Die AfD muss sich inhaltlich hübsch machen, wenn sie ein Rendezvous mit der Macht will

Die letzte Landtagswahl in diesem Jahr ist vorbei. Die SPD verliert Stimmen, gewinnt aber. Die CDU verliert noch mehr Stimmen und verliert auch richtig. „Der Lack ist ab“, würde man die Nach-Merkel-CDU in meiner lippischen Heimat beschreiben. Grüne und AfD feiern, SED und FDP stürzen ab.

So weit alles erwartbar

Interessant aber erwartbar, denken Sie jetzt vielleicht. Nein, es lohnt sich, genauer hinzuschauen bei den Wählerwanderungen, also den Wählern, die sich im Vergleich zur Wahl davor gestern umentschieden haben.

Die AfD, vor wenigen Monaten in Niedersachsen noch totgeglaubt, feierte gestern Abend in Hannover ein rauschendes Comeback. Ein Plus von fast fünf Prozent, das Ergebnis zweistellig (10,9%). Und woher kommen die neuen AfD-Wähler? Sie ahnen es – von CDU und besonders stark von der FDP. Fast 30 Prozent der neuen AfD-Wähler, so fanden die Demoskopen von infratest heraus, haben ihr Kreuzchen früher bei den Liberalen gesetzt. Und das dürften nur zum geringsten Teil Querdenker, Schwurbler oder Rechtsradikale sein, wenn überhaupt einer. Die FDP-Nazis, ein ganz neuer Begriff für den linken Mainstream oder?

Nein, diese Leute kommen aus der Mitte der (westdeutschen) bürgerlichen Gesellschaft. Und sie haben – sagen wir es mal etwas deutlich – die Schnauze gestrichen voll. Selbst die Sofa-Bürgerlichen, die denken, alle paar Jahre CDU/CSU und FDP wählen, reiche aus, um den schlimmsten linksgrünen Unsinn zu verhindern, merken langsam, dass diese Rechnung nicht mehr aufgeht.

Überall in Europa gewinnen Rechte plötzlich Wahlen, die früher noch als politische Parias galten, wie zuletzt die Schwedendemokraten oder gerade Frau Meloni in Italien. Weil sie die Grundstimmung, die dort ja ähnlich ist wie überall in Europa und auch hier in Deutschland, aufgreifen und beginnen, Realpolitik zu machen. Und weil sie Realpolitik machen – zum Beispiel mit ihren Bekenntnis, die EU nicht grundsätzlich in Frage stellen aber deutlich verändern zu wollen – sind sie plötzlich nicht nur Gesprächs- sondern auch Koalitionspartner.

Das ist in Deutschland noch nicht so, wie vielfach gestern Abend in den Internet-Foren zu lesen war. Klar feiern viele AfDler dort den unerwartet kräftigen Erfolg in Niedersachsen. Aber es gibt auch erstaunlich viele nachdenkliche Stimmen, die schreiben, dass auch elf Prozent nichts verändert am Kurs Deutschlands. Und geradezu niedlich die blauen Politakrobaten, die völlig überrascht sind, dass die AfD gar nicht 51 Prozent bekommen hat, wie sie doch sicher erwartet haben.

Ich schreibe und rede mir seit Jahren den Mund fusselig, dass es eben nicht nur die bösen Medien und die ignoranten „Altparteien“ sind – sicher auch ein Stück weit – aber dass auch die AfD etwas tun muss, um sich als Braut ein klein wenig hübsch zu machen für ein Rendezvous mit der Macht und den beinharten Kampf die Zukunft Deutschlands.

11 Prozent haben gestern AfD gewählt in Niedersachsen, bundesweit liegen die Umfragen aktuell bei 15 Prozent, was auch extrem viel ist. Aber 85 Prozent der Deutschen wählen eben nicht AfD. Ich war vor Corona mal als Redner bei einer Konferenz in Wien über die Zukunft der konservativen Parteien in Europa eingeladen. Vor mir sprach eine wirklich brillante (deutsche) Meinungsforscherein, die schlüssig erklärte, dass der Decke für die AfD bei 20 Prozent liegt. Natürlich bezogen auf ganz Deutschland, nicht die Hochburgen im Osten. Und mit 20 Prozent kann man alleine nichts verändern. Das ist reine Mathematik.

An die Tische der Macht, dort, wo etwas verändert werden kann, kommt man nicht mit Fundamentalopposition oer gar der Beschimpfung von Wählern der anderen. Wer alleine aus einer Minderheitenposition etwas verändern will, muss  eine Revolution versuchen, aber das ist in unserem Land nicht vorstellbar. In Sachsen, ja. Aber in Deutschland? Nie im Leben.

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