Die „große Volkspartei der Mitte“ (eigene Einschätzung) wurde bei der Bundestagswahl im September arg gerupft. 2,8 Millionen frühere Unionswähler kehrten CDU und CSU den Rücken, die meisten wanderten zu FDP und AfD ab. Was liegt für ein CDU-Mitglied also näher, als der Einladung zur Mitgliederversammlung in unserer Kleinstadt nach langer Zeit mal wieder zu folgen?

Der erste Eindruck ist erstaunlich positiv. 550 Mitglieder hat die Partei bei uns, für 70 war der Saal bestuhlt, schließlich drängten sich 126 Parteifreunde im Raum. Stühle und Tische wurden reingetragen, 26 leute saßen an unserem Tisch. Mineralwasser gab es reichlich, aber nur sechs Flaschen Bitburger standen bereit. Das können die Freunde von der bayerischen Schwesterpartei besser, wie ich letztens in Landshut erleben durfte.

19.30 Uhr, wenig Bier und zum Verzehr nur „Weckmänner“. Na gut, ein paar mehr aufgeweckte Parteifreunde und -freundinnen könnten der Union in diesen Zeiten gut zu Gesicht stehen…

Ich will sie nicht mit Regularien und Wahlergebnissen langweilen, aber zwei Dinge möchte ich Ihnen erzählen. Der neue Vorsitzende erhielt ohne Gegenkandidaten 30 Prozent Gegenstimmen. Der vorgesehene Geschäftsführer fiel ohne Gegenkandidat in zwei Wahlgängen krachend durch. Die Regie, die in der Partei Adenauers und Kohls, über Jahrzehnte reibungslos lief, hat Risse bekommen in der Provinz. Das war auch an den Tischen überall festzustellen, wo in einer Respektlosigkeit gegenüber der Parteivorsitzenden Merkel geredet wurde, die ich wirklich bemerkenswert fand.

Vielleicht erinnern Sie sich: CDU ist die Abkürzung für Christlich Demokratische Union, ein stolzer Anspruch, der sich in diesem Namen manifestiert. 18 Mitglieder wurden an diesem Abend in Funktionen gewählt oder nicht. Sie alle durften sich der Basis kurz vorstellen. Wir erfuhren, wer wie viele Kinder hat, wer verheiratet ist, wer einen Hund hat, wer was beruflich macht und wie lange er oder sie schon Mitglied ist und was im Schützen- und Sportverein geleistet wurde – Volkspartei halt. Nur eins fehlte: 17 Kandidaten erwähnten nicht, ob sie einer Kirche angehören, katholisch oder evangelisch sind. Lediglich ein Kandidat erwähnte, er sei evangelisch. Der Mann ist gebürtiger Japaner mit doppelter Staatsbürgerschaft. Er sagte auch, er bewundere Konrad Adenauer und sei stolz, in diesem großartigen Deutschland leben zu dürfen. Er war der Einzige, der an diesem Abend so etwas sagte…

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Dieser Artikel wurde 16 mal kommentiert

  1. Christian Konrad Adleff Antworten

    … Es müssen wohl wieder andere uns helfen und sagen, dass wir jemand sind und etwas Großartiges haben.

  2. colorado 07 Antworten

    „Er war der Einzige, der an diesem Abend so etwas sagte.“ – Das sagt eigentlich alles, oder?

  3. W. Lerche Antworten

    Was will eigentlich die CDU und was fordert sie derzeit in den Sondierungsgesprächen? Oder nimmt sie alles, was übrig bleibt? Ich weiß es nicht.
    Weiß überhaupt jemand, der weiß, wofür die CDU steht?
    Ich zähle mich zum Mittelstand und zur Mittelschicht. Ich fühle mich von allen bisherigen Regierungen ausschließlich abgezockt.
    Mein großer Fehler war, diesem Staat zu vertrauen und 1991 eine private Altersvorsoge abzuschließen. Unglaublich aber war, haben SPD und Grüne in 2004 wortbrüchig und rückwirkend beschlossen, von der Auszahlung in 2015 ganze 20% wegzunehmen. Und CDU mit FDP und CDU mit SPD haben das bewusst fortgeführt. Seit 13 Jahren befassen sich damit die Gerichte und Juristen leben gut davon. Ich bin so stocksauer auf all das dafür verantwortliche und profitierende Gesindel, dass ich die alle in einen Sack stecken möchte und mit einem Knüppel draufhauen.

    • Iris Wenke Antworten

      Wofür die CDU steht? – Für eine Raute voller nichts.
      Sehr geehrter Herr Lerche, Sie beschreiben sehr treffend das Lebensgefühl vieler Menschen in unserem Land ,“die schon länger hier leben“ und die sich zurecht um die Früchte ihrer fleißigen Arbeit betrogen fühlen.
      Aber wozu hat es geführt am 24. September? Die Wahlentscheidung interpretiere ich als ein „irgendwie doch weiter so“.
      Mich überzeugen die Veränderungen an der CDU- Basis, wie von Herrn Kelle beschrieben, in keiner Weise. Wenn eine Kanzlerin protestlos daherfaseln darf, sie wisse nicht, was sie anders hätte machen sollen und von der Jungen Union in Dresden grandios befeiert wird, dann habe ich jede Hoffnung auf kritische Selbstreflektion und Selbstbesinnung der CDU verloren.

    • Ruth Antworten

      .. Das Problem mit der Privaten Altersversorgung habe ich auch – ich bin auch den Ratschlägen gefolgt und habe in dieser Art für meine Rente vorgesorgt und bekomme jetzt weniger raus, als ich eingezahlt habe. Bei VWL und anderen Anlage sieht es nicht anders aus. Wenn ich dann irgendwelche Top Anlagetipps im Focus von sogenannten „Experten“ lese, werde ich wütend. Denn keiner dieser „Experten“ kann ausschließen, was sich die nächste Regierung an rückwirkenden Gesetzesänderungen einfallen lässt.

  4. Klaus Beck Antworten

    Lieber Herr Kelle,
    vielleicht habe ich es überlesen oder Sie haben es nicht erwähnt:
    Ging es an diesem Abend, außer an den Tischen selbst, auch um Politik, also so um richtige Politik in der Art, wie man früher Politik machte, also im ganzen Saal mit „Open end“, mit moderiertem Austausch von Behauptung bzw. Argument, mit Diskussion, mit Ringen um (s)eine Position und schließlich mit einem Ergebnis?

    Mineralwasser, Bitburger, Gebäck, Regularien, Wahlergebnisse, 18 Vorstellungsmonologe mit Erwähnung seines Schützenvereins, seiner Position in der Fußballelf und des eigenen Hundes – alles furchtbar nett und man kann auch richtig (mit-)leiden beim bloßen Lesen. Das alles erinnert mich an das inzwischen endemische Angebot an Workshops, Seminaren, Teambesprechungen, Konferenzen, Stuhlkreisen und Selbsterfahrungsgruppen, in denen seit mindestens 15 Jahren immer mehr Menschen auf allen Ebenen des Zusammenlebens in den Strudel der eigenen Deprofessionalisierung hineingezogen werden und dann diese Tragödie bei Kaffee und Kuchen auch noch lasziv zelebriert wird.
    Fehlt eigentlich nur noch der Neuhaus-Moderationskoffer mit ein paar farbigen Wölkchen an der Pinnwand und die Frage des CDU-Diskussionsleiters: „Herr Mayer, was spüren Sie jetzt gerade, wenn Herr Müller Sie an dieser Stelle mit Ihren Argumenten zurückweist?“.

    Nachtrag:
    Politik, Mineralwasser, Bitburger und „Weckmänner“ klingen auch irgendwie nach Loriots „Vereinssitzung“ zum Thema „Verein für Karneval trotz Frau und Umwelt“ …

  5. Alexander Droste Antworten

    Solche Veranstaltungen sehen „bei uns“ anders aus. Jeder sorgt selbst für sein Wohl und es wird über Politik geredet. Politik in der Welt, im Land, im eigenen Laden. Konstruktiv, informativ, informell, gesittet. Es wird diskutiert und abgestimmt. Kein Werfen mit Dreck sondern einzig mit Satzung und Programm. Davor musste sogar der Bundesvorsitzende klein bei geben, ist zurück und ausgetreten – zur großen Überraschung.

  6. Ruth Antworten

    Sehr geehrter Herr Kelle,

    ich hatte beim lesen Ihres Artikels den selben Eindruck wie Herr Beck. Worum ging es? Welche Veranstaltung war es? Um den Kegel- oder Kaninchenzuchtverein? Wir brauchen einen neuen Schriftführer und Kassenbuchführer?

    Es gibt 550 Mitglieder und man rechnet nur mit 70 Personen? Was ist da im Vorfeld schief gelaufen?
    Gut man freut es sich, es kamen doch mehr – und dann?

    Warum hat keiner der Gewählten es für nötig gehalten zu erwähnen, was ihm oder ihr politisch wichtig wäre. Kind, Hund, Verein – gut und schön, bei einem privaten Plausch im privaten Kreis, aber sollte es bei so einer Veranstaltung nicht um etwas anders gehen?

    Dennoch verstehe ich was Sie meinen. Nur einem schien es wichtig zu sein zu erwähnen, dass er evangelisch ist – lag es an seiner Herkunft? Da es bei einem gebürtigen Japaner nahe liegen könnte, dass er kein Christ ist? War es deshalb wichtig für ihn, dies extra zu betonen und den anderen nicht, weil sie es für selbstverständlich ansehen? Oder halten sich die anderen eher an die Devise Trennung von Kirche und Staat? Oder der persönliche und private Glauben ist den anderen so egal, dass sie dies nicht für erwähnenswert halten?

    Realität in Deutschland?

    • Klaus Kelle Antworten

      Liebe Ruth, ich kenne Sportvereine mit 1500 Mitglieder, wo zur Hauptversammlung auch nur 70 Leute kommen. Ich selbst gehöre einem Profi-Sportverein mit 8.500 Mitgliedern an, da kommen zur Jahreshauptversammlung 330…insofern ist die Quote beim CDU-Ortsverband nicht sooo schlecht.

      • Ruth Antworten

        Nun, sicher ist die Quote nicht sooo schlecht, zeigt aber auch, wie wenig selbst Parteimitglieder ehrlich möchten, dass sich etwas ändert.

        Die Mehrheit der Basis schweigt.

        Und dann hoffen wir, dass sich mehr Menschen politisch engagieren, wenn selbst Parteimitglieder dies nicht für wichtig halten?

        Alles gut, im eigenen Lebensumfeld in der „Provinz“ ist noch alles in Ordnung, also warum die Aufregung?

        😉

  7. S v B Antworten

    Nun ja, dafuer haben sich laengst die muslimischen CDU(!!!)-Parteimitglieder (oder waren es nur die Parlamentarier…?) zu einem Unterverein zusammengeschlossen. Ist doch auch was, oder nicht? Ironie aus. Deutschlands Weg scheint vorgezeichnet.

  8. Andreas Antworten

    Welchen Sinn würde der Titel „Kaninchenzüchterverein“ machen, wenn bei ähnlicher Wahl nur einer der Kandidaten noch Kaninchen züchten würde und der Rest Hühner, Kanarienvögel oder mexikanische Vogelspinnen?

    Gar keinen. Eben.

  9. W. Lerche Antworten

    Haben die Leute auch verraten, warum sie in diesem CDU-Orts-Verband (oder Verein) sind?
    Ich wollte früher auch in eine Partei eintreten, weil ich die Welt verbessern wollte und mit einer Partei es mehr Möglichkeiten dafür gibt.
    Was konkret wollen die CDUler in solchen gut besuchten Orts-Versammlungen bewegen? Oder wollen sie nur drin sein? „Dabei sein ist alles, treten sie ein, hier gibt es was zu gewinnen. Jedes Mitglied gewinnt.“
    Was bewegt normale Leute an der Basis, sich einer Partei zu verschreiben? Und was bewegt sie dazu, wenn sie deren Führungsspitze und Kurs ablehnen?
    Was würde passieren, wenn alle Ortsvereine aufgelöst würden, nur noch die Abgeordneten in Bund und Ländern übrig blieben? Wenn wie Frau Petry alle Mitglieder ihre Partei verlassen würden, weil sie ihnen untragbar geworden ist?
    Wer würde dann noch die Interessen der Finanz-Eliten nach unten absichern?

  10. W. Lerche Antworten

    Jetzt weiß ich immer noch nicht, was die CDU eigentlich will und welche meiner bürgerlichen Interessen sie vertritt. Übrigens weiß ich das auch von anderen Parteien nicht. Ich weiß auch nicht mehr, was diese Parteien Gutes für Deutschland und die deutsche Bevölkerung wollen.
    Inzwischen traue ich infolge Wort- und Vertrauensbruch keiner privaten Altersvorsorge mehr. Ich weiß seit geraumer Zeit nicht mehr, welches Auto ich kaufen soll, um nicht erneut einer Entwertung durch die Politik zum Opfer zu fallen. Und neuerdings habe ich Angst, eine Frau nett anzusprechen oder für sie die Tür aufzuhalten, um nicht als sexueller Belästiger ausgerufen zu werden.
    Menschenmengen, Jahr- und Weihnachtsmärkte meide ich, um nicht Opfer von Messern, Fahrzeugen oder Bomben zu werden. – Ein klein wenig Übertreibung sei mir gestattet, jedoch ist überall Wahrheit dabei.

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