Es ergibt keinen Sinn, die Realität zu ignorieren

Aldi-Süd bietet derzeit Spezialitäten aus dem Orient an. Zumindest in der AldiFiliale meines Vertrauens sahen die Regale gestern Nachmittag weitgehend unangetastet aus. Der Muslim an sich steht derzeit in Deutschland und anderen Teilen der Welt augenscheinlich bei vielen Menschen nicht sonderlich hoch im Kurs, und mein Eindruck ist, dass sich das u. a. auch auf das Kaufverhalten von Nicht-Muslimen auswirkt. Doch ganz im Ernst: Was können leckere Baklava und ihre Produzenten für die Gewaltorgie des „islamischen Staats“ (IS) im Nahen Osten?

Immer, wenn es bei Diskussionen um den Islam geht, mahne ich eindringlich zu einer differenzierten Betrachtung. Weil jemand freitags in ein anderes Gotteshaus geht, um zu beten, ist er nicht automatisch mein Feind. Und natürlich beunruhigen mich die Salafisten-Aufmärsche überall in Deutschland und Europa, der Hass von Demonstranten aus Palästina und dem Libanon gegen Israel, die gruseligen Videobotschaften verblendeter Islamisten aus der deutschen Provinz. Doch ich habe zu viele sympathische Menschen insbesondere aus der Türkei kennengelernt, die hier arbeiten und leben, unsere Gesetze und unsere Traditionen achten, um sie pauschal als mutmaßliche Terroristen oder Eroberer sehen zu können. Etwa die türkischen Eltern von Kindergartenkindern, die sich mit unseren Kids angefreundet hatten. Oder den türkischen Speditionsunternehmer, der einer katholischen Kirchengemeinde in seiner Nachbarschaft 3.000 Euro gespendet hat, weil sonst deren Weihnachtskonzert ausgefallen wäre. Oder türkischstämmige Kollegen aus Redaktionen, die abends beim Feierabend-Bier in der Kneipe selbstverständlich dabei waren, und sich nicht im Geringsten darum scherten, was Allah wohl zu ihrem Bier-Konsum meint.

Aber auf der anderen Seite muss man schon sehr politisch korrekt sein, um darüber hinwegzusehen, dass wir ein ernstes Problem mit denjenigen Muslimen haben, die zwar bei uns, aber nicht mit uns leben wollen. Kein Tag vergeht ohne die medial gern als „bedauerliche Einzelfälle“ bezeichneten Zwischenfälle. Sie werfen deutliche Schatten auf das von großen Mehrheiten durchaus gewünschte friedliche Miteinander. Und dann ist da noch der türkische Staat, repräsentiert durch den Präsidenten Erdogan. Unter seiner Führung rückt die Türkei zunehmend vom Weg eines säkularen Staates, der Partner der westlichen Länder sein will, ab. Der Abstand zum Rechtsverständnis Europas, die verbreitete Korruption und besonders der Umgang mit politisch Oppositionellen – all das passt nicht zur westlichen Wertegemeinschaft. Ganz besonders deutlich wird das in diesen Tagen beim Überlebenskampf der Kurden gegen die anstürmenden menschenverachtenden IS-Barbaren. Während USA und europäische Partner den Kurden inzwischen auf vielerlei Wegen Hilfe schicken, steht die Türkei daneben und tut nichts. Doch halt, vor ein paar Tagen soll die türkische Armee kurdische Stellungen angegriffen haben…

Ist das ein Partner für Europa und ein zukünftiges EU-Mitglied? Ich denke nicht. Die Konsequenz aus den aktuellen Ereignissen sollte der sofortige Stopp der vorbereitenden Verhandlungen über eine Aufnahme der Türkei in die EU sein. Zumindest so lange Herr Erdogan dort auf der Kommandobrücke steht, besteht keinerlei Aussicht auf eine Hinwendung des Landes zu einem freiheitlichen Staat westlicher Prägung. Es macht keinen Sinn, dies zu ignorieren. Und ein NATO-Land, das in einer kriegerischen Auseinandersetzung genau entgegengesetzt zu dem handelt, was alle seine Verbündeten denken und tun, braucht das westliche Bündnis übrigens auch nicht mehr.