GASTSPIEL PHILIPP FELS: Die Politik trägt die Schuld an der Misere der deutschen Bauern

„Wir müssen …“, „wir können …“ „sehe uns alle in der Pflicht …“ – zum Auftakt der „Grünen Woche“ in Berlin hat Julia Klöckner (CDU) eine exemplarische Rede gehalten. Exemplarisch, weil sie so typisch politisch war, also unverbindlich und wenig konkret. Immerhin: Die Landwirtschaftsministerin scheint inzwischen erkannt zu haben, dass ihr Hinhalten der Bauern, die ungehobelte Verweigerung der Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und eine sture Kanzlerin, sehr viel Resignation und Wut schüren. Deshalb hielt sie sich zumindest beim Rundgang öffentlich mit Forderungen gegenüber den Landwirten bedeckt und verteilte ihre Ermahnungen gleichermaßen auch auf die Verbraucher und den Handel.

Das könnte man als positive Entwicklung bewerten. Zwar mahnte Klöckner die Verbraucher, für die geforderte und gelieferte Qualität höhere Preise zu zahlen, zwar rügte sie die oft rüden Methoden des Lebensmittelgroßhandels gegenüber den Landwirten, die oft kaum Herstellungspreise erzielen können, aber auf das Kernproblem ging sie nicht ein: Die Politik. Denn hier liegt, spätestens seit Ende des Zweiten Weltkrieges, grotßteils Verantwortung für die heute oft öffentlichkeitswirksam beklagten und der Verantwortung der Bauern zugeschobenen Zustände in der Landwirtschaft.

Die Konditionierung der Deutschen beim Einkauf von Lebensmitteln, war politisch gesteuert und gewollt. Die Menschen im Nachkriegsdeutschland sollten möglichst wenig Geld fürs Essen ausgeben müssen. Und so wurden Subventionen an die Landwirtschaft bezahlt, damit diese ihre Erzeugnisse billig in den Handel geben konnte. Das Land sollte flächendeckend eine bäuerliche Struktur aufweisen, um im Krisen- oder Kriegsfall eine Versorgung mit Grundnahrungsmitteln sicherstellen zu können. Auch dafür wurden bäuerliche Unternehmen vom Staat gestützt, die am Markt nicht zu halten gewesen wären. Der Handel gewöhnte sich daran, dass die Bauern „ihre Ernte“ bereits zum Teil „vom Staat“ bezahlt bekamen. Und die Verbraucher durchschauen bis heute nicht, dass sie ihre „günstigen“ Lebensmittel im Voraus mitfinanzieren: über Steuern, die in Subventionen oder Direktzahlungen an die Bauern gehen.

Ein geldgesteuertes System ruft Abhängigkeiten und ein Anspruchsdenken des Gebers gegenüber dem Nehmer hervor. Der Ärger der Landwirte über die Abhängigkeit vom Staat wuchs mit jeder weiteren Einschränkung ihrer unternehmerischen Freiheit. Die Bauernverbände haben dennoch bis heute kaum andere Ideen, als von der Politik zu fordern, die erdrückende Auflagenlast der Landwirtschaft mit weiteren „Schmerzensgeldern“ zu kompensieren. Doch irgendwann reicht es auch dem Leidensfähigsten: Weder Geld aus Brüssel noch aus Berlin kann noch aufwiegen, was man Bauern seitens der Politik heute abverlangt: Abgesehen von ständig strenger werdenden Regelungen wie z. B. die scharfe Begrenzung der Ausbringung von Pflanzennahrung in Form von Gülle und Dünger und die Pflicht zum Anlegen von Blühstreifen, gibt es immer striktere Vorschriften in der Tierhaltung, die massive Um- oder Neubauten der Ställe notwendig machen. Mit Geld ist das nicht mehr zu kompensieren.

Das Überleben der heimischen Bauern haben Bundesregierung und EU darüber hinaus gerade mit dem fatalen MERCOSUR-Handelsabkommen weiter in Frage gestellt: Dieser Vertrag mit den Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay öffnet den Markt für billig produzierte landwirtschaftliche Produkte, die nicht nach europäischen, geschweige denn nach deutschen Qualitätsstandards produziert werden: So werden in Übersee noch Pflanzenschutzmittel eingesetzt, die hier in Deutschland seit Jahren streng verboten sind. In der Tiermast werden Stoffe eingesetzt wie unter anderem der Wachstumsförderer „Ractopamin“, die hier nicht erlaubt sind. Die Lebensbedingungen der Rinder sind teils erbärmlich und würden in Deutschland zur sofortigen Schließung des Betriebes führen. Dennoch überschwemmen derart hergestellte Produkte künftig wohl den europäischen und deutschen Markt. Sie werden hier wegen ihrer billigen Preise auch Abnehmer finden. Zumindest einem Teil der regionalen Landwirtschaft kann MERCOSUR das Genick brechen. Diese Verantwortung der Politik vergaß Julia Klöckner zu erwähnen. Ist ja auch komplex.