Ein Staatsbürger bei schwerem Regelverstoß erwischt

Meine Mutter (93) muss alle paar Wochen zum Arzt nach Willich, einer verschlafenen Kleinstadt am Niederrhein. Sie ist noch klar im Kopf, aber ziemlich wackelig auf den Beinen. Direkt vor der Praxis befindet sich ein Parkplatz, auf dem praktisch immer Stellplätze frei sind, so auch vorgestern. Und so parkte ich wie jedesmal, nahm meine Mutter an den Arm und ganz langsam gingen wir zur Praxis, vielleicht 70 Meter weit. 30 Minuten sitzen im Wartezimmer, 10 Minuten Behandlung, neuer Termin, raus. Dann 70 Meter zurück, ganz langsam.

Hinter dem Scheibenwischer unseres Autos – Sie ahnen es – steckte ein Strafzettel. Was hatte ich verbrochen? Eine Frau sexuell belästigt? Jemanden auf offener Straße niedergestochen, was man so häufig liest in letzter Zeit? Wenigstens jemanden so zugeparkt, dass er nicht rausfahren konnte? Nein, nichts von alledem. Ich hatte vergessen, die Parscheibe gut sichtbar zu platzieren. 10 Euro Bußgeld, das Knöllchen ausgestellt von einer „Verkehrsüberwachungskraft OG“.

Natürlich habe ich den Betrag als guter Staatsbürger heute Morgen überwiesen. Sonst werden noch 40 Euro im Zuge des Mahnverfahrens daraus. Aber ich habe immer noch erhöhten Blutdruck. Mit was beschäftigt sich unser Staat – in diesem Fall unsere Kommune – eigentlich? Diese Leute, die auch von mir ihr Gehalt beziehen? Warum kann ich nicht meine Mutter zum Arzt fahren, parken und wieder nach Hause fahren, ohne abkassiert zu werden? Was für trostlose Existenzen werden eigentlich „Verkehrsüberwachungskräfte“?

Ich schreibe häufig über solche Kleinigkeiten, die natürlich nicht so relevant sind, wie viele andere Themen jeden Tag. Aber sie sind ein Symptom einer – aus meiner Sicht – kranken Wohlstandsgesellschaft, die sich mit Hingabe den Lappalien zuwendet, gleichzeitig aber versagt, auch die großen Probleme wenigstens versuchsweise – aber ernsthaft – in Angriff zu nehmen.