Die Frage nach dem Ob stellt sich nicht einmal

Schon wieder! Auch heute befindet sich ein Flüchtlingskahn im Mittelmeer in akuter Seenot. Mindestens 300 Menschen sollen an Bord sein, darunter wie jedes Mal Frauen, Kinder und Alte. Nicht erst seit dem Tod von 900 Flüchtlingen am vergangenen Wochenende im Mittelmeer ist klar, dass die Situation unhaltbar geworden ist. Wenn wir hier das christliche Abendland hochhalten wollen, wenn die EU nicht wieder bei einer internationalen Krise versagen will, dann muss jetzt sofort, ohne jegliche Zeitverzögerung, massiv eingegriffen und geholfen werden. Die Frage, ob Europa, ob der Westen und damit auch Deutschland den Flüchtlingen helfen sollte, stellt sich nicht einmal. Was wären wir für Zyniker, was wären wir für erbärmliche Unmenschen, wenn wir dem Sterben auf hoher See ungerührt zuschauten? Rupert Neudeck, Mitbegründer von „Cap Anamur/Deutsche Notärzte“, hat gestern im Fernsehinterview Stellung bezogen: Die EU-Länder müssen Schiffe ihrer jeweiligen Marine vor die Küste Nordafrikas entsenden, Handelsschiffe müssen aufgefordert werden, einzugreifen und Flüchtline zu retten – vielleicht sogar gegen Prämienzahlungen im konkreten Hilfsfall. Das Sterben muss beendet werden – das hat oberste Priorität, das ist die allererste Aufgabe. Doch damit ist es wahrlich nicht getan.
Selbst wenn die reichen Länder des Westens vorübergehend mehr Flüchtlinge aufnehmen, löst das die Probleme nicht. Offiziellen Schätzungen zu Folge sind derzeit auf dem afrikanischen Kontinent rund 18 Millionen Menschen auf der Flucht in Richtung Mittelmeer. Ihr Ziel und ihre einzige Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben ist Europa. Eine Hoffnung, die wir nicht erfüllen können, selbst wenn wir es wollten. Um das Problem zu lösen, müssen Hoffnung und Zukunft nach Afrika gebracht werden. Das ist ein langwieriger Prozess, aber die reichen Länder könnten mehr tun, noch viel mehr. Es müssen menschenwürdige Wohnräume dort entstehen, es müssen Nahrung und sauberes Wasser her, und es muss Bildung her. Ja, Bildung. Es klingt so nach Klischee, wenn immer von Brunnen bohren und Schulen bauen geredet wird, aber genau darum geht es. Auch. Wenn wir keine Mauer errichten wollen, um uns von Elend und Hoffnungslosigkeit abzuschotten, gibt es nur diesen Weg: den Leuten in Afrika wirklich zu helfen, eine menschenwürdige Zukunft aufzubauen. Und ihnen zu sagen, dass wir bei weitem nicht alle, die zu uns kommen wollen, aufnehmen können.
Über die Flüchtlingsproblematik habe ich verschiedentlich geschrieben. Ja, wir müssen helfen – ohne Wenn und Aber. Und wenn wir helfen wollen, dann muss die Politik auch klare Kante für diejenigen zeigen, die wirklich Hilfe brauchen, die sich in die Hände gewissenloser Schleuserbanden und in Lebensgefahr begeben haben, um Europa oder Deutschland zu erreichen. Es ist unerträglich, dass noch immer 90 Prozent der in Deutschland abgelehnten Asylbewerber bleiben dürfen. Und für diejenigen, die in diesen Tagen und Wochen aus Angst um ihr nacktes Überleben dem Wahnsinn im Nahen Osten entkommen sind und zu uns fliehen, wird der Platz knapp.