Nun seht ihr mal, wie es vor dem Ersticken im LKW so ist

Eine mehr als fragwürdige Aktion fand am Mittwoch in Bochum statt. Das Schauspielhaus und ein Speditionsunternehmer baten auf dem Hans-Schalla-Platz zu einem überaus grenzwertigen „Happening“. In eine LKW derselben Art, wie dem, in dem man jüngst in Österreich 71 tote Flüchtlinge entdeckte, stellten sich nun gestern 71 Menschen aus Bochum, um mal zu erleben, wie beengend es in so einem Transporter ist. Hunderte standen drumherum und schauten zu, Journalisten inklusive.

Er möchte „diesem Moment Raum geben“, sagte Chefdramaturg Olaf Kröck, und alle gruselten sich wie gewünscht, manche sollen geweint haben. es passiert viel in diesen Tagen, um Solidarität mit den Flüchtlingen zu zeigen, die es aus dem Nahen Osten bis nach Deutschland geschafft haben. Und uns alle verbindet wohl die Abscheu gegenüber den Schlepperbanden, die gewaltige Vermögen mit dem Leid anderer Menschen anhäufen, und denen Menschenleben vollkommen egal sind. Doch eine solche Aktion wie jetzt in Bochum ist in meinen Augen obszön und ekelhaft. Im Wohlstandsland Deutschland stellen sich Wohlstandsbürger in einen LKW – Tür auf – , um mal ein paar Augenblicke nachzuempfinden, wie das wohl sein muss, kurz bevor man elendig erstickt. Es ist einfach nur krank.




Wenn der IS doch bloß ein paar Bücher bekommen würde….

In den sozialen Netzwerken des Internets werden täglich viele Bilder mit mehr oder weniger intelligenten Sinnsprüchen verbreitet. Oft sind kreative und witzige Ideen dabei, oft handelt es sich aber auch um billige Hetze und dümmliche Scherzchen. Und manchmal ist etwas für Romantiker dabei. Gestern fand ich ein Zitat von Malala Yousafzai, einer weltbekannten pakistanischen Kinderrechtlerin, die vergangenes Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Zweifellos eine bessere Wahl als es US-Präsident Obama und einige andere vorher waren.

„Wenn Ihr den Krieg beenden wollt“, so steht da auf diesem Bild im Internet, das helle Kieselsteinchen und bunten Blütenblättern zeigt, „sendet Bücher statt Waffen. Sendet Stifte statt Panzer. Sendet Lehrer statt Soldaten.“ Ist das nicht schön? Ich bin zu Tränen gerührt, allerdings nicht über die Botschaft, sondern über die grenzenlose Naivität, die sie ausdrücken und die von zahlreichen Fans begeistert gefeiert wird. Da werden „die Regierungen“ angeprangert, die den Krieg wollen – allen voran natürlich die USA. Da wird über Weltherrschaft fabuliert, über die Milliardenumsätze der Rüstungsindustrie und, und, und…. das Übliche halt. Nicht einer wirft die Frage auf, was Boko Haram in Nigeria wohl mit einer Schiffsladung Bücher tun würde. Oder wie es um die Köpfe von Lehrern im Islamischen Staat (IS) bestellt wäre, die zum Beispiel Mädchen unterrichten wollen würden. Mir ist auch nicht bekannt, dass die Kurden den Westen um Buntstifte zur Verteidigung gegen die mordenden Banden gebeten hätte.

Man soll ja nicht lästern, und ich gebe zu, dass ich Menschen wirklich mag, die sich eine bessere Welt wünschen. Insofern ist es durchaus schön, was Frau Yousafzai da gesagt hat. Aber es ist weltfremd, es ignoriert die grausame Realität dort draußen, und es trägt dazu bei, dass all die Träumer in unseren Wohlstandsgesellschaften denken, so funktioniere die Welt. So lange nicht ein paar Lehrer mit Büchern und Stiften in den Nahen Osten reisen und den IS dazu bewegen, das Morden, Kreuzigen und Enthaupten zu beenden, werde ich den oben geäußerten Gedanken weiterhin Schwachsinn nennen, auch wenn viele jetzt weinen und Räucherstäbchen entzünden werden.




Ausnahmezustand – Unsortierte Gedanken zur Flüchtlings-Krise

Man kann es drehen und wenden, DAS Thema derzeit ist der Zustrom an Flüchtlingen nach Deutschland. Und weil die Situation so viele Facetten hat, möchte ich einfach mal ein paar Puzzlestücke zur Diskussion in den Raum werfen.

Überraschung
Warum sind wir eigentlich so unvorbereitet gewesen? Als der Andrang explodierte, waren Bund, Länder und Kommunen offenbar völlig überrascht vom Umfang des Zustroms. Inzwischen scheint die Lage halbwegs unter Kontrolle, der Bund hilft, die Städte organisieren sich, freiwillige Helfer leisten großartige Arbeit. Doch fragt man sich unwillkürlich, was eigentlich die Analysten im Bundesaußenministerium und unser Auslandsgeheimdienst BND beruflich machen. Die Zahl der zu erwartenden Flüchtlinge wird ständig nach oben korrigiert – keiner weiß, was morgen sein wird. Für ein gewöhnlich gut organisiertes Land eine beschämende Situation.

Alternativen
Gibt es irgendeine Alternative dazu, den Flüchtlingen zu helfen? Das ist keine Frage: Nein, die gibt es nicht. Wollen wir abends zuschauen, wenn die Leute im Mittelmeer ersaufen? Was ist dann mit dem christlichen Abendland, das so viele Menschen hierzulande verteidigen möchten? Bei den Leuten, über die wir sprechen, handelt es sich um Menschen. Manche fliehen vor politischer Verfolgung, die meisten suchen wohl eine menschenwürdige Perspektive für ihr Leben. Egal, warum sie hier ankommen, welche Hautfarbe oder Religion sie haben, es sind Menschen, die Hilfe benötigen. Deutschland ist stark und reich, wir können diese erste Hilfe leisten.

Perspektive
Deutschland kann die Probleme aller Verzweifelten dieser Welt nicht lösen. Auch Europa kann das nicht. Wir können helfen, aber wir können nicht jeden auf Dauer bei uns behalten. Das muss immer wieder klar gesagt werden.Und es muss aufhören, dass unsere Regierung Werbefilmchen produzieren lässt, die dann auf dem Balkan in Landessprache gezeigt werden und eine Art Paradies auf Erden in Deutschland suggerieren. Stattdessen sollte man TV-Spots produzieren und klar sagen, dass es für Bewohner von Ländern, die in die EU wollen, hier auf gar keinen Fall Asyl geben wird.

Die Zukunft der großen Mehrheit der Flüchtlinge muss in ihrer Heimat stattfinden. Wir, der Westen, sollten helfen, dort sichere Inseln zu schaffen, wo die Leute, die jetzt nur noch weg wollen, eine Zukunft finden können. Ohne Angst und Krieg, aber mit Bildung und menschenwürdigen Lebensverhältnissen. Niemand soll glauben, dass das in ein, zwei Jahren zu schaffen ist. Es wird mindestens eine Generation dauern. Vielleicht länger. Aber wir können 12 Jahre lang Krieg am Hindukusch führen, dann werden wir gemeinsam mit unseren Partnern auch in Nordafrika etwas aufbauen können.

Zur Wahrheit gehört auch: Es kann nicht so bleiben, dass 85 Prozent der abgelehnten Asylbewerber einfach hierbleiben dürfen wie bisher. Wer abgelehnt wird, muss auch zeitnah abgeschoben werden – damit Platz und Mittel für diejenigen bereitstehen, die wirklich Hilfe benötigen.

Ängste
Etwa eine Millione Flüchtlinge werden in diesem Jahr nach Deutschland kommen. Wer aus Syrien und Irak kommt, hat meistens schlimme Dinge erlebt. Ich bin froh, wenn wir denen, die vor den IS-Mordbanden flohen, eine sichere Zuflucht bieten können. Da sind viele Christen dabei. Aber es werden in diesem Jahr auch ca. 600.000 Muslime in unser Land kommen. Das macht vielen Menschen Angst. Nein, es ist keine „Invasion“, die hier läuft. Die Muslime aus Syrien und dem Irak sind ja gerade vor den Irren, den islamistischen Menschenschlächtern geflohen. Aber es sind Menschen aus einer ganz anderen Kultur, mit ganz anderen Vorstellungen vom Zusammenleben in einer Gesellschaft. Schon vor dem Zustrom an Flüchtlingen spitzten sich die Probleme mit Personengruppen aus dem islamischen Kulturkreis in unserem Land zu – schauen Sie nach Berlin, Dortmund, Kön, Duisburg und Essen. Eine solche Transformation ist ohne einen breiten gesellschaftlichen Konsens nicht möglich, und den gibt es nicht. Wenn führende Politiker unseres Landes glauben, man könne Multikulti anordnen, befördern sie Zustände, wie wir sie jetzt in einigen sächsischen Städten gerade zu sehen bekommen haben. Denk- und Redeverbote in der Frage, wie viel Islam diese Gesellschaft akzeptieren möchte, können zu einer gefährlichen Eskalation führen.

Hilfsbereitschaft
Die Bereitschaft der Bürger, in der aktuellen Situation aktiv zu helfen, ist sehr groß, und nach meinem Eindruck wächst sie sogar noch. Eine Facebook-Freundin schrieb heute, sie habe erstmals ehrenamtlich Deutschunterricht für Flüchtlinge gegeben und war beeindruckt, mit welcher Ernsthaftigkeit ihre „Schüler“ bei der Sache waren. In Nordhrein-Westfalen haben sich gerade Hunderte pensionierte Beamte gemeldet, die in den Flüchtlingsunterkünften organisieren helfen, Sprachkurse geben und Behördengänge mit Flüchtlingen unternehmen wollen – ohne Bezahlung.

In unserer Kirchengemeinde wurde letztens aufgerufen, alte Fahrräder für Flüchtlinge zu spenden. Wir hatten keins übrig, aber eine alte, nicht mehr schöne, jedoch voll funktionsfähige Küche. Unser Angebot wurde gern angenommen. Ein Ehrenamtlicher erschien also mit acht Männern – muslimische Syrer und christliche Nigerianer gemeinsam – um die Küche auszubauen und abzutransportieren. Keine leichte Sache bei 35 Grad Celsius. Als alles verpackt war, hatte meine Frau noch zwei Kisten mit Tellern, Töpfen, Gläsern, einem alten Skateboard und weiterem Kleinkram als Zugabe gepackt. Wir fragten, ob sie auch ein wenig Geld annehmen wollten, doch sie lehnten geradezu empört ab. Sie bedankten sich mit großer Herzlichkeit und erklärten uns, wie froh sie sind, dass es in Deutschland freundliche Menschen gibt, die helfen. Arbeiten, ja das würden sie hier gern, aber Geld geschenkt bekommen – auf keinen Fall.

Europa
Regelmäßige Leser meiner Texte wissen, dass ich Europa grundsätzlich für eine grandiose Idee halte. Als Staatenbund von Nationen, nicht als Bundesstaat, versteht sich. Immer wieder hat das Europa, das unter dem Oberbegriff EU firmiert, in großen politischen Fragen versagt. Inzwischen steht Brüssel als Synonym für überbordenden Bürokratismus, für Bevormundung, für einen Moloch. In der aktuellen Krise könnte also die Stunde der Europäer schlagen. Eine gewaltige Herausforderung – und 28 Staaten ziehen an einem Strang, um sie zu bewältigen. Doch das EU-Europa versagt erneut. Nur 10 von diesen 28 Staaten nehmen Flüchtlinge auf, der Rest schaut zu, gibt gute Ratschläge oder baut Zäune mit NATO-Draht. Was wir derzeit in Deutschland erleben, ist auch Folge des armseligen Bildes, das die EU in Sachen Flüchtlinge abgibt. Viele Länder, die auch von Deutschland und seiner Wirtschaftskraft profitiert haben, lassen uns angesichts des Millionenheeres an Flüchtlingen im Regen stehen. Und als jemand, der Europa für eine grandiose Idee hält, sage ich: Eine EU, die unsere Wirtschaft behindert und uns stattdessen mit Gender-Schwachsinn und Denkverboten beglücken möchte – auf so ein Europa kann ich verzichten, wenn es bei den wirklichen Herausforderungen unserer Zeit offenbar vollkommen unfähig ist.




Totschlag-Begriffe ins Leere laufen lassen

Im modernen Mainstream-Deutschland ist es üblich geworden, unbequeme Meinungen durch begriffliche Stigmatisierung an den Rand zu drängen. Also, wenn zum Beispiel jemand die Auffassung vertritt, dass der Artikel 6 unseres Grundgesetzes explizit eine Privilegierung der Partnerschaft aus Mann und Frau – wir Ewiggestrigen nennen das Ehe – mit Kindern – wir Ewiggestrigen nennen das Familie – ausdrückt, so wird derjenige damit automatisch „homophob“. Das bedeutet: Mit solchen kranken Menschen und ihren Ideen muss man sich gar nicht mehr auseinandersetzen.

Und wenn jemand angesichts von Zwangsverheiratungen, Vollverschleierungen und den täglichen Fernsehbildern aus dem Islamischen Staat (IS) ein wenig, sagen wir, Unwohlsein empfindet, dass Deutschland allein in diesem Jahr etwa 600.000 Flüchtlinge (Schätzung des Islamrats) aus der muslimischen Welt aufninmmt, dann wird er automatisch „islamophob“. Das ist auch wieder so eine Krankheit, die den sofortigen Ausschluss aus dem öffentlichen Diskurs nach sich zieht.

Heute Morgen bin ich wieder auf den schönen Begriff „whataboutism“ gestoßen. Kennen Sie nicht? Verstehen Sie nicht? Also, es geht dabei um den Vorwurf, dass kritische Fragen mit Gegenfragen der „anderen Seite“ gekonntert werden. Mit diesen aber soll man sich gar nicht auseinandersetzen, weil sie ja nur „whataboutism“ sind. Logisch. Also: Nehmen wir an, einer der führenden Politiker unseres Landes bezeichnet einen Hetzer-Aufmarsch von rechts als „Pöbel“, dann könnte man ja zum Beispiel fragen: Würde dieser Politiker das wohl auch zu den Teilnehmer von linken Hetzveranstaltungen sagen, etwa wenn die sogenannten „antifa“-Horden Teile Berlins oder Hamburgs in Trümmer legen? Oder würde er das zu den Großfamilien in Duisburg sagen, die Polizeieinsätze neuerdings mit Knüppeln und Steinen bereichern? Oder zu den Hunderten Islamisten, die zum Töten und Köpfen in den Islamischen Staat reisen? Eigentlich eine ganz legitime Frage, denke ich, aber – Halt! Stopp! – an dieser Stalle bricht das Gespräch ab. Denn es ist ja nur „whataboutism“, und darauf muss man nicht antworten.

Meine Idee dazu: Machen wir diese Kinkerlitzchen einfach nicht mit. Sagen wir weiterhin gerade heraus, was wir zu den Themen unserer Zeit denken!




GASTSPIEL: Alexander Kissler über die Kriegserklärung an den Westen

Der Islamismus bleibt das Grundrauschen des beginnenden 21. Jahrhunderts, auch im Westen. Es war ein Trugschluss, das Vorrücken des „Islamischen Staates“ für einen Kollateralschaden implodierender Staatlichkeit im Nahen und im Ferneren Osten zu halten. Nein, die zornigen jungen Männer, die wir nach vollbrachter Tat in lächelnder Pose auf unscharfen Fotos sehen, machen keinen Unterschied zwischen Rückzugs- und Aufmarschgebiet. Der Westen ist ihr Satan, den sie auf satanische Weise bekämpfen. Zu Menschen des Westens erklären sie auch alle heterodoxen oder gar liberalen Muslime. Insofern könnte der Terror des „Islamischen Staates“ das Band der Menschlichkeit stärken. Doch tut er es?

Der Tunesier Seifeddine Rezgui lächelt auf den Fotos, die uns gezeigt wurden nach seinem Massaker an knapp 40 Urlaubern am Strand von Sousse Ende Juni dieses Jahres. Er arbeitete vor seiner bestialischen Tat als Animateur. Nun lächelt der Marokkaner Ayoub al Khazzani von einem Foto hinaus in die Welt, die seinen Namen bisher nicht kannte. Er trägt einen Vollbart und eine weiße Häkelmütze, wie es unter Salafisten Brauch ist. Seine Tat konnte er dank des beherzten Eingreifens dreier US-amerikanischer Staatsbürger, darunter zwei Soldaten, nicht vollenden. Sie hätte gewaltige Ausmaße annehmen können. Bewaffnet mit einer Kalaschnikow und einem Messer, wäre aus Ayoub al Khazzani um Haaresbreite der „Thalys“-Massenmörder geworden. Zwischen Amsterdam und Paris konnte er kurz vor der französischen Grenze bei über 200 Stundenkilometern überwältigt werden.
Nun mag Ayoub al Khazzani noch eine Weile versuchen, die Welt, die er vermutlich hasst, zum Narren zu halten, und sich als obdachlosen Hungrigen inszenieren, dem zufällig eine Kalaschnikow in die Hände fiel. Es grenzte an ein Wunder, sollte diese Version der Geschichte sich als wahr herausstellen. Den Behörden in Spanien, wo er Aufenthaltsrecht genießt, gilt der 25-Jährige als potentiell gefährlicher Islamist. Ein- oder zweimal soll er in Syrien gewesen sein, unweit des Herrschaftsgebiets des „Islamischen Staates“. Nach allem, was wir wissen, ist Ayoub al Khazzani ein Rückkehrer, ein Terrorist in Wartestellung, eine Zeitbombe in Menschengestalt.

Deren Zahl geht europaweit in die Hunderte. Jenseits des Westens wurde ihr Hass auf den Westen verdichtet, so dass da keine Lebensluft und keine Zweifel mehr Platz haben. Ihre Existenz zeigt, dass dem Westen der Krieg erklärt worden ist im Namen eines extremistischen Radikalislam. Der Ausgang dieses Krieges wird von der Antwort des Westens abhängen. Erklärt er sich weiterhin für weltanschaulich nicht zuständig und verbucht die Anschläge maximal unspezifisch unter Terrorismus oder Bandenkriminalität, kann er diesen Krieg nicht gewinnen. Die Attentäter wie auch die große Gruppe ihrer Sympathisanten müssen zweierlei erfahren: dass der Westen nicht mit sich spaßen lässt und dass Intoleranz nicht mit Toleranz rechnen darf. Wo immer islamisch grundierter Fanatismus‘ sein Haupt erhebt, ist es keineswegs Ausdruck von Kulturimperialismus oder Spezialmoral, ihn entschlossen, mutig und umstandslos in die Schranken zu weisen. Wer den freien Westen angreift, praktisch oder theoretisch, weil ihm Freiheit verhasst ist, muss von der westlichen Zivilgesellschaft immer und immer wieder hören: Die Freiheit lassen wir uns von niemandem nehmen. Sind wir dazu bereit?

Vom Autor ist soeben erschienen: „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss.“ (Gütersloher Verlagshaus, 184 Seiten, 17,99 Euro).

http://www.blog.gtvh.de/alexander-kissler/




In Deutschland wird die reale Gefahr weiter unterschätzt

Wieder einmal hat Europa Glück gehabt. Der islamistische Terrorist Ayoub El Khazzani scheiterte mit seinem Versuch, im Hochgeschwindigkeitszug Thalys ein Blutbad anzurichten. Es ist der Tapferkeit und Reaktionsschnelligkeit dreier Amerikaner und eines Briten zu verdanken, dass der Anschlag verhältnismäßig glimpflich ausging. Zwei der Amerikaner waren ausgebildete Soldaten auf Urlaub. Sie reagierten ohne zu zögern, so wie sie es wahrscheinlich gelernt haben. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wirft heute die interessante Frage auf, ob die Tatsache, dass Amis ohne zu zögern eingriffen, während sich das französische Zugpersonal in Sicherheit brachte und einschloss, darauf hindeutet, dass wir Europäer nicht wirklich bereit zur Gegenwehr gegen den Terror sind.

Ich glaube, dass man das so nicht sagen kann. Wären kampferfahrene Franzosen und auch Deutsche im Zug gewesen, hätten sie wahrscheinlich ähnlich reagiert. Hoffe ich jedenfalls. Aber die FAZ weist mit ihrer Frage auf den Kern des Problems hin. Wie bei vielen gescheiterten Anschlägen in Europa in den vergangenen Jahren, sagen die Sicherheitsbehörden nun, dass ihnen der Attentäter bereits bekannt war. Man hat ihn gespeichert, man kennt seine Geschichte, man weiß, dass er in Syrien war – aber man konnte ihn nicht hindern, einen Massenmord zu planen und zu versuchen. Die französischen Sicherheitsbehörden sind – wie vermutlich auch die deutschen – längst überfordert damit, alle möglichen Terrorverdächtigen in ihren Ländern im Griff zu behalten. Inzwischen sind auch in Deutschland Hunderte Islamisten vom IS-Kampf zurückgekehrt, fanatisiert, an der Waffe ausgebildet und srupellos. Wer soll die alle im Blick behalten, und das so intensiv, dass man im richtigen Moment eingreifen kann?

Es gibt ja auch noch andere Probleme, denken Sie an die „No-Go-Areas“ im Ruhrgebiet und wohl auch in Berlin. Deutschland muss den Andrang von Flüchtlingen bewältigen, zahlreiche Muslime aus Syrien und dem Irak kommen ins Land – die überwältigende Mehrheit gewiss aus Furcht vor der IS-Schreckensherrschaft. Aber wer soll überprüfen, ob es zu 100 Prozent friedfertige Leute sind? Warum machen wir uns Gedanken darüber, Islamisten an der Ausreise ins Bürgerkriegsgebiet zu hindern, statt zu regeln, dass die, die ausreisen und sich dem IS anschließen, nicht wieder nach Deutschland zurückkehren dürfen? Und hat dieses Land nicht in den vergangenen Jahrzehnten den Respekt vor den Leuten verloren, die unsere Sicherheit garantieren sollen. Welches Ansehen genießen Soldaten der Bundeswehr und die Mitarbeiter unserer Geheimdienste in der Bevölkerung noch?

Nicht in jedem Zug können – zufällig oder gewollt – Soldaten mitfahren. Niemand kann absoluten Schutz garantieren. Aber ja, meine Antwort auf die FAZ ist: Ich bin überzeugt, dass nach 9/11 und Boston die USA und ihre Bewohner die reale Gefahr des islamistischen Terrors ernster nehmen als die meisten Einwohner europäischer Länder dies tun. In Frankreich beginnt man offenbar umzudenken. In Deutschland nach meinem Eindruck nicht….




Staatsfunk? Ja, Staatsfunk!

Ein Kollege und Freund, der beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen arbeitet, ist normalerweise immer nett zu mir. Ausnahme: Wenn ich seinen Arbeitgeber als „Staatsfunk“ bezeichne. Dann widerspricht er mir vehement und guckt ganz böse, weil er ehrlich davon überzeugt ist, dass trotz parteiendurchsetzter Aufsichtsgremien und staatlich garantierter Finanzierung durch Zwangsgebühren keine Auswirkungen auf seriösen und ambitionierten Journalismus der öffentlich-rechtlichen Redaktionen bestehe. Und nun das…

Der Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks (WDR) hat beschlossen, eine „Hart aber fair“-Sendung der ARD über Gender Mainstreaming vom 2. März 2015 nicht mehr auszustrahlen und aus der Mediathek nehmen zu lassen. Hintergrund ist eine Beschwerde der Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros/Gleichstellungsstellen NRW, die diese von Frank Plasberg moderierte Sendung irgendwie gar nicht gut fanden. Und das ist nachvollziehbar, denn die beiden Pro-Gender-Vertreter Anton Hofreiter (Grüne) und die #aufschrei-Bloggerin Anne Wizorek versagten beim Versuch der Verteidigung des Genderismus gradezu jämmerlich, während die Kritiker Wolfgang Kubicki (FDP), die Schauspielerin Simone Thomalla und die Buchautorin Birgit Kelle das ganze menschenfeindliche Konstrukt nach allen Regeln der Kunst zerlegten und dabei offenbar auch noch eine Menge Spaß im Studio hatten. So etwas ist bei den Gralshütern der Idiotie vom neu zu schaffenden Menschen nicht vorgesehen. Die Gleichstellungs-Ideologen schäumten. Der Moderator sei nicht objektiv gewesen, es habe sogar Zoff unter den Teilnehmern der Runde gegeben, und man sei sich sogar persönlich angegangen, lauten zusammengefasst die Vorwürfe. Legt man das allerdings als Maßstab an, muss nahezu jede politische Talkshow im deutschen Fernsehen aus dem Netz genommen werden. Doch das fordert niemand, so lange „die Richtigen“ gewinnen.

Der WDR hat die Sendung nun aus seiner Mediathek genommen. Es soll sich niemand mehr selbst ein Bild über den Verlauf machen können. Gab es irgendwelche Gesetzesverstöße? Nein. Gab es Gewaltausbrüche unter den Teilnehmern der Runde? Nein. Journalistische Gründe gibt es auch nicht. Alles was es gab, war ein ungeschminkter Blick auf die menschenverachtende Gender-Ideologie und ihre Gaga-Auswirkungen im Alltag unserer Gesellschaft. Klar, dass das denen nicht gefällt, die mit so etwas ihre berufliche Existenz begründen und bestens davon leben. Und so macht der WDR nun leider das, was einst George Orwell in seinem berühmten Roman „1984“ über das Leben in einem komplett gesteuerten Staat erzählt: Ereignisse aus der Vergangenheit, die politisch stören, werden einfach ausgelöscht.

Ich freue mich schon sehr auf das nächste Treffen mit meinem Freund vom Staatsfunk.




Freiheit! Freiheit! Freiheit! Verdammt noch mal….

Egon Bahr ist tot. Einer der großen alten Sozialdemokraten starb jetzt im Alter von 93 Jahren, und landauf landab wird er mit Superlativen gewürdigt. Einen „mutigen, aufrichtigen und großen Sozialdemokraten“ nannte ihn heute SPD-Chef Siegmar Gabriel, „“hochintelligent, einfühlsam und rhetorisch sehr begabt“, lobte Linken-Übervater Gregor Gysi, „ein mutiger Visionär und ein fantastischer Mensch“ würdigte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und so weiter, und so weiter. Über alle Parteigrenzen hinweg wird ein Politiker gelobt, dessen Rückgrat und Konsequenz in so krassem Gegensatz zu vielen derjenigen aus der Politik stehen, die ihn heute würdigen. Aber es gibt einen Aspekt, der in den etablierten Medien heute nicht erwähnt wird, den man aber ruhig auch einmal betrachten sollte. Egon Bahr war über Jahre Leser der konservativen Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF). Er gab dem Blatt Interviews, er war bereit, Beiträge zu schreiben. Mehr dazu hier. Den überwiegenden Teil meines politischen Lebens habe ich Egon Bahr und dem, für was er stand, skeptisch bis schroff ablehnend gegenüber gestanden. Als ich im zarten Alter von 16 Jahren begann, mich für Politik zu interessieren und der Jungen Union anschloss, hielt ich Bahr und Bundeskanzler Willy Brandt für Menschen, die Deutschland an die Sowjetunion „verkaufen“ wollten. Ich habe mich dramatisch geirrt. Mit der Vollendung der Deutschen Einheit 1990 wurde mir zunehmend klar, dass ihre Ostpolitik und das Konzept „Wandel durch Annäherung“ ein wichtiger Grundstein dafür waren, dass die schmerzhafte Teilung unseres Landes lange Jahre später gewaltlos überwunden werden konnte. Dafür gebührt diesen beiden Männern Dank und Respekt.

Ich habe begriffen und gelernt, dass es auch andere Sichtweisen als die eigene geben kann, die zum richtigen Ergebnis führen. Und ich habe zunehmend den intellektuellen Gewinn genossen, mich mit ganz anderen Sichtweisen als meiner eigenen auseinanderzusetzen, ohne dass ich dafür mein gesamtes Weltbild revidieren musste. Bis zuletzt fand ich, dass Bahr zu verständnisvoll gegenüber dem neuen Großmachtstreben Russlands war. Aber man darf das so sehen in einer freien Gesellschaft. Grundlage der Demokratie ist, dass es einander widerstrebende Sichtweisen und Meinungen gibt, die man aushalten muss. Sie sind zwingend notwendig für die Suche nach dem richtigen Weg. Und deshalb möchte ich hier noch einmal den Bogen schlagen zur „Jungen Freiheit“. Selbst bürgerliche und wohlmeinende Freunde empfehlen mir manchmal, doch dieses Blatt nicht zu lesen, weil es irgendwie etwas rechts und zu sehr Deutschland-fixiert sei. Aber darf man das nicht sein? Wer entscheidet das ? Wir reden nicht über Rechtsextremismus, Antisemitismus oder Rassismus, wir reden über KONSERVATIV. Egon Bahr hat die JF gelesen und sich von ihren Redakteuren interviewen lassen – ebenso wie sein SPD-Parteifreund Peter Glotz. Alt-Bundespräsident Romas Herzog von der CDU hat dem Blatt für ein Interview zur Verfügung gestanden, wie auch viele andere Politiker von Union, SPD, ja sogar der Grünen. Der große Journalist Peter Scholl-Latour hat regelmäßig für die „Junge Freiheit“ Beiträge geschrieben. Sind das jetzt alles Rechtsextremisten? Warum soll ich diese Zeitung nicht lesen oder – wie man jetzt formuliert „Berührungsängste“ zeigen? Weil eine lautstarke Minderheit mir das vorschreiben will? Ich lese täglich Welt und FAZ, oft BILD und auch die linksalternative TAZ. Das ist manchmal ein echter Genuss. Die TAZ, in der vor vielen Jahren Spendenaufrufe „Waffen für El Salavador“ erschienen, damit die kommunistischen Guerillas in Mittelamerika ordentlich was zu schießen und töten hatten. Oder das „Neue Deutschland“, jahrzehntelang Zentralorgan der SED-Diktatur. Die wird heute allgemein als ganz normale Tageszeitung angesehen. Und ich darf die „Junge Freiheit“ nicht lesen, dessen Chefredakteur in seinem Büro ein Portrait von Stauffenberg über dem Schreibtisch hängen hat, wie ich gerade in der „Zeit“ las?

Ich bin zu alt, um mir noch von irgendwelchen Clowns vorschreiben zu lassen, was ich denken oder lesen darf. Und ich lade Sie alle ein, die Denkschablonen auch zu durchbrechen. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland bröckelt. Denken Sie an die Autorin des „Westfalen-Blatts“, die ihren Job verlor, nachdem sie einen Leser, der seine kleinen Kinder nicht zum Blumenstreuen auf der „Hochzeit“ des homosexuellen Bruders mitnehmen wollte, in seiner Auffassung bestärkt hatte. Oder denken Sie an Politiker, deren Veranstaltungen in Universitäten abgebrochen werden mussten, weil sie ein pöbelnder Mob erfolgreich hinderte, zu sagen, was sie für richtig halten. Denken Sie auch aktuell an die von Lobbygruppen organisierten Protestbriefe an die Düsseldorfer Schulbehörde mit dem Ziel, die Räume für eine Veranstaltung mit „GenderGaga“-Autorin Birgit Kelle heute Abend in Düsseldorf kündigen zu lassen. Wer nicht im Mainstream schwimmt, soll an den Rand gedrängt, möglichst mundtot gemacht werden. Es ist beängstigend, wie von verschiedenen Seiten daran gearbeitet wird, den demokratischen Wettstreit in Deutschland durch das Ausschließen unliebsamer Meinungen zu zerstören.

Freiheit – das ist der entscheidende Begriff, um den unser politischen Denken kreisen sollte. Jeder soll lesen, denken und sagen, was er oder sie will. Das ist die Idee für unsere Gesellschaft, nachzulesen auch im Artikel 5 des Grundgesetzes. Da steht „Jeder hat das Recht, seine Meinung frei in Wort, Schrift und Bild zu äußern.“ Und da gibt es keinerlei Zusatz „sofern er nicht die falsche Meinung hat“.




GASTSPIEL: Alexander Wallasch über die Kultur der Entdemokratisierung

In meiner Kindheit waren Samstag auf dem Marktplatz immer die DKPler unterwegs. Ihr Tapeziertisch war vollgepackt mit engbedruckten Flyern, roten Aufklebern und dicken blauen Büchern: Marx’ Manifest in mehreren Bänden zum Schnäppchenpreis. Die Tapeziertischler waren hager, langhaarig und schlecht rasiert, aber dabei sanft wie die Lämmchen. Deshalb trauten wir uns auch näher heran. Und wir warteten darauf, dass die Rentner bei Tchibo ihren Frischgebrühten ausgetrunken hatten. Denn dann dauerte es nie lange, bis dem ersten Rentner der Kragen platzte: „Dann geht doch rüber!“, schnauften die alten Wehrmachtssoldaten für die alles, was sich links gab, automatisch den Stallgeruch der sibirischen Kriegsgefangenenlager hatte.

Diese plärrenden Cordhutträger waren aber keineswegs unverbesserliche Rechte. Man wählte CDU. Stramm zwar, aber doch CDU. Immerhin hatte jedes Helmut-Kohl-Wahlplakat irgendwas mit „Deutschland“ in der Headline. 1976 hieß es „Kanzler für Deutschland“, ’83 „Aufwärts mit Deutschland“ bzw. „Ein neuer Anfang für unser Land“, ’87 „Entscheidung für Deutschland“,’89 kurz vor der Wende „Im deutschen Interesse: Ja zu Europa.“ Und ’90 dann wieder alles von vorne: „Kanzler für Deutschland“.

Sie erkennen den Anachronismus? Er besteht im Wort „Deutschland“. Wahlplakate klingen heute so: „Wir haben die Kraft“, „Sie haben es in der Hand“, „Wer alles gibt, muss mehr bekommen“, „Nur mit uns“ oder „Es geht ums Ganze“. Ordnen Sie die jetzt bitte mal den Parteien zu. Kleiner Tipp: „ums Ganze“ beispielsweise geht es den Grünen.

Dieses Wischiwaschi könnte man belächeln, wäre es nicht symptomatisch für eine neue Kultur der Entdemokratisierung. Wir sind zu einem Land voller Wächter geworden. Und denen ist heute schon ein Bekenntnis zu Deutschland verdächtig. Ihr Marktplatz ist Facebook und Co. Dort agieren sie wie einst die Cordhutträger gegenüber den DKPlern. Man gibt sich aufgeklärt und weiß um den einen großen Konsens, den es gefahrlos gegen alle Widrigkeiten zu verteidigen gilt. Dabei ist Demokratie nach wie vor ausreichend von der Verfassung eingezäunt.

Demokratie als große Scheibe: An den äußeren Rändern eine feste Reling. Dort stand man zwar hart im Wind, aber man konnte sich bis an die Kante vorwagen und von dort aus ausloten, wie man Gesellschaft in Zukunft verändern könnte. Platz für schöne Utopien ebenso wie für großen Schwachsinn.

Entscheidend war die Mitte, die sorgte dafür, dass die Scheibe im Lot blieb. Sie schlingerte zwar immer mal wieder, wenn es an den Rändern zu einer allzugroßen Unwucht kam, aber am Beispiel der Grünen lässt sich gut aufzeigen, wie sich so eine Gewichtsverlagerung der allgemeinen Stabilität geschuldet langsam zur Mitte hin bewegte. Entgegengesetzte Fliehkräfte. Oder politischer ausgedrückt: Eine Entradikalisierung. Um nun aber vom äußeren Rand zur Mitte zu gelangen, muss es diesen Platz am Rand erst einmal geben. Um im Bild zu bleiben: Wenn der Rand nicht besetzt ist, rotiert alles einfach immer schneller um die Mitte. Das ist Ende der Vielfalt. Demokratie im Standmixer.

„Ohne Umwege über den Linkssozialismus wäre ich kaum der geworden, der ich bin“, schrieb Willy Brandt 1989 in seinen „Erinnerungen“. Und ein Juso-Spruch lautete: „Wer mit 20 nicht revolutionär, ist mit 50 reaktionär.“ Beide Zitate basieren auf der Erkenntnis, dass Demokratie, das die Vielfalt der Auffassungen eine Wertschätzung verdient haben. Und das ihnen eine Aufgabe zukommt, die für unsere Demokratie unerlässlich ist.

Nun ist der Versuch, die Ränder dieser Demokratie zu beschneiden nichts Neues. Sie ist sogar zyklisch: Mal trifft es die radikale Linke, die von Verboten und Drangsalierungen betroffen ist, wie in den Jahrzehnten des Kalten Krieges, aktuell ist es wieder die radikale oder sogenannte „Neue Rechte“, die ja nicht neu ist, sondern lediglich die alte Rechte, die auf neue bzw. erschwerte Bedingungen trifft und sich am Rand aufgestellt hat. Nicht umsonst haben unsere Verfassungsväter dort am Rand besagte stabile Reling aufgebaut. Sogar als Aufforderung sich anzulehnen. Als Stütze. Erst wer darüber hinwegklettert, fällt tief. Es braucht also keine verengende Bannmeile vor diesem Abgrund. Weit vor dieser Reling.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse müssen einfach immer neu erstritten, von radikalen Auffassungen in Frage gestellt werden. Nur so kann uns ihr Wert bewusst werden. Das müssen wir endlich wieder aushalten lernen. Wir brauchen wieder diesen Marktplatz der Überzeugungen. Mögen Sie noch so waghalsig sein. Denn wenn wir alles, das uns unbequem erscheint, leichtfertig stigmatisieren, verteufeln, machen wir Demokratie zur Farce. Zu einem Lippenbekenntnis. Zu einem stickigen Einparteienzelt in einer verlassen Luxusvilla voller Möglichkeiten. Zum Totentanz in der Villa democrazia.




GASTSPIEL: Julie Lenarz über Erdogans Doppelspiel im Nahen Osten

„Uns wurde gesagt: An der Grenze spazieren türkische Soldaten, und die würden auch, wenn die euch sehen, abfeuern. Aber ihr braucht keine Angst zu haben, weil die schießen nur nach oben. Die wissen, wer ihr seid und die sind dabei.“ Diese vielsagende Aussage von Ebrahim B., ein vor kurzem aus Syrien zurückgekehrter Deutscher, ehemaliger Kämpfer für den Islamischen Staat, bestätigt den Verdacht, den viele Entscheidungsträger und Geheimdienstler im Westen schon lange hegen: Die türkische Regierung verschließt die Augen vor ausländischen Extremisten, die über die Türkei nach Syrien reisen. Sie hoffen, dass diese die kurdische Opposition schwächen und das Assad-Regime zu Fall bringen.

Die Türkei war zwar mit dabei, als die USA auf einem Sondergipfel im vergangenen Jahr eine Anti-IS Koalition bildete, weigerte sich jedoch – im Gegensatz zu Repräsentanten aus Saudi Arabien, Ägypten, Jordanien, dem Libanon, Kuwait, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten – sich offiziell an der militärischen Kampagne zu beteiligen. Mit der zweitstärksten Armee in der Region hätte die Türkei wesentlich dazu beitragen können, dem Islamischen Staat ein endgültiges Ende zu bereiten. Jedoch änderte sich Ankaras Kalkül erst, als der Islamische Staat im Distrikt von Suruç ein verheerendes Selbstmordattentat verübte. Erst dann erlaubte die Erdogan-Regierung dem Verbündeten USA erstmals, den türkischen Stützpunkt Incirlik für Dronenangriffe in Syrien zu nutzen.

Erdogans Regierung hat wenig dazu beigetragen, den Zustrom von ausländischen Rekruten zu stoppen. Die Türkei wurde zum „Highway of Jihad“ für all jene, die sich dem Islamischen Staat oder anderen extremistischen Organisationen in Syrien anschließen wollen. Es mangelt nicht an Beweisen, um die anhaltende Unterstützung von sunnitischen Extremisten wie Ahrar ash-Sham und der Jaish al-Fatah Allianz durch die Türkei zu belegen – eine Politik die letztendlich nur ein Ziel hat: die Kurden zu schwächen und das Assad Regime zu stürzen. Die vorwiegend salafistische Rebellengruppe Ahrar ash-Sham wurde 2011 in Nordsyrien gegründet und pflegt enge Verbindungen zu Al Kaida und deren Verbündeten Jabhat al-Nusra. Während westliche Regierungen jegliche Kollaboration ablehnen, unterstützt die Türkei die Ahrar ash-Sham mit Geld und Waffen. Ebenso die erst kürzlich gegründete Jaish al-Fatah, der sowohl Ahrar ash-Sham als auch Jabhat al-Nusra angehören.

Allerdings unterhält die Türkei keinesfalls Verbindungen zu allen Rebellengruppen, sondern nur zu jenen, die Erdogans Vision der Post-Assad-Ära teilen. Der Freien Syrischen Armee, einer größtenteils säkularen nationalistische Gruppe, wurde die kalte Schulter gezeigt zu Gunsten von extremistischen Rebellen, einschließlich Islamischer Staat. Ein USB-Stick, den Behörden nach dem Tod von Abu Sayyaf, Direktor des Islamischen Staats für Öl und Gas in Syrien, sicherstellten, beinhaltet angeblich „klare“ und „unbestreitbare“ Beweise für finanzielle Unterstützung, Waffenschmuggel und illegale Öl- und Antik-Geschäfte zwischen der Türkei und der Terrororganisation. Ein hochrangiger westlicher Diplomat spekulierte sogar, dass diese Erkenntnisse „tiefgreifende politische Implikationen für die Beziehungen zwischen uns und Ankara“ haben könnten.
Die Türkei bekam die Konsequenzen ihrer „Höre-nichts-sehe-nichts“-Politik zu spüren, als der Islamische Staat im Distrikt von Suruç das Selbstmordattentat verübte, das 32 Menschen das Leben kostete und viele mehr verletzte. Innerhalb weniger Tage wurden Anti-Terror-Razzien im ganzen Land angeordnet und Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Syrien und im Irak geflogen. Zu behaupten, die Türkei hätte der Terrororganisation nun endgültig dem Kampf erklärt, wäre aber zu voreilig. Obwohl Erdogan die Vergeltungsschläge als nationale Kampagne gegen Terrorismus jeder Art propagiert, spricht sein Handeln eine andere Sprache. Von den 984 Verdächtigen, die bis zum 29 Juli festgenommen wurden, gehören 847 der PKK und nur 137 dem Islamischen Staat an. Zudem wurden viele Sympathisanten der Islamisten schon nach einigen Stunden wieder entlassen; angeblich aus Mangel an Beweisen. Auch die Luftangriffe der türkischen Armee trafen die PKK deutlich intensiver, als den Islamischen Staat. Während die Offensive gegen die Islamisten nur langsam und sporadisch vorangeht, verlor die PKK schon über 260 Kämpfer in der ersten Woche der Angriffe.

Die Politik der Türkei kann nur im Zusammenhang mit der Wahl im Juni verstanden werden. Erdogans Traum von einer neuen Verfassung war durch die Wähler ein abruptes Ende bereitet worden. Für ihn erfüllen demokratische Wahlen nur einen Zweck: seine Macht auszubauen. Demokratie ist nur so lange erwünscht, wie sie das erhoffte Ergebnis bringt. Zwar ging Erdogans AKP Partei wieder als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor, erlitt aber erhebliche Verluste und muss nun zum ersten Mal seit 13 Jahren einen Koalitionspartner zur Regierungsbildung finden. Mit 12 Prozent der Stimmen war es ausgerechnet die pro-Kurdische HDP Partei, die Erdogans AKP die Mehrheit kostete. Die Unterstützung für seine Partei hatte in kurdischen Kreisen über viele Monate stetig nachgelassen und nahm massiv ab, nachdem der IS mit der Belagerung der kurdischen Stadt Kobane an der türkisch-syrischen Grenze begonnen hatte. Die Türkei sah gelassen zu, wie die Islamisten kurdische Zivilisten abschlachteten und versklavten und behinderte obendrein lange Zeit die dringend erforderliche militärische Verstärkung. Der gegenseitige Vertrauensverlust und der bittere Nachgeschmack der Wahl haben den ohnehin fragilen Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der PKK endgültig zerschlagen.

Erdogans Antwort auf die Krise lautet: Krieg. In Zeiten von Chaos und Terror stellen sich die Menschen bekanntlich hinter ihre Regierung. Selahattin Demirtaş, dem Vorsitzenden der HDP, hat man nun die Immunität aufgehoben und angebliche Verbindungen zwischen seiner Partei und der PKK werden nun von einem Untersuchungsausschuss geprüft. Im Falle einer erzwungenen Auflösung der HDP könnte Erdogan das letzte Hindernis auf dem Weg zu einer allmächtigen Präsidentschaft ein für alle Mal aus dem Weg räumen, bei Neuwahlen die schon im Oktober oder November diesen Jahres stattfinden sollen.

Die IS-Politik der Türkei bleibt weiterhin dubios, undurchsichtig und komplex und dient vor allem der Schwächung der kurdischen Opposition in der Türkei und an der türkisch-syrischen Grenze, mit potentiell weitreichenden Folgen für die türkische Demokratie. Die USA und ihre Verbündete wären gut beraten, ihre Position zu überdenken, bevor sie sich auf die Seite eines Landes stellen, welches einen kurdischen Staat scheinbar mehr fürchtet als den Islamischen Staat.

Julie Lenarz arbeitet als politische Beraterin und leitet das Human Security Centre (HSC) in London. Sie ist spezialisiert auf den Nahen Osten, Terrorismus, Islamismus und religiöse Verfolgung. Twitter:@MsIntervention