In Großbritannien haben die Toris gestern bei Kommunalwahlen einen historischen Sieg errungen. In Schleswig-Holstein könnte heute Abend das erste Mal seit über zehn Jahren in Deutschland wieder ein SPD-geführtes Bundesland „kippen“. Die Zukunft Europas könnte bei der Präsidentschaftswahl heute in Frankreich auf dem Spiel stehen, wenn es um die Frage Le Pen oder Macron geht.

Wahlen sind die Sternstunden der Demokratie, Wahlergebnisse sind es nicht immer. Heute ist es guter Tag, sich einmal wieder selbst zu vergewissern, wie privilegiert wir alle sind, in einer Demokratie leben zu dürfen. Die Mehrzahl der Menschen auf diesem Planeten können das nicht. „Herrschaft des Volkes“ – klingt das nicht irgendwie wie in Stein gemeißelt?

Ich bin sicher, viele Leser werden heute auf Facebook und Twitter wieder schimpfen und spucken. Wir werden alle manipuliert, werden sie behaupten. Wahlen bringen überhaupt nicht, „die da oben“ machen sowieso, was sie wollen. Egal, was wir abstimmen oder wen wir wählen, die großen Fragen werden sowieso von Wall Street oder wenigstens den Bilderbergern entschieden. Bis auf die Bilderberger ist auch an allen Punkten etwas dran. Natürlich ist unser System nicht perfekt. Natürlich gibt es in den Augen vieler Menschen zu wenig direkte Demokratie. Brauchen wir eine Fünf-Prozent-Hürde, um lästige Wirrköpfe vom Parlament fern zu halten?

Und doch stehe ich zu der Aussage, dass Wahlen Sternstunden der Demokratie sind, denn nur bei Wahlen wird erkennbar, wie das Volk denkt, zumindest in welche Richtung unser Land in Zukunft gelenkt werden soll. Das ist schon einmal viel Wert. Nicht die ARD oder das Forsa-Institut, sondern jeder Einzelne, der in der Wahlkabine sein Kreuz macht, sagt, wo es lang gehen soll. Manchmal irrational, manchmal zu schnell, so dass man noch vor Abwerfen des Wahlzettels bereut, was man da gemacht hat. Aber am Wahlabend um 18.01 Uhr gibt es einen belastbaren Fingerzeig. Und ich bin froh, dass wir den geben können.

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Dieser Artikel wurde 7 mal kommentiert

  1. S v B Antworten

    Ihre Begeisterung in allen Ehren, Herr Kelle. Leider mag ich diese nicht so recht teilen. Das mickrige Kugelschreiber(!)-Kreuzchen, welches wir in zähen Intervallen von vier Jahren machen dürfen, betrachte ich als dürftige, ja geradezu armselige Teilhabe an der politischer Entscheidungsfindung. Wir leben in einem extrem beschleunigten Zeitalter, die (welt-, europa-)politischen Ereignisse jagen einander und überschlagen sich mitunter in schwindelerregender Abfolge.

    Zusätzlich gestatten die neuen Medien dem politisch interessierten(!) Wähler, sich weitaus intensiver und breit gefächerter über alle Aspekte der Politik zu informieren. All dies hat zur Folge, dass das Verfallsdatum einer persönlichen Wahlentscheidung den Zeitraum von vier Jahren einfach nicht mehr erreichen kann. Als Paradebeispiel will ich meine Wahlentscheidung von 2013 nennen. Wenn ich damals geahnt hätte, dass die von mir mit hinreichender Überzeugung gewählte Angela Merkel schon zwei Jahre später festgeschriebene Gesetze brechen und damit ein veritables Flüchtlingsdesaster mit unabsehbaren Folgen für ganz Europa auslösen würde, wäre meine Wahlentscheidung entschieden anders ausgefallen oder durch die – zugegebenermaßen schlechte Alternative der – Wahlverweigerung gar ins Leere gelaufen.

    Ein amerikanischer Präsident (muss nochmal nachschauen, welcher es war) hat die Sache einmal auf den Punkt gebracht, indem er sage: DEMOCRACY IS A FORM OF GOVERNMENT FOR VIRTUOUS PEOPLE. Welch‘ weise Einsicht. Auch wir müssten dies eigentlich konstatieren und uns dann – vergeblich – fragen, wo wir all diese Tugendhaften finden sollen.

    • Alexander Droste Antworten

      Das zum Thema „strategisch Kreuzchen setzen“.

      Wir wählen Programme. Und wenn die Gewählten ihre Programme nach der Wahl umstoßen, ist es eigentlich unsere Aufgabe, auf die Barrikaden zu gehen. Aber die Deutschen sind zu satt, zu bequem, zu uninteressiert, zu gutgläubig.
      Wer zur Wahl geht und sein Kreuzchen wegen eines „Nasenfaktors“ setzt ist reichlich naiv. Und wenn, dann nur mit dem Gefühl und Vertauen, dass derjenige die Durchsetzungdkraft hat das Programm umzusetzen.

      Ansonsten findet Demokratie im Wesentlichen in den Kneipen, Gewerkschaften, Vereinen und Verbänden statt.

  2. colorado 07 Antworten

    Ja, Wahlen sind die Sternstunden der Demokratie. Dazu gehört aber auch, dass Wahlergebnisse akzeptiert werden und nicht bösartig hinterfragt werden. Ich bin gespannt, wie lange wir noch freie Wahlen haben werden, wenn die etablierten Parteien ihr Schäflein davon schwimmen sehen. Da kennen sie, vermute ich, keinen Spaß, und werden zum Schutz von Demokratie und Zukunft aufrufen. Dass es ihnen aber in erster Linie um Machterhalt geht, werden sie natürlich nicht sagen.
    Übrigens darf man nicht vergessen: Auch die DDR hatte Wahlen und nannte sich eine „Volksdemokratie“.

    • Alexander Droste Antworten

      Wie es mit Demokratie aussieht, können wir am Umgang mit PEGIDA und AfD sehen. Zwar finde ich beides für mich nicht sonderlich unterstützenswürdig, aber ein sachlicher Umgang und Gefecht von Argumenten war völlig inakzeptabel und mutete schon sehr an DDR an.

      • S v B Antworten

        In höchstem Maße bedenklich war/ist doch, dass sowohl die politische Elite als auch die Medien im Lande aufmüpfige Bürger ausnahmslos und überall auf der Welt unterstützen, dass sie die sich wohl stets im Recht befindlichen so genannten Dissidenten bemitleiden, dass sie lautstark Solidarität mit ihnen anmahnen oder diese sogar in persona bezeugen (z. B. auf dem Maidan).

        In eklatantem Gegensatz dazu stehen die schäbige Meinungsmache, die unerträgliche Gesinnungsschnüffelei und die – zumindest – verbale Hetze gegen Dissidenten im eigenen Lande. Diese werden, je nach Gusto, als Nazis oder Pack diffamiert. Diese so auffällige Diskrepanz in der Einschätzung von politisch Andersdenkenden ist in der Vergangenheit noch kaum thematisiert worden. Sie ist inakzeptabel.

  3. Ruth Antworten

    Anonyme Wahlen nach dem Muster des Wahl-o-Mat hätte heute sicher ein anderes Ergebnis in SH gebracht. Denn viele wählen nicht, weil ihnen die ein oder andere Partei besonders zusagt, sondern eher so, weil sie eine andere Partei verhindern wollen.
    13.5% für die Grünen ist sicher kein Grund zu jubeln. Ich bin traurig – denn ich will mein Land wieder haben und das wird mit den Grünen nicht gelingen.

  4. colorado 07 Antworten

    Hallo SvB,
    Wie können Sie nur behaupten, in unserem Land gäbe es „Dissidenten“! In einem Land, in dem es uns nach Aussagen namhafter Politiker noch nie so gut ging wie heute. Da können doch nur noch die „Dissidenten“ werden, die verrückt sind, oder?

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