Warum muss man eigentlich Bilder für NRW retten?

Ich weiß noch, wie beeindruckt ich war, als ich zum ersten Mal die Zentrale der WestLB in Düsseldorf betrat. Eine Lobby, so groß wie die Ankunftshalle eines mittleren Flughafens, viel Marmor und beeindruckende Kunst überall. Wie wir inzwischen erfahren haben, befanden sich mindestens 400 wertvolle Werke großartiger Künstler darunter. Picasso, Dali, Beus – Geigen von Stradivari, nichts war zu teuer in den goldenen Zeiten der Landesbank. Allerdings sind die inzwischen vorbei, die WestLB verzockte sich, häufte Milliardenschulden an und wurde abgewickelt. Rechtsnachfolger ist die Portigon AG, die alles, was an Werten übriggeblieben ist, für möglichst viel Geld verkaufen soll. Darunter auch die Kunstwerke.
Nachdem sich bei der Landesregierung herumgesprochen hatte, was da alles meistbietend unter den Hammer kommen sollte, entstand hektische Betriebsamkeit. „Unser Ziel ist es, so viele Kunstwerke wie möglich für NRW zu sichern“, versprach NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD), erläuterte aber nicht, warum eigentlich. Das Land Nordrhein-Westfalen ist mit etwa 140 Milliarden Euro verschuldet, auch die an sich geduldigen Steuerzahler an Rhein und Ruhr dürften unruhig werden, wenn jetzt fette Millionenbeträge für Hochkultur ausgegeben würden. Deshalb entschieden die Politiker, erst einmal energisch ans Werk zu gehen… und einen Runden Tisch einzuberufen. Das Ergebnis: Es soll eine Stiftung gegründet werden, möglichst mit vielen privaten Geldgebern. Kommt nicht genug Kohle zusammen, will das Land irgendwie helfen, ob mit Cash oder Bürgschaften ist ebenso unklar, wie die Höhe der zu erwartenden Kosten für die Rettungsaktion. Sicher ist nur: Nicht alle 400 Werke sollen NRW erhalten bleiben, aber die besten Stücke. Zwölf sind wohl schon ausgewählt, ein paar Dutzend sollen noch bewertet werden.
Ich finde Kunst und Kultur großartig, und ich befürworte, dass der Staat sich um die Pflege derselben kümmert. Zum Beispiel, indem er dafür sorgt, dass Kinder in der Schule einen Zugang zu diesem für sie in jungen Jahren noch eher langweiligen Bereich bekommen. Schüler sollen zu Theateraufführungen gehen, sie sollen begreifen, dass es nicht nur HipHop gibt, sondern andere Arten der Musik, die mitreißend sind. Sie sollen erfahren, welch ein Gewinn es für sie persönlich ist, ein gutes Buch zu lesen. Oder Gedichte. Aber warum muss der Staat Hochkultur subventionieren? Warum ist es eigentlich so wichtig, ob die genannten zwei Picassos in Nordrhein-Westfalen hängen oder in Rheinland-Pfalz, München oder Berlin? Die Welt wächst zusammen, haben wir gelernt, viele Millionen Deutsche verreisen jedes Jahr, längst nicht nur nach Malle. Kulturinteressierte laufen mit Reiseführer in der Hand von Tempelruine zu Stadtmauer. Und sie gehen auch in Museen in Paris, London oder New York. Klar wäre es schön, wenn Picasso und Dali in Essen zu sehen sind, aber es wäre auch schön, wenn sich private Sammler oder Großkonzerne darum kümmern statt Politiker.
In Deutschland ist beinahe der gesamte Kulturbereich staatlich alimentiert. Jeder Theater-Sitzplatz wird mit Steuergeldern subventioniert. Die staatliche Filmförderung in Deutschland steckt seit Jahren eine Menge Geld in die Produktion von Filmen, von denen es viele nicht einmal in die Kinos schaffen, geschweige denn ein großes Publikum erreichen. Künstlerisch wertvoll, natürlich, aber sollten in einer freien Gesellschaft nicht auch die Gesetze des Marktes gelten, wenn es um Kunst und Kultur geht? Warum muss der Staat Kunst fördern, die bisweilen kaum einen interessiert? Wer entscheidet eigentlich, was künstlerisch wertvoll ist? Und vor allem: Warum ist es staatliche Aufgabe, möglichen solventen Sammlern und Galerien wertvolle Kunstwerke vor der Nase wegzuschnappen?




Verstoßen vom Fortschritt

Der Bruno Gmünder Verlag in Berlin hat den Chefredakteur seines Schwulenmagazins „Männer“, David Berger, entlassen. Der Theologe war lange Jahre tief im katholischen Millieu verwurzelt, war Schriftleiter des Monatsmagazins „Theologisches“ und Lektor der Päpstlichen Kongregation für die Glaubenslehre, bevor er sich im April 2010 in einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte. Nach Erscheinen seines Buches „Der heilige Schein“ Ende 2010 entzog ihm das Erzbistum Köln die Lehrerlaubnis für katholische Religion. Berger wurde zu einem der bekanntesten Aktivisten der Homosexuellenszene in Deutschland. Einem breiten Publikum wurde er 2012 bekannt, als er eine „Kopfprämie“ von 15.000 Euro aussetzte, um die Hintermänner der fundamentalistischen Internetseite kreuz.net aufzudecken. Berger trat aus der katholischen Kirche aus und kritisierte fortan wortgewaltig die Kirche und besonders den inzwischen emeritierten Papst Benedikt XVI. für deren Haltung zur Homosexualität. Vor gut einem Jahr verstieg sich Berger zu der Forderung, gläubige Katholiken nicht mehr in Fernsehdiskussionen einzuladen, da diese „homophobe“ Ansichten verträten. Und nun ist er arbeitslos. Im November hatte zuvor die Deutsche Aidshilfe ihre Anzeigen für „Männer“ storniert. Das Magazin, so die Begründung der mit Steuermitteln finanzierten Stiftung, fördere eine Vorstellung von Männlichkeit, die nicht zeitgemäß sei. Berger wird von der sogenannten „queer“-Lobby der Gender-Jünger ein „Rechtsruck“ vorgeworfen, weil er es gewagt hatte, die Verfolgung von Homosexuellen durch den Islam öffentlich zu kritisieren. Es darf eben in Deutschland doch nicht alles einfach so gesagt werden, auch wenn man auf der vermeintlich unverdächtigen „richtigen Seite“ steht. Das hat David Berger nun selbst erfahren.




Unterhalten wir uns, wie es weitergehen soll

Liebe Leserinnen und Leser,

dass es diesen „Kelle-Blog“ gibt, ist einzig dem Umstand geschuldet, dass nach dem Ende meiner Tätigkeit als politisch unkorrekter Kolumnist für die „Rheinische Post“ annähernd 200 Leser geschrieben und bekundet haben, sie hätten sich so an die Freitags-Beiträge zur Lage gewöhnt, dass sie auch in Zukunft nur ungern darauf verzichten würden. Nun sind wir also praktisch im vierten Monat, und ich bin schon ein wenig stolz, dass es inzwischen fast 15.000 Leser gibt, die regelmäßig oder wenigstens hin und wieder hier meine Beiträge lesen. Zu verdanken ist das zum einen den Sozialen Netzwerken im Internet, über die heutzutage eine weite Verbreitung leicht zu organisieren ist, und zum anderen dem „harten Kern“ meiner Leser, die auch bisweilen zu Veranstaltungen kommen oder meine Radiosendungen hören.

Zum Konzept und vor allem, für wen ich schreibe, muss ich nicht noch einmal ausführlich erläutern, weil Sie es wissen. Die „normalen Leute“, die „Bürgerlichen“, salopp gesagt, all diejenigen, die den Laden in Deutschland am Laufen halten. Ich bin in manchen Fragen konservativ, in anderen liberal, auch mal libertär, und sozial sowieso immer. Aber ich schreibe nicht, weil ich eine Ideologie verbreiten oder für eine Partei werben will. Die Unabhängigkeit bringt dabei viele Vorteile, leider hat sie aber auch Nachteile, denn dieser Blog ist ein Zuschussgeschäft. Nicht, dass ich persönlich keinen Cent damit verdiene, ist das entscheidende Problem, sondern, dass ich draufzahle. Und darüber möchte ich einige Gedanken mit Ihnen teilen und Ihre Meinung dazu erfahren.

Das Internet ist für uns Deutsche selbstverständlich ein Umsonst-Medium. Niemand bedauert das mehr als die Zeitungsverleger hierzulande. Das Zeitalter der auf Papier gedruckten Zeitungen wird in absehbarer Zeit enden – vielleicht schneller, als wir alle uns das vorstellen können. Gute Nachrichten, Analysen und Kommentare wird und muss es weiterhin geben. Aber wie soll es finanziert werden? Qualität ist nicht umsonst zu haben. Ein Blog wie dieser darf nicht beschränkt auf einige Wenige bleiben, die bereit sind, dafür zu zahlen. Aus den oben genannten 15.000 Lesern können leicht 50.000 oder auch mehr werden, sofern es Mittel für gezielte Werbung gäbe. Doch diese Menschen würden zu sicher mehr als 90 Prozent erwarten, dass der – hoffentlich! – Lesegenuss kostenlos ist. Einverstanden! Ohne Wenn und Aber: der freie Zugang zu allen Texten hier bleibt garantiert.

Aber es gibt Modelle, die andere von mir überaus geschätzte Blogger in anderen Ländern erfolgreich praktizieren. Was, wenn zahlende Leser früher Zugang bekämen? Also zum Beispiel: Wer monatlich, sagen wir mal, 5 Euro führ ein „Blog-Abo“ zahlt, kann die Beiträge freitags lesen, alle anderen dann ab Sonntagmittag. Und obendrauf bekommen „Zahlende“ einen wöchentlichen Newsletter, nicht nur mit meinen Text-Links wie bisher, sondern mit zusätzlichen Informationen, zum Beispiel Links zu anderen lesenswerten Beiträgen geschätzter Kollegen, Hinweisen auf Veranstaltungen, lesenswerte Bücher und sehenswerte TV-Sendungen und so weiter. Wäre das ein Modell, das für Sie akzeptabel sein könnte?

Oder was ist mit Werbung? Dieser Blog ist bisher komplett werbefrei. Würde es Sie abschrecken, wenn Werbebanner von Unternehmen oder Google-Anzeigen auf diesen Seiten erscheinen? Gibt es den ein oder anderen, der vielleicht selbst hier für kleines Geld werben würde? Ich weiß es nicht, aber ich möchte es von Ihnen erfahren. Diesen Blog gibt es nicht, weil ich eine bombige Geschäftsidee hatte, sondern – wie oben schon geschrieben – weil Leserinnen und Leser empfohlen hatten, einfach weiterzumachen mit den Freitags-Kolumnen. Und so würde ich mich ehrlich freuen, wenn wir miteinander überlegen und diskutieren könnten, wie es weitergehen soll. Das machen wir nicht öffentlich, sondern im direkten Kontakt. Meine Bitte: Schreiben Sie mir Ihre Gedanken zum Thema! Was wäre für Sie akzeptabel, was ist Ihnen dieser Blog wert, was würde Ihnen überhaupt nicht gefallen, was haben Sie vielleicht für andere Ideen? Und natürlich: Was würden Sie sich von meinem Blog zusätzlich wünschen? Was gefällt Ihnen, welche Themen kommen zu kurz und welche zu häufig?

Sie erreichen mich direkt über die Mailadresse: kelle@denken-erwuenscht.com . Und ich freue mich sehr darauf, Ihre Gedanken zu lesen.

Mit herzlichen Grüßen,
Ihr Klaus Kelle




Was verbindet uns Deutsche überhaupt noch?

Man muss kein Politologe sein, um festzustellen, dass Pegida seinen Zenit überschritten hat. Der Streit im Dresdener Führungsteam hat jetzt faktisch zu zwei konkurrierenden Pegida-Veranstaltern geführt. Aus meiner Sicht ist das der Anfang vom Ende. Es wird noch ein paar Demonstrationen geben, und die Teilnehmerzahlen werden sinken. In Leipzig sind die Forderungen der Veranstalter deutlich zu radikal, als dass sie ernsthaft in den allgemeinen politischen Diskurs einbezogen werden könnten. Und im Westen der Republik hat das Konzept sowieso nie funktioniert. Ja, die Tausende, die sich Montag für Montag in Dresden versammelt haben, sind auch „das Volk“, die Mehrheit sind sie erkennbar längst nicht. Soweit die nüchterne Analyse. Fraglich war ohnehin, wo das alles enden sollte, denn alle sieben Tage bloß durch die Straßen zu ziehen, ist kein Handlungskonzept.
Und dennoch war Pegida – man möge mir die Vergangenheitsform entschuldigen – alles andere als ein Misserfolg. Wenn es einen Fehler gibt, den etablierte Politik und Medien jetzt machen könnten, dann wäre es, sich bequem und schadenfroh zurückzulehnen und einfach zur Tagesordnung überzugehen. SPD-Chef Siegmar Gabriel und Politiker wie CDU-Präside Jens Spahn oder auch Innenminister Thomas de Maiziere haben das scheinbar begriffen. Was wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, war eine Zäsur in der politischen Arithmetik Deutschlands. Der über viele Jahre von Unions-Strategen arrogant gepflegte Grundsatz „Die können ja nichts anders wählen“ gilt nicht mehr, denn sie können sehr wohl. Und dass so viele Bürger – neben den Morgenluft witternden Extremisten von Rechtsaußen – aufstehen und laut hinausbrüllen, das sie sich vom „System“, seinen etablierten Politikern und besonders den Medien nicht verstanden, ernst genommen und vertreten fühlen, hat eine neue Qualität bekommen. Anders als übrigens das „Lügenpresse“-Gekreische suggeriert, haben sich im Zusammenhang mit Pegida viele der großen Medien durchaus selbstkritisch gezeigt und versucht, das neue Phänomen zu begreifen.
Es gibt ein großes, weiter wachsendes Potential unzufriedener Bürger in diesem Land. Ob Pegida existiert oder nicht, diese Menschen bleiben existent. Viele verweigern sich Wahlen, andere hocken in Zirkeln zusammen und lamentieren. Ein paar pflegen groteske Verschwörungstheorien. Aber sie sind Teil dieses Landes, und ihre Ängste und Sorgen sind genauso ernstzunehmen, wie die anderer progressiver Gruppen. Natürlich gibt es Probleme mit einem Teil der Zuwanderer und Flüchtlinge, meistens aus dem islamischen Kulturkreis. Und natürlich wurde das jahrelang von Politik und Medien ignoriert oder bagatelisiert. Und, verehrter Herr Bundespräsident, nicht nur Zuwanderer fürchten sich vor Ablehnung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Auch deutsche Bürger fürchten sich, wenn sie auf einem Bahnsteig stehen und eine Horde übertestosteronisierter Halbstarker aus dem Libanon kommt um die Ecke. Wäre schön, wenn auch die mal in der nächsten Weihnachtsansprache erwähnt würden.
Es ist etwas in Bewegung geraten durch Pegida. Der Meinungsaustausch ist offener und intensiver geworden, auch mit denen, die nicht zum modernen Mainstream gehören wollen. Und das tut dieser Gesellschaft gut, durch die sich offenbar ein tiefer Riss zieht. Und das bringt uns zum nächsten Punkt, nämlich der Frage, was verbindet uns Deutsche untereinander überhaupt noch? Wie funktioniert Patriotismus in Zeiten von Moderne und Globalisierung? Das ist eine entscheidende Frage, die derzeit niemand beantworten kann, wenn nicht gerade Fußball-Weltmeisterschaft ist. Und das ist keine abstrakte Überlegung, sondern sehr konkret. Wenn Pegida demonstrierte, trugen selbstverständlich viele Teilnehmer deutsche Fahnen. Wenn die (Gegen-)Demonstrationen gegen Rassismus und für Weltoffenheit und Toleranz stattfanden, sah man Fahnen vom DGB, den Jusos und den Grünen – aber niemand hatte eine Deutschland-Fahne dabei, obwohl sie doch für ihre Vorstellung von Deutschland demonstrierten. Und ich frage mich: Warum tragt Ihr keine Fahnen unseres gemeinsamen Landes?




Gilt jetzt auch „Arsch huh“, liebe Kölner?

Die Kölner Zivilgesellschaft wird immer wieder gelobt. Das Miteinander von Kulturen und Religionen „bei uns im Veedel“ wird leutselig besungen, kein Rechtsradikaler, der irgendwo in Sichtweite des majestätischen Doms entdeckt wird, ohne kopfstarke Gegen-Manifestation von Toleranz, Weltoffenheit und Liberalismus. Geradezu legendär die Kampagne „Arsch huh, Zäng ussenander“, die 1992 aus einem riesigen Rockkonzert entstand und sich gegen rechte Gewalt richtete. Bei passender Gelegenheit ersteht sie oder zumindest ihr Geist immer wieder neu, zuletzt als Reaktion auf die islamkritischen und teilweise rechtsextremen KöGida-Aufmärsche. 15.000 Kölner demonstrierten dagegen und für das bunte Köln. Doch die Nagelprobe könnte in diesen Tagen kommen. Das Festkomitee des Kölner Karnevals teilte am Mittwoch mit, dass es den geplanten Mottowagen mit einem „Charlie Hebdo“-Motiv beim diesjährigen Rosenmontagszug in der Jecken-Hochburg zurückziehen werde. Auf Facebook hatten zuvor 7.000 Menschen das Motiv ausgesucht, das einen Zeichner zeigt, der seinen Bleistift in den dadurch berstenden Pistolenlauf eines erkennbar islamistischen Selbstmordatentäters steckt. Die Karnevalisten schrecken zurück. Sie haben Angst, ihr ausgelassenes Treiben könnte zu einem Anschlagziel werden. Ein unerhörter, wenn auch verständlicher, Vorgang. Und ein Vorgang, der die Frage aufwirft: Wie ernst meint es die Kölner Zivilgesellschaft mit ihrem Eintreten für Toleranz und Weltoffenheit? Wie reagiert sie in einer Stadt mit einem hohen Anteil muslimischer Bürger? Gilt da auch „leben und leben lassen“? Ich bin sehr gespannt, was nach der Entscheidung des Festkomitees passieren wird….




Freiheit gehört nicht nur einem Teil der Gesellschaft

In Lübeck beschwerten sich dieser Tage Schüler von fünf Europaschulen öffentlich, dass sie als „schulische Pflichtveranstaltung“ an einer Demonstration für Toleranz, Vielfalt, Weltoffenheit und so weiter und so weiter teilnehmen mussten. Als Pflichtveranstaltung habe man das nur aus versicherungsrechtlichen Gründen bezeichnet, erklärte ein Schulleiter auf Anfrage, und ich würde nicht einmal ausschließen, dass das stimmt in diesem Land, in dem alles seine Ordnung haben muss. Jedenfalls waren die Schüler der siebten und achten Klassen verpflichtet, die Demonstration als Teil des Unterrichts zu besuchen. Gelebte Demokratie sozusagen, auch das erstmal gut. Aber stellen wir uns vor, eine Schule oder ein Lehrer würde mit seiner Klasse zu einer Pegida-Demo gehen oder zum 1000-Kreuze-Marsch nach Berlin oder in Stuttgart zur Demo gegen die Frühsexualisierung von Kindern durch rot-grüne Bildungspläne. Liebe Leute, was wäre in diesem Land los? Und damit bin ich beim Punkt: Wenn Politiklehrer ihren Schülern zeigen wollen, wie Demokratie funktioniert, ist das großartig. Wenn Political Correctness dabei die Auswahl vorschreibt und Unliebsames außen vor lässt, ist es genau das Gegenteil von Demokratie. Das passiert übrigens nicht nur in Schulen. Als Stadionbesucher sehe ich immer die Vereine und Spieler, die mit Ansprachen vor dem Anpfiff und Transparenten ihre Abneigung gegen Homophobie und Rassismus bekunden. Und das ist auch absolut in Ordnung, wenn Vorbilder Zivilcourage zeigen. Aber Philipp Lahm, der vor einem Spiel mit Mikro in der Hand einen Text vorliest, in dem er vor den Gefahren durch gewalttätige Zuwanderer warnt? Hannover 96, das aufruft, an einer Demo gegen Spätabtreibungen teilzunehmen? Oder auch das Land Nordrhein-Westfalen, dass zum „Tag des ungeborenen Lebens“ anordnet, vor allen öffentlichen Gebäuden Fahnen der Pro-Life-Bewegung zu hissen? All das werden wir niemals erleben, und all das belegt bedauerlich eindrucksvoll, dass es natürlich eine Political Correctness gibt, die sich wie Mehltau über unsere Gesellschaft legt und einen offenen Diskurs an Meinungen und Ideen behindert. Und das ist keineswegs nur ein deutsches Problem, sondern ein Problem „des Westens“ insgesamt.
Aus Frankreich wurde jetzt der Fall eines Kunstlehrers bekannt, der 13- und 14-jährigen Schülern in seiner Collège-Klasse Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte. Nach den Terroranschlägen von Paris wollte er mit den jungen Leuten über Meinungs- und Pressefreiheit diskutieren. 20 muslimische Schüler beschwerten sich darüber bei der Schulleitung. In den Streit griff schließlich die Schulbehörde in Straßburg ein. Sie supendierte den Lehrer. Der darf nun vier Monate lang nicht mehr unterrichten. Die Leitung der Schulbehörde begründete diesen skandalösen Schritt damit, man habe die Lage „befrieden“ wollen. Suspendiert, weil er seinen Schüler Freiheit erklären wollte…. Wundert sich noch jemand, dass Menschen aus anderen Kulturen inzwischen über uns und unsere Demokratie lachen?




Hoppla, jetzt kommt Alex

Das ging nun wirklich fix. Gestern Abend Wahlsieger, heute schon Ministerpräsident Griechenlands. Alexis Tsipras (40) ist zunächst einmal am Ziel. Seine Hoffnung auf eine rein linke Regierung wurde allerdings um zwei Sitze verfehlt, so dass in Athen nun eine erstaunliche Koalition aus Links- und Rechtspopulisten die Macht übernommen hat. Sichtbare Schnittmengen zwischen den Programmen beider Parteien sind kaum feststellbar. Lediglich die Abneigung gegen fortdauerndes Sparen und die Tilgung eines Schuldenbergs verbindet die ungleichen Partner. Die EU und insbesondere Deutschland sollen sich warm anziehen, ist nun allerorten in Kommentaren zu lesen und bisweilen auch bereits von Politikern der neuen griechischen Regierung zu hören. Alexis Tsirpas wird es schon allen zeigen, so hoffen auch hierzulande Manche, die sich seit Jahren (vergeblich) wünschen, dass endlich mal etwas so richtig den Bach runtergeht. Aber wie soll das gehen? Auch ein junger eloquenter Wahlsieger kann die Gesetze des Marktes nicht aushebeln. Bedient Griechenland seine Kredite nicht mehr, gibt es kein frisches Geld. So einfach ist das. Führt Athen seine Reformen nicht weiter und baut seine Strukturen nicht weiter um – damit zum Beispiel auch schwerreiche Reeder und andere Milliadäre endlich einmal Steuern bezahlen – wird auch in Zukunft und dauerhaft eine Ebbe in der griechischen Staatskasse herrschen, gegen die alles Bisherige eher ein laues Lüftchen gewesen ist. Auch die jüngere Geschichte anderswo hat immer wieder politische Helden ganz nach oben gespült, die allzu ambitionierte Erwartungen ihrer Wählerschaft nicht einmal im Ansatz erfüllen konnten. Denken wir nur an den derzeitigen Mann im Weißen Haus…wie heißt der noch gleich? Auch Alexis Tsirpas kann die Schwerkraft nicht außer Kraft setzen. Sein Drohpotential gegenüber EU und Deutschland ist sehr übersichtlich. Aber natürlich hat auch er als demokratisch gewählter Regierungschef jede Chance verdient, uns allen zu zeigen, was er drauf hat.




Berufsverbot für Old Shatterhand

Eines unserer Kinder hat heute ein Eltern-Rundschreiben der Schulleitung mit nach Hause gebracht. Es geht – unvermeidlich im Rheinland – um den bevorstehenden Karneval und die getroffenen Regelungen und die zu berücksichtigenden Vorschriften, denn auch der ausgelassene Frohsinn bedarf in Deutschland gründlicher Einweisungen. Normalerweise würde ich jetzt fragen, ob karnevalistisches Treiben in einem Bundesland mit so niedrigen Bildungsstandards wie Nordrhein-Westfalen tatsächlich ein überzeugender Grund für Unterrichtsausfall an zwei Tagen und verkürzten Unterricht an einem weiteren sein sollte. Aber zum einen kann man ja Brauchtumspflege durchaus auch als wertvollen Lerninhalt betrachten. Und zum anderen würden mir die zahlreichen Jecken unter meinen rheinischen Freunden wieder die Hucke vollhauen, würde ich derart frevelhafte Fragen stellen. Wahrscheinlich würde man mir meine vermeintlich freudlose Kindheit in meiner vermeintlich spaßfreien ostwestfälischen Heimat vorhalten. Lassen wir das also, und wenden uns einem anderen Aspekt des Rundschreibens zu.
„Wir möchten darauf hinweisen, dass Pistolen, Gewehre, Konfetti, Luftschlangen aus der Sprühdose und farbige Haarsprays verboten sind“, schreibt das Lehrerkollegium an uns Eltern. Nun gehe ich davon aus, dass mit „Pistolen, Gewehre“ keine wirklich schießfähigen Waffen gemeint sind. Sollte ich mich in diesem Punkt irren, würde ich mal fragen wollen, wieso das außerhalb des Karnevals anders sein sollte. Also gehen wir von Spielzeugpistolen und Spielzeuggewehren aus. Wieso sind die verboten? Ich meine: Waren Sie auch mal jung? Cowboy und Indianer gespielt? Bei Winnetou III vor dem Fernsehapparat geweint? Und haben im realen Leben nicht auch Jäger ein Gewehr? Und Polizisten eine Pistole, um uns im Notfall zu beschützen? Wieso dürfen Kinder im Karneval zwar noch als Sheriff, aber ohne typisches Arbeitsgerät kommen? Ich glaube, da werde ich mal bei der Schule nachfragen…. (und Sie gegebenenfalls weiter auf dem Laufenden halten)

Diesen Tagebucheintrag widme ich übrigens dem unvergessenen US-Präsidenten Ronald Reagan, in seinem ersten Leben mehrfach Darsteller in Westernfilmen. Von ihm stammt der Satz: „Ich habe mal in einem Film einen Sheriff gespielt, der glaubte, ohne Schusswaffe auszukommen. Nach 27 Minuten war ich tot….“




„Nicht an ihren Worten, sondern ihren Taten sollt ihr sie erkennen“

Es hätte alles so schön sein können. Die Reise des Papstes zu den Gläubigen auf den Philippinen war ein Thriumphzug sondergleichen. Eine Heilige Messe mit sechs Millionen begeisterten Katholiken, ein Papst, der zu den Armen geht, zu denen, die kaum noch Hoffnung auf ein besseres Leben haben. Ein Pontifex, der im gelben Regencape Sturm und Regen trotzt. Was für gewaltige Bilder aus dem Fernen Osten verbreiteten sich da in Windeseile um die Welt. Und dann kam der Rückflug…
„Einige glauben, dass wir, um gute Katholiken zu sein, wie die Kaninchen sein müssen“, sagte Papst Franziskus, um dann Journalisten seine Vorstellungen von verantworteter Elternschaft zu erläutern. Man ist geneigt, sich kurz aufs Ohr zu klopfen und dann zu fragen: „Was hat er gesagt?“ Vergleicht er wirklich die Millionen, oft kinderreichen, katholischen Familien rund um den Globus mit „Karnickeln“? So einen rhetorischen Missgriff hat es in der Geschichte des Papsttums lange nicht mehr gegeben. Viele, gerade die Treuesten der Treuen, sind verstört und verärgert. Geradezu erleichernd zwischendurch die ironische Gelassenheit eines Internetbeitrages, den ich gestern dazu las: „Was? Wir müssen gar nicht wie die Karnickel „züchten“? Hätte ich das bloß früher gewusst, mein armer schmerzender Rücken….“
Die falsche Wortwahl auf dem Rückflug von Manila macht ein Thema greifbar, das besonders viele traditionsbewusste Katholiken umtreibt und zunehmend verärgert. Es geht um die Frage: Wie volkstümlich darf ein Pontifex öffentlich formulieren? Darf er Worte wie „Karnickel“ und „Schnickschnack“ verwenden, ohne die Autorität seines Amtes zu beschädigen? Schwer, eine Antwort darauf zu finden, denn ich gebe zu, auch mich hat die aktuelle Aussage, nennen wir es, befremdet. Dabei gibt es theologisch an Papst Franziskus nichts auszusetzen. Er lehrt, was zuvor Benedikt XVI. und davor Johannes Paul II und davor Paul VI. gelehrt hat. Alle diejenigen, die annehmen, der neue Stil im Vatikan werde zu den – im wesentlichen von Nichtkatholiken geforderten – so genannten Reformen führen, werden sich wundern. Dieser Papst ist Gegner der Abtreibung, dieser Papst verteidigt den Zölibat, und dieser Papst schätzt und ehrt die traditionelle Familie. Es gibt nichts, das darauf hindeutet, daran könnte sich etwas ändern. Es gibt lediglich ein unglücklich und missverständlich gewähltes Wort.
Vielleicht müssen wir, die wir aus Überzeugung zur katholischen Weltkirche gehören, uns mit dem Stil des neuen Papstes arrangieren, so lange die Lehre unverwässert bleibt. Franziskus kommt aus einem anderen Kulturkreis, er hat einen anderen Lebensweg hinter sich, als kirchensteuerfinanzierte Hochwürden hierzulande, die wegen First Class-Flügen ins Gerede kommen. Der Pontifex aus Südamerika geht einen anderen Weg. Er folgt dem, was Jesus Christus von seiner Kirche verlangt. Er geht zu den Armen, zu den Menschen an den Rändern der Zivilisation. Seine Worte und Gesten erreichen viele Menschen, die zum Beispiel der von mir verehrte, intellektuell wie rhetorisch brillante Benedikt nie hätte erreichen können. Und – noch einmal – die Botschaft von Franziskus für diese Menschen ist klar und unverwässert. Es ist eine Botschaft des Glaubens an Gott, der Liebe und des Mitgefühls. Darauf, und nur darauf kommt es letztlich an. Ich empfehle deshalb: sehen wir ihm seinen „Schnitzer“ nach. Er formuliert gern aus dem Stegreif, manchmal auch für meinen Geschmack zu flapsig. Aber er ist der richtige Papst zur richtigen Zeit. Und wir Katholiken glauben, dass ein Konklave eine solche Wahl nicht aus Zufall trifft.




Urinspritzer, ein Amtsgericht und die Folgen

Das Amtsgericht Düsseldorf hat jetzt eines der letzten Alleinstellungsmerkmale von zur Miete lebenden Männern verteidigt. Wer im Stehen uriniert und dabei Spritzer verursacht, die den Marmorboden im Badezimmer stumpf werden lassen, muss keinen Schadenersatz leisten – es sei denn, der Eigentümer hätte den Mieter vorher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es derartige Kollateralschäden geben könnte. So, wie bei dem berühmten Fall aus den USA, wo vor Jahren ein Kunde von McDonalds zwei Millionen Dollar erstritt, weil ihn das Unternehmen nicht ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass heißer Kaffee unter Umständen heiß sein könnte. Doch zurück nach Düsseldorf. Ich bin noch unentschieden, ob dieses Urteil ein Beleg dafür ist, in was für einem problemfreien Land wir leben, wo sich Gerichte mit derartigen Dingen beschäftigen. Und bitte, bevor ich empörte Zuschriften bekomme, dass man ja den Hauseigentümer verstehen müsse, der ein versautes Badezimmer zurück erhält – ja, ich verstehe das und will ihm sein Recht keineswegs streitig machen. Dennoch bin ich heute beim Lesen der „Rheinischen Post“ an dieser Nachricht hängen geblieben, denn es stört mich, wenn sich Staat und Justiz auch in die intimsten Bereiche des menschlichen Daseins einschalten, wie etwa bei dem Prozess vor drei, vier Jahren, wo es darum ging, ob die Nachbarn eines Mieters beim Sex leiser sein müssten, oder ob man im Freien auf einem Balkon rauchen darf, wenn es den Mietern im Obergeschoss nicht gefällt. Alles berechtigte Anliegen, aber könnte man da nicht Lösungen finden, ohne nach dem Staat zu rufen? Ich weiß es nicht, weil ich die Details dieser Fälle nicht kenne. Nur dieses ständige Staat! Staat! Staat! macht mir Angst. Wo führt das hin? Gibt es demnächst Verordnungen und Bußgelder um die Frage, wie ein Bürger ordnungsgemäß zu urinieren hat? Kommt das Gewerbeamt mit Messgeräten, um zu überprüfen, dass Bürger nur in einem erlaubten Dezibel-Rahmen miteinander verkehren. Wird das Landes-Immissionsschutzgesetz um Vorschriften ergänzt, bei welcher Windstärke Raucher auf einem Balkon in welche Himmelsrichtung zu pusten haben? Recht muss Recht bleiben, wer sich beeinträchtigt fühlt, kann jederzeit vor ein Gericht gehen. Natürlich! Doch wir müssen uns bewusst sein, dass wir damit für den allumfassenden Staat neue Betätigungsfelder eröffnen, unser aller Leben weiter zu regulieren.