Auch wenn es keine Hellseherei gibt…

Wer hätte vor einem Jahr vorhersagen können, was 2014 bringt? Die Eskalation auf der Krim und in der Ostukraine, das Verschwinden von Passagierflugzeugen, die Erfolge der AfD, das Aufkommen von Pegida, die Explosion der Flüchtlingszahlen – Entwicklungen, die zumindest nicht in dieser Dramatik von irgendjemandem vorhergesagt werden konnten. So wird es auch im neuen Jahr sein. Es werden politische und gesellschaftliche Entwicklungen stattfinden, die heute noch niemand auf dem Schirm hat. Dennoch möchte ich ein paar Themen streifen, die absehbar oder aus meiner Sicht wichtig in 2015 sind oder werden.
Niemand weiß sicher, wie in wenigen Wochen die Parlamentswahlen in Griechenland ausgehen. Die Meinungsforscher sehen derzeit linke Parteien vorn, die der Sparpolitik des Landes, zumindest partiell durchaus erfolgreich, den Garaus machen wollen. Wird das so kommen, wird Athen wieder damit beginnen, Geld zum Fenster hinaus zu schmeißen, schadet sich das Land selbst gewaltig und könnte vermutlich die ganze Euro-Zone erneut in Turbulenzen bringen. Der Euro wird deshalb nicht abgeschafft, und die EU wird nicht zusammenbrechen, aber die Geduld der letzten Steuerzahler dürfte dann flöten gehen. Nutznießer dieser Entwicklung könnten die Euroskeptiker überall in Europa werden, in Deutschland die AfD. Mit ihren Wahlerfolgen im vergangenen Jahr hat die Partei den Grundstein dafür gelegt, sich politisch rechts von der Union dauerhaft zu etablieren. Doch zuvor steht noch die Bewährungsprobe auf der Tagesordnung, an der schon viele hoffnungsvolle Parteigründungen gescheitert sind: die Realpolitik und die innerparteilischen Klärungsprozesse. Regelmäßige Leser meiner Texte wissen, dass ich seit langem die programmatische Unschärfe der neuen Partei kritisiere. Oder können Sie mir sagen, wie die AfD zum Betreuungsgeld oder zum Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare steht? Ja, ja, ich weiß, was Frau von Storch dazu sagt – aber eine Beschlusslage gibt es nicht, und unvergessen ist die Teilnahme der Berliner AfD am Christopher Street Day 2013. Viel gravierender könnte sich allerdings der aktuelle Zwist zwischen den Führungspersonen auswirken. Parteisprecher Bernd Lucke lädt unabgesprochen die Kreisvorsitzenden zum Gespräch, führende Parteifunktionäre um Gauland und Petry bestellen Lucke zum Gespräch ein, Henkel macht aus seiner Abneigung gegenüber der Kreml-Fraktion auch öffentlich keinen Hehl und Ende Januar will Lucke beim Bundesparteitag eine Satzungsänderung durchsetzen, die ihn zum alleinigen Vorsitzenden macht – ein Unterfangen, gegen das sich große Teile der jungen Partei massiv wehren. Was, wenn Lucke scheitert? Was, wenn er sich durchsetzt? Meine These: Wenn Lucke abgesägt wird, wenn Henkel hinschmeißt, wird die AfD scheitern, weil auch für neue Parteien gilt: Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Kaum vorstellbar, dass die vielen ehemaligen Unions- und FDP-Wähler ohne diese bürgerlichen Zugpferde bei der Stange bleiben.
Wie es in der Ukraine weitergeht, weiß kein Mensch. Ich denke, die schweren wirtschaftlichen Turbulenzen in Russland werden Herrn Putin die Freude an weiteren Abenteuern erst einmal vermiesen. Dennoch wird es weiter Gewalt in der Ostukraine geben, denn Russland hat kein Interesse an einer Stabilisierung, die das Land weiter Richtung Westen treiben würde. In Deutschland wird es höchste Zeit, dass wir zu einer breiten öffentlichen Debatte über das Freihandelsabkommen TTIP kommen, das aus meiner Sicht viel besser ist, als sein Ruf hierzulande. Doch die beiden langfristigen Themen, die mich auch 2015 umtreiben, und zu denen ich immer wieder publizistische Zwischenrufe starten werde, sind der schleichende Verlust unserer Freiheit durch einen allumfassenden Staat und die Daueroffensive progessiver Kräfte gegen die traditionelle Familie, die ja nach wie vor ein großes Erfolgsmodell ist. Das Herabsetzen der Leistung von Müttern („Heimchen am Herd“, „vergeudetes Potential“), die fortgesetzten Angriffe auf die Ehe aus Mann und Frau („Familie ist überall, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen“), der mit unendlichen Steuermillionen forcierte Gender-Schwachsinn, die Frühsexualisierung unserer Kinder („Gang Bang“ und „Darkroom“ als Unterrichtsstoff für Zwölfjährige) sind für mich das Thema, das langfristig die größte Bedrohung für unsere Art zu leben, darstellen. Erfreulich, dass 2014 der Widerstand von Eltern und Lehrern gegen diesen Irrsinn in Form von Petitionen und Demonstrationen zugenommen hat. Diese Entwicklung sollte sich im neuen Jahr immer stärker fortsetzen.
Und die Zuwanderung? Und die Flüchtlinge? Und der Islam? Alles schwierige Themen, die einer differenzierten Betrachtung bedürfen, die hier den Rahmen sprengen würde. Nur eins: Welches christliche Abendland sollen wir verteidigen, wenn wir ungerührt zuschauen, wie Tausende Menschen im Mittelmeer jämmerlich ersaufen? Nächstenliebe ist eine der tragenden Säulen des christlichen Abendlandes. Wer seine Augen vor dem Leid der Menschen und seine Grenzen vor den Todgeweihten verschließt, soll mir bitte nichts mehr vom „christlichen Abendland“ erzählen!




Die Bundeswehr ist keine Operetten-Armee

Deutschlands führendes Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ist zum Jahresende nochmal richtig empört. Unter Bezug auf „Geheimdokumente“, die der BILD vorliegen, schreiben die Autoren: „Diese legen nahe, dass sich das von Deutschland geführte Regionalkommando Nord (RC-N) in Afghanistan und auch der Bundesnachrichtendienst (BND) viel intensiver als bisher eingeräumt an der Verfolgung von Verdächtigen beteiligten. Aus den Dokumenten geht hervor, dass wichtige Daten wie Telefonnummern von Zielpersonen an die Nato übermittelt wurden. Diese konnten für gezielte Tötungen benutzt werden.“ Und erwartungsgemäß sind die Grünen auf Knopfdruck empört. So weit also Alltag in Deutschland.
Aber betrachten wir doch, um was es geht. Die Bundeswehr ist nicht zu einem Polizeieinsatz in Afghanistan, sondern führt Krieg. Dass dieser Fakt, der jedem Zeitungsleser klar war, auch beim Namen genannt wird, verdanken wir übrigens dem früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, das sei nur kurz angemerkt. Der zum Jahresende auslaufende Kampfeinsatz der NATO war genau das: ein Kampfeinsatz. Und in einem Krieg sterben Menschen, die von anderen Menschen getötet werden. Und glauben Sie mir, ich bedauere das zutiefst. Wie schön wäre eine Welt, in der wir auf all das Leid, auf all das Töten, auf Panzer und Minen verzichten könnten? Wenn man das per Abstimmung beschließen könnte, ich würde vorneweg gehen und für unbedingte Zustimmung werben. Aber die Welt ist nicht so. Menschen sterben in Terroranschlägen, begangen um des vermeintlichen Willens von Allah. Menschen sterben in Kriegen, die gewissenlose Herrscher in andere Länder tragen. Menschen sterben, weil sie das vermeintlich Falsche glauben, weil sie zum falschen Stamm gehören oder weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Um das möglichst zu verhindern, zur Not mit Gewalt, haben wir im Innern eine Polizei und für das Äußere eine Armee und einen Geheimdienst. Unsere Armee ist Teil eines Bündnisses, der NATO. Unsere Sodaten leisten viel Gutes. Wenn irgendwo in Deutschland die Deiche brechen, sind sie da und transportieren Sandsäcke. Wenn irgendwo auf der Welt deutsche Staatsbürger und bisweilen auch Menschen anderer Nationen in Gefahr sind, holen sie diese bedrohten Seelen raus. Doch – und damit komme ich zum Kern – unsere Soldaten sind ausgebildet, um uns zu schützen, um im Notfall zu kämpfen und als ultima ratio auch um Feinde, die uns nach dem Leben trachten, gewaltsam zu stoppen, sprich zu töten. So etwas sagt man heute nicht so gern, wo sich doch alle über Schulbauten und gebohrte Brunnen freuen – ich auch. In Zeiten, in denen die Bundeswehr mit Werbespots junge Menschen sucht, die schöne Berufe lernen oder studieren wollen. Aber es ist die Wahrheit. Die NATO und damit die Bundeswehr haben Krieg geführt in Afghanistan. Krieg gegen fanatisierte Irre, mit denen nichts zu verhandeln ist, weil sie töten und herrschen wollen. Und weil sie uns dafür hassen, wie wir leben und was wir glauben. Und in diesem Krieg haben unsere Soldaten und hat unser Geheimdienst genau das getan, was in einem Krieg getan werden muss. Auch wenn es dem Spiegel und den Grünen nicht passt.




Afghanistan muss nun auf eigenen Beinen stehen

Der Kampfeinsatz der NATO in Afghanistan ist also nun beendet. Ab 1. Januar 2015 bilden die westlichen Staaten nur noch Sicherheitskräfte aus und unterstützen diese, wenn es mal brenzlig wird. War’s das also? Kommen die Taliban zurück? Jeder Tote, jeder Verletzte, jede Milliarde – alles umsonst? Ich weiß es nicht, aber ich glaube es auch nicht. Der Gradmesser für meine Beurteilung sind nicht die deutschen Politiker, die von Anfang an gegen die Einsatz waren. Auch nicht die Kommentatoren jener Medien, die schon die mörderischen Anschläge vom 11. September 2001 auf die USA mit einem zynischen „selbst schuld“ begleiteten. Und schon gar nicht die notorischen Amerika-Hasser, die wir auch in diesen Wochen und Monaten wieder erleben. Nein, was mir ein wenig Optimismus vermittelt, sind die Aussagen jener Bundeswehrsoldaten, die dort waren. Die ein oder mehrmals am Hindukusch im Einsatz waren, oft unter Gefahr für Leib und Leben. Trotz beängstigender Erlebnisse, trotz toter Kameraden und manche sogar trotz selbst erlittener Verletzungen physischer und psychischer Art: Mit einer Ausnahme haben mir alle, mit denen ich sprechen konnte, gesagt: Es ist gut und richtig, dass wir dort sind und dem Land helfen. Manche reden ja gern abfällig über die jungen afghanischen Frauen, die nun zur Schule gehen dürfen. Aber es ist ein wichtiger Fortschritt, von dem ich glaube, dass es nicht mehr zurückzudrehen sein wird. Ja, die Taliban werden nun verstärkt Gewalt anwenden, und niemand weiß sicher, ob die afghanischen Sicherheitskräfte willens und in der Lage sind, dem standzuhalten. Und ja, Afghanistan wird in 100 Jahren noch nicht eine Demokratie sein, wie wir im Westen uns das vorstellen. Wer das angenommen hat, versteht sowieso nichts. Aber auch Afghanistan hat nun eine Chance, sich selbst zu entwickeln.
Fraglich ist, ob der massive Abzug der NATO-Soldaten nicht zu früh kommt. Wir erleben gerade im Irak, was passieren kann, wenn ein Machtvakuum entsteht. Ich denke, wenn man einen „Nation building“-Prozess beginnt, muss man auch konsequent sein und diese Entwicklung so weit voran treiben, bis sie sicher unumkehrbar ist. Ob das in Afghanistan bereits der Fall ist, wird die Zukunft zeigen.




Von Entschleunigung kaum noch eine Spur

Weihnachten, also das Fest der Geburt Jesu, ist für mich jedes Jahr auch ein besonderer Quell der Ruhe. Keine Termine, keine Anrufe, nichts außer meiner Familie. Doch Jahr für Jahr stelle ich fest, dass die Ruhepause kürzer wird. Selbst am Heiligen Abend finden sich zwischen Weihnachtskarten und bisweilen Geschenkpäckchen für die Kinder Geschäfts- und Behördenbriefe und am Morgen des 24. Dezember gab es in diesem Jahr einen geschäftlichen Anruf – so, als wäre ein ganz normaler Tag. Ich muss zugeben, dass mich diese Banalisierung des Weihnachtsfestes zunehmend nervt. Das beginnt bei lieblosen Weihnachtsmärkten, die ja mancherorts inzwischen „Wintermärkte“ genannt werden, auf denen man mir Pfannen und Holzlöffel verkaufen will. Das setzt sich fort in den nachmittäglichen Gottesdiensten, die zu Versammlungen von Menschen werden, die ihren Glauben längst verloren haben aber traditionell oder „wegen der Kinder“ alljährlich einmal eine Stunde in der Kirchenbank „absitzen“, Handklingeln und Dauergequatsche inklusive. Und das endet beim Ausflug am zweiten Weihnachtstag zum Beispiel in einen Vergnügungspark im rücksichtslosen Gedränge um die besten Plätze in der Achterbahn. Meiner Schwiegermutter, die uns gestern in einen solchen eingeladen hatte, wurde dabei das Handy geklaut. Frohe Weihnachten.
Am Besten, man geht an diesen Tagen gar nicht mehr raus, außer vielleicht sehr früh am Morgen oder sehr spät am Abend in eine Messe, wenn der Anteil der Gläubigen deutlich überwiegt. Gott sei Dank ist das Fernsehprogramm an diesen Tagen durchgehend dermaßen belanglos und unattraktiv, dass man dann wirklich einfach ein wenig SkipBo mit den Kindern spielen, ein gutes Buch lesen und die ein oder andere Flasche Rotwein öffnen kann, ohne abgelenkt zu sein. Ich frage mich nur, wann, wenn nicht an diesen Tagen, wollen Menschen in unserer Gesellschaft überhaupt noch zur Ruhe kommen?




Über die Banalisierung des Begriffes „Nazi“

Vielleicht ist dem ein oder anderen aufgefallen, dass ich mich seit Wochen um das Thema Pegida herummogele. Das hängt damit zusammen, dass ich mir noch kein abschließendes Bild gemacht habe und – anders als viele Kollegen in meinem Berufsstand – nur etwas über Themen schreibe, mit denen ich mich vorher ernsthaft auseinandergesetzt habe. Klar ist: Man darf Angst vor dem Islam haben und das auch öffentlich bekunden. Man darf sich durch EU-Bürokratismus und Gender-Wahn bedroht fühlen, bei Letzterem muss man es nach meiner Auffassung sogar. Man darf auch öffentlich bekunden, dass man sich durch Kriminalität zunehmend bedroht fühlt, selbst wenn diese objektiv betrachtet eher weniger geworden ist. Man darf das alles, man darf das auch in Demonstrationen auf die Straßen tragen. Denn dies ist eine freie Gesellschaft. Dennoch ist Pegida nichts für mich persönlich, denn die Vermengung ernsthafter Probleme mit abstrusen Verschwörungstheorien, die erschreckend kritiklosen Demutsgesten gegenüber Herrn Putin bei gleichzeitig absurdestem Antiamerikanismus, die blindwütige Verunglimpfung der Medien und der Journalisten in Deutschland – all das teile ich nicht, und es stößt mich ab.

Aber ich kann zumindest verstehen, warum viele Leute heute in Deutschland offenbar so denken. Das dümmliche Gequatsche von Politikern und zumindest einigen Leitmedien, die Tag für Tag aus allen Pegida-Demonstranten „Nazis in Nadelstreifen“ machen wollen, bestärkt viele Menschen in ihrer Auffassung, dass es ein Kartell aus Politik und Medien gibt, die sich herausnehmen, zu definieren, gegen oder für was man in Deutschland heute noch demonstrieren oder reden darf. Und wer durchs Raster fällt, ist Nazi, rechtsradikal, rechtsextrem oder – im besten Fall – rechtspopulistisch. Und der Demonstrant, der seinen Job verloren und Angst vor der Zukunft hat, oder der sich unwohl fühlt, wenn in der Nachbarschaft 100 Flüchtlinge aus einem anderen Kulturkreis untergebracht werden, fragt sich dann: Und darum bin ich jetzt ein Nazi? Was für eine Banalisierung der Nazi-Ideologie. Mein wunderbarer Kollege Martenstein schrieb vor zwei Jahren mal in der Süddeutschen sinngemäß: Man muss nur ein wenig suchen, dann kann man jeden Bürger zum Nazi erklären.

Das Jahr 2014 wird vielleicht einmal als Zeitenwende in wissenschaftliche Arbeiten von Politologen eingehen, denn erstmals ist zunehmend erkennbar, dass ein beträchtlicher Teil unserer Bevölkerung offenbar nicht mehr bereit ist, sich dem Diktat linksprogressiver Meinungsführer, was gut und was böse ist, widerspruchslos zu unterwerfen. Man kann das an vielen Faktoren sichtbar machen, die mir keineswegs alle gefallen. Da ist der fulminante Aufstieg einer AfD praktisch aus dem Nichts. Da ist der inzwischen von Tausenden getragene Protest von Eltern gegen die Frühsexualisierung von Grundschulkindern in Baden-Württenberg und Niedersachsen. Da ist der alljährliche „1000-Kreuze-Marsch“ gegen Sterbehilfe und Abtreibung, einstmals eine traurige Veranstaltung von vielleicht 300 Leuten, in diesem Jahr mit 5.500 Teilnehmern ein Ausrufezeichen im politischen Meinungskampf. Und nun eben auch Pegida. Es wäre zu wünschen, dass all diejenigen, die uns öffentlich ständig zum Dialog ermahnen, diesen auch nun selbst aufnehmen. Nicht nur mit Muslimen und antifa muss man reden, sondern auch mit normalen Bürgern und, ja, sogar mit Konservativen. Sonst suchen die sich nämlich andere Foren und andere Politiker. Die etablierten Parteien haben dabei versagt, ihre Politik und manche unerfreulichen aber „alternativlosen“ Maßnahmen ausreichend zu erklären. Viele Medien eskortieren das mit einer verzerrten Darstellung der Dinge, etwa wenn sie bewusst Straftaten von Menschen aus dem islamischen Kulturkreis durch Verschweigen der Nationalität vertuschen. Ein Priester, der sich an einem Kind vergeht – und alle schreiben über die schlimme katholische Kirche an sich. Ein Deutscher, der einen Migranten verprügelt – und am nächsten Tag wissen wir alles über ihn und seine Familie. Eine arabische Jugend-Gang, die auf dem U-Bahnhof einen Deutschen „abzieht“, und wir erfahren nur, es habe sich um „Jugendliche“ gehandelt. So geht das nicht, und man sollte die Bürger nicht für derart dämlich halten, dass sie nicht merken, wie bisweilen die Wirklichkeit aus ideologischen Gründen verzerrt wird.

Deutschland ist bis heute nicht auffallend anfällig für Rechtsradikalismus. Im Vergleich mit manchen unserer Nachbarländer sind rechtsextreme Ideen hier komplett am Rand, und das ist gut so. Aber jede Kritik an der in Deutschland dominierenden Politik mit Totschlagbegriffen wie „Nazi“ und „rechtspopulistisch“ zu belegen, jeden, der seine Kinder selbst erzieht, zum „spießigen Kleinbürger“ zu erklären, wird genau das Gegenteil von dem bewirken, was sich die selbsternannten Herren über die Diskurshoheit vorstellen: es wird den Protest anfachen und die Unzufriedenheit anwachsen lassen.




Beunruhigende Nachrichten aus den USA

Sony Pictures kneift! Nach einer beispiellosen Hacker-Attacke wird der amerikanische Medienkonzern die Filmkomödie „The Interview“ nicht in die Kinos bringen. 40 Millionen Dollar Produktionskosten verschwinden im Orkus. Weil es im Film um einen Mordanschlag auf den nordkoreanischen Diktator Kim Yong Un geht, wird angenommen, dass dessen Steinzeit-Regime aus dem fernen Osten hinter dem Angriff steckt. „Wir werden Ihnen klar zeigen, welch bitteres Schicksal jene erleiden, die Spaß am Terror haben“, hatten die Hacker gedroht und auf 9/11 verwiesen. Mehrere große US-Kinoketten hatten sich daraufhin geweigert, den Streifen zu zeigen. Bereits im November hatten sich Unbekannte Zugriff zu den Servern von Sony Pictures Entertainment verschafft und von dort Hunderte Gigabyte interner Dokumente und vertraulicher E-Mails von den Servern gezogen. Kunst und Kultur sind unantastbar – das galt bisher im Westen als unumstößlicher Grundsatz. Das Einknicken jetzt ist beunruhigend, insbesondere, weil es in den USA stattgefunden hat. Wenn es auch dort möglich ist, mit einem Hacker-Angriff das Erscheinen eines unliebsamen Filmes zu verhindern, wird das nicht der letzte Fall dieser Art gewesen sein. Was kommt als nächstes? Werden amerikanische Zeitungen und Sender aus Angst zukünftig auf kritische Berichterstattung verzichten?




Liebe Türkei, es passt einfach nicht

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt seine Kritiker verhaften, zuletzt 24 Journalisten. Wer das System von Korruption und Machtausübung am Bosporus beim Namen nennt, hat in der Türkei unter diesem Machthaber einen schweren Stand. Unvergessen, wie er friedliche Proteste niederknüppeln ließ. Unvergessen, wie er unabhängige Staatsanwälte und Polizeioffiziere versetzen ließ, die gegen Regierungsmitglieder ermittelten. Solches Vorgehen ist mit unseren Vorstellungen von Recht und Freiheit nicht vereinbar. Und wenn ich „unseren“ schreibe, meine ich damit nicht allein Deutschland, sondern den ganzen Westen. Auf vorsichtige Kritik der EU an seinem Vorgehen, sagte Erdogan jetzt, Brüssel solle sich „um seine eigenen Angelegenheiten kümmern“. Und es sei ihm egal, „ob die EU uns aufnimmt“.

Ich denke, das wäre jetzt eine gute Gelegenheit, ihm zu sagen, dass die EU genau das auch nicht tun wird. Dass die Türkei in ihrer Geamtheit kulturell nicht zu Europa passt, kann Jeder seit langem sehen, der mit offenen Augen durch die Welt geht. Das ist eine Erkenntnis, die durchaus schmerzliche Aspekte hat, ist doch die Türkei Deutschland in vielen Dingen über die Jahrzehnte ein guter Partner gewesen. Millionen türkischstämmige Menschen leben bei und mit uns, manche sind deutsche Staatsbürger geworden. Im Sommer zieht es viele Deutsche an die sonnigen Strände der Türkei. Döner Kebab ist hierzulande dabei, der urdeutschen Currywurst den Rang als beliebtestes Fastfood abzulaufen. Und doch, es passt nicht. Nicht aus kulturellen und religiösen Gründen, nicht aus dem unterschiedlichen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Es gehört zur Fairness, dass man einem Partner sagt, wenn es vorbei ist – im Privatleben ebenso wie in der großen Politik. Es wäre schön, wenn die Türkei und Deutschland weiter Partner blieben. Wenn wir Geschäfte miteinander machen, uns austauschen und vielleicht auch die gemeinsamen Sicherheitsinteressen miteinander regeln. Aber Teil eines freiheitlichen Staatenbundes mit gemeinsamen Vorstellungen, Grundlagen und Werten? Ich denke, dieser Zug ist abgefahren.




Vom Persönlichkeitsrecht der Einbrechers

Aus der Serie „Heitere Momente“ noch ein besonderes Schmankerl zum Wochenende. Der Europäische Gerichtshof (EUGh) musste sich jetzt mit der Klage eines erwischten Einbrechers beschäftigen. Der war sauer, dass man ihn in flagranti erwischt hatte. Sein Opfer, ein Mann aus Tschechien, hatte nach mehreren Sachbeschädigungen an seinem Haus die Nase voll. Er installierte eine Videokamera. Als der Einbrecher das nächste Mal auftauchte, wurde er von dieser Kamera bereits am Gartenzaun gefilmt, identifiziert und festgenommen. Und nun kommt das Beste: Der Kriminelle reichte Klage ein, weil er sich in seinem Recht auf Informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigt sah. Das gern von bürgerrechtsbewussten Zeitgenossen verwendete Argument: „Ich will das einfach nicht“ gilt natürlich auch für einen Einbrecher. Er will bei der Arbeit nicht gefilmt werden. Und er fand Gehör bei den Richtern. Dass der Einbrecher ohne seine Einwilligung in der Öffentlichkeit gefilmt wurde, stelle eine „Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte“ dar, urteilten die gestern. Wer eine Kamera anbringe, müsse darauf achten, dass nicht über sein Grundstück hinaus gefilmt werde. Und es bringt ja nun endlich auch für Straftäter Rechtssicherheit. Einfach vor Betreten eines fremden Grundstücks am Gartentor eine Maske aufsetzen. Dann kann nichts schiefgehen.




Die Dinge vom Kopf wieder auf die Beine stellen

Menschen, denen es Ernst damit ist, unser demokratisches System weiterzuentwickeln, haben oft klare Vorstellungen, was getan werden müsste. Das beginnt bei Einführung einer Wahlpflicht – wahlweise bei einer hohen Zahl von Nichtwählern die Reduzierung der zu vergebenden Parlamentssitze -, setzt sich fort bei der Forderung nach plebiszitären Verfahren – Volksabstimmungen, Direktwahl des Bundespräsidenten – und endet noch lange nicht bei der gewünschten Abschaffung des Fraktionszwangs für Abgeordnete. Einig sind sich jedenfalls alle, dass sich etwas ändern muss. Die nüchterne Beurteilung der einzelnen Forderungen fällt nicht leicht, haben sie doch sowohl Vor- als auch Nachteile. Der Wähler neigt ja bisweilen dazu, nicht immer nur nach Sachargumenten zu entscheiden, sondern er ist durchaus stimmungsanfällig. Nehmen wir also mal an, die Partei A, die in Berlin regiert und wegen ihrer Politik im Volk unbeliebt ist, stellt zur Wahl des Bundespräsidenten einen phantastischen Kandidaten auf. Wäre nicht die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass viele Bürger das Vehikel der Wahl des Staatsoberhaupts nutzen würden, um der verhassten Partei A mal „einen Denkzettel zu verpassen“? Und wäre das gut für unser Land, wenn ein Kandidat, der eigentlich perfekt ist, einer Anti-Stimmung gegen seine Partei zum Opfer fiele? Oder Volksabstimmungen: Wie viele Bürger haben denn das Wissen um unser internationales Finanzsystem, dass sie befähigen würde, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob es gut oder schlecht für Deutschland wäre, den Euro abzuschaffen? Welcher 18-Jährige, welcher Malermeister, welche Marktfrau kann das sachgerecht entscheiden? Dieses Land hat sich ja das System einer repräsentativen Demokratie gegeben, damit wir uns Leute wählen, die sich intensiv mit den Dingen beschäftigen und dann möglichst in unserem Interesse entscheiden. Die unbestreitbare Tatsache, dass das manchmal schiefgeht, spricht nicht grundsätzlich gegen das System.

Schauen wir auf den Fraktionszwang. Natürlich ist auch jetzt qua Gesetz jeder Abgeordnete zunächst einmal seinem Gewissen verantwortlich und völlig frei in seinem Abstimmungsverhalten. Soweit die Theorie. In der Praxis stimmen fast alle Abgeordneten in 99 Prozent der Fälle geschlossen mit der eigenen Fraktion. Das regt manche Bürger auf, hat aber ebenfalls einen Sinn. Die große Mehrheit der Wähler kreuzt in der Wahlkabine einen Politiker an, den sie persönlich gar nicht kennen. Sie haben über ihn vielleicht in der Zeitung gelesen, kennen sein Konterfei von Wahlplakaten. Aber sie schenken diesem Kandidaten oder dieser Kandidatin ihr Vertrauen. Und zwar wegen des Parteikürzels hinter dem Namen. Man wählt einen Abgeordneten, weil der Kandidat der XY-Partei ist und in der Überzeugung, dass dieser später als Abgeordneter dann auch die Politik vertritt, für die seine Partei steht. Wollen wir wirklich ein System, in dem wir einen Abgeordneten wählen und uns dann überraschen lassen, was er wohl in den folgenden Jahren im Parlament mit unserem Vertrauen so macht? Also, ich weiß gerne vorher, woran ich bin. Und wenn Sie mir jetzt schreiben, dass man ja vor der Wahl feststellen kann, wofür ein Kandidat steht, dann rufe ich schon jetzt: Einspruch, euer Ehren! Oder haben Sie schon vor zwei Jahren gewusst, was 2014 in der Ukraine passieren würde? Viele Themen entstehen überraschend, praktisch aus dem Nichts.

Nach meiner Meinung wäre es vorrangig, wenn wir erst einmal die ursprüngliche Aufgabenteilung zwischen Exekutive und Legislative wieder herstellen könnten. Sie erinnern sich: Das Parlament entscheidet, die Regierung führt aus – so ist es gedacht. Aber so läuft es nicht. Die Regierungsparteien in Deutschland sichern die Politik der Regierung im Parlament durch Mehrheitsbeschaffung ab. Das stellt das Prinzip auf den Kopf. Wichtige politische Initiativen aus der Mitte des Parlaments, wohlmöglich auch noch fraktionsübergreifend oder – Gott bewahre! – gegen die erklärte Politik einer Regierung? Das ist die Ausnahme. Das Kanzleramt und die Ministerien bestimmen die Agenda, das Parlament nickt ab. Wissen Sie, warum kürzlich die schwedische Regierung kollabiert ist? Weil die Opposition einen Haushaltsentwurf ins Parlament eingebracht hat, der eine Mehrheit fand. Sie haben richtig gehört. In Schweden darf die Opposition einen eigenen Etatplan erarbeiten und zur Abstimmung stellen. In Deutschland ist das nicht möglich. Hier legt die Regierung ihre Finanzplanung vor und die sie tragenden Parteien stimmen brav zu, denn alles andere würde ja als eine Niederlage der Regierung angesehen. Ja und? Das Parlament entscheidet! Das Parlament, unser Parlament, gebildet aus den Leuten, die wir als unsere Vertreter nach Berlin entsenden. Zurück zu den Wurzeln, würde ich empfehlen.




Schön, wenn junge Menschen im Radio zu Wort kommen

Vorgestern Abend lange Autofahrt. Im Radio lief EinsLive, die Jugendwelle des Westdeutschen Rundfunks. Im Studio als Gesprächspartner zwei Gäste, deren herausragende Lebensleistung wohl darin besteht, dass sie mal eine Veranstaltung des Energiekonzerns Shell gesprengt hatten, in dem sie eine Rohöl-ähnliche Flüssigkeit verspritzten – auch auf Teilnehmer. Ist das nicht schön, wenn junge Menschen etwas leisten? Und ist es nicht noch wunderbarer, dass wir mit Zwangsgebühren Sender finanzieren, die solche echten Vorbilder auch einmal zu Wort kommen lassen? Ich bin sicher, demnächst werden auch mal ein paar Ex-HipHop-Sänger eingeladen, die sich zum christlichen Glauben bekehrt haben. Oder Aktivisten, die den Zugang zu einer Abtreibungsklinik blockiert haben. Denn es werden ja sicher junge Idealisten aus unterschiedlichen Bereichen vorgestellt. Andernfalls wäre der WDR ja ein „Mainstreammedium“, das nur dann jungen Aktivisten ein Forum bietet, wenn sie auch von „der richtigen Seite“ kommen. Etwa, wenn es gegen einen internationalen Multi geht, der Milliarden umsetzt und – festhalten! – sogar in der Antarktis nach Öl bohrt…