Die Grenze zwischen Hass-Beitrag und erlaubter Meinung ist auch die Grenze zwischen Freiheit und Zensur

Im Grunde ist die Initiative von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) typisch für das, was heutzutage in Deutschland unter Politik verstanden wird. Da identifiziert man ein tatsächlich existierendes Problem, und dann muss eine Lösung her. Mangels Kreativität in der Regel ein Gesetz, ein Verbot oder ein vom Staat eingefordertes und bei Nichtbeachtung mit Strafe sanktioniertes Verhalten des Bürgers. Heiko Maas will nun also den Hass in sozialen Netzwerken bekämpfen. Jeder, der in diesen Netzwerken unterwegs ist, weiß, was für übelste Schmähungen dort Tag für Tag und rund um die Uhr verbreitet werden. Über die Flüchtlinge ebenso wie über ernsthaft besorgte Bürger, über den falschen Glauben, den falschen Fußballverein, die falsche Einstellung zu Homosexuellen und so weiter und so weiter. Im Meinungsstreit sollte alles erlaubt sein, sofern Mindestregeln des Anstands eingehalten werden. Doch das funktioniert nicht.

Und deshalb wurde nun der wackere Saarländer Maas bei Facebook vorstellig, um zu beraten, wie man Hass-Beiträge schnell im Netz tilgen kann. Dass ausgerechnet Facebook erstes Ziel der Maas’schen Inititative ist, verwundert ein wenig, denn Twitter ist nach meinem Eindruck ungleich schlimmer, ätzender und beleidigender (übrigens auch belangloser), aber sei’s drum. Nun sollen also Hass-Beiträge innerhalb eines Tages von Facebook gelöscht werden, und genau da beginnen die Probleme. Wer entscheidet in einer freien Gesellschaft eigentlich, was so ein Hass-Beitrag ist? Jedem fallen sofort Beispiele ein, wo eine solche Bewertung unumstritten sein dürfte. Aber wo hören Kritik, Sarkasmus, vielleicht auch Zynismus auf – und Hass beginnt? Hass-Veröffentlichungen zum Beispiel gegen Kirche und Papst werden ja in der Regel mit „Kunst“ erklärt, und die darf bekanntlich alles. Satire! War gar kein Urin, war nur Fanta. Hahaha! Nun gut, wer entscheidet, wo Kunst endet und Böswilligkeit beginnt? Eine ständige Arbeitsgruppe von Facebook? Eine staatliche Aufsichtsbehörde? Bettina Röhl hat in dieser Woche konkrete Beispiele genannt, was da so alles im Netz zu bewerten sein könnte. Keine leichte Aufgabe für die Gedankenwächter.

Was ich für wahrscheinlich halte: die Lautstärke wohlorganisierter Lobbygruppen wird den Ausschlag geben. Je schriller der Aufschrei, desto schneller wird gelöscht. Ein Internetportal der militanten Homo-Lobby beispielsweise macht schon jetzt vor, wie das läuft. Wird eine Fernsehdiskussion unter Teilnahme unliebsamer Personen angekündigt, gibt es einen Aufruf, die Redaktion oder den Sender anzuschreiben und gegen die Einladung zu protestieren. Die Namen und Anschriften werden gleich mitgeliefert. Jedes Mal, da gibt es ein Umfeld, das auf Knopfdruck spurt und Empörung heuchelt. Meine Frau, die Autorin Birgit Kelle, hat das schon erlebt, viele andere auch. Inzwischen werden Behörden massenhaft angeschrieben, die politischen Gegnern öffentliche Räume entziehen sollen. Und warum das alles? Weil allein die ruhig und sachlich vorgetragene Feststellung, dass der Artikel 6 Grundgesetz eine Privilegierung der Ehe aus Mann und Frau beinhaltet, von solchen Lobbygruppen als „Hass“ interpretiert wird. Ebenso wie die Kritik am massiven Zustrom von Flüchtlingen derzeit automatisch zu Rassismus und „Hass auf alles Fremde“ erklärt wird. Auch, wenn es gar keiner ist. Basta!

Das, was Justizminister Maas da gemeinsam mit Facebook plant, ist Zensur, zumindest birgt das Vorhaben die Gefahr, dass daraus Zensur unliebsamer Meinungen entstehen kann. Und bei anderen politischen Debatten, wie zum Beispiel über den Datenschutz, hört man auch immer wieder: „Ja, im Moment werden meine Daten zwar noch nicht missbraucht, aber es können ja mal andere Zeiten kommen, und dann sind sie dort verfügbar.“ Warum sollte man also bei Facebook nicht auch bereits den Anfängen wehren?

Deutschland hat Gesetze, da steht alles drin. Sie reichen aus, um Nazipropaganda und antifa-Gewaltphantasien ebenso zu bekämpfen wie Salafisten-Mordvideos und Verstöße jeglicher Art gegen die Menschenwürde. Das wird ja auch bisher schon gemacht. Beleidigungen, Übertreibungen und selbst unfassbare Blödheiten aber sollte man aushalten können, wenn man im Netz unterwegs ist. Weil die Alternative ein weiterer Verlust an Freiheit wäre. Und es arbeiten jetzt schon genügend Wächter der Political Correctness, Gleichstellungsbüros und politische Hobbyforscher daran, das wichtige Recht auf freie Meinungsäußerung immer weiter einzuschränken. Mehr Denkverbote und mehr Zensur braucht diese Gesellschaft wirklich nicht.




Mit Verlaub, ich formuliere wie ich will

Rainald Becker hat’s getan, und peng! sofort springt die Empörungsmaschine an. In einem Kommentar in den ARD-„Tagesthemen“ benutzte er den Terminus „Grüne und linke Gutmenschen“. Und die sind nun alle ganz empört über das „wording“. „Gutmensch“, das ist fast so schlimm wie „gesunder Menschenverstand“ oder – jetzt Ohren zuhalten – „Autobahn“. Die geht gar nicht, wie wir durch Johannes B. Kerners längst vom Winde verwehte Show einst erfahren haben. Ich persönlich finde ja, in einer freien Gesellschaft sollte jeder Mensch selbst entscheiden können, wie er formuliert – Journalisten sowieso. Das eigentlich Erstaunliche ist aber, dass sich unter den besonders Empörten in diesem Fall viele Menschen befinden, die nichts dagegen haben, eine staatliche Förderung für Familien mit Kindern als „Herdprämie“ oder „Verdummungsprämie“ zu bezeichnen, und die sich lachend auf die Schenkel klopfen, wenn engagierte Mütter als „Heimchen am Herd“ beleidigt werden. Denn merke: Gleich heißt im modernen Deutschland noch lange nicht gleich! Die PC-Wächter wollen entscheiden, wie man zu formulieren hat. Tun wir ihnen diesen Gefallen nicht!




Im Zug von Krefeld nach Kleve

Die Stimmung in der Regionalbahn von Krefeld nach Kleve war schlecht, Tendenz sinkend. Ich hatte den letzten Klappsitz ganz links für mich sichern können, vor mir drei junge Frauen mit Kopftuch, in der Reihe neben mir – so weit man das optisch einsortieren kann – ausnahmslos junge Männer mit, wie das heute so schön heißt, Migrationshintergrund. Einer von ihnen sehr laut. Er redete unablässig in sein Smartphone, in seiner Sprache und unfassbar laut. Niemand sagte etwas, alle schauten unbewegt geradeaus, man will ja in diesen Zeiten nicht unangenehm auffallen.

Nach zehn Minuten wurde es einem älteren Ehepaar – beide sicher 70 – auf der gegenüberliegenden Seite zu bunt. „Können Sie mal etwas leiser sein? Hier wollen auch Leute ihre Ruhe haben….“ Der Angesprochene unterbrach sein Telefonat und blaffte die Frau an: „Warum denn? Was hast Du?“ „Sie sind zu laut, sie stören andere Leute.“ „Warum sagst Du das, was willst Du von mir?“ Andere riefen jetzt auch dazwischen. Manche in einer Sprache, die ich nicht verstand, andere auf Deutsch. Aus einer der Reihen wehte ein Satzfetzen zu mir herüber: „…man mal sehen, was das für Typen sind, die wir uns hier ins Land holen.“ Wie gesagt, die Stimmung war wirklich unangenehm und sehr angespannt in diesem randvollen Wagen der Nordwestbahn.

Schließlich stand der neben mir sitzende Mann auf, zeigte auf den Telefonierer und sprach ihn mit ziemlich düsterem Blick unmissverständlich an. „Du, sprich jetzt leiser. Die Leute wollen ihre Ruhe haben und Du benimmst Dich jetzt!“ Wenn ein stämmiger gut 1,90-Meter-Mann so etwas nachdrücklich sagt, verfehlt das seine Wirkung in der Regel nicht, und es wurde tatsächlich augenblicklich deutlich ruhiger. Mein Nachbar setzte sich wieder, schaute mich an und sagte: „Die Deutschen sind schlimm.“ Ich fragte: „Warum?“ Und er sagte: „Ich habe schon in vielen Ländern gelebt, aber hier ist es am schlimmsten.“ Ja, aber was ist denn so schlimm, muss doch keiner nach Deutschland kommen? Er sagte: „Wenn sich in anderen Ländern in einem Zug jemand daneben benimmt, stehen die anderen auf und werfen ihn an der nächsten Station raus, zur Not auch aus dem Fenster.“ Ein interessanter Gedanke, dachte ich, sagte aber: „Nun, so etwas ist in Deutschland eigentlich nicht üblich.“ Und ich versuchte zu erklären: „Es kommen derzeit viele Menschen, und es ist schwierig mit unterschiedlicher Religion und fremden Kulturen….“ „Das hat nichts mit Kultur oder Religion zu tun, sondern mit Gesetzen“, erwiderte er, zeigte auf den Smartphone-Mann und erklärte mir: „Wenn der wüsste, dass er sich benehmen muss und sonst kein Geld mehr bekommt, dann würde er sich benehmen. Aber es sagt ihm niemand.“ Auf der weiteren Fahrt erfuhr ich noch, dass mein Sitznachbar aus dem Iran stammt, seit zehn Jahren in Deutschland lebt und übrigens auch für seinen Lebensunterhalt arbeitet. Als wir schließlich austiegen, verabschiedeten wir uns mit Handschlag voneinander.




Von der ernsten Sorge, dass Deutschland dieses Mal scheitert

Wenn nahezu alle Parteien, ja sogar die große Mehrheit der Gesamtbevölkerung einer Meinung ist, beschleicht mich immer ein mulmiges Gefühl. Wie kann das sein, noch dazu bei einem Thema wie der momentanen Flüchtlingswelle, die nun wirklich eine der großen Herausforderungen nicht nur unserer Zeit, sondern der nächsten Jahre sein wird? Sind wir besoffen von unserer eigenen Hilfsbereitschaft, vom bunten und weltoffenen Deutschland, das sich gerade von seiner Sonnenseite zeigt? Und übersehen wir dabei vielleicht, was diese derzeitige unkontrollierte Masseneinwanderung für dieses Land und damit letztlich für uns alle bedeuten wird?

Ich habe mehrfach ohne Wenn und Aber dazu aufgerufen, den Menschen, die sich nach Deutschland duchgeschlagen haben, zu helfen. Und insbesondere aus Syrien kommen nicht „nur“ die Armen wie z. B. die Sinti und Roma aus Bulgarien und Rumänien, sondern auch gebildete und ausgebildete Menschen hierher. Eine differenzierte Betrachtung ist also unumgänglich, ob nicht auch einige dieser Leute auf Sicht hilfreich für unsere Gesellschaft sein können. Doch die meisten sind „nicht unmittelbar verwertbar“, wie Claudia Roth von den Grünen das nennt. Eine sprachliche Entgleisung, die ihresgleichen sucht. Was wäre in Deutschland los, wenn ein Konservativer angesichts der ausgemergelten Menschen, die an unseren Bahnhöfen ankommen, von „Verwertbarkeit“ spräche. Aber wir hatten ja schon mehrfach darüber sinniert, dass in Zeiten der Political Correctness manche alles dürfen und andere wiederum fast nichts, ohne lautstarke Empörung auszulösen.

In dieser Woche habe ich im Fernsehen eine Dokumentation über die Zustände auf der griechischen Ferieninsel Kos gesehen. Boot um Boot mit Flüchtlingen kommt dort an, und diese Flüchtlinge in ihren motorisierten Schlauchbooten waren ausnahmslos junge Männer. Ich muss gestehen, dass mir angesichts dieser Bilder unweigerlich ein Begriff in den Sinn kam, der in diesen Tagen im Internet massiv gepusht wird: Invasion. Bevor jetzt alle durchdrehen: nein, ich glaube nicht, dass wir eine großangelegte, geplante Invasion muslimischer Eroberer erleben. Aber unübersehbar ist, dass uns der Andrang Hunderttausender junger Männer vornehmlich aus dem arabischen Islam überfordern wird. Er wird unsere sozialen Sicherheitssysteme an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringen, denn die Mehrzahl der angekommenen Flüchtlinge sind Analphabeten. Machen die gut gemeinten und notwendigen Deutsch-Kurse sie fähig für die Erfordernisse des deutschen Arbeitsmarktes? Was können sie werden außer Hilfsarbeiter, Kellner oder Hartzer? Und wollen das überhaupt alle, gute Steuer- und Beitragszahler in „Tschörmänie“ werden?

Die Spannungen nehmen schon jetzt zu, in einer Phase, da Flüchtlinge noch mit Blumen und Beifall begrüßt werden. Im Internet kursieren zahlreiche Videos, die gewalttätige Auseinandersetzungen zeigen. Hier in Deutschland, mit Flüchtlingen untereinander, zwischen Flüchtlingen und der Polizei. Die konservative Wochenzeitung Junge Freiheit hat auf ihrer Homepage eine Auswahl zusammengestellt, die es wert ist, Beachtung zu finden. Und bevor Sie jetzt kommen und mich beschimpfen, wie ich schlimmer Kerl denn etwas aus der „Jungen Freiheit“ verbreiten könne, möchte ich dann auch noch Bemerkenswertes von ganz anderer Seite zum gleichen Thema hier anführen.

Mitte August erhielten die Fraktionen im hessischen Landtag ein Schreiben, ja geradezu einen Alarmbrief. Absender waren u. a. der Landesfrauenrat und „pro familia“, nun wahrlich beides keine rechtskonservativen Zusammenschlüsse. Thema war die Situation von Frauen in den Erstaufnahmeeinrichtungen Hessens. Ich zitiere aus dem Brief:

„Die Unterbringung in Großzelten, nicht geschlechtergetrennte sanitäre Einrichtungen, nicht abschließbare Räume, fehlende Rückzugsräume für Frauen und Mädchen – um nur einige räumliche Faktoren zu nennen – vergrößern die Schutzlosigkeit von Frauen und Kindern innerhalb der HEAE. Diese Situation spielt denjenigen Männern in die Hände, die Frauen ohnehin eine untergeordnete Rolle zuweisen und allein reisende Frauen als „Freiwild“ behandeln. Die Folge sind zahlreiche Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe, zunehmend wird auch von Zwangsprostitution berichtet.

Es muss deutlich gesagt werden, dass es sich hierbei nicht um Einzelfälle handelt.

Frauen berichten, dass sie, aber auch Kinder, vergewaltigt wurden oder sexuellen Übergriffen ausgesetzt sind. So schlafen viele Frauen in ihrer
Straßenkleidung.Frauen berichten regelmäßig, dass sie nachts nicht zur Toilette gehen, weil es auf den Wegen dorthin und in den sanitären Einrichtungen zu Überfällen und Vergewaltigungen gekommen ist. Selbst am Tag ist der Gang durch das Camp bereits für viele Frauen eine
angstbesetzte Situation.“

Männer, die Frauen als „Freiwild“ behandeln, Vergewaltigung von Kindern und Frauen, die sich nachts nicht auf die Toilette trauen, weil sie Angst vor sexuellen Übergriffen haben? In einem Aufnahmeheim für Flüchtlinge, die bei uns Schutz und ein besseres Leben suchen? Und dann die klare Aussage von Landesfrauenrat, pro familia und der Landesarbeitsgemeinschaft Hessischer Frauenbüros: Das sind keine Einzelfälle!

Hallo? Was für Leute kommen da zu Abertausenden? Es ist gar nicht mal die Angst davor, dass ein paar IS-Idioten darunter sein könnten. Es ist die tiefe und inzwischen massive Besorgnis, dass es nicht gelingen wird, Hunderttausende Männer mit archaischem Weltbild in unsere Gesellschaft zu integrieren. Sie zu überzeugen, dass sie Riester-Rente beantragen und den Müll in fünf Tonnen trennen müssen, dass bei uns Frauen auch Polizisten oder Bundeskanzlerin sind, dass ihre Kinder dringend Sexualaufklärung ab dem sechsten Lebensjahr in der Schule besuchen müssen und wie wichtig es ist, nicht in öffentlichen Gebäuden zu rauchen…

Auch wenn ich nach wie vor meine, dass wir den Flüchtlingen jetzt helfen müssen – die große Masse kann nicht auf Dauer hier bleiben. Seit dem Ende des Kalten Krieges vor 25 Jahren habe ich das erste Mal die ernste Sorge, dass unser Land sonst den Bach runtergehen wird.




Wo sind all die Hilfsbereiten eigentlich bisher gewesen?

Es ist rund 30 Jahre her, seit ich in Bremen gelebt habe. An einem Sonnentag war ich in der Sögestraße unterwegs, einer schönen, Großstadt-typischen Einkaufsstraße mit Geschäft an Geschäft. Und als ich da langflanierte, sah ich einen Mann, wohl einen Obdachlosen, vollgekotzt in einem Blumenbeet liegen. Er bewegte sich, lebte also offenbar, hatte sich aber nicht unter Kontrolle. Nur wenige Meter entfernt waren in einem Straßencafé alle Tische besetzt, es gab Eisbecher mit Sonnenschirmchen, Torte und – draußen gibt’s nur Kännchen – Kaffee. Zahlreiche Bummler und Einkaufswillige gingen vorbei – so wie ich auch. Niemand kümmerte sich, eine tragische Existenz vom Bodensatz unserer wohlhabenden Gesellschaft, lag hilflos in seinem Erbrochenen. Ich habe dieses kurze Erlebnis bis heute nicht vergessen, und im Grunde schäme ich mich noch immer dafür, dass ich damals nichts unternommen habe.

Vielleicht hat der ein oder andere beim Vorbeigehen gedacht „Schrecklich, da müsste der Staat doch etwas tun.“ Gar nicht so einfach. Klar, einer hilflosen Person muss man helfen, aber was wenn er morgen wieder da liegt, aus eigener Entscheidung besoffen bis zum Abwinken. Und Obdachlose oder Drogensüchtige einfach einsammeln, gar kasernieren, gegen ihren Willen wieder zurück in die bürgerliche Gesellschaft führen – das darf der Staat in einer freien Gesellschaft gar nicht. Und dann noch das Geld-Argument: Wer sollte denn so ein rabiates Hilfsprogramm finanzieren bei den klammen Kassen unserer Öffentlichen Haushalte?

Und sehen Sie, DAS ist der Grund, warum ich heute überhaupt mit dieser alten Geschichte zu Ihnen, meinen Lesern, komme. Hunderttausende Flüchtlinge strömen derzeit in dieses Land. Und es funktioniert auf einmal alles. Es gibt Unterkünfte, es werden Milliarden Hilfsgelder zur Verfügung gestellt, Kirchengemeinden und ganz normale Bürger nehmen wildfemde Leute in einer Notlage bei sich auf. Und unwillkürlich stellt sich mir die Frage: Warum hat diese Gesellschaft, warum haben Staat und Kirche früher nicht mit gleicher Hilfsbereitschaft auf unsere Landsleute in Not reagiert? Warum hat man Menschen, denen vielleicht nach einer Scheidung oder Pleite das Leben völlig entglitten ist, nicht ebenso geholfen? Wenn ich jetzt die Bilder von jubelnden Menschen mit „refugeeswelcome“-Schildern sehe, frage ich mich unwillkürlich: Wo wart ihr eigentlich bisher?




Beifall klatschend in die Isolation

Der schwedische Ministerpräsident hat vor zwei Tagen ein medientaugliches Bild formuliert. Bei einer Pressekonferenz an der Seite der Bundeskanzlerin erklärte er, was derzeit in Europa mit dem Zustrom an Flüchtlingen passiert. Man müsse sich das so vorstellen, dass da in einem Raum 500 Leute seien, und nun käme halt einer dazu. Seine Betrachtung lässt mich am hochgelobten skandinavischen Bildungssystem zweifeln. Er hätte recht, wenn da eine Million Flüchtlinge in eine Region mit 500 Millionen Einwohnern kommen. Aber so ist es nicht, denn die Mehrheit der Bewohner dieses imaginären Raumes macht die Schotten dicht. Während ich diese Zeilen schreibe, hat unser Nachbarland Dänemark den Zugverkehr mit Deutschland unterbrochen. Man will nicht, dass Flüchtlinge ins Land kommen, auch wenn sie weiter nach Schweden wollen, wo dieser Rechenkünstler regiert. Rund 300 Flüchtlinge, die illegal bereits nach Dänemark gelangt sind, gehen in diesem Augenblick zu Fuß, eskortiert von der Polizei, auf einer dänischen Autobahn in Richtung Norden auf Schweden zu. Frankreich nimmt nochmal 1.000 (!) Flüchtlinge auf, verspricht Herr Hollande, weil man den deutschen Nachbarn nicht im Stich lassen wolle. 1.000! Zynismus pur, nenne ich das. Polen macht komplett zu, so wie die anderen Osteuropäer auch.

Und so sind wir – gemeinsam mit Österreich und Schweden – in einem Raum mit nur 100 Leuten, und es kommt einer hinzu. Aber der, der da hinzu kommt, ist jung, er ist männlich, und er ist Muslim. Und bei den Leuten in diesem Raum sind aber viele alt, übergewichtig und glauben an nix, außer Urlaub auf Malle und Die Geissens auf RTL II. Und so sind in dem Raum vielleicht nur 30 vergleichbare Leute, zu denen nun einer hinzu kommt. Auch das könnte vielleicht noch alles klappen, wenn in diesem Raum alles in Ordnung wäre. Aber wer Duisburg-Marxloh, den Dortmunder Norden oder Berlin-Friedrichshain kennt, weiß das das nicht so ist.

Und so schleicht sich nach und nach ein Gedanke ins Bewusstsein, den man nicht wieder los wird. Deutschland hilft im Moment großzügig, Deutschland klatscht Beifall und zeigt sich von seiner Sonnenseite. Aber allein wird und diese Entwicklung mittel- bis langfristig überfordern. Nicht finanziell, aber kulturell und gesellschaftlich. Und dann?




Der Minister und seine Sorge um die Kinder

Der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel von den Grünen war jetzt zu Gast in der ARD-Sendung „Beckmann“. Es ging um die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland. Beckmann fragte den Minister, ob es nicht gefährlich sei, „wenn Wölfe etwa in der Nähe eines Waldkindergartens“ auftauchen. Die Antwort des mitfühlenden Grünen: Im Straßenverkehr kämen jedes Jahr 3.000 Menschen zu Tode. Die Opfer von Wölfen könne man dagegen „an zwei Händen“ abzählen.

Ja, dann…




GASTSPIEL: Gerd Kotoll über ein totes Kind am Strand

Meine Güte, die sozialen Netzwerke überschlagen sich in diesen Stunden vor Wut, Trauer und Mitgefühl. Und Hilflosigkeit. Vor allem aber vor Dummheit.
Was ist passiert? Es ist ein Foto. Ein Bild, das bekanntlich mehr sagt als tausend Worte. Und dieses hat Millionen Worte. Obwohl einem eigentlich die Worte fehlen beziehungsweise im Halse stecken bleiben. Denn der Anblick dieses kleinen syrischen Jungen, der offenbar ertrunken an den Strand gespült wurde, lässt einem wirklich den Atem stocken. Weil es unverständlich erscheint, dass dieses junge Leben so früh, so tragisch und so grausam endete. So sinnlos. Das Leid der Flucht hat ein Gesicht bekommen. Eines, das die Herzen erreicht.

Aber all die öffentliche und semi-öffentliche Empörung darüber ist nicht mehr als scheinheilig.

So ist dieser kleine Junge nicht das erste kindliche Opfer, noch wird er das letzte sein in diesem barbarischen Konflikt in Syrien und im Irak, in dem die Grenzen zwischen Gut und Böse längst nicht mehr klar zu erkennen sind. Wo war aber der Aufschrei, als Kinder vom Schutt zerbombter Häuser in Homs und Aleppo erschlagen wurden? Wo war die Empörung, als kleine yesidische Kinder verdursteten auf der Flucht durch die Wüste des Irak? Tatsächlich ist die öffentliche und veröffentliche Meinung dazu eine Mischung aus gefährlicher, verlogener Heuchelei und purer Dummheit. So erhält ein meinungsstarker Schauspieler öffentlich Beifall, weil er telegen Politiker beschimpft, aber am eigenen Anspruch scheitert, weil er nicht in der Lage erscheint, sich seriöse Geschäftspartner zu suchen. Da erfährt ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter, der inzwischen als Orientreisender eine zweite, späte Karriere macht, Aufmerksamkeit mit Plattitüden und Selbstverständlichkeiten. Dass er dabei die Propaganda für eine angeblich staatsbildende islamistische Terrororganisation transportiert, zählt nicht.

Ebenso bleibt mysteriöser Weise verborgen, dass dieser Terror sehr viel mehr Ursache für den Tod des Kindes am Strand ist, als vermeintlich verschlossene Grenzen in Europa. Und so suhlt und ahlt sich der durchschnittsdeutsche Gutmensch im eigenen Wohlgefallen, indem er zu verstärktem Engagement in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe und zu Kleiderspenden aufruft. So richtig und notwendig beides sein mag: es hilft nur den Menschen, die unser Land bereits erreicht haben. Anders formuliert (der ein oder andere mag das noch gar nicht realisiert haben): Kleiderspenden in der Hamburger Messehalle retten keinen Menschen auf dem Mittelmeer. Erst recht keinen, der immer noch in Syrien ist.

„Uns geht es so gut!“ liest man dazu auf Facebook. Das mag stimmen.

Sicher ist aber auch, dass auch etwas geringerer materieller Wohlstand in Deutschland das Schicksal des kleinen Jungen nicht geändert hätte.
Aber da flackert es wieder auf: das (notorisch) schlechte Gewissen des Deutschen: Massenmörder-Nachfahre, Kriege angezettelt und verloren – aber mehr Wohlstand als die ehemaliger Kriegsgegner, die Sieger. Da muss man sich natürlich schämen. Und etwas tun. Denn der Deutsche macht. Egal was, irgendwas wird schon richtig sein. Hauptsache gründlich. Also Kleiderspenden. Daher regt sich auch niemand spürbar auf, wenn der bekennende Linke und Nachrichtenmagazin-Erbe auf Facebook bekundet, dass er keine solchen Bilder mehr sehen mag, weil er es nicht aushalte. So einfach kann linke Logik sein: Wer sterbende Kinder nicht sieht, für den gibt es diese auch nicht. Dann ist der Konflikt auch gleich weniger grausam. Und hat dann natürlich auch andere Ursachen, die besser in das gepflegte linke Weltbild passen. Linke Logik – ein Widerspruch in sich.

Dabei sind es genau diese Art von journalistischen Volksverdummern, die das zuvor beschriebene schlechte Gewissen der Deutschen erweckt haben. Und mit Bilder und Geschichten („Begleitung der Flucht von Syrien nach Deutschland“) vermeintliche und tatsächliche Dramen in deutsche Wohnzimmer transportieren. Dabei haben sie die erste Journalistenpflicht längst aufgegeben: das Bemühen um Objektivität, das Zeigen der ganzen Geschichte, der anderen Seite, der Blick hinter die Kulissen. Während also der polit-mediale Mainstream durch Grenzöffnung und nahezu unbegrenzter Aufnahme aller Flüchtlinge (auch aus Nicht-Kriegs-Ländern) die Welt retten will, findet im öffentlichen Diskurs eine Vokabel nicht statt: Fluchtursache.
Erst recht wird nicht darüber diskutiert, wie man die Fluchtursachen beseitigen kann. Denn damit ist die europäische Gesellschaft, zumal die deutsche, schlicht überfordert. Derweil machen linke und linksextreme Gruppen, teilweise parlamentarisch organisiert, die deutsche Waffenindustrie und deren florierendes Exportgeschäft verantwortlich, aber niemand stellt öffentlich die Frage, wieso die ISIS-Terroristen mit Kalashnikows ihren Terror verbreiten (wohingegen das deutsche G36-Gewehr ja kaum einsatztauglich sein soll). Aber der islamistische Terror hat ja auch nichts mit dem Islam zu tun…

Ebenso hilflos ist der Versuch großkoalitionärer Parteien-Vertreter (immerhin im Minister-Rang) die Leistungen für Flüchtlinge von Geld- auf Sachleistungen zu wandeln. Nichts anderes als ein Kotau vor völkischer Dummheit wird dies die Menschen, die die Flucht über das Mittelmeer überlebt haben, nicht wirklich abschrecken, auch wenn das Taschengeld letztlich bequemer ist. Übrigens: trotzdem werden weiter auch Kinder sterben.
Tatsächlich hat die deutsche Mehrheits-Gesellschaft eine falsche Entscheidung getroffen, von der künftig gesagt werden wird, dass es niemand gewesen sein wollte. Wir haben die Wehrpflicht abgeschafft. Was konsequent erscheint, nachdem Westeuropa in den 90er Jahren den Balkan-Konflikt inklusive Massaker in Sebrenica nicht verhindert und auch im Libyen-Konflikt versagt hat, indem man sich „enthielt“ bei der Entscheidung, eine Flugverbotszone durchzusetzen.

In Wirklichkeit haben wir uns entschieden, dass deutsche Eltern ihre Kinder nicht mehr für Konflikte und Leid anderswo in Gefahr bringen müssen.
Also sehen wir zu, wie andere Kinder Opfer werden – und empören uns. Mit aller Scheinheiligkeit. Weil wir uns aber unsere Hände nicht mehr schmutzig machen wollen, müssen Kleiderspenden den Kampf für Freiheit und Sicherheit ersetzen. Das gibt uns die Zeit, uns über trophäenjagende amerikanische (typisch!) Zahnärzte zu ergehen, während die Menschen in Simbabwe nicht einmal ahnten, dass Löwe Cecil ihr inoffizielles Staatssymbol gewesen sein soll. Diese Empörung äußern wir dann auf der abendlichen Grillparty bei Nachbarn, die bedenkenlos die 400g-Packung mariniertes Grillfleisch für 2,48 Euro im Discounter gekauft haben. Und am gut gedeckten Tisch fragt der Berufsempörte dann „Sagt mal, habt Ihr heute auch das Bild mit dem Kind gesehen? Schrecklich, oder? Da muss man doch was machen!“




GASTSPIEL: Alexander Wallasch über ein erschreckend unvorbereitetes Einwanderungsland

Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch haben recht: Als mitverantwortlich für das aktuelle Flüchtlingselend darf das militärische und geheimdienstliche Engagement der USA gelten. Aber was heißt das eigentlich? Jetzt könnte man ja die Schuldkette weiter zurückverfolgen und sagen: Schuld ist dann aber noch viel mehr 9/11. Der Angriff von Selbstmordattentätern auf die Twin Towers in New York. Oder noch weiter: Dieser Angriff war aber doch die unmittelbare Folge der Politik der USA im Nahen Osten.

Deutlich wird hier zunächst nur, dass wir mit solchen Auge-um-Auge-Abrechnungssystemen nicht weiter kommen. Noch weniger, wenn wir uns der Widersprüche dieses Denkens gewahr werden. So lässt sich nicht stringent auflösen, warum Wagenknecht und Bartsch einerseits von Schuld sprechen – und Schuld impliziert ja ein Vergehen – andererseits aber in einem Zehn-Punkte-Papier der Linken zur Asylpolitik erklären, dass Flüchtlinge viele positive Aspekte und auch Chancen für die Bundesrepublik bieten würden. Also Einwanderung explizit befürworten. Denn das ließe ja den Schluss zu, man sei erfreut über diesen unerwarteten Bevölkerungszuwachs. Kurz gesagt: Da ist einerseits die berechtigte Kritik an dem Chaos, das amerikanische Interessen im gesamten Nahen Osten und Nordafrika angerichtet haben, und andererseits ein linkes Selbstverständnis einer offenen Gesellschaft und die Feststellung, das Deutschland heute mit einem Bevölkerungsanteil von Deutschen mit migrantem Hintergrund und Ausländern von annährend 30 Prozent ohne Zweifel als Einwanderungsland bezeichnet werden muss.

Das stellt auch niemand mehr wirklich in Frage. So ist der Streit um die Formulierung „Einwanderungsland“ lediglich noch einer um rechtliche Anpassungen, hin zu diesem Terminus oder eben davon weg. Angela Merkel betrachtet Deutschland ebenso als Einwanderungsland wie Sahra Wagenknecht. Und beide sind sich sogar einig in der Einschätzung, dass Deutschland zu den reichsten Ländern der Welt gehört, also auch –zumindest finanziell – mit einer noch größeren Zahl von Immigraten zurecht kommen könnte.

Eine Rolle, die Wagenknecht sicher schwerer fällen dürfte als Merkel, ist doch das Deutschland-Bild, das die Linke malt, ein deutlich anderes, als das der Kanzlerin. Die Masterthemen der Linken sind nun mal Kinderarmut in Deutschland, soziale Ungerechtigkeit, und diese Schere zwischen Arm und Reich, die immer weiter auseinanderklappt. Es darf hier also festgestellt werden, dass Armut mindestens relativ sein muss. Wer allerdings einmal einen Hartz4-Antrag beim Arbeitsamt gestellt hat, und sei es nur zum Zwecke der vorübergehenden Aufstockung, der wird von solchen Relativierungen wenig halten.

Nun hatte aber ausgerechnet jene Bundeskanzlerin, die Deutschland heute zum Einwanderungsland erklärt, noch (oder schon?) 2010 festgestellt, dass die multikulturelle Gesellschaft in der Bundesrepublik gescheitert sei: „Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert!“ Die spanische Zeitung El Mundo setzte damals direkt nach und ergänzte: „Eine multikulturelle Gesellschaft ist ein Mythos und in der Realität zum Scheitern verurteilt.“ Noch einmal drei Jahre zuvor hatte der Schriftsteller und Regisseur Ralph Giordano in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk erklärt: „Nach 30 Jahren können wir sagen, die Integration ist gescheitert. (…) Ich denke, die Politik hat die Bevölkerung nicht gefragt, weil sie die Antwort wusste, nämlich dass die Bevölkerung damit nicht einverstanden ist, und nicht aus rassistischen und neonazistischen, rechtsextremistischen Gründen.“

Wohlgemerkt, Merkel und Giordano beziehen sich hier nicht auf die aktuelle oder auf die noch zu erwartende Einwanderungswelle nach Deutschland, sondern auf jene Menschen, deren Vorfahren als sogenannte „Gastarbeiter“ überwiegend aus der Türkei nach Deutschland kamen und blieben. Die meisten von ihnen sind heute deutsche Staatsbürger. Man kommt nicht umhin festzustellen, dass die deutsche Gesellschaft daran gewachsen ist. Oder notwendigerweise daran wachsen musste: Man hat sich arrangiert, ohne dass die Neubürger ihre alte Kultur gänzlich ablegen mussten. Kein Kind von Herkunftsdeutschen geht heute in einen Kindergarten ohne Kontakt auch zu Deutschen mit migrantem Hintergrund zu haben.

Die Betreuungsquote der Kinder aus Einwandererfamilien ist zwischen 2008 und 2011 von 9,1 auf 14 Prozent angestiegen. Eklatante Defizite gibt es trotzdem noch. So haben immer noch mehr Deutsche mit migrantem Hintergrund schlechtere Chancen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Und das sogar noch, wenn man gleiche schulische Leistungen voraussetzt. Allerdings ist auch diese Tendenz rückläufig. So ist zwischen 2005 und 2010 der Anteil von Schülern mit migrantem Hintergrund, die Abitur oder Fachabitur machen, um insgesamt 36 Prozent gestiegen und diese positive Tendenz setzt sich bis heute fort.

Wenn man also hier von einer beschleunigten Entwicklung sprechen mag, dann steht dem allerdings eine deutlich verlangsamte Entwicklung im tatsächlichen integrativen Moment innerhalb des gesellschaftlichen Lebens gegenüber. Nach wie vor kann von einem regelmäßigem ernsthaften Miteinander zwischen den Herkunftsdeutschen und Deutschen mit migrantem Hintergrund nicht die Rede sein. So muss man im privaten und kulturellen Bereich weiterhin von Parallelgesellschaften sprechen. So betrachtet darf die multikulturelle Gesellschaft tatsächlich als gescheitert betrachtet werden, zumindest dann, wenn man davon ausgegangen wäre, das nach drei oder sogar vier Generationen Menschen unterschiedlicher Herkunft heute wie die Herkunftsdeutschen zuvor miteinander zusammenleben. So stellte das Bundesministerium im „Monitor Familienforschung“ Ausgabe 24 fest, das „durch die anhaltende Nachfrage von Migrantinnen und Migranten der zweiten Generation nach Heiratspartnern aus den Herkunftsgesellschaften ihrer Eltern, (…) Heiratsmigration in ihrer quantitativen Bedeutung in Zukunft zweifellos noch zunehmen (wird).“

Was sagt das nun aber alles über die aktuelle Problematik dieser schon als „unumkehrbare Völkerwanderungen“ (Welt, 08/2015) bezeichneten Einwanderung in die Bundesrepublik Deutschland aus? Zunächst einmal sind die Deutschen heute nicht die Deutschen von 1970. Von irgendeiner gesellschaftlich-kulturellen Homogenität kann überhaupt nicht mehr die Rede sein. Und die meisten Vorurteile gegenüber Deutschen mit migrantem Hintergrund sind heute gesellschaftlich geächtet. Ebenso ist der Wille zur Verbesserung des gesellschaftlichen Miteinanders auf beiden Seiten unzweifelhaft spürbar. Man ist aufeinander zugegangen. Ob nun freiwillig oder einer unabänderlichen Situation geschuldet. Daran ändern auch Sarrazin und Pirincci nichts.

Darf man also annehmen, die zu erwartende Einwanderungswelle nach Deutschland träfe auf positivere Voraussetzungen als sie es noch 1970 hätte erwarten können? Nein, das darf man leider nicht. Denn heute wie damals ist Zuwanderung nicht Ergebnis eines Volksbegehrens, sondern Resultat politischer Entscheidungen, politischer Fehlentscheidungen und noch mehr eklatanter politischer Versäumnisse. Letztere sind heute so wirkmächtig wie nie zuvor. So hat es beispielsweise die Bundesregierung in Totalverweigerung versäumt, rechtzeitig auf europäischer Ebene Voraussetzungen für eine quotierte Einwanderung zu schaffen. Außenpolitisch hat man es zugelassen, oder musste es gar zulassen, dass die Bündnispartner – allen voran die USA – im Nahen Osten und in Nordafrika jenes brutale Chaos anrichten, das die Grundvoraussetzung für eine ungesteuerte zu erwartende Masseneinwanderung nach Deutschland ist. Der amerikanische Präsident besitzt aktuell sogar die Frechheit, der Bundeskanzlerin in ihrer positiven Haltung in der Einwanderungsfrage zu gratulieren.

Und nicht zuletzt hat man es innenpolitisch mit der Verweigerung oder schlicht dem Unvermögen in der Durchsetzung aller zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mittel zu tun: bei gestrafften Asylverfahren, konsequenter Abschiebung, in der Bekämpfung von Parallelgesellschaften und auch bei der Bekämpfung rechtsradikaler Gewalt in den neuen Bundesländern. So hat man dafür gesorgt, dass wir heute eben nicht die besten Voraussetzungen für ein Einwanderungsland anbieten können.

Das Unvermögen der Politik, der deutschen Bundesregierungen, wird noch einmal deutlicher, betrachtet man eine fast ein Jahrzehnt alte Einschätzung in der „Berliner Zeitung“: Dort sprach man erstaunlicherweise, von einer Fehleinschätzung, wo man der Bundesregierung aus heutiger Sicht sogar eine gewisse Weitsicht bescheinigen könnte. Aber warum wurde wieder besseren Wissens nicht entsprechend gesetzgebend gehandelt?

Dort heißt es: „Schon seit Jahren geht die Zuwanderung zurück und betrug laut dem letzten Migrationsbericht gut 780 000 Personen im Jahr 2004. (…) Eine ähnliche Entwicklung ist bei Asylbewerbern zu verzeichnen. Die Zahlen zeigen, dass die Grundannahme der Union, Deutschland sei ein beliebtes Einwanderungsland, nicht haltbar ist. Hinzu kommt eine Entwicklung, die Demografen schon seit langem ankündigen. Ab 2010 prognostizieren sie einen Facharbeitermangel. Spätestens dann wird selbst die Union erkennen, dass ihre Regelungen zu rigoros waren und Deutschland geschadet haben.“

Sprechen wir zuletzt noch über einen weiteren wichtigen Player im Einwanderungskarussel: über die Rolle der deutschen Industrie. Sie war es doch, die schon in den 1960ern durch massive Anwerbung von Arbeitskräften aus der Türkei überhaupt erst das Integrationsproblem der späteren Jahrzehnte schuf. Nein, nicht weil man diese Menschen anwarb, sondern dadurch, das man die Folgekosten in Milliardenhöhe für diese vielen gescheiterten und wenigen erfolgreichen Integrationsmaßnahmen einfach dem deutschen Steuerzahler überließ. Wenn also 2010 der damalige BDI-Chef Hans-Peter Keitel forderte (Interview in „Frankfurter Rundschau“): „Es geht aber in erster Linie um einen Mentalitätswechsel. Wir müssen bereit sein zu akzeptieren, dass wir systematisch Zuwanderung nach Deutschland haben werden und brauchen“, dann dürfen wir seinem BDI-Nachfolger Ullrich Grillo heute zurufen: Bitte, da habt ihr sie! Schneller als sicherlich erwartet. Stellt Euch also jetzt auch Eurer Verantwortung. Langfristig! Nicht nur für Eure Aktionäre, sondern als gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt.

Inwieweit man damit allerdings nun eine qualifizierte Zuwanderung aus den EU-Staaten nach Deutschland verhindert – die war ja auch noch vor wenigen Jahren Wunsch der Industrie – wird sich erst in Zukunft zeigen. Sie meinen, nachher sei man ja immer schlauer? Dann vergessen Sie dabei, dass Politik eben nicht nur die Aufgabe hat, Zukunft irgendwie wage zu prognostizieren, sondern im Gegenteil: Zukunft aktiv zu gestalten. Eine Zukunft übrigens, die dem Wohle des Volkes ebenso zu dienen hat, wie sie aus dem Willen des Volkes heraus entstehen muss. Anders geht es nicht. Man nennt dieses Auslaufmodell übrigens Demokratie. Eine Demokratie im Verbund mit einer Souveränität, die es im Übrigen auch erlaubt, wehrhaft aufzutreten gegenüber einem militärischen und geheimdienstlichen Engagement der USA. Ursache und Wirkung eben.




Das Leid der Kinder nicht verbergen, aber auch nicht missbrauchen

Als Leitender Redakteur einer Tageszeitung habe ich vor einigen Jahren mal eine Rüge des Presserates für unser Blatt eingefangen. Ich hatte zu einem Artikel über einen brutalen Mordfall im Ruhrgebiet ein Foto für den Druck genehmigt, auf dem im Hintergrund die verbrannte Leiche des Opfers zu sehen war. Mein Chefredakteur war „not amused“, um es zurückhaltend zu formulieren. Es ist für einen Journalisten immer so eine Sache mit schrecklichen Fotos. Zum einen haben Mediennutzer das Recht, nicht ungewollt mit schlimmen Wahrheiten konfrontiert zu werden. Zum anderen gibt es immer noch in vielen Redaktionen ein journalistisches Ethos, was vertretbar ist und was nicht. Seit gestern sorgt das Bild eines toten syrisches Kindes weltweit für Aufsehen und erregte Debatten. Darf man so etwas zeigen? Ich denke, es gibt weder objektive Gründe für ein Ja noch für ein Nein. Auf facebook schrieb mir letztens jemand, wenn Flüchtlinge in der Nachbarschaft untergebracht würden, sinke der Wert seiner Immobilien. Solchen Menschen müsste man Tag für Tag Fotos von erbarmungswürdigen Geschöpfen zeigen. Immer und immer wieder, damit sie begreifen, dass wir hier über Menschen reden und nicht über Schrottautos, die man bitteschön anderswo abstellen soll, damit sie das landschaftliche Panorama nicht beeinträchtigen.

Auf der anderen Seite ist das Foto eines toten Kindes für Menschen, selbst wenn sie nur zu gering ausgeprägter Empathie fähig sind, kaum zu ertragen. Wenn so etwas dann auch noch mit politischen Belehrungen verknüpft wird, dann sind sämtliche roten Linien überschritten. Ein furchtbares Schicksal, eine Kind, dessen Leben so früh auf grauenhafte Weise beendet worden ist, sagt uns nichts über die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung, über die richtige Politik in dieser Ausnahmesituation oder über die dauerhaften Folgen von Masseneinwanderung für unsere Gesellschaft. Es dokumentiert eine Tragödie, an denen unsere Welt wahrlich keinen Mangel hat. Viele Kinder sterben jeden Tag. Sie verhungern in Afrika, sie verrecken in nordkoreanischen Straflagern, sie ertrinken im Mittelmeer. Sie für politische Propaganda zu missbrauchen, ist widerlich. Aber wir dürfen auf keinen Fall vergessen, dass es diese Kinder gibt.