GASTSPIEL: Heinrich Schmitz* über den Rechtsstaat, der an Akzeptanz verliert

Obwohl ich in meiner Kolumne bei „The European“ immer wieder Fehler und Fehlentwicklungen innerhalb der Justiz kritisiert habe, mag ich unseren Rechtsstaat. Ich behaupte sogar, dass es einer der besten auf der Welt ist und auf jeden Fall der beste, den Deutschland je hatte. Alleine die Möglichkeit, diesen Rechtsstaat zu kritisieren, ohne dafür für längere Zeit in einem Lager zu verschwinden oder 1.000 Peitschenhiebe zu kassieren, ist was Feines. Das geht außerhalb Europas lange nicht überall. Und trotzdem wird das Gemecker über den deutschen Rechtsstaat im Allgemeinen und die Justiz in Speziellen immer lauter.

Nun sind Meckern und Maulen, Unzufriedenheit und schlechte Laune schon immer gern gehegte „deutsche Werte“ gewesen, gleichwohl habe ich zumindest das Gefühl, das Image des Rechtsstaats war selten so schlecht wie heute. Da mögen tatsächliche Mängel, wie überlange Verfahren infolge einer erheblichen Unterbesetzung von Richter- und Staatsanwaltsstellen eine Rolle spielen, viel gefährlicher scheint mir aber ein grundsätzliches Abwenden vieler Bürger vom Rechtssystem zu sein. Leider wird dies von diversen Politikern auf verschiedene Weise auch noch gefördert. Das Grundgesetz scheint beim Entwurf und der Verabschiedung neuer Gesetze nicht mehr wirklich ernst genommen zu werden. Da werden Projekte wie das Betreuungsgeld oder die Maut aus parteipolitischen Gründen im Eilgang durch die Gesetzgebungsmaschine gejagt, ohne sich vorher über den verfassungsmäßig richtigen Weg oder Inhalt ernsthafte Gedanken zu machen. Und wenn die Juristen des Parlaments Bedenken anmelden, werden diese locker vom Tisch gefegt. Das mag ja machtpolitisch ganz lustig sein, es ist aber gefährlich.

Und wenn dann das Bundesverfassungsgericht völlig zu Recht die Reißleine zieht und wieder mal die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes feststellt, dann gehen die beteiligten Politiker nicht etwa in sich, stellen fest, das ihre Macht in einem Rechtsstaat nicht unbegrenzt ist und entschuldigen sich für ihr unüberlegtes Vorpreschen – Nein, die prügeln dann lieber verbal auf das Verfassungsgericht ein und fordern, dessen Macht zu begrenzen. Wenn sogar Bundestagspräsident Lammert (CDU) da munter mitmischt, warum soll dann nicht auch neben dem Gröl-Pöbel auf der Straße irgendwann der ganz normale Bürger gegen die Gerichte hetzen? Es mag ja ärgerlich sein, wenn man als Parlamentarier mal wieder dabei ertappt wurde, ein verfassungswidriges Gesetz durchgewunken zu haben, aber das sollte einen nicht dazu veranlassen, mit pampigen Reaktionen ein Feuerchen zu entfachen, das man irgendwann nicht mehr gelöscht bekommt.

Es gibt natürlich auch ganz clever eingefädelte Propaganda, die die Bürger ganz gezielt gegen den Rechtsstaat aufhetzen soll. Die kommt einmal von Menschen, die lieber einen Rechts-Staat als einen Rechtsstaat hätten. Da wird Härte gegen Kriminelle und noch mehr Härte gegen kriminelle Ausländer gefordert – oder der Einfachheit halber gegen alle Ausländer. Da wird „Kuscheljustiz“ angeprangert und unverhohlen nach der Todesstrafe z.B. für „Kinderschänder“ gerufen. Und das Schlimme ist, dass da nicht nur die offen staatsfeindliche NPD aktiv ist, sondern auch ganz normale Muttis, die sich brav zu Hause um die Kinder kümmern und jeden Sonntag in die Kirche rennen.

Auf der anderen Seite des Spektrums wird die Justiz als rassistisch, faschistisch und was auch immer geschmäht. All Cops Are Bastards usw. Rechts und Links tun sich nicht viel in der Ablehnung des Rechtsstaats. Und wie es aussieht, wird die Mitte von beiden Rändern her immer dünner. Extreme Positionen werden gesellschaftsfähig. Kritik am Rechtsstaat als Stimmenfang. Wen interessieren schon Fakten über die Justiz, wenn man meint, mit etwas „gesundem Menschenverstand“ ließe sich nicht nur alles verstehen, sondern auch noch die „Wahrheit“ erkennen?

Der Rechtsstaat hat’s nicht leicht. Er kann nicht einfach mal zurück pöbeln. Er ist an Recht und Gesetz gebunden. Das ist auch gut so.

Der 57-jährige Jurist Heinrich Schmitz arbeitet als Strafverteidiger und war Kolumnist bei The European. Er hat das zweite Staatsexamen in Düsseldorf absolviert und führt seit 1987 in Euskirchen zusammen mit einem Partner eine Anwaltskanzlei. Bundesweit bekannt wurde er durch Fernsehauftritte unter anderem in Spiegel TV. Schmitz ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. *Nach Beleidigungen und üblem Mobbing gegen sich und seine Familie hat Schmitz vor wenigen Wochen öffentlich erklärt, nicht mehr politisch publizieren zu wollen. Da war dieser Text bereits geschrieben, und wir sind ihm dankbar, dass wir die Genehmigung erhalten haben, den Beitrag noch zu drucken.

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Dieser Artikel wurde 10 mal kommentiert

  1. R. Ingo Antworten

    ,,… der Grölpöbel“, aha! Den darf es in einem Rechtsstaat, der die ,,Menschenwürde“ als unantastbar ansieht ja nicht geben. Oder?
    Herr Schmotz wollte sich ja nicht mehr politisch äußern, wegen angeblicher Bedrohung und so. Oder gab es die nie?

  2. Cicero Antworten

    „Extreme Positionen werden gesellschaftsfähig. “

    Ich drücke es etwas anders aus:

    Unsere Gesellschaft zergliedert sich weltanschaulich.
    Das äußert sich zum einen darin, daß tatsächlich zunehmend extreme Positionen gesellschaftsfähig werden. Die politische Landschaft franst sozusagen an den Rändern aus.
    Doch das ist es nicht allein, denn zum anderen verlieren über Jahrzehnte unhinterfragt gültige Grundlagen unserer Gesellschaft zunehmend ihren Status als allgemeiner Konsens. Dazu gehört nicht zuletzt das Zulassen einer anderen Meinung, was ja gerade die Grundlage eines gesellschaftlichen Diskurses ist.

    Aber auch in anderen Bereichen gehen solche gesellschaftlichen oder auch kulutrellen Grundlagen zunehmend den Bach herunter.

  3. Karl de Molina Antworten

    Sehr geehrter Herr Schmitz,
    Durch einen Autoumfall habe ich die deutsche Justiz etwas näher kennen gelernt. Dies hat auch dazu geführt, dass ich manche Ereignisse an fremden Personen genauer analysiert habe. Auch Nachrichten über Ereignisse in Deutschland, wo Polizei, Staatsanwaltschaft, Richter und Politiker involviert waren. Das Ergebnis ist verheerend. Wir sind (vermeintlich) in einem Rechtsstaat ist mein Fazit. Viele Menschen wissen nicht, wie der Staat die Justiz anwendet. Es hat RA gegeben, die sich z.B. im manager magazin geäußert haben, auch Journalisten in der FAZ. Die Justiz in Deutschland bedarf einer gründlichen Überprüfung. MfG

  4. S v B Antworten

    Wie heißt es doch so treffend: Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand (oder so ähnlich). Der Rechtsstaat kann mit Fug als die höchste Entwicklungsstufe und ideale Staatsform einer demokratisch strukturierten Gesellschaft betrachtet werden. Demnach stellt er eine kostbare Errungenschaft dar, die es um jeden Preis zu wahren gilt. Leider häufen sich in jüngerer Zeit Vorfälle, welche den aufmerksamen Bürger verunsichern und bei ihm Zweifel nähren, ob die Recht sprechenden Instanzen dem hohen Anspruch auf wahre Rechtsstaatlichkeit in Prozessführung und Urteil wirklich ausnahmslos genügen.

  5. R.Ingo Antworten

    Ja, der „Rechtsstaat“ ist ein hohes Gut. Niemand der irgendwie „normal“ tickt möchte sich einen Unrechtsstaat wünschen. Aber was ist denn mit einem „Rechts-Staat“ gemeint? Ist das was ganz Böses? Böser als ein Links-Staat? Ein Rechtsstaat ist durch das Grundgesetz garantiert, egal welche Partei oder Koalition regiert. Ist eine „rechte“ (nicht rechtsextremistische oder rechtsradikale) Partei schlimmer als eine linke, die sich auch öffentlich so nennt? Seltsame Vorstellungen von Demokratie! Demokratie lebt von Pluralismus und Meinungsfreiheit. Wer Bürger, die ihr Verfassungsrecht auf Demonstration wahrnehmen und die nicht das rhetorische Talent eines Herrn Schmitz besitzen, die auch keinen Blog betreiben können um ihre Meinung im Internet kundzutun, einfach weil sie niemand kennt und daher auch nicht lesen würde, als „Grölpöbel“ beschimpft, nur weil diese nicht die Meinung des Herrn Schmitz teilen und „grölen“, der sollte sich mal an die eigene Nase fassen und überlegen ob er mit „Rechtsstaat“ noch den aktuellen Staat meint oder sich insgeheim einen anderen Staat wünscht, wo der Grölpöbel“ jurzerhand vogelfreiähnlich rechtlos öffentlich an den Pranger gestellt wird!

    Außerdem hat der Herr Schmitz den sogenannten „Rechts-staat“ (was immer dies auch heißen sollte), als „Antimodell zum Rechtsstaat genannt, die islamische Invasion, die sich in Europa immer mehr flächendeckend als Machtstruktur installiert (siehe Kosovo, siehe Bosnien, Frankreich, Schweden, GB, Deutschland, neuestens wird in Bukarest eine Riesenmoschee, komplett vom türkischen Staat finanziert, genaut) lässt der gute Herr Schmitz unerwähnt. Besteht nicht die viel größere und akutere Gefahr dass wir eines Tages in einem islamischen Gottesstaat aufwachen als in einem von ein paar armseligen Möchtegern-Führer die besoffen Parolen schreien und Hakenkreuze an die Wände schmieren, durch einen Staatsstreich hergeputschten 4. Reich?Wieso ignoriert Herr Schmitz eine solch immanente Bedrohung einerseits und baucht dafür die „Rechts“-Gefahr dermassen auf,als stünde die Machtübernahme durch die „Rechten“ unmittelbar bevor?

    Was Herr Schmitz hier betreibt ist pure Mainstreampropaganda und nichts weiter. Ich jedenfalls kann mir kaum vorstellen dass jemand für solche Artikel Todesdrohungen bekommt. Warum auch? Wenn alle Mainstreamjournalisten für ihre billige Propaganda bedroht würden, dann hätten die paar rechten Hanseln aber viel zu tun, der Tag würde nicht reichen!

    • S v B Antworten

      Wie RECHT Sie haben, R. Ingo! Der Staatsfeind wird RECHTS verortet. NUR rechts. Ein Notfall für die Augenklinik. Diagnose: massive Sehstörungen, nein Blindheit, auf dem linken Auge. Und auf vielen „anderen Augen“ auch.

  6. EMOS Antworten

    Ach, das richtet sich. In der zukünftigen Einwanderergesellschaft, die ja aus rassistischen Gründe keine Integration fordert und dem kultischen Pluralismus, dem Nebeneinander verschiedener Gesellschaftlicher Entwürfe, huldigt, bereitet anderen Normsystemen ja den Weg. Spätestens wenn die Scharia Teil des Rechtssystem ist (Vgl. NL und GB) wird sich dass schon etablieren, dass man rechts- , links- oder religiös-faschistische Weltwahrnehmungen in entsperchend kodifizierte Formen überträgt.
    #ironieaus

  7. Alexander Droste Antworten

    Es gibt eine Vielzahl von Vorkommnissen in der politischen Landschaft der letzten Jahre, die verdächtig sind, den in der Tat einmaligen Rechtsstaat zu unterminieren. Das deutsche Volk hat in diesbezüglicher Wahrnehmung sehr feine Antennen, nur aber nicht die mentale Kraft, diese Missstände konkret zu benennen. Dafür wäre ja auch die Presse nötig. Aber manches ist ganz auffällig geworden: Die Presse berichtet nicht mehr wirklich objektiv. Sie lässt sich für Propaganda vereinnahmen. Die Politik lässt sich von Wirtschaftslobbyisten gängeln, macht sich zum Handlanger anstatt zu regulieren. Daher schwindet der Mittelstand. Das Volk verlangt nach mehr Ehrlichkeit. Das Sicherheitsgefühl schwindet, da die Exekutive immer schwächer wird (z.B. die Polizei darf nicht mehr Staats-Gewalt ausüben um durchzugreifen), die Judikative sich grobe Schnitzer erlaubt (Stichwort z.B. Ampelweibchen) und die Legislative nicht mehr weiß, was sie sich selber auferlegt hat (z.B. was ist jetzt Ländersache oder Bundeskompetenz?). Je tiefer man gräbt, desto unheimlicher wird dieser Rechtsstaat weil mehr Fragen entstehen als eindeutige Aussagen. Das Übrige sei schon in vorigen Beiträgen angemerkt. Wie soll man da Vertrauen schöpfen?
    Rechtsstaat bedeutet Transparenz, Ehrlichkeit, Eindeutigkeit, Klarheit, Disziplin und nicht zuletzt der Schutz beginnend mit den Schwächsten.
    Wenn der Staat mitsamt seines wichtigsten Organs, der Presse derart herum stümpert, dann beginnen selbstredend einige Kräfte an den „Rändern“ im Land das Zepter selbst in die Hand zu nehmen. Wen wundert’s außer selbstgefälligen Journalisten?

  8. Friedrich Albrecht Antworten

    Also, wenn man einige Verfahren (Zivilrecht) vor Amts-, Land- und Oberlandesgericht mitgemacht hat, können schon Zweifel an der konkreten Umsetzung unseres Rechtsstaates entstehen. Wenn man dann noch erfährt, daß als Richter nur 1er-Juristen eingesetzt werden und dann solche Vertreter des Rechtsstaates im Gerichtssaal erlebt, ist man doch sehr desillusioniert.

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