Verschwörung gegen saubere Recherche?

„Verschwörung gegen die Freiheit“, so lautete gestern Abend der Titel einer zweiteiligen Dokumentation auf 3sat. Gegenstand der journalistischen Betrachtung war dabei nicht die Partei „Die Linke“, waren nicht gewalttätige Islamisten oder Nazi-Netzwerke, sondern – Sie ahnen es – die USA und ihre Geheimdienste. Genau genommen handelte es sich um eine Hommage an Edward Snowden, der auch reichlich gefeiert wurde. Ich gebe zu, dass ich eine Schwäche habe, die heute etwas aus der Mode gekommen ist. Ich zweifle immer mal wieder an eigenen Überzeugungen und bin auch bereit, meine Ansichten im Licht der Fakten auf den Prüfstand zu stellen. Und was ZDF-Geheimdienstexperte Elmar Theveßen über die Zusammenarbeit westlicher Geheimdienste zusammengetragen hat, war beeindruckend. Was man dort technisch alles kann, wie man ohne zu fragen auf unfassbare Datenmengen zugreift– oft mit Billigung der IT-Unternehmen, wie man eigene rechtliche Normen umgeht – das verursacht Beklemmungen. Auch mir. Irgendwann, kurz vor Ende des zweiten Teils, hatte ich jedoch das Gefühl, dass mich irgendetwas an der Sendung stört, obwohl sie spannend und informativ war. Und dann kam ich drauf: Die andere Seite des Tisches fehlte nahezu vollständig. Theveßen hatte Datenschützer, Netzaktivisten, ehemalige Geheimdienstler und den Bürger auf der Straße ausgiebig befragt. Auch der Verfassungsschutz-Chef kam zu Wort – kritisch, versteht sich. Und natürlich Snowden. Aber was völlig fehlte, war die Sicht der Befürworter dieser geheimdienstlichen Aktivitäten. Zwar wurde gegen Ende gesagt, der BND-Chef, die NSA und die Bundesregierung hätten sich nicht äußern wollen, aber ich bin sicher, man hätte Praktiker aus dem Sicherheitsbereich finden können – aus dem BKA, aus dem deutschen Cyber-Abwehrzentrum. Vielleicht leitende Kriminal-Ermittler, die erklären, warum umfangreiches Datensammeln aus ihrer Sicht notwendig ist. Oder Politiker, Wolfgang Bosbach oder Innenminister aus den Ländern. All das passierte nicht, die objektive Betrachtung eines wichtigen Themas fiel leider aus. Und das finde ich bedauerlich, zumal jeder Redaktionsvolontär in seiner Ausbildung lernt, dass man vor der Berichterstattung über ein Streitthema immer beide Seiten hören soll.




Jedem seine eigene Phobie

Die Wogen der Erregung schlugen gestern hoch. Der Auftritt eines – vorsichtig ausgedrückt – seltsamen Imams in der Gesprächsrunde bei Günther Jauch am Vortag führte allerorten zu hitzigen Diskussionen. Was mir vom Abend in Erinnerung bleiben wird, ist die ungewohnte Hilflosigkeit des Moderators und seiner Gäste gegen einen zackig auftretenden jungen Muslim, der von seinen Gesinnungsgenossen sicher viel Beifall für den Auftritt bekommen haben wird. Einzig der wackere CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach vermochte dem angriffslustigen Islamisten Paroli zu bieten. Einen ungewollt heiteren Moment erlebte die Talk-Runde, als Herr Abdul Adhim Kamouss seine Besorgnis über wachsende „Islamphobie“ in Deutschland zum Ausdruck brachte. Der Wirtschaftsjournalist und Blogger Roland Tichy spießte das mit den Worten „Islamophobie wirft der Schreimam den anderen vor, während er selbst eine Deutschenphobie im TV zu bester Sendezeit pflegt“ sehr schön auf. Und tatsächlich sollten wir Menschen, die sich wegen unbotmäßigem Selbstdenkens immer wieder als homophob, islamophob und ähnliches beleidigen lassen müssen, dazu übergehen, dem Ähnliches entgegenzusetzen. Deutschenphobie, Katholophobie oder Bildungsphobie wären meine ersten Vorschläge.




Auf dem Land gedeiht das Brauchtum

Auch am Niederrhein wurde heute Erntedank gefeiert. Bei strahlendem Sonnenschein waren Kelles komplett zur Dankmesse auf einem Bauernhof erschienen. Es fiel dabei auf, dass viel mehr junge Leute und Kinder dabei waren, als man normalerweise sonntags in der Kirche antrifft. Derartiges Brauchtum schlägt auch abseits besonderer Religiosität auf dem Land nach wie vor tiefe Wurzeln. Familien kommen, damit ihren Kindern bewusst wird, dass ein Brot nicht wie durch Zauberhand aus einer Maschine beim Bäcker fällt. Dass gesät, geerntet und gemahlen werden muss, bevor gebacken werden kann. Und dass alles irgendwo einen Ursprung gehabt haben muss, damit der Kreislauf der Natur so funktioniert, wie er funktioniert. An die 600 Menschen waren heute Morgen allein in unserer Gemeinde dabei, die ganz offensichtlich genossen, Teil einer großen Familie zu sein, die sich um einen Ährenkranz und ein Kreuz versammeln, ganz ohne VIP-Tickets, Gästeliste und Chill-Out-Area. Auf dem Land chillt man halt anders.




St. Martin ohne Blaulicht

Ob SPD-Innenminister Jäger plant, die Polizei in NRW abzuwickeln? Manchmal scheint es so. Nachdem die Polizei ihre Präsenz bei Fußballspielen bereits deutlich reduziert hat – was noch Sinn macht, wenn Hoffenheim zum Auswärtsspiel mit 150 Fans anreist – trifft es jetzt Brauchtumsveranstaltungen aller Art. Betroffen sind Karnevalsumzüge ebenso wie die alljährlichen St. Martins-Umzüge der Schulen und Kindergärten überall im Land. Die veranstaltenden Einrichtungen müssen zukünftig selbst für Sicherheit sorgen, und wer mal abends mit 300 Kindern singend durch einen Innenstadt gezogen ist, weiß, dass das nicht so einfach ist. Wo früher der Streifenwagen vorneweg fuhr, sind jetzt freiwillige Helfer oder bezahlte Kräfte gefragt. Organisationsaufwand und Kosten werden für die Veranstalter deutlich steigen. Gut möglich, dass manche zukünftig auf diese Art der Brauchtumspflege verzichten. Und gut möglich, dass auch das manchem unserer Politiker durchaus recht ist. Zumindest, wenn es sich um populäre kirchliche Veranstaltungen handelt. Die Polizei und der Staatssäckel werden jedenfalls entlastet. Nur so ein Gedanke: Kleinkriminalität wird ohnehin kaum noch verfolgt, warum verzichten wir da nicht auch zukünftig auf Polizei? Kleindealer einsammeln, die nach einer halben Stunde wieder auf der Straße sind, Taschen- oder Fahrraddiebe…. Nehmen wir die doch aus der polizeilichen Aufgabenliste auch heraus. Denn klar ist: Am meisten könnte der Innenminister sparen, wenn die Polizei auch bei der Kriminalitätsbekämpfung nur noch in Ausnahmefällen eingeschaltet wird.




Warten auf einen Anschlussflug

In Bulgarien sitzen derzeit sechs Soldaten der Bundeswehr fest. Sie sind auf dem Weg in den Nordirak, um kurdische Kämpfer an deutschen Waffen auszubilden, mit deren Hilfe der Massenmord durch islamistische Terrorbrigaden gestoppt werden soll. Während die Kurden auf Panzerfäuste, Gewehre und Munition warten, hofft unser kleiner Trupp auf ein neues Transportflugzeug, nachdem bereits zwei Transall der Luftwaffe wegen technischer Probleme ausgefallen sind. Eile haben sie aber nicht, denn die Waffenlieferung steckt ebenfalls fest – in Leipzig. Weil die Bundeswehr keine eigenen Transportkapazitäten zur Verfügung stellen kann, hat man ein niederländisches Flugzeug gechartert, um die Waffen aus Deutschland zu transportieren. Doch das hat – Sie ahnen es – technische Probleme.

Das Bild, das Deutschland derzeit militärisch abgibt, ist erbärmlich, und es zeigt ein jahrelanges Versagen der Politik – ganz egal, wer gerade das Sagen hat. Frau von der Leyen legt zwar gern beeindruckende Auftritte im Scheinwerferlicht hin und phantasiert von geregelten Arbeitszeiten und besserer Kinderbetreuung bei der Bundeswehr, aber die drängendsten Probleme liegen weiter brach. Von 109 Flugzeugen des Typs Eurofighter sind derzeit nur acht voll einsatzfähig. Acht! Und von 43 Marine-Hubschraubern sind ganze fünf einsatzfähig. Fünf! Es ist atemberaubend, in welchem Zustand sich unsere Armee befindet.

Das Ganze ist kein Zufall. Armee, Soldaten oder gar Schießen – damit wollen sich viele unserer gewählten Repräsentanten nicht die Finger schmutzig machen. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs eine verständliche Reaktion. Und nach dem Zusammenbruch des Sowjet-Kommunismus wuchsen in Europa und auch den Vereinigten Staaten erst recht die Hoffnungen auf eine neue friedliche Weltordnung, in der Kriege die absolute Ausnahme und deutsche Beteiligungen daran kaum noch vorstellbar wären. Doch die Wirklichkeit ist anders. Jeder kann es sehen, abends in den TV-Nachrichten. IS-Terror in Syrien und im Irak, islamistische Terroristen auch in Mali und anderen Gegenden Afrikas, Gewalt in der Ostukraine, in Nordkorea ein Irrer, der Atomraketen testen lässt. China, Vietnam und Japan in Daueranspannung um Inseln und Ölvorräte. Und in dieser zunehmend raueren Welt zünden wir hier Räucherkerzchen an. Arabische Staaten – auch welche mit zweifelhaftem Ruf – kämpfen an der Seite der USA, um den IS-Gewaltorgien ein Ende zu bereiten. England bereitet sich auf Luftschläge vor, Belgien und die Niederlande schicken ebenso Kampfflieger wie Australien. Und Deutschland? Immerhin: neben Zelten, Decken und Kopfschmerztabletten werden auch Waffen an die Kurden geliefert, damit die sich verteidigen können. Selbst das war in Deutschland umstritten. Und wir schicken sechs Ausbilder – sofern sie einen Anschlussflug finden. Und beim NATO-Manöver jüngst in der Ukraine war Deutschland auch dabei – mit drei Soldaten. Immerhin, die trafen rechtzeitig ein.

Unsere Armee muss fähig zur Landesverteidigung sein. Und sie muss bereit sein, im Rahmen internationaler Regeln und als Teil des westlichen Bündnisses Aufgaben zu übernehmen. Unsere Soldaten können das, daran habe ich keinen Zweifel. Die Männer und Frauen in Uniform, die unser Land auf den Balkan und nach Afghanistan geschickt hat, haben ihren Job erledigt – professionell und mit großem Engagement. Ohne Rückendeckung von großen Teilen der Bevölkerung, die lieber Frau Käßmanns naiven Vorstellungen vom totalen Frieden Beifall klatschen, statt unseren mutigen Soldaten wenigstens Respekt zu zollen. Und ohne Rückendeckung einer Politik, die ihnen die notwendige Ausrüstung verweigert und sich mit Lappalien aufhält. Soldaten, die sich selbst vom eigenen Geld Schutzwesten anschaffen – oder die Posse im Jahr 2006, als deutsche Soldaten in Afghanistan nicht mit ihren Kameraden aus anderen Ländern auf Patrouille ausrücken durften, weil an den Bw-Fahrzeugen die TÜV-Plaketten abgelaufen waren. Wenigstens das macht uns Deutschen keiner nach.




Die kranke Seite unserer Freiheit

Wer bezweifelt, zu welch kranken Erscheinungen der um sich greifende Hedonismus unserer Zeit führen kann, hatte in den vergangenen Tagen Erstaunliches zu lesen. In Dänemark, so habe ich durch verschiedene Zeitungsberichte erfahren, gibt es Tiersex-Bordelle. Dort bezahlen Menschen dafür, sich sexuell an Tieren – vornehmlich Hunden und Pferden – vergehen zu dürfen. Man hält das erst gar nicht für real und sucht nach der „versteckten Kamera“, aber tatsächlich gibt es in unserem nördlichen Nachbarland eine politische Debatte darüber, ob man das als Freiheit tolerieren oder verbieten sollte. Für ein Verbot gibt es bisher im Parlament noch keine Mehrheit, wenngleich nach Umfragen etwa drei Viertel der Dänen für ein solches wären. Immerhin. Was Politiker und Parteien in Dänemark bewegt, sich einem Verbot zu verschließen, scheint mir eher eine Frage an die Psychotherapie zu sein. In Deutschland ist „Zoopholie“ seit 2013 (!) gesetzlich untersagt – als Ordnungswidrigkeit im Tierschutzgesetz.




Ein Abend unter Freunden

Um Political Correctness ging es heute Abend in der Ratinger Stadthalle. Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung hatte zur Diskussion mit mir eingeladen, und gut 180 Zuhörer und Mit-Diskutierende wollten dabei sein. Thematisch waren wir uns weitgehend einig, ein politisch interessiertes Bürgertum. Zwei Damen waren nicht zufrieden und gingen vorzeitig, weil ich zu wenig Verständnis für die palästinensische Hamas hatte. Darüber hinaus war es ein Abend unter Freunden. Wenn man so will, die Zivilgesellschaft, die große bürgerliche Familie. Wie ich später telefonisch erfuhr, hatte meine Frau Birgit zeitgleich ein ganz ähnliches Publikum – in Österreich bei einer ebenfalls bis auf den letzten Platz gefüllten Veranstaltung, wo es um die menschenverachtende Gender-Ideologie und die Folgen für unseren Alltag und unsere Kinder geht. Die schweigende Mehrheit existiert, wir sind so viele, und wir bewirken in der Gesellschaft derzeit so wenig. Dieser Gedanke beschäftige mich auf der Heimfahrt. Und wieder das Grundmotiv meiner kommentierenden Arbeit: die ganz normalen Leute mit einem ganz normalen Leben. Mit einem Beruf, vielleicht mit Kindern, mit einem gemütlichen Zuhause und dem ganz alltäglichen Glück. Warum lässt man sie, warum lässt man uns nicht in Ruhe unser frei gewähltes Leben leben? Warum will man uns zwangsbeglücken? Warum mischt sich der Staat immer tiefer in unser Leben ein? Warum versuchen politische Ideologen, Zugriff auf unsere Kinder zu bekommen? Ich fürchte, es wird nicht enden, wenn wir alle uns nicht zur Wehr setzen und etwas tun. Und wenn wir uns hin und wieder treffen und selbstvergewissern, dass unsere Sicht der Dinge plausibel ist, dann tut das jedem gut. Den Zuhörern ebenso wie dem Referenten.




Sie können es nicht länger ignorieren

„In Berlin haben heute mehrere Tausend Menschen gegen Abtreibung und Sterbehilfe demonstriert…“ Fast wäre ich gestern gegen die Leitplanken gefahren, als ich im Autoradio die SWR3-Nachrichten hörte. Sie haben tatsächlich gemeldet, dass in Berlin der „Marsch für das Leben“ stattgefunden hat. Seit Jahren versammelt sich dort jedes Mal im September die deutsche Pro-Life-Szene. Berichtet wurde von den etablierten Medien bisher allenfalls kurz über die Gegendemonstranten gegen einen Aufmarsch „fundamentalistisch-christlicher Sektierer“. Aber nun, so scheint es, kommt man nicht mehr an dieser Veranstaltung vorbei, zu der gestern fast 6.000 Teilnehmer erschienen. Das Thema Abtreibung und Lebensrecht überhaupt gehört zu Bereichen, die medial gern ausgeklammert – manche sagen: totgeschwiegen – werden. Umso erfreulicher, dass sich die Beharrlichkeit der Lebensrechtler nun auszahlt. Übrigens: Im Oktober findet in Stuttgart die fünfte Eltern-Demo gegen die Frühsexualisierung von Kleinkindern in Baden-Württemberg statt. Das träge Bürgertum, so scheint es, ist zunehmend bereit, sich gegen den menschenverachtenden Gender-Wahn und seine Auswirkungen zur Wehr zu setzen. Es sind keine Fundamentalisten, die da auf die Straßen gehen, sondern es ist die Mitte unserer Gesellschaft. Gut so!




Eine Werbung für die Demokratie

Die Schotten haben entschieden, und zwar eindeutig. 55 zu 45 Prozent für einen Verbleib im Vereinigten Königreich. Und es war vielleicht keine Entscheidung mit heißem Herzen, aber wahrscheinlich eine mit Vernunft. Beeindruckend finde ich, wie zivilisiert alles abgelaufen ist. Ein engagierter, faktenreicher Wahlkampf, knallharter Austausch von Argumenten, TV-Debatten – und dann eine Entscheidung. So lösen demokratische und zivilisierte Länder derartige Probleme. Hoffentlich hat Herr Putin heute Zeit, ein wenig BBC zu gucken. 86% Beteiligung bei der Volksabstimmung zeigen auch, dass Menschen bereit sind, sich in großer Zahl an demokratischen Prozessen zu beteiligen, wenn wirklich etwas zu entscheiden ist. Wenn immer alles beim Alten bleibt, egal, was die Leute ankreuzen, werden Wahlgänge irgendwann eine lästige Pflicht – wie das auch in Deutschland anscheinend immer mehr Menschen empfinden. Klare politische Alternativen, dann klappt‘s auch mit dem Wähler wieder. Und wenn entschieden ist, akzeptiert man, gratuliert man auch der Gegenseite und hält wieder zusammen. Auch das ist heute Morgen wunderbar anzuschauen. Die Volksabstimmung in Schottland war eine echte Werbung für die Demokratie.




Was Schottland deutlich sichtbar macht

Auf Schottland blickt derzeit die ganze Welt, und weil das selten ist, können wir die Volksabstimmung nutzen, um einmal über Heimat und Stolz nachzudenken. Und das, bevor wir wissen, wie die Abstimmung ausgegangen ist. Die Welt rückt zusammen. Wenn es um Wirtschaft und Finanzen geht, ist die Erde bereits heute ein globales Dorf. Wir alle haben das spätestens feststellen müssen, als die amerikanische Mega-Bank Lehman Brothers 2007 zusammenbrach und ganze Volkswirtschaften auch in Europa an den Rand einer Katastrophe brachte. Die großen Kraftzentren USA, die neuen Riesen China und Indien oder auch Brasilien schreien geradezu nach großen Einheiten, um allen Herausforderungen der Zukunft begegnen zu können. Die EU ist die größte und gemessen an ihrer Wirtschaftskraft zweifellos stärkste dieser Einheiten.
Doch eine zunehmende Zahl von Menschen fühlt sich unwohl dabei. Man fürchtet den großen Moloch, der alles regelt und gegen den Niemand mehr mit Aussicht auf Erfolg aufstehen kann. Bedauerlicherweise unternimmt Brüssel alles, um diesen Ängsten Nahrung zu geben, etwa wenn man sich mit dem Gender-Quatsch aktiv einmischt, wie Familien zu leben und Menschen zu denken haben. Jeder will Heimat haben, das kleine alltägliche Glück suchen und in einem Umfeld gedeihen, das vertraut ist und auf das man stolz ist. Kaum ein Volksstamm in Europa steht so dafür wie die Schotten. Dudelsack, Kilt und der zweifellos beste Whisky auf dem Planeten sind sichtbarer Ausdruck eines Selbstbewusstseins, das man ähnlich in unserem Land wohl nur noch in Bayern findet.

Wer darauf keine Rücksicht nimmt, wer den Bravehearts einen Lebensstil aufdrängen will, der darf Widerstand erwarten. Von London regiert zu werden, das erscheint vielen Schotten nicht mehr zumutbar, und das, obwohl die Zentralregierung immer wieder Zugeständnisse in puncto Selbstverwaltung gemacht hat.
Interessant in Deutschland ist, dass gerade viele Konservative einen Erfolg der Yes-Fraktion geradezu herbeisehnen. Wenn die Schotten das schaffen, dann werden es auch die Katalanen schaffen, und dann bröselt die EU zusammen, ist ihr Kalkül. Das allerdings dürfte nicht aufgehen, denn viele Schotten haben in Umfragen angegeben, sie würden auch für die Unabhängigkeit stimmen, weil sie nicht mitgezogen werden wollen, wenn die britischen Tories das Vereinigte Königreich aus der EU rausdrängt. Ja, die Mehrheit der Schotten fühlt sich in der EU offenbar ganz wohl, und wenn ihnen das britische Pfund demnächst verweigert werden sollte, dann nehmen sie halt gern den Euro.
Was kann man – unabhängig vom Ergebnis – aus dem ganzen Vorgang lernen? Menschen wollen eine Heimat haben, in der sie ihr Leben in einer vertrauten Umgebung und mit vertrauten Traditionen möglichst frei leben dürfen. Sie sind bereit, sich mit anderen zu Bündnissen zusammenzuschließen, auch um des eigenen Vorteils willen. Aber sie wollen nicht fremdbestimmt werden. Oder übertragen: Die EU macht Sinn und wird funktionieren, wenn sie ein Bündnis von souveränen Staaten bleibt, das eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik organisiert. Als eine Zentralregierung, die den Menschen vorschreibt, was sie glauben, essen und akzeptieren müssen, wird sie nie zur Ruhe kommen. Und vielleicht sogar letztlich scheitern.