Absurde Theorien
Die Tagespost
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Das Thema Vorratsdatenspeicherung ist zurück auf der politischen Agenda. Die Polizei fordert so etwas seit langer Zeit, die EU auch, und nun scheint sich sogar die SPD endlich zu bewegen. Sofort sind die selbsternannten Retter unserer Bürgerrechte wieder da. Sie streiten gegen die Vorratsdatenspeicherung mit zwei Argumenten, die umwerfend sind. Das erste heißt: Ich will das eben nicht! Gerade so, als könnte man mit dem eigenen „Willen“ jedes lästige Gesetz und jede Verordnung außer Kraft setzen. Wenn es danach ginge, was ich persönlich so will, gäbe es manche Behörde längst nicht mehr. Aber danach geht es eben bei mir ebensowenig, wie bei den wackeren Anti-VDS-Kämpfern. Wenden wir uns also dem zweiten „Argument“ zu, das da heißt: Die VDS verhindert keine Anschläge! Toll, oder? Das Problem dabei ist: Niemand will die vorsorgliche Speicherung von Telekommunikationsdaten, weil sie Straftaten verhindert, sondern weil sie nach Straftaten die Ermittlungen erleichtert, um Straftäter ausfindig zu machen. Das ist ganz etwas anderes. Die Gegner der VDS argumentieren so, als würde man sagen: Wir sind gegen Grippeimpfung, weil damit keine Autounfälle verhindert werden können. Leider hat das Beides miteinander gar nichts zu tun.
Ich erkläre nochmal, um was es geht: Telekommunikationsunternehmen wie Telekom und Vodafone speichern zu Abrechnungszwecken die Daten aller in ihren Systemen geführten Telefonate. Wenn Sie mit Ihrer Telefonrechnung nicht einverstanden sind, können Sie Widerspruch einlegen. Dann bekommen Sie eine Übersicht der Verbindungen und können nachrechnen und nachschauen, wann sie mit wem wie lange telefoniert haben. Niemand käme deshalb auf den Gedanken, von einer Einschränkung der Grundrechte zu sprechen. Und nun geht es darum, ob die bei Telekom, Vodafone und anderen Anbietern sowieso vorhandenen Daten für eine begrenzte Zeit BEI DIESEN UNTERNEHMEN gespeichert bleiben. Ergibt sich dann für die Polizei im Rahmen einer konkreten Fahndung nach einer oder mehreren Personen die Notwendigkeit, deren Telefondaten zu überprüfen, geht der zuständige Staatsanwalt zu einem Richter und beantragt unter Darstellung des konkreten Verdachts, in diesen Telefondaten bei der ganz konkreten Fahndung Einsicht nehmen zu dürfen. Der Richter prüft dann und ggf. genehmigt er. Und dann darf die Polizei die Übersicht der geführten Telefonate bei einer konkreten verdächtigen Person in einem konkreten Fall einsehen. Wer das allen Ernstes für eine Einschränkung unserer Grundrechte in Deutschland hält, sollte mal ein paar Minuten kalt duschen.
Wir leben in verrückten Zeiten. In Paris töten islamistische Terroristen 17 Menschen, in Belgien gab es die ganze Nacht Anti-Terror-Razzien gegen islamistische Terrorzellen, die „unmittelbar“ einen großen Anschlag begehen wollten. In Berlin durchsucht die Polizei Wohnungen von terrorverdächtigen Rückkehrern aus dem Syrien-Urlaub. In Hameln gehen Mitglieder einer „Großfamilie“ nach dem Tod eines Angehörigen Polizisten mit brutaler Aggressivität an – 14 Beamte werden verletzt. Und in Leipzig greifen Linksradikale eine Polizeistation an. Und wie reagiert die etablierte deutsche Politik? Genau! Sie verstärkt den Kampf gegen Rechts. Schon irre, oder? Ich werde mir das mal auf Wiedervorlage legen, wenn beim nächsten „Al Quds Tag“ auf den Straßen Berlins wieder – wie üblich – die Vernichtung aller Juden und das „Ausradieren“ Israels von der Landkarte gefordert werden. Mal schauen, ob sich die politische Elite unseres Landes dann auch vor dem Brandenburger Tor versammelt und mahnende Worte an das Volk spricht. Oder wenigstens an die Fotografen in einer Nebenstraße.
Wolfgang Bosbach, streitbarer Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, hat recht, wenn er sagt, dass sich die politische Diskussion in Deutschland komplett verändern würde, am Tag nach einem Anschlag wie jüngst in Paris. Dann würde man sagen: Warum habt Ihr das nicht verhindert? Warum wusstet Ihr nicht vorher Bescheid? Warum kanntet Ihr diese Leute nicht? Doch es gab in Deutschland eben bisher noch keinen Terroranschlag dieser Kategorie. Ob das einfach dem glücklichen Zufall geschuldet ist oder der Kompetenz unserer Sicherheitsbehörden, weiß ich nicht. Aber ich bin froh darüber, dass es so ist. Festzustellen bleibt, dass wir derzeit in Deutschland eine aufreizende Ignoranz gegenüber einem Teil der Gefahren pflegen, die unserer freien und offenen Gesellschaft drohen. Nazis und Rassisten sind so eine Gefahr, und damit meine ich ausdrücklich nicht verunsicherte Bürger, die Angst vor dem Islam, vor sozialem Abstieg oder Drogendealern im Stadtpark haben, und dagegen demonstrieren. Die sogenannte „antifa“ ist auch so eine Gefahr, marodierende linke Schlägerbanden, die weder vor Gewalt gegen Sachen noch gegen Personen – besonders uniformierte – zurückschrecken, die aber in den Sonntagsreden von Politikern höchst selten vorkommen. Denn die „antifa“, das sind ja nach ihrem Selbstbild die guten Kriminellen, weil sie vorgeblich den Faschismus bekämpfen, indem sie sich selbst aufführen, wie früher die faschistischen Schlägerhorden. Ja, und dann der Islam – den nehmen wir in Schutz, weil es natürlich richtig ist, dass man wegen 500 Syrien-Kämpfern aus Deutschland und 200 möglicherweise gewaltbereiten Salafisten nicht 4 Millionen Muslime in Deutschland – wahrscheinlich sind es erheblich mehr – unter Generalverdacht stellen darf. Aber bitte, wir wollen bei all dem nicht außer acht lassen, dass das Einzige, was die aktuellen Ereignisse in Paris und Belgien verbindet, der Islam ist bzw. das, was die Mörder für den Islam halten. Insofern hat übrigens Bundeskanzlerin Merkel absolut recht, wenn sie von muslimischen Theologen eine unmissverständliche Klarstellung fordert, dass Terror nicht mit der islamischen Lehre zu begründen ist. Auch wenn sich Frau Merkel leider den verunglückten Wulff-Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ zu eigen gemacht hat, der historisch kompletter Nonsens ist. Aber das ist ein anderes Thema.
Inzwischen ist also bestätigt und belegt, dass die große Solidaritätsshow der Staatschefs, die entschlossen an der Spitze der Demonstration des Volkes am Sonntag in Paris marschierten, nur ein Fake war. In einer Seitenstraße aufgestellt für die Fotografen und nach ein paar Minuten wieder in die Limousinen und ab. Ja, man könnte sagen, bei 1,5 Millionen Demonstranten und in aufgeladener Stimmung kann niemand die Sicherheit der hochrangigen Politgäste garantieren. Gut, aber dann muss man mit offenen Karten spielen. Warum habt ihr nicht gesagt, dass Ihr nach Paris fahrt, um Solidarität zu zeigen, doch nicht in der großen Demo mitgehen könnt? Viele Menschen hätten das verstanden. Aber jetzt? Wieder ein Stück der verbliebenen Glaubwürdigkeit zum Teufel und wieder Wasser auf die Mühlen der Systemkritiker und der „Lügenpresse“-Krakeeler. So, wie derzeit ständig.
Da muss ich nicht einmal diesen RTL-Typen bemühen, der sich unter die Pegida-Demonstranten gemischt hat und natürlich aufgeflogen ist. Gestern Abend war ich in Baden-Württenberg im Auto unterwegs und hörte die Nachrichten des dortigen öffentlich-rechtlichen Grundversorgers. In Deutschland, so erfuhr ich, demonstrieren gerade Zehntausende gegen Fremdenfeindlichkeit und Pegida. Und in Villingen-Schwenningen, so erfuhr ich weiter, hatte es erstmals auch eine Pegida-Demo gegeben. Mit 100 Teilnehmern, die allerdings – O-Ton SWR 3-Nachrichten – „von 200 Gegendemonstranten niedergebrüllt“ worden waren. Die Pegida-Demo in Dresden mit ihren 25.000 Teilnehmern wurde nicht einmal in einem Nebensatz erwähnt. Da aber natürlich jeder Zeitungsleser im Land inzwischen weiß, dass diese Aufmärsche montags in Dresden stattfinden, fragt sich der unbedarfte Zuhörer: Warum sagen die das nicht, wenn sie über Pegida berichten? Und genau das ist der Stoff, aus dem die Verschwörungstheorien wachsen.
Ich empfinde die „Lügenpresse“-Sprechchöre und die Beiträge über die große Medien-Verschwörung im Internet als absurd, denn durch meine 30-jährige Tätigkeit als Journalist für eine Reihe von Medien weiß ich, dass es die große Verschwörung nicht gibt. Aber es gibt schlechtes journalistisches Handwerk, und es gibt Helden in Redaktionsstuben, die heutzutage – da es völlig gefahrlos ist – noch mal zu einer Art Widerstandskämpfer wachsen wollen. Was sie nicht begreifen, ist, dass sie und ihre glattgebürsteten Beiträge die Ursache dafür sind, dass die Ablehnung gegenüber den etablierten Medien in Deutschland immer größer wird. Das Vertrauen in die Medien sinkt dramatisch und ebenso das Vertrauen in die etablierte Politik. Deshalb meine herzliche Bitte: Führt eine harte und offene Debatte, streitet Euch – gern auch lautstark. Aber hört auf mit diesen kindischen Inszenierungen und der Volkserziehung, und macht einfach Eure Arbeit ordentlich!
In den sozialen Netzwerken kursiert derzeit ein Foto von der Aufstellung der Staatsgäste bei der großen Demonstration am Sonntag in Paris. Wir alle haben die Bilder gesehen von Hollande, eingehakt mit Merkel, von Netanjahu und Abbas und all den anderen, die Solidarität mit dem französischen Volk zeigen wollten. Nun mehren sich Hinweise darauf, dass es sich bei der Aufnahme nicht nur um die aus Sicherheitsgründen notwendige vorherige Aufstellung der VIPs handelte, die dann anschließend geschlossen zur Demo gegangen sind, sondern um einen reinen Fototermin, nach dem außer Hollande alle wieder abgereist sind. Sollte sich das bewahrheiten, wäre es eine Frechheit. Jeder versteht, dass Sicherheitserfordernisse für Staatschefs bestehen. Und ich denke, fast jeder begreift auch, dass Staatschefs nicht drei Stunden durch die Straßen ziehen. Aber wenn keiner dieser Spitzenpolitiker wirklich bei der großen Versammlung des französischen Volkes anwesend war, würde das eine Kaltschnäuzigkeit dokumentieren, die selbst mir den Atem verschlägt.
Liberale Muslime? Die gibt es in Deutschland nur als „kleine Minderheit“. Das sagte jetzt die frühere Islambeauftragte der SPD im Bundestag, Lale Akgün, in einem Interview beim Deutschlandfunk. „Wie sollen wir denn hier in Europa einen Euroislam schaffen, wenn gleichzeitig aus der Türkei Erdogan tönt, Euroislam wäre eine Erfindung des Westens, um den Islam zu untergraben?“, sagt Akgün und bezeichnet Erdogan als „mächtigen Gegner“. Wohlgemerkt, Frau Akgün ist eine Sozialdemokratin. Wolfgang Bosbach von der CDU redet Klartext, wie man es von ihm gewohnt ist, wenn er fordert, den Sicherheitsbehörden endlich mehr Möglichkeiten zu geben, den gewaltbereiten Islamismus in den Griff zu bekommen. Bei der FDP fordert Dr. Gerhard Papke, stv. Präsident des nordrhein-westfaläischen Landtags und enger Vertrauter von Parteichef Lindner, Abschied von den Multikulti-Träumen zu nehmen und kritisiert in harschen Worten die Fehler, die alle etablierten Parteien in der Vergangenheit aus Naivität und falsch verstandener Toleranz gemacht haben. Und sein Parteifreund Kubicki äußert unmissverständlich sein Verständnis für die Pegida-Demonstranten, die sich Sorgen um dieses Land machen. Niemand, der die Dinge vorurteilsfrei beobachtet, kann sagen, dass sich nicht bei den etablierten Parteien in dieses Tagen etwas bewegt – wenn man Grüne und SED mal außen vor lässt.
Dasselbe gilt – vielleicht noch stärker – für die Medien in Deutschland. Der unsägliche Vergleich eines FAZ-Herausgebers von Pegida und Terroristen in Paris ist ein Tiefpunkt in der Kommentierung deutscher Leitmedien gewesen. Das ist wahr. Aber wie viele objektive Beiträge und wie viel sachliche Auseinandersetzung großer Medien hat es in den vergangenen Wochen insbesondere mit Pegida gegeben – was ja gar nicht einfach ist, wenn deren Köpfe jeglichen Dialog mit den Medien verweigern. Gute Kommentare – zuletzt von Martenstein und Kissler – in etablierten Medien, viele Blogger soweso – Bettina Röhl fällt mir als erste ein. Auch mein jüngster Beitrag zum Terror in Paris hat meinem kleinen Blog ein paar Tausend neue Leser und einen Besucherrekord beschert. Das System funktioniert, das Wort von der „Lügenpresse“ ist eine Frechheit, die mich zunehmend ärgert. Der Wert freier Medien bemisst sich nicht daran, ob sie jedem Unzufriedenen nach dem Mund reden. Kritik und manchmal auch Unfairness muss man aushalten. Aber dass die Bedrohung durch den aggressiven Islam in Deutschland vom Establishment noch ignoriert wird, ist schlicht nicht wahr.
Die Barbarei von Paris trifft unser Nachbarland wie ein Schock. Terroranschläge wie diese sind nicht zu verhindern. In Frankreich nicht und in Deutschland auch nicht. Jede anderen Gefühle als Trauer und Wut sind in diesen Stunden fehl am Platze. Dass schon kurz nach Bekanntwerden der schlimmen Nachrichten aus Paris in Deutschland die ersten politischen Strippen gezogen werden, ist erbärmlich. Jetzt bloß nicht überreagieren, hat ja mit dem Islam nichts zu tun, ist die Devise. Und in der Tat, auch jetzt ist es falsch, jeden Muslim als potentiellen Terroristen zu verdächtigen, wie es nicht wenige in den Internetforen offenbar tun. Es ist nicht der Islam, der hier sichtbar wird. Es ist eine Minderheit von fanatisierten Verbrechern, die in meinen Augen jegliches Verständnis verwirkt haben. Terror ist der Krieg der Armen, hat der große Peter Ustinov einmal gesagt. Aber er hatte nicht Recht. Hier geht es nicht um den Aufstand unterdrückter Menschen, hier geht es um blinden Hass. Auf uns, auf unsere Art zu denken und zu leben. Diejenigen, die heute auf n-tv schon wieder darüber fabulieren, ob die Anschläge in Paris wohl Pegida „nutzen“, haben nichts begriffen. So, wie nach 9/11 diejenigen, die klammheimliche Freude erkennen ließen. Menschen, die sich selbst für Intellektuelle halten, und deren Dummheit grenzenlos ist.
Eine Gruppe muslimischer Fundamentalisten hat uns allen den Krieg erklärt. Sie hassen unsere Kultur, unsere Bücher, unsere Musik und – bei den schrumpfenden christlichen Kirchen – unseren Glauben. Sie dulden kein Recht und keine Demokratie, sie wollen keine Freiheit der Gedanken, selbstbewusste modere Frauen sind ihnen zuwider. Und Satiriker. Wie oft habe ich mich geärgert, wenn mein christlicher Glaube von Satirikern und in Karrikaturen durch den Dreck gezogen wurde. Ich habe es hingenommen, denn dies ist eine freie Gesellschaft, in der jeder das Recht hat, zu sagen und zu zeichnen, was er möchte. Und nun waren Satiriker das Ziel, Menschen, die frech und unbekümmert Dinge aussprechen, die ihnen durch den Kopf gingen. Und nun sind sie tot, ermordet von Killern, die den Abzug bedienen und Allah anrufen. Und ich frage all die wackeren Demonstranten, die jede Warnung vor dieser Gefahr zu „Rassismus“ und „Faschismus“ erklären: Begreift Ihr, dass Paris uns alle angeht? Der internationale islamistische Terror ist keine Sache, die „nur“ die USA betrifft. Oder Großbritannien und Spanien. Oder Russland und Dänemark. Diese Leute zielen auf uns alle, auch auf jeden von Euch. Und es ist ihnen auch egal, ob andere Muslime zu Opfern werden. Dass Deutschland bisher vom Terror verschont geblieben ist, verdanken wir in einigen Fällen dem Glück, in anderen unseren aufmerksamen Sicherheitsbehörden. Wie wäre es mal mit einer Demo am nächsten Montag, vielleicht einem Trauermarsch für die Opfer des islamistischen Terrors? Wie wäre es, wenn die muslimischen Verbände in Deutschland endlich so klar Flagge zeigen, wie es die muslimischen Organisationen in Frankreich tun? Und warum nicht den Kölner Dom als Zeichen der Solidarität mit den Opfern in Paris verdunkeln? Oder eine Ansprache der Bundeskanzlerin, die klarmacht, dass Paris uns alle betrifft – jedenfalls alle Menschen, die unsere Freiheit und unsere Kultur zu schätzen wissen. Die Barbarei, die heute erneut sichtbar geworden ist, sollte uns alle jenseits von kleinlichem Parteiengezänk zusammenrücken lassen.
Im politischen Zirkus ist es gut und wichtig, eine liberale Stimme zu haben. Dieser Meinung bin ich nach wie vor, und warum sollte das in der Bundesrepublik nicht in Zukunft wieder die FDP sein? Die traditionsreiche Partei hat bittere Niederlagen kassiert und fristet derzeit ein eher bescheidenes Dasein außerhalb der großen Berliner Bühne. Und sie hat sich ihren derzeitigen Tiefflug in den Jahren 2010 bis 2013 redlich verdient, da gibt es keine Krokodilstränen zu weinen. Aber ich würde mir dennoch wünschen, dass die Liberalen die Kurve wieder kriegen, denn in einer weitgehend sozialdemokratisierten deutschen Parteienlandschaft, sollte es eine Kraft geben, die gegen die Allgegenwärtigkeit des Staates steht, die dafür sorgt, dass die Bürgerrechte nicht in Vergessenheit geraten, und die bisweilen daran erinnert, dass erfolgreiches Wirtschaften auch mit Freiheit für Unternehmen und Unternehmer zusammenhängt. Heute Morgen beim Frühstück haben wir wieder einmal über die FDP gesprochen. Nicht über all‘ das gerade Beschriebene, sondern über die Farbe Magenta, unsere Jüngste würden sagen „pink“. Die FDP hat sich nämlich in einem monatelangen Entwicklungsprozess mit sicher vielen Marketingprofis und Präsentationen entschieden, dem bekannten FDP-Logo einen pinkfarbenen Streifen hinzuzufügen. Wow! Viele von Ihnen werden jetzt reflexartig sagen: Was für ein Quatsch, die sollen lieber mal anständige Politik machen. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Dass alle Nachrichtensendungen der Republik über den pinkfarbenen Streifen berichten, manche kommentieren, der WDR einen Psychologen zur Wirkung der Farbe Magenta auf die Menschen interviewt und, ja, auch dass an vielen Frühstückstischen heute Morgen wie bei Kelles über diesen dämlichen, belanglosen Streifen diskutiert wird, sagt viel darüber aus, warum der Begriff „Polit-Zirkus“ keine Abwertung, sondern eine Beschreibung ist. Und es zeigt, dass die FDP etwas Richtiges getan hat, denn sie hat mal wieder breite Aufmerksamkeit gefunden – und das ist der Sinn von Marketing. Ob es um einen Streifen Magenta geht, ob sie einen grünen Bauklotz oder eine Milchkanne ins Parteilogo genommen hätten, ist völlig egal. Hauptsache Aufmerksamkeit.
Ein Patriot ist jemand, der eine emotionale Beziehung zu seinem Land hat. Ein Nationalist ist jemand, der sein Land für höherwertiger als andere Länder hält. Geht man von dieser allgemeinen Definition aus, würde ich mich selbst als Patrioten bezeichnen. Ich würde nicht sagen, dass ich mein Land liebe, diesen Begriff behalte ich meiner Frau, meinen Kindern und meinen Eltern vor. Aber ich bin gern Deutscher und lebe gern in diesem Land, auch wenn ich nichts dafür kann, zufällig hier geboren zu sein und im Alltag jede Menge Dinge entdecke, die mir nicht gefallen. Deutschland hat einen beachtlichen Beitrag zur Weltkultur geleistet, ist technologisch und wirtschaftlich eine der führenden Nationen. Wenn ich politische Themen betrachte, dann unter der Prämisse, was ist gut für mein Land und die Menschen, die hier leben? Ich denke, so weit, werden wir hier große Einigkeit feststellen können. Wenn ich dann aber zu dem Ergebnis komme, dass es aus meiner Sicht für mein Land gut ist, zu einem vereinten Europa zu gehören (als selbständiger Nationalstaat) und „zum Westen“ insgesamt, wird es Widerspruch geben – und das ist auch gut so, denn die Freiheit zum Widerspruch gehört eben auch zu den Voraussetzungen, die das Leben in Deutschland so großartig macht.
Was mich in letzter Zeit zunehmend stört, ist jedoch das Verhalten von anderen Deutschen, die sich als „Patrioten“ bezeichnen, aber kein gutes Haar an unserem Land lassen. Ich meine nicht die Sachkritik, die dringend geboten ist, sondern das herablassende Gerede von der „Baanenrepublik BRD“, vom „System“, von der „zweiten DDR“ und das Verächtlichmachen von den Organen unseres Staates und vor allem seinen Repräsentanten. Niemand muss Frau Merkel mögen oder sie gar wählen, aber sie ist die frei gewählte Regierungschefin Deutschlands. Wird sie nächstes Mal abgewählt – fein, das gehört zu einer Demokratie dazu. Aber die Beleidigungen und der Hohn, der bisweilen ausgegossen werden, sind unwürdig. Besonders von Menschen, die behaupten, Patrioten zu sein.
Wer hätte vor einem Jahr vorhersagen können, was 2014 bringt? Die Eskalation auf der Krim und in der Ostukraine, das Verschwinden von Passagierflugzeugen, die Erfolge der AfD, das Aufkommen von Pegida, die Explosion der Flüchtlingszahlen – Entwicklungen, die zumindest nicht in dieser Dramatik von irgendjemandem vorhergesagt werden konnten. So wird es auch im neuen Jahr sein. Es werden politische und gesellschaftliche Entwicklungen stattfinden, die heute noch niemand auf dem Schirm hat. Dennoch möchte ich ein paar Themen streifen, die absehbar oder aus meiner Sicht wichtig in 2015 sind oder werden.
Niemand weiß sicher, wie in wenigen Wochen die Parlamentswahlen in Griechenland ausgehen. Die Meinungsforscher sehen derzeit linke Parteien vorn, die der Sparpolitik des Landes, zumindest partiell durchaus erfolgreich, den Garaus machen wollen. Wird das so kommen, wird Athen wieder damit beginnen, Geld zum Fenster hinaus zu schmeißen, schadet sich das Land selbst gewaltig und könnte vermutlich die ganze Euro-Zone erneut in Turbulenzen bringen. Der Euro wird deshalb nicht abgeschafft, und die EU wird nicht zusammenbrechen, aber die Geduld der letzten Steuerzahler dürfte dann flöten gehen. Nutznießer dieser Entwicklung könnten die Euroskeptiker überall in Europa werden, in Deutschland die AfD. Mit ihren Wahlerfolgen im vergangenen Jahr hat die Partei den Grundstein dafür gelegt, sich politisch rechts von der Union dauerhaft zu etablieren. Doch zuvor steht noch die Bewährungsprobe auf der Tagesordnung, an der schon viele hoffnungsvolle Parteigründungen gescheitert sind: die Realpolitik und die innerparteilischen Klärungsprozesse. Regelmäßige Leser meiner Texte wissen, dass ich seit langem die programmatische Unschärfe der neuen Partei kritisiere. Oder können Sie mir sagen, wie die AfD zum Betreuungsgeld oder zum Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare steht? Ja, ja, ich weiß, was Frau von Storch dazu sagt – aber eine Beschlusslage gibt es nicht, und unvergessen ist die Teilnahme der Berliner AfD am Christopher Street Day 2013. Viel gravierender könnte sich allerdings der aktuelle Zwist zwischen den Führungspersonen auswirken. Parteisprecher Bernd Lucke lädt unabgesprochen die Kreisvorsitzenden zum Gespräch, führende Parteifunktionäre um Gauland und Petry bestellen Lucke zum Gespräch ein, Henkel macht aus seiner Abneigung gegenüber der Kreml-Fraktion auch öffentlich keinen Hehl und Ende Januar will Lucke beim Bundesparteitag eine Satzungsänderung durchsetzen, die ihn zum alleinigen Vorsitzenden macht – ein Unterfangen, gegen das sich große Teile der jungen Partei massiv wehren. Was, wenn Lucke scheitert? Was, wenn er sich durchsetzt? Meine These: Wenn Lucke abgesägt wird, wenn Henkel hinschmeißt, wird die AfD scheitern, weil auch für neue Parteien gilt: Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Kaum vorstellbar, dass die vielen ehemaligen Unions- und FDP-Wähler ohne diese bürgerlichen Zugpferde bei der Stange bleiben.
Wie es in der Ukraine weitergeht, weiß kein Mensch. Ich denke, die schweren wirtschaftlichen Turbulenzen in Russland werden Herrn Putin die Freude an weiteren Abenteuern erst einmal vermiesen. Dennoch wird es weiter Gewalt in der Ostukraine geben, denn Russland hat kein Interesse an einer Stabilisierung, die das Land weiter Richtung Westen treiben würde. In Deutschland wird es höchste Zeit, dass wir zu einer breiten öffentlichen Debatte über das Freihandelsabkommen TTIP kommen, das aus meiner Sicht viel besser ist, als sein Ruf hierzulande. Doch die beiden langfristigen Themen, die mich auch 2015 umtreiben, und zu denen ich immer wieder publizistische Zwischenrufe starten werde, sind der schleichende Verlust unserer Freiheit durch einen allumfassenden Staat und die Daueroffensive progessiver Kräfte gegen die traditionelle Familie, die ja nach wie vor ein großes Erfolgsmodell ist. Das Herabsetzen der Leistung von Müttern („Heimchen am Herd“, „vergeudetes Potential“), die fortgesetzten Angriffe auf die Ehe aus Mann und Frau („Familie ist überall, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen“), der mit unendlichen Steuermillionen forcierte Gender-Schwachsinn, die Frühsexualisierung unserer Kinder („Gang Bang“ und „Darkroom“ als Unterrichtsstoff für Zwölfjährige) sind für mich das Thema, das langfristig die größte Bedrohung für unsere Art zu leben, darstellen. Erfreulich, dass 2014 der Widerstand von Eltern und Lehrern gegen diesen Irrsinn in Form von Petitionen und Demonstrationen zugenommen hat. Diese Entwicklung sollte sich im neuen Jahr immer stärker fortsetzen.
Und die Zuwanderung? Und die Flüchtlinge? Und der Islam? Alles schwierige Themen, die einer differenzierten Betrachtung bedürfen, die hier den Rahmen sprengen würde. Nur eins: Welches christliche Abendland sollen wir verteidigen, wenn wir ungerührt zuschauen, wie Tausende Menschen im Mittelmeer jämmerlich ersaufen? Nächstenliebe ist eine der tragenden Säulen des christlichen Abendlandes. Wer seine Augen vor dem Leid der Menschen und seine Grenzen vor den Todgeweihten verschließt, soll mir bitte nichts mehr vom „christlichen Abendland“ erzählen!