In den Fängen von Justitia: Vorzugsbehandlung für Promis? Das Gegenteil ist der Fall…
Seit drei Tagen lese ich das Buch „A115 – Der Sturz“. Der frühere Top-Manager Thomas Middelhoff (Bertelsmann, Arcandor) erzählt darin seine Erlebnisse in der Essener Haftanstalt und mit der deutschen Justiz. In diesem Land haben Reiche und Erfolgreiche keine öffentiche Lobby, schon gar nicht finden sie Gnade bei den Medien. Sie mögen Villen und Platin-Kreditkarten haben, Yachten in Nizza und Villen in St. Tropez, aber wenn sie straucheln, wenn sie fallen, dann haben sie keinen fairen Umgang mehr zu erwarten.
A115 – die Nummer seiner Zelle – hat mich ehrlich erschüttert. Ja, Middelhoff ist ein paar Dutzend Mal mit dem Firmenflugzeug geflogen, als sein Konzern schon am Abgrund stand. Während tausende Mitarbeiter um ihre Zukunft bangten, hat er noch großzügig (Firmen-)Geld gespendet und eine aufwändige Festschrift finanziert. Alles nicht in Ordnung, eine Staatsanwaltschaft muss diesen Dingen nachgegen und – wenn rechtlich geboten – den Fall zur Anklage bringen. Aber was an diesem 14. November 2014 passierte, ist mit meinem Verständnis von einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Viele Kommentatoren und Juristen hatten zur Urteilsverkündung an diesem Tag einen Freispruch vorhergesagt, im schlimmsten Fall eine Geld- oder Bewährungsstrafe. Aber drei Jahre Gefängnis? Festnahme noch im Gerichtssaal? Verbringung des einstigen Stars unter den deutschen Managern direkt ins Gefängnis ohne die Chance, sich von seiner anwesenden Familie zu verabschieden? Nach einem Urteil vergehen oft Monate, bis der Verurteilte seine Strafe antreten muss. Auch Straftäter haben Rechte. Man soll ich vorbereiten können, Abschied nehmen von den Lieben, alles finanziellen Dinge regeln, sich vorbereiten, auf das, was da kommt. Thomas Middelhoff hatte diese Chance nicht.
Was er über das herablassende Verhalten der Richter schildert, ist atemberaubend. Da wollte man es einem arroganten Überflieger mal so richtig zeigen. Gnadenlos. Seine zunehmenden gesundheitlichen Probleme wurden lange ignoriert. Die Zustände in dem alten Gemäuer, die Geschichten über Ratten, die durch die Kanalisation in den stinkenden offenen Klos im wahrsten Sinne des Wortes auftauchten, die Kälte in der Zelle in den Wintermonaten, ethnische Banden, die ihm gegen Bezahlung Schutz hinter Gittern anboten, einmal stand sogar einer vor dem Privathaus der Middelhoffs… ich habe mir nicht vorstellen können, dass es solche Zustände heute in unserem Land geben könnte. Aber ich habe auch keinen Grund, an Middelhoffs Schilderungen zu zweifeln.
Ja, Deutschland ist ein Rechtsstaat – in vielerlei Hinsicht. Und ja, ein Gefängnis ist kein Luxusschuppen, in dem man Lachshäppchen serviert bekommt und einen Frottee-Bademantel beanspruchen kann. Aber dieses Buch bewegt mich wie lange keins mehr. Und dass solcher Umgang mit Prominenten kein Einzelfall ist, dafür gibt es viele Beispiele. Oder hat die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf, die Steuerunterlagen von Uli Honeß zu kennen? Oder darf man Herrn Kachelmann bewusst über einen einsehbaren Platz in der JVA führen, damit er von Pressefotografen „abgeschossen“ wird? Wieso waren beim Post-Chef Zumwinkel die Fernsehkameras vor seinem Bonner Haus aufgebaut, eine Stunde bevor die Hausdurchsung begann?
Erinnern Sie sich noch, als vor einigen Jahren ein türkischer Mitbürger mit seinen Freunden auf dem Berliner Alexanderplatz einen jungen Mann – auch mit Migrationshintergrund – totschlugen? Die Polizei hatte die Täter schnell, sie wurden auf der Polizeiwache vernommen und durften bis zum Prozess nach Hause gehen. Aber der gefährliche Schwerverbrecher Middelhoff durfte nicht einmal seine Frau umarmen, bevor man ihn für lange Zeit in eine Zelle sperrte.