob Söder als Ritter noch tragbar ist. Weshalb? Er habe nach den Anschlägen von Paris gesagt, dass man keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung mehr zulassen dürfe. Und das sei nicht akzeptabel, teite der AKV-Präsident mit.
Ich weiß nicht, welches politische Mandat so ein Karnevalspräsident innehat, aber ich habe nochmal schnell im Gesetzbuch geblättert, ob irgendwo eingeschränkt wird, wann ein frei gewählter Politiker in diesem Land was sagen darf. Nichts! Und ich habe auch nicht gefunden, dass darüber neuerdings Karnevalisten entscheiden. Aber ich habe Söders Satz noch einmal gelesen. Und der sagt nichts anderes aus, als dass sich der CSU-Politiker eine schnelle Rückkehr zu einem geordneten Verfahren wünscht. Und endlich wieder die Einhaltung der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland und der internationalen Vereinbarungen in der EU. Wenn aber das ein Ausschlusskriterium beim Aachener Karnevals Verein ist, schlage ich vor, diese Organisation ab sofort vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Und Minister Söder sollte eine kurze Mail schicken und die zweifelhafte Ehre ablehnen. Haltung ist wichtiger als Klamauk. Vielleicht kann der AKV ja dann Herrn Stegner von der SPD zum Ritter machen, der nun wirklich immer wieder beweist, welch köstlichen Humor er hat – besonders dann, wenn er gar nicht witzig sein will.
Kein Tag vergeht derzeit, ohne dass in Artikeln und Internetbeiträgen beklagt wird, dass so viele Deutsche sichtbar mit Frankreich und den Opfern von Paris trauern, ohne die gleiche Empathie auch für die jüngsten Opfer von Beirut oder die russischen Opfer des Verkehrsflugzeuges zu zeigen, die wohl ebenfalls Opfer eines Terroranschlages wurden. Auch meine Tochter kam gestern mit diesem Argument, nachdem sie mir von der Schweigeminute an ihrer Schule erzählt hatte. Die Frage ist berechtigt, aber ebenso einfach zu beantworten. Natürlich sind Menschen durch Tragödien immer dann besonders bewegt, wenn die sich in ihrer Nähe oder ihrem Umfeld ereignen. Ein Überfall auf ein Familienmitglied oder einen Nachbarn schockiert und bewegt doch jeden Menschen mehr als die morgendliche Zeitungsmeldung über den Überfall auf einen unbekannten Menschen irgendwo in der Stadt. Wollte man über jedes Leid, das sich täglich irgendwo auf dieser Welt ereignet, trauern, wäre man im depressiven Dauermodus. Soll doch jeder so trauern, wie er oder sie es wirklich empfindet. Ob man eine französische Nationalflagge über sein Profilfoto bei Facebook legt – wie es sehr viele getan haben – oder nicht, was geht das eigentlich andere an? Inmitten von Political Correctness und der 24-Stunden-Volkserziehung, die uns an manchen Tagen umgibt, kommen nun Mitbürger und wollen uns Vorschriften darüber machen, für was wir wann und wie zu trauern haben. Irgendwann reicht’s auch mal.
Die real existierenden St. Martin-Umzüge am Niederrhein waren wieder farbenfroh, überschwänglich und lehrreich. Tagelang hatten die Kinder auf das Ereignis hingefiebert und in mühevoller Kleinarbeit phantasievolle Laternen entworfen. Dann ging es, begleitet von Feuerwehrkapellen durch die Innenstadt, wo praktisch die komplette Einwohnerschaft versammelt war. Das Fest des Heiligen Martin von Tours, der in einer eisigen Winternacht einen armen und unbekleideten Mann traf, dem er die Hälfte seines Mantels gab, hat in dieser Region eindeutig Volksfestcharakter. Auch wenn in der Metropole Düsseldorf einige Kitas und Grundschulen hip sein möchten, und die wunderbaren Martins-Umzüge zu schnöden „Lichterfesten“ umbenannt haben, zeigte sich auch in diesem Jahr, dass die große Mehrheit in der Bevölkerung die Tradition bewahren will. Das Bemerkenswerte dabei ist, dass es die gern zitierten Menschen aus anderen Kulturkreisen überhaupt nicht zu stören scheint, ja, dass es ihnen sogar sehr gefällt. Auch beim heutigen Umzug, an dem unsere Jüngste als Schülerin einer katholischen Grundschule teilnahm, waren selbstverständlich auch die muslimischen Schüler mit ihren Laternen dabei – so wie ihre Mütter, einige mit Kopftuch. Sie leben in diesem Land, und sie nehmen am Leben und am Feiern der Traditionen teil. Ein reicher und mächtiger Mann teilt seine Kleidung mit einem Armen – was für eine schöne Geschichte, nicht nur für Kinder.
Ich habe heute, am Straßenrand in der Menge auf die Kinder wartend, viel darüber nachgedacht, warum es in diesem Land Menschen gibt, die bereit sind, alle Traditionen bedenkenlos über Bord zu werfen. Integration kann man von Zuwanderern doch nur erwarten, wenn es irgend etwas gibt, in das die sich integrieren können. Genau das ist doch der Grund, warum Integration anderswo gut funktioniert und in Deutschland eher schleppend, wenngleich es auch hier nüchtern betrachtet bisher besser funktioniert hat, als wir oft annehmen. Noch mal zur Erinnerung: In Deutschland lebten nach vorsichtigen Schätzungen bis zum Beginn der Flüchtlingswelle mindestens vier, wahrscheinlich eher sechs bis sieben Millionen Muslime, größtenteils aus der Türkei. Die überwältigende Mehrheit friedlich im Mit- und Nebeneinander zur Mehrheit der Gesellschaft.
Aber dieses Brauchtum, das ist doch etwas, das uns Deutsche ganz besonders ausmacht, neben dem Hang zur Pünktlichkeit, zur Ordnung und zum Fleiß, die man uns bisweilen nachsagt. Warum unsere Traditionen opfern, obwohl es niemand von uns verlangt? Es ist erbärmlich, was einige Kitas und Grundschulen da tun. Klar, dies ist ein freies Land, und sie dürfen das so entscheiden. Aber es muss uns nicht gefallen. Mir gefällt es so, wie es ist, mit einem Martin hoch zu Ross, mit fröhlichen Kindern, mit Weckmännern und Spielmannszügen. Eigentlich müsste man sich noch viel mehr dafür engagieren, dass dieses Land bleibt, wie es ist. Und dass unsere Traditionen und Sitten nicht unter die Räder kommen in modernen Zeiten wie diesen. Viele Vereine, besonders die, die vom Aussterben bedroht sind, brauchen Unterstützung. Wer geht heute noch und singt in einem Chor mit? Wer engagiert sich bei der Freiwilligen Feuerwehr oder in einem Bürgerverein? Wie viele Menschen vertrödeln einfach ihre Zeit vor der Glotze, anstatt sich einmal in der Woche irgendwo hinzubewegen, um etwas Sinnvolles für die Allgemeinheit zu tun? Das Deutschland, das den meisten von uns so gut gefällt – das sollten wir hegen und pflegen. Weniger im politischen Alltagsstreit und mit flacher Unterhaltung als vielmehr, indem wir mitmachen.
Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) ist heute Nachmittag im Alter von 96 Jahren gestorben. Bis in die jüngste Zeit hatte sich der „Zeit“-Herausgeber in politische Debatten mit klaren Standpunkten eingeschaltet. Man darf im Zusammenhang mit dem Hamburger den Begriff vom Beispiel an Pflichterfüllung durchaus benutzen. Sein kantiges Auftreten verschaffte Schmidt während der Jahre seiner Kanzlerschaft von 1974 bis 1982 Respekt bis weit in bürgerliche Wählerkreise hinein. „Ein guter Mann, nur leider in der falschen Partei“, so lautete seinerzeit ein weit verbreitetes Bonmot.
Unvergessen bleibt sein beherztes Eingreifen als Hamburger Polizeisenator am 17. Februar 1962, als die Hansestadt von einer gewaltigen Sturmflut heimgesucht wurde. Weil der Krisenstab komplett überfordert ist, reisst Schmidt das Ruder an sich und übernimmt – ohne dass es dafür irgendeine Rechtsvorschrift gegeben hätte – das Kommando über die Hilfsmaßnahmen. Die „Hamburger Morgenpost“ erinnert:
„Schmidt, Offizier im Zweiten Weltkrieg, lässt seine Beziehungen spielen. Er ruft Lauris Norstad an, Nato-Oberbefehlshaber in Europa, und Admiral Bernhard Rogge, Befehlshaber im Wehrbereichskommando I. Die beiden kennen Schmidt gut. Sie wissen: Wenn er sagt, er braucht Hilfe, dann braucht er sie. Schmidt will Hubschrauber, will Boote. Sofort. Er bittet nicht, er befiehlt. Und er bekommt, was er will.“
Unvergessen auch sein Agieren im „Deutschen Herbst“, als die freiheitliche Demokratie durch linksextremistische Terroristen herausgefordert wurde. Kanzler Schmidt entschied den riskanten und letztlich erfolgreichen GSG 9-Einlatz im entführten Lufthansa-Jet in der Gluthitze Mogadischus, wohl ahnend, dass er damit den entführten Arbeitsgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer dem sicheren Tod preisgeben würde.
Auch nach seiner Kanzlerschaft schaltete sich Helmut Schmidt in öffentliche Debatten ein, nicht immer bequem in seinen Anschauungen, aber bis zuletzt in der Bevölkerung hoch geachtet. Und dass er sich bis in hohe Alter nicht verbieten ließ, wann und wo auch immer seine Mentholzigaretten zu rauchen, ist zwar nur eine Randgeschichte, hat mir aber stets imponiert.
Mit Helmut Schmidt verliert Deutschland einen seiner großen Politiker, auf den der Begriff Elder Statesman mehr zutraf als auf jeden anderen. An Gott und den Himmel hat er nach eigenem Bekunden nicht geglaubt, wenngleich er die sozialen Leistungen der Kirche durchaus schätzte. Ich hoffe und wünsche ihm dennoch, dass er nun an einem Ort ist, wo er seinen ewigen Frieden findet, egal, wie er das dann nennt.
Die Grünen haben für ihre Politik genau zwei Instrumente. Zunächst einmal das Verbot. Rauchen, Heizpilze, Fleisch am Donnerstag – fast jeden Tag fällt unserer sympathischen Öko-Partei irgend etwas ein, das man qua Verbot durchsetzen sollte, um uns alle glücklicher zu machen. Das zweite Instrument ist „die Wirtschaft“. Nicht etwa, dass sie deren Ideen für eine positive Entwicklung unserer Gesellschaft aufgreifen würden, sondern „die Wirtschaft“ soll alles Beglückende bezahlen. Nun auch für die Flüchtlinge oder Einwanderer, die nach wie vor und ungebremst nach Deutschland strömen. Aber warum eigentlich? Weil, so wird argumentiert, „die Wirtschaft“ ja profitiert, wenn all die syrischen, nordafrikanischen und afghanischen Fachleute ins Land kommen. Schließlich seien ja auch noch viele Ausbildungsplätze unbesetzt.
Das ist in der Tat so, und wäre ich ein Politiker, würde ich mich längst fragen, warum viele junge Leute lieber ins soziale Netz rutschen, als zum Beispiel Bäcker zu werden, was zweifellos mit regelmäßigem frühen Aufstehen verbunden ist. Aber leisten die Unternehmen nicht sowieso schon einen gewaltigen Beitrag, zum Beispiel indem sie unserem Staat Jahr für Jahr neue Rekordsteuereinnahmen bescheren? Viel Unsinn, gerade auch der Grünen, wäre ohne diese Milliarden gar nicht finanzierbar. Und weil die Unternehmen so erfolgreich arbeiten, will man sie jetzt zusätzlich bestrafen mit Sondersteuern? Letztlich wundert mich das grüne Begehren nicht, denn die Öko-Partei sieht – ebenso wie die Linke – Unternehmen letztlich nur als Kühe an, die man melken kann. Im Alltag belastet man die Firmen mit ständig neuen Regeln und Auflagen, ja man behindert sie nach Kräften, ihre Gewinne zu maximieren.
Viele Unternehmen übernehmen in der momentanen Krise schon jetzt Verantwortung. Und sie stellen auch Zuwanderer aus Syrien ein, denen sie sogar den Mindestlohn bezahlen. Irgendwo las ich vor ein paar Tagen, dass Firmen in Essen 200 Praktikumsplätze für junge Zuwanderer bereitstellen. Niemand kann sagen, dass „die Wirtschaft“ nichts tut. Aber sie macht es freiwillig. Und das ist der Punkt. In diesem Land, davon bin ich zutiefst überzeugt, würde noch viel mehr getan, wenn sich der Staat einfach mal raushielte. Wenn Steuern, Sozialabgaben und Formular-Terror reduziert würde. Und wenn man Unternehmen einfach in Ruhe wirtschaften lassen würde. Und die Grünen könnten uns dann überraschen, indem sie beispielsweise statt „die Wirtschaft“ mal fordern, dass alle Lehrer in Deutschland eine Sonderabgabe für die Flüchtlinge leisten sollen. Da wäre aber was los….
Wenn immer mehr Stimmen wispern, sie würden sich nicht mehr trauen, ihre Meinung zu schreiben oder zu sagen, weil sie gleich in die Nazi-Ecke gestellt werden würden und sich ihre Ankläger im Gegenzug darauf berufen, dass man die Pflicht hätte, zu benennen, was zu benennen ist – also in der Tradition des „Nie wieder!“ – dann wird es schwer, eine problemlösungsorientierte Politik zu gestalten.
Der aktuelle Fall rund um die Vorschläge des Innministers ist alarmierender Höhepunkt einer Konsensverweigerung und eines fortschreitenden Realitätsverlustes weiter Kreise der politischen und, wie sich gleich noch herausstellen wird, auch der gesellschaftlichen Entscheiderebene. Ein Knoten, der immer schwerer zu lösen sein wird. Wenn Spiegel Online den neuesten Vorschlagskatalog des Innenministeriums zur Bewältigung der Einwanderungskrise zum Anlass nimmt, von unmittelbarer und persönlicher Schuld bei Thomas de Maizière zu sprechen, dann verweigert man nicht nur den Dialog, dann verlässt man die Debatte und läd die eigene Auffassung auf eine Weise ideologisch auf, die keine anderen Standpunkte mehr zulässt.
Wenn man erklärt, dass die Vorschläge des Ministers „einen Bruch dar(stellen) mit allem, was verantwortungsvolle Politik sein sollte“, wenn man schreibt, de Maizière sei ein Kandidat für den sofortigen Rücktritt wegen „persönlicher und moralischer Überforderung“, dann ist das ein Wedeln mit der Moralkeule in einer hysterischen Bedingungslosigkeit, die die Lösung der aktuellen Probleme im Land verweigert. Denn klar sollte auch sein, dass die Vorschläge des Ministers – ein zunächst subsidiärer Schutz für syrische Einwanderer, die Rückkehr zur Einhaltung deutscher Gesetze: also die Beendigung eines nicht erklärten Notstandes – allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein wären, hin zu einer baldigen Lösung des Gesamtproblems.
Wer aber die vorgeschlagenen Maßnahmen so aussehen lässt, als wären sie eine Kriegserklärung gegen eine Million Einwanderer, der hat sich aus dem Diskurs verabschiedet. Vergessen wir nicht, es war die Kanzlerin, die sich über Gesetze und europäische Abmachungen hinweggesetzt hat und die damit wie nebenbei und im Vorübergehen den europäischen Gedanken frontal torpediert hat. Die unsere Grenzen vakant gestellt hat, und die unsere Gesetze bricht, wie Stefan Aust und andere in lobenswerter Offenheit (ganz entgegen dieser Kai Diekmannsschen Marschrichtung für Springer) in der WamS festgestellt haben: „…unsere Grenzen sind nicht mehr viel wert. Manche Gesetze auch nicht. Das Asylrecht sagt klipp und klar: Wer als Flüchtling aus einem sicheren Land kommt, hat kein Recht auf Einlass. Doch daran hält sich niemand mehr, allen voran die Kanzlerin. Sie beruft sich auf das grenzenlose Schengen-Europa. Flüchtlingsnot kennt kein Gebot: ‚Wir können die Grenzen nicht schließen. Wenn man einen Zaun baut, werden sich die Menschen andere Wege suchen'“
Damit lässt Merkel den deutschen Schlagbaum einfach oben. Dafür wird nun aber ein neuer Schlagbaum dorthin herunter gelassen, wo es ein immer lauter werdendes Aufbegehren gibt gegen eine nicht mehr nachvollziehbare Politik. Gegen ein Staatsversagen, das in der Nachkriegsgeschichte seines Gleichen sucht. Substanzielle politische Debatten wurden aus dem Reichstag verbannt. Politiker diskutieren jetzt in Talkshows, auf Facebook und Twitter. Dort werden die neuen Leitlinien proklamiert, gelikt und wieder zur Verabschiedung ans Parlament zurückgeschickt. Es gibt faktisch keine Opposition mehr. Weil es kein oppositionelles Denken mehr gibt. Die Einheitspartei ist da. Und irgendwelche Debatten werden nur noch innerhalb dieses geschlossenen Systems geführt. Der Innenminister wird vorübergehend von den eigenen Leuten kaltgestellt, und die vermeintliche Opposition souffliert der Kanzlerin. Die grüne Katrin Göring-Eckart steht Frau Merkel heute vielfach näher, als der Unionspartner und weite Kreise der eigenen Partei.
Aber auch, wer jetzt in seiner Verzweiflung über so viel EInigkeit auf den letzten verbliebenen Kandidaten, auf die Linken als lautstarke Opposition hofft, wird enttäuscht: Lafontaine und Wagenknecht haben zwar noch Verstand genug, Washington und das State Department als eigentlichen Verursacher der Krise zu benennen, aber sie lassen keine Handlungsforderungen in Richtung Zukunft mehr folgen. Eine ergebnisverweigernde, anachronistische Politik. Der nationale Weg ist den Sozialisten aus naheliegenden Gründen verschlossen. Aber wenn ich keine autonome Entscheidung mehr zu treffen bereit bin, dann habe ich mich von der politischen Bühne verabschiedet. Dann hat sich die Opposition aus sich heraus abgeschafft.
Wenn es nun aber keine Opposition gibt, dann muss das Volk seine Rechte außerparlamentarisch einfordern. Es wäre nicht das erste Mal, dass so etwas in Deutschland möglich ist. Nur wer sollte da vorangehen? Die Kirchen sind auf Regierungskurs gegangen. Die Gewerkschaften bedrohen ihre Mitglieder in den Betrieben mit dem schwammigen Maulkorb: „Wer hetzt der fliegt“ – nur was ist ab wann Hetze? Wäre der Innenminister mit seinen Vorschlägen schon von der Gewerkschaft vor die Tür gesetzt worden?
Wenn es der Innenminister schon nicht richtig weiß, wie soll es der Werkzeugmacher oder Maschinenbauer richtig machen? Der gute Mann schweigt dann einfach. Sogar immer öfter bei sich zu Hause. Denn auch das ist wahr: Die Gräben verlaufen jetzt mitten durch die Familien. Nur eine Frage der Zeit, wann die erste pubertär-wütende Tochter oder nur irgendein beleidigter Sohn eine vermeintliche Hetze des Vaters bzw. Vorgesetzten den Gewerkschaftsvertretern in dessen Betrieb meldet, damit der Beschuldigte ein paar Extra-Flugstunden bekommt.
Wie aber artikuliert sich nun diese sogenannte schweigende Mehrheit? Wie findet man zusammen jenseits dieser kontaminierten Pegida-Bewegung? Jenseits der AfD-Parteibücher? Wie organisiert man Demonstrationen vor dem Reichstag, wie bekommt man einige hunderttausende Menschen dieser Millionen höchstunzufriedener Bürger auf die Straße? Bürger, die sich von ihrem Parlament, der Regierung, der Kirche, den Kulturschaffenden, weiten Teilen der Presse und den Gewerkschaften nicht mehr vertreten fühlen? Wer organsiert diesen Aufschrei der Millionen, wenn das sonst die Parteien und Gewerkschaften übernommen haben? Tatsächlich muss man es selbst in die Hand nehmen, indem man sich zunächst die richtigen Protagonisten aussucht: Entscheider, von denen man sich vertreten fühlt. Diese Entscheider müssen nun ultimativ zum Handeln aufgefordert werden, indem man sie bestärkt und ihnen Unterstützung zusagt. Immer wieder und wieder. Ideen entwickeln, Treffen vereinbaren, Gesprächsrunden mit Gleichgesinnten organisieren, solange noch Zeit ist.
Das ist der Weg. Und nicht, indem man eine zweite Pegida-Front aufmacht, nicht, indem man ins Risiko geht, rechten Scharfmachern das Feld zu überlassen, sondern indem man jene prominente Köpfe versammelt, die sich nicht vereinnahmen oder anderweitig gegen eine innere Haltung beeindrucken lassen, indem man diese Menschen an die Spitze des Protestes bittet, drängt und stellt. Und warum sollte nicht auch ein Thomas de Maizière den außerparlamentarischen Weg mitgehen? Noch bieten einige prominente streitbare Geister dem aktuellen politischen Blindflug die Stirn – oder ist es schon ein Amoklauf?
So dürfte es also schwerfallen, beispielsweise einen Wolfgang Bosbach reflexartig in die rechte Ecke zu drängen, ebenso wie einen Minister Wolfgang Schäuble oder den bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer. Natürlich wird man die totale Diskreditierung versuchen, wenn der Lärm vor dem Reichstag immer lauter wird und zuletzt bis in den Plenarsaal schallt. Wenn „Wir schaffen das!“ etwas völlig anderes meint, nämlich die Sicherung unserer Grenzen, das Ende einer uferlosen Hysterie, die Rückkehr zu so etwas wie Normalität und die bleierne Erkenntnis, dass wir helfen, wo wir helfen können, dass wir aber immer noch selber bestimmen wollen, wann und auf welche Weise das der Fall sein wird, und wann wir es aus humanitären Gründen eventuell kurzfristig mal etwas großzügiger auslegen, als es unsere schützenswerten Gesetze zulassen.
Ja, es wird Zeit, diese Mauer aus Vorwürfen, Unterstellungen und Stigmatisierungen zu durchbrechen und klare Kante zu zeigen. Ein Ende zu erzwingen dieser über die gesamte Gesellschaft verhängten Blockade. Das Ende dieser fortschreitenden Lähmung muss möglich sein. Der kritische Punkt ist doch längst überschritten. Höchste Zeit, dass die richtigen Leute zusammenfinden, einen gemeinsamen politischen Willen artikulieren und ihn zu Hunderttausenden auf die Straße tragen. Organisiert Euch! Nicht jeden Montag, gerne an einem Sonntag, der in Erinnerung bleiben, der nachhaltig Eindruck hinterlassen wird. In einer Präsenz und Eindringlichkeit, welche anzeigt, dass wir bereit sind, die inneren Verhältnisse wieder geradezurücken. In einer Präsenz, die den Entscheidern dieses Landes eine unmissverständliche Handlungsaufforderung senden: Mit uns. Oder ohne Euch.
Nachtrag:
Auch das ZDF scheut vor keiner Schmierenkomödie mehr zurück:
gerade auf heute+
Der Moderator erklärte wörtlich (Zitat aus dem Gedächnis) mit aller ihm möglichen investigativen Süffisanz: „Der Theaterplatz in Dresden auf dem sich Pegida jeden Montag versammelt, hieß früher Adolf-Hitler-Platz. Mehr will ich dazu nicht sagen.“ Und dann Themawechsel.
War der Absturz eines russischen Passagierflugzeugs, der alle 224 Insassen das Leben kostete, also doch ein Terroranschlag? Russische und ägyptische Offizielle bestätigen das bisher nicht, aber britische und amerikanische Geheimdienste halten es für die plausibelste Erklärung, warum ein Passagierflugzeug ohne Vorwarnung einfach so in der Luft auseinanderbricht. Warten wir also ab, was die weiteren Untersuchungen ergeben. Wenn Allahs Killertrup vom ISIS dahinter steckt, so würde das nur erneut belegen, dass Russland und der Westen ein gemeinsames Problem haben, das sie gemeinsam angehen und lösen könnten. Wenn sie Partner wären.
Russland ist ein großes und militärisch starkes Land. Jeder Nachbar, nicht nur die unmittelbaren, ist gut beraten, sich um ordentliche, ja gute Beziehungen zum Kreml zu bemühen. Und NATO und Russland gemeinsam, jeder mit seiner Militärmacht und seinen Einflusszonen im Nahen Osten, könnten dem Islamischen Staat ein schnelles Ende bereiten. Das wäre auch die Voraussetzung dafür, eine ernsthafte Lösung für das europäische und insbesondere deutsche Problem mit Flüchtlingen und illegalen Zuwanderern zu finden. Aber ich fürchte, es wird nicht passieren, denn Russland wird von einem Mann angeführt, der sich nicht an internationale Gepflogenheiten und Spielregeln zu halten gedenkt.
Nun ist gutes Personal bei der Führung von Supermächten nicht leicht zu finden. Wir sehen das in Washington ebenso wie in Moskau. Staaten sind sowieso keine Freunde, sie haben lediglich Interessen. Diese zusammenzuführen, dazu kann es gut sein, wenn die Chemie zwischen den führenden Personen stimmt. Helmut Kohl war als Kanzler ein Meister darin, persönliche Beziehungen zu flechten. Barbecue mit Bush in Camp David, am Rhein mit Gorbatschov sitzen und über die „Gechichte“ plaudern, und Maggie Thatcher in Rheinland Pfalz zum Saumagen-Essen nötigen. Und plötzlich öffnen sich Wege, von denen man nur Monate vorher nicht zu träumen gewagt hätte.
Eine gute Chemie zwischen Putin und Obama scheint es nicht zu geben. Spätestens seit dem Wort von „der Regionalmacht Russland“ ist man echt sauer im Kreml angesichts dieser offenen Demütigung. Verständlich. Nur, wenn man ein gemeinsames Problem lösen muss und sich nicht leiden kann, gibt es nur einen Weg: Vertrauen in die Verlässlichkeit der jeweils anderen Seite und das strikte Einhalten allgemein gültiger Regeln. Ob die Sowjetunion Gulags betrieben hat oder die Amis einst die Indianer nahezu ausrotteten, spielt nüchtern betrachtet keine Rolle, wenn man den IS bekämpfen will. Aber die Spielregeln müssen eingehalten werden. Sie heißen Transparenz und Rechtssicherheit. Wer im Europa 2015 mit militärischer Gewalt Grenzen verschiebt, wer Tag für Tag mit militärischen Provokationen kleinere NATO-Staaten piesackt, wer durch PR-Profis das Internet mit Unmengen selten dümmlicher Hetzpropaganda gegen den Westen fluten lässt, der kann einfach kein Partner sein. Der kann seinen Fans im Westen ein wenig Spaß bereiten, es den USA endlich mal richtig zeigen. Aber er trägt sicher nicht zu einer Lösung der aktuellen Konflikte bei. Und Respekt gewinnt er höchstens so, wie ein Wirtshausschläger. Dem gehen alle aus dem Weg und jeder grüßt freundlich aus der Ferne, aber in Wirklichkeit kann ihn kaum einer leiden.
In den WDR 2-Nachrichten um 21 Uhr ging es heute um den Parteichef-Gipfel der Koalitionsparteien zur Flüchtlingskrise. Die Meldung endete mit dem schönen Satz „Nach Ansicht von Beobachtern konnte die CSU am wenigsten durchsetzen.“ Klasse, oder? Das ist mal seriöser Journalismus. „Beobachter“ waren also einer „Ansicht“. Wer diese Beobachter waren, bleibt im Dunkeln. War es die WDR-Nachrichtenredaktion? Oder die SPD-Pressestelle? Wir werden es wohl ebenso wenig erfahren wie die Fakten, die diese geheimen Beobachter zu ihrer Ansicht gebracht haben. Vielleicht war ja auch nur der Wunsch Vater des Gedankens, das Bestreben, der CSU unbedingt noch einen mitzugeben, damit die Leute bloß nicht auf den Gedanken kommen, dass die Bayern mit ihrer Kritik an der aktuellen Flüchtlingspolitik richtig liegen könnten.
In ziemlich genau einem Jahr, am 8. November 2016, endet in den USA eine mehrjährige Vakanz. Dann nämlich wählen die Amerikaner wieder einen Präsidenten. Jeder Staatsmann wünscht sich bekanntlich, mit seiner Politik Spuren zu hinterlassen, die einen Eintrag ins Geschichtsbuch sichern – das ist auf der anderen Seite des Atlantiks nicht anders als hier. Obama hat das locker geschafft – aus gleich drei Gründen. Er ist der erste dunkelhäutige Präsident. Er ist der erste Friedensnobelpreisträger, der wirklich ohne jeden ersichtlichen Grund zu dieser Ehrung gekommen ist. Und er ist die wohl größte Fehlbesetzung als US-Präsident in den vergangenen 100 Jahren. Frieden sollte sein großes Thema sein, eine Welt ohne Atomwaffen sollte es werden, beschworen in vielen brillanten Reden. Doch nach sieben Jahren Obama ist die Welt deutlich unsicherer, das globale Kräftgleichgewicht fragil, Krieg und Verwüstung in vielen Regionen. Welt-Polizist? Anführer des freien Westens? Nichts davon zu sehen. Guantanamo? Reden wir nicht davon…
Auch innenpolitisch ist die Bilanz dünn. Ja, es gibt eine Krankenversicherung, schön und gut. Doch die ist handwerklich so schlecht gemacht, dass sie von den meisten Amerikanern abgelehnt wird. Und auch, dass Standesbeamte(innen) nun ins Gefängnis gesperrt werden, wenn sie homosexuelle Paare nicht trauen wollen, kann ich nicht als Fortschritt ansehen.
Die Uhr läuft, ein Ende des Elends ist in Sicht. Wer Nachfolger wird? Keine Ahnung. Das Bewerberfeld der Republikaner ist noch zu schrill und zu unübersichtlich, um fundierte Analysen zu erstellen. Trump wird es sicher nicht, Jeb Bush hoffentlich auch nicht. Bei den Demokraten wird Hillary Clinton ins Rennen gehen, eine starke und erfahrene Kandidatin. Doch über die Ziellinie ist es auch für sie noch ein weiter Weg. Persönlich hoffe ich, die GOP wird den jungen Senator Marco Rubio aus Florida ins Rennen schicken. Er ist aus meiner bescheidenen Sicht der Dinge der einzige Republikaner, der Hillary schlagen könnte. Er ist jung und steht für Aufbruch, er ist ein guter Redner mit einem Lebenslauf, wie ihn die Amerikaner lieben – Latino, aus kleinsten Verhältnissen nach oben gearbeitet und nun „running for president“. Und er steht für ein starkes Amerika, das bereit ist, sich einzumischen, wenn es notwendig ist.
Aber ganz ehrlich: Mir ist fast schon egal, wer im November 2016 gewählt wird. Wenn nur im seit sieben Jahren verwaisten Oval Office endlich wieder ein Präsident sitzt, der dieses auch Amt ausfüllen kann.