Der Anführer der Freien Welt fällt seit gestern aus – suchen wir uns halt neue

Wenn sie seit Jahrzehnten als politischer Journalist arbeiten, dann glauben sie irgendwann, dass sie alles schon gesehen und erlebt haben. Die gestrige Eskalation im Weißen zwischen US-Präsident Donald Trump, seinem Außenminister JD Vance und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj beweist das Gegenteil. Man hat nie alles schon gesehen. Und leider ist alles jederzeit möglich.

Was ist da gestern passiert in Washington DC?

Nach Tagen, in denen sich die atmosphärischen Verspannungen zwischen Trump und Selenskyj zu lösen schienen, in dem weitere Waffenhilfe der Amerikaner für die ums Überleben kämpfende Ukraine möglich und der Abschluss eines Deals über die berühmten „seltenen Erden“ wahrscheinlich zu werden schienen, der politische Crash. Wahnsinn, oder?

War das alles nur eine Inszenierung, die dann aus dem Ruder gelaufen und später eskaliert ist?

Trump zeigt seinem Gast, wer Koch und wer Kellner ist? Fordert von dem ungezogenen Bengel aus Kiew mal ein bisschen Respekt und Dankbarkeit für die stets hilfsbereiten und großzügigen Vereinigen Staaten? Mag sein, könnte man ja vielleicht auch erwarten. Der Wähler da draußen hätte es wohl gern mal gehört.
Aber der Präsident aus der Ukraine ist nicht diese Art von Anführer, der leise und devot auftritt. Auch das ist der Grund, warum es die Ukraine heute noch gibt, warum ein eigentlich unterlegenes Land verzweifelt immer noch um seine Freiheit kämpft.

Und, ehrlich: die Großvater-Attitüde, mit der der reiche Onkel-Trump aus Amerika den armen Schlucker aus Osteuropa empfing, sich über dessen Kleidung lustig machte, das war alles andere als diplomatische Höflichkeit. Auch das war respektlos, dieses herablassende Getue von einem, der nicht das geringste Gespür dafür hat, wie es sich anfühlt für Menschen, die in der Trümmerwüste von Cherson vor russischen Drohnen um ihr Leben rennen. So wie gestern früh im Dorf Mala Lepetyscha eine Frau und ihr Kind getötet wurden, als eine russische Drohne einen Krankenwagen beschoss und zerstörte. Einfach so, einen Krankenwagen…
So wie die russischen Invasoren Wohnhäuser und Schulen beschießen. Was die Angreifer da tun, hat nichts mit „Befreiung“ zu tun, ist nicht der Schutz einer bedrohten russischstämmigen Bevölkerung, nicht ein Kampf gegen vermeintliche „Faschisten“ oder gar – besonders lächerlich – die Angst vor der bösen, bösen NATO. Es ist Barbarei, Menschenverachtung, Imperialismus. Von einem vermutlich unter Komplexen leidenden Mann im Kreml, der aber leider eine größere Anzahl an Atomraketen besitzt, und dem Menschenleben vollkommen egal sind.

Was folgt aus den gestrigen Ereignissen?

Donald Trump ist im November des vergangenen Jahres überzeugend von den Amerikanern gewählt worden. Und ich – unsere Leser wissen das – war begeistert über sein unkonventionelles Handeln, die Disruptionen und auch große Teile seiner politischen Agenda. Seit gestern hat sich das verändert.

Donald Trump ist Präsident der Vereinigten Staaten, der mächtigste Mann auf dem Planeten. Aber ist er nach der Nummer gestern vor dem Kamin im Weißen Haus wirklich noch der Anführer der freien Welt? Will er das überhaupt sein? Oder geht es ihm um „Deals“ mit seinen Buddies in Moskau, Teheran, Pjöngjang und Peking? Scheiß doch auf die anderen…

Wladimir Putin und seine Clan-Kumpel hatten niemals eine Chance gegen den Westen. Zu bedeutungslos, zu wenig innovativ. Ohne die gewaltigen Bodenschätze wäre die Russische Föderation ein Dritte-Welt-Land. Keine Demokratie, kein Mittelstand, keine Zukubftsvisionen. Wenn Sie heute Abend Monopoly spielen, dann ist das Geld, was Sie da verteilen, kaum weniger wert als der reale russische Rubel. Die russische Armee ist groß, aber völlig überschätzt. Hunderttausende junge Russen (und Ukrainer) hat Putin in diesen drei grausamen Jahren durch den „Fleischwolf“ geschickt. Menschen, die eine Zukunft, ein kleines alltägliches Glück, vor sich hatten und die jetzt irgendwo auf einem Feld verscharrt oder in einer Holzkiste in Mütterchen Russland vergraben liegen.

Und ich fragen Sie noch einmal: Für was?

Was rechtfertigt das alles? Was kann überhaupt jemals so etwas rechtfertigen?

Donald Trump ist dabei, das Tor zur Hölle endgültig aufzustoßen. Die durch ihn persönlich eingeleitete Disruption zu den freien Staaten des Westens in Europa und aller Welt, ist die wahre „Zeitenwende“, nicht das laue Lüftchen, was Olaf Scholz 2022 mal hinausgeblasen hat, ohne dass danach etwas passiert ist.

Der US-Präsident hat gestern Abend nochmal erklärt, so brauche Selenskyj nicht zurückzukommen. Selenskyj wiederum saß bei FOX News und versicherte, er denke gar nicht daran, sich bei Trump zu entschuldigen.

War’s das also jetzt für die Ukraine?

War’s das jetzt für Europa? Ist der Westen erledigt? All die geschichtsvergessenen Gestalten, die auf Facebook und in anderen (a)sozialen Netzwerken feixen – nicht erst seit gestern – haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Wenn der, qua Amt, Führer der freien Welt ausfällt, dann muss sich die freie Welt selbst organisieren. Aufgeben ist keine Option, oder wollen Sie Ihre Kinder unter russischer oder chinesischer Weltherrschaft aufwachsen sehen?

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