Es gibt Schlimmeres als einen Bahnstreik

Geschäftlich führte mich mein Weg heute nach Stuttgart. Der Bahnstreik ist vorbei, so entschied ich mich für das Reisen auf Gleisen. Und der vorherige Erwerb einer Bahncard 25 sollte die Kosten in einem erträglichen Rahmen halten. Punkt 9 Uhr wartete ich also im sogenannten Fahrgastcenter des Krefelder Hauptbahnhofs, als 13. in der Schlange vor dem einzigen geöffneten Schalter. Dort stand ein Fahrgast mit einem Katalog. Er wollte offenbar eine umfangreiche Reise buchen, war sich aber wohl noch nicht sicher, wohin und woher und in welchen Hotels er wohnen sollte. Die Uhr zeigte mittlerweile 9.17, mein Regionalzug nach Düsseldorf sollte um 9.43 Uhr fahren. Ich war jedoch weiterhin 13. in der Schlange, neben mir harrte meine Frau aus, wohl weil sie mich wirklich liebt. Da öffnete sich im Hintergrund eine Tür und heraus trat eine weitere Bahn-Bedienstete, die Platz an einem der anderen verwaisten Schalter nahm. Allerdings hatte sie zunächst Probleme, ihren Computer hochzufahren. Schließlich funktionierte es. Sie stand auf, ging gemessenen Schrittes zu einem Wandschrank, um Kopierpapier zu holen, als Bewegung in die Szenerie kam. Ein Briefträger erschien mit einem Päckchen, zog an uns allen vorbei und eilte zu Schalter 2. Aus dem Hintergrund rief Bahnfrau 2 laut zur Tür: „Ingrid, kannste mal eben kommen.“ Ingrid kam, nahm das Päckchen entgegen und verschwand wieder.
Die Uhr zeigte 9.23. Der zweite Schalter wurde geöffnet. Am Schalter 1 weiter der Urlauber. Ich rückte in der Schlange vor auf Platz 12. Sekunden später sogar auf 11, denn die ältere Dame, die eine halbe Stunde vorn in der Schlange gewartet hatte, wollte nur schnell etwas fragen. Zehn Sekunden, und sie war fertig. Um 9.28 Uhr geschah etwas Unerwartetes. Die Tür im Hintergrund öffnete sich erneut, und heraus trat die oben bereits erwähnte Ingrid. Dieses Mal, um einen dritten Schalter zu öffnen. Was soll ich sagen, nun ging es voran. Um 9.35 Uhr war ich an der Reihe. Eine Bahncard und einen Fahrschein nach Stuttgart. Und bitte schnell, ich muss den 43 nach Düsseldorf erreichen. Ingrid strahlte überlegen: „Das sind ja noch neun Minuten.“ Und tatsächlich, um 9.40 Uhr hatte ich alles zusammen. Letzte Frage an Ingrid: Von welchem Gleis fährt der 43? Noch ein zauberhaftes Lächeln: „Von Gleis 3.“ Ein schneller Abschiedskuss noch für meine Gemahlin, dann rannte ich los.
Oben auf der Treppe stellte ich fest, dass es Gleis 3 gar nicht mehr gab. Bauarbeiten, alles aufgerissen, Sandberge und Absperrungen. Wegen der Bauarbeiten, so fand ich später heraus, gab es einen Sonderfahrplan. Um 9.43 Uhr fährt derzeit gar kein Zug nach Düsseldorf. Der nächste wäre zu spät, um noch den ICE von Düsseldorf nach Stuttgart zu erreichen. Also meine Frau angerufen, gebeten, mit dem PKW zurückzukommen, und mich nach Düsseldorf zu fahren. Unterwegs haben wir kaum gesprochen. Einmal sagte sie: „Ich bin heute wirklich froh, dass wir in Deutschland so restriktive Waffengesetze haben…“ Keine Ahnung, was sie damit sagen wollte.
Um 10.19 Uhr erreichten wir den Vordereingang des Düsseldorfer Hauptbahnhofs. Ich musste zu Gleis 15, das ist beim Hinterausgang. Mit einem Zwischenspurt erreichte ich um 10.22 Uhr den ICE, gerade als per Lautsprecher verkündet wurde, dass jetzt „die Türen automatisch schließen“. Aber ich war drin. Es gab zunächst keinen Sitzpolatz im ganzen Zug, später rutschte durch das Ruckeln mein Kaffee vom Tisch und tränkte mein rechtes Hosenbein mit der braunen Brühe. Ich finde, die GDL sollte ihren Streik wieder aufnehmen. Dann kommt unsereins gar nicht mehr in Versuchung, sich diesem Irrsinn auszusetzen.