GASTSPIEL: Heinrich Schmitz* über den Rechtsstaat, der an Akzeptanz verliert

Obwohl ich in meiner Kolumne bei „The European“ immer wieder Fehler und Fehlentwicklungen innerhalb der Justiz kritisiert habe, mag ich unseren Rechtsstaat. Ich behaupte sogar, dass es einer der besten auf der Welt ist und auf jeden Fall der beste, den Deutschland je hatte. Alleine die Möglichkeit, diesen Rechtsstaat zu kritisieren, ohne dafür für längere Zeit in einem Lager zu verschwinden oder 1.000 Peitschenhiebe zu kassieren, ist was Feines. Das geht außerhalb Europas lange nicht überall. Und trotzdem wird das Gemecker über den deutschen Rechtsstaat im Allgemeinen und die Justiz in Speziellen immer lauter.

Nun sind Meckern und Maulen, Unzufriedenheit und schlechte Laune schon immer gern gehegte „deutsche Werte“ gewesen, gleichwohl habe ich zumindest das Gefühl, das Image des Rechtsstaats war selten so schlecht wie heute. Da mögen tatsächliche Mängel, wie überlange Verfahren infolge einer erheblichen Unterbesetzung von Richter- und Staatsanwaltsstellen eine Rolle spielen, viel gefährlicher scheint mir aber ein grundsätzliches Abwenden vieler Bürger vom Rechtssystem zu sein. Leider wird dies von diversen Politikern auf verschiedene Weise auch noch gefördert. Das Grundgesetz scheint beim Entwurf und der Verabschiedung neuer Gesetze nicht mehr wirklich ernst genommen zu werden. Da werden Projekte wie das Betreuungsgeld oder die Maut aus parteipolitischen Gründen im Eilgang durch die Gesetzgebungsmaschine gejagt, ohne sich vorher über den verfassungsmäßig richtigen Weg oder Inhalt ernsthafte Gedanken zu machen. Und wenn die Juristen des Parlaments Bedenken anmelden, werden diese locker vom Tisch gefegt. Das mag ja machtpolitisch ganz lustig sein, es ist aber gefährlich.

Und wenn dann das Bundesverfassungsgericht völlig zu Recht die Reißleine zieht und wieder mal die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes feststellt, dann gehen die beteiligten Politiker nicht etwa in sich, stellen fest, das ihre Macht in einem Rechtsstaat nicht unbegrenzt ist und entschuldigen sich für ihr unüberlegtes Vorpreschen – Nein, die prügeln dann lieber verbal auf das Verfassungsgericht ein und fordern, dessen Macht zu begrenzen. Wenn sogar Bundestagspräsident Lammert (CDU) da munter mitmischt, warum soll dann nicht auch neben dem Gröl-Pöbel auf der Straße irgendwann der ganz normale Bürger gegen die Gerichte hetzen? Es mag ja ärgerlich sein, wenn man als Parlamentarier mal wieder dabei ertappt wurde, ein verfassungswidriges Gesetz durchgewunken zu haben, aber das sollte einen nicht dazu veranlassen, mit pampigen Reaktionen ein Feuerchen zu entfachen, das man irgendwann nicht mehr gelöscht bekommt.

Es gibt natürlich auch ganz clever eingefädelte Propaganda, die die Bürger ganz gezielt gegen den Rechtsstaat aufhetzen soll. Die kommt einmal von Menschen, die lieber einen Rechts-Staat als einen Rechtsstaat hätten. Da wird Härte gegen Kriminelle und noch mehr Härte gegen kriminelle Ausländer gefordert – oder der Einfachheit halber gegen alle Ausländer. Da wird „Kuscheljustiz“ angeprangert und unverhohlen nach der Todesstrafe z.B. für „Kinderschänder“ gerufen. Und das Schlimme ist, dass da nicht nur die offen staatsfeindliche NPD aktiv ist, sondern auch ganz normale Muttis, die sich brav zu Hause um die Kinder kümmern und jeden Sonntag in die Kirche rennen.

Auf der anderen Seite des Spektrums wird die Justiz als rassistisch, faschistisch und was auch immer geschmäht. All Cops Are Bastards usw. Rechts und Links tun sich nicht viel in der Ablehnung des Rechtsstaats. Und wie es aussieht, wird die Mitte von beiden Rändern her immer dünner. Extreme Positionen werden gesellschaftsfähig. Kritik am Rechtsstaat als Stimmenfang. Wen interessieren schon Fakten über die Justiz, wenn man meint, mit etwas „gesundem Menschenverstand“ ließe sich nicht nur alles verstehen, sondern auch noch die „Wahrheit“ erkennen?

Der Rechtsstaat hat’s nicht leicht. Er kann nicht einfach mal zurück pöbeln. Er ist an Recht und Gesetz gebunden. Das ist auch gut so.

Der 57-jährige Jurist Heinrich Schmitz arbeitet als Strafverteidiger und war Kolumnist bei The European. Er hat das zweite Staatsexamen in Düsseldorf absolviert und führt seit 1987 in Euskirchen zusammen mit einem Partner eine Anwaltskanzlei. Bundesweit bekannt wurde er durch Fernsehauftritte unter anderem in Spiegel TV. Schmitz ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. *Nach Beleidigungen und üblem Mobbing gegen sich und seine Familie hat Schmitz vor wenigen Wochen öffentlich erklärt, nicht mehr politisch publizieren zu wollen. Da war dieser Text bereits geschrieben, und wir sind ihm dankbar, dass wir die Genehmigung erhalten haben, den Beitrag noch zu drucken.




GASTSPIEL: Felix Honekamp über eine Kirche auf dem Weg in die Beliebigkeit

Über Jesus regt sich doch schon lange keiner mehr auf! Wie anders war da die Situation vor rund 2000 Jahren, als religiöses Establishment und staatliche Macht in der Botschaft von Glauben, Hoffnung und Liebe noch umstürzlerische Tendenzen vermutete? Jesus hat seinen Aposteln den Auftrag gegeben, die Kirche aufzubauen, mit ihm selbst als Fundament. Und nicht wenige meinen, eine Kirche wie die, die wir heute sehen – als katholische –, hätte er vermutlich nicht gemeint.

Dabei fehlt es nicht an guten Ratschlägen: Offener müsse die Kirche sein, mehr Liebe müsse sein, vor allem gegenüber den Sündern. Überhaupt: Sündenzentrierung ist ein immerwährender Vorwurf. Und wenn wir schon mal dabei sind: Sexualität – wenn es mal etwas gibt, an dem die Zeit vorbeigegangen ist, dann die Moralvorstellungen der Kirche in diesem Thema. Weitere Reizthemen gefällig? Ablehnung von Frauen als Priestern, Zölibat, Eheverständnis, Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Würde man nur endlich all das umsetzen, was Reformer vor Augen haben, dann hätte man die von Jesus gewünschte Kirche, dann wäre sie wahrhaft revolutionär.

Dabei müht man sich innerkirchlich gewaltig, gerade in Deutschland: Man sei hier ja schon viel weiter, müsse aber – leider, leider – den Rest der Weltkirche auch „mitnehmen“. In der Pastoral will man andere Wege gehen, unabhängig von Rom werden, mehr auf den Sünder zugehen, die Menschen dort abholen wo sie stehen, sie nicht überfordern. Und mit einem Auge schielt man dabei auf die evangelischen Landeskirchen, die viel von dem geforderten bereits umgesetzt haben. Immerhin haben sie es damit – trotz Mitgliederimplosion – erreicht, dass evangelische Bischöfe in Talkshows auch bei privaten Eskapaden als gesellschaftliches Gewissen fungieren dürfen – ihre Fehler machen sie ja gerade menschlich.

Die katholische Kirche müsse wieder Gehör finden, und darum müsse man die Sprache der Menschen sprechen, sich an ihrer „Lebenswirklichkeit“ orientieren. Daran, dass jede zweite oder dritte Ehe – je nach Statistik – geschieden wird? Daran, dass niemand mehr etwas anstößiges daran findet, die eigene Sexualität zum Politikum zu stilisieren? Und wenn jemand etwas nicht mehr als Sünde zu erkennen in der Lage ist – na, dann ist er doch unmöglich schuldig geworden. Der Geist der Zeit – so heißt es sogar von Bischöfen – müsse zur Quelle des Glaubens werden. Was nichts anderes heißt als: Die Kirche muss auf die Welt zugehen. Eine andere, nicht so gern verwendete Formulierung: Sie muss sich an die Welt anpassen.
Auf diesen Weg wird die Kirche gedrängt – sie lässt sich aber in weiten Teilen auch nicht lange bitten. In der verzweifelten Suche nach Relevanz werden strittige Themen und Widersprüche zum Zeitgeist geschleift und relativiert. Niemanden zurückzulassen bedeutet plötzlich, den Anspruch an die Menschen zu senken, statt ihnen zu zeigen, wie sie über sich hinaus wachsen können.

Und dann, was steht am Ende dieses Weges? Eine von der Welt geliebte Kirche. Wie wunderbar! Aber auch eine Kirche, die keine Widerworte gibt, keine Gegenwehr leistet, eine Kirche, deren Botschaften man so auch im Spiegel und der BILD lesen oder in Tagesthemen oder den RTL-II-News hören könnte. Eine Kirche, die kein Stein des Anstoßes mehr ist, an der sich niemand mehr reiben muss – so wie Jesus sich seine Kirche gewünscht hätte. Wirklich? Eine solche Kirche wird in Wahrheit nicht geliebt: Sie ist höchstens nützlich, wahrscheinlicher aber einfach unnötig. Eine Kirche, die kein Aufsehen erregt – wer braucht so eine Kirche noch? Wenn heute manche meinen, Jesus rege niemanden mehr auf, dann ist es wohl lediglich das Bild der Kirche, das die Menschen von Tag zu Tag, bis auf ein paar Details, mehr kalt lässt. Und sie arbeitet hart daran, dass das so bleibt. So eine Kirche soll Jesus vor Augen gehabt haben? Wenn die Kirche überall geliebt wird oder der Mehrheit egal ist, dann können wir sie zusperren. So lange katholische Positionen noch einen Aufschrei verursachen ist sicher: Diese Kirche wird noch gebraucht!

Felix Honekamp, Jahrgang 1970, ist ausgebildeter Diplombetriebswirt. Er bezeichnet sich selbst als konservativ, papsttreu und „strunzkatholisch“. Seit 2011 betreibt er seinen „Papsttreuen Blog“, in dem er sich intensiv mit theologischen Fragen und Kirche beschäftigt. Mehr unter: http://papsttreuerblog.de




GASTSPIEL: Andreas Unterberger über Erfolgsgeschichten in der Euro-Krise

Europa hat in den letzten sieben Jahren zu einseitig auf Griechenland geschaut. Dadurch hat es die viel wichtigere Lektion dieser Jahre übersehen: Austeritätspolitik, Sparen, Sanieren, Reformieren wirkt. Dieser Kurs ist mühsam, dauert einige Jahre, aber er wirkt im Gegensatz zu jenen Rezepten, die alles Unangenehme vermeiden und ein Land durch immer noch mehr neue Schulden aus dem Sumpf ziehen wollen. Diese Rezepte haben total versagt, sie klingen maximal in realitätsfernen Hörsälen oder in ORF-Kommentaren gut, haben aber nie in der Realität bestanden.

Das haben sie auch im Amerika der 30er Jahre nicht, also beim einzigen Beispiel, das keynesianische Theoretiker immer wieder aus der historischen Kiste holen . Denn Amerikas Wirtschaft ist erst durch den Ausbruch des Weltkriegs und die riesigen Rüstungsaufträge für die Verbündeten wieder in Schwung gekommen. Und nicht durch den von manchen Linken ähnlich der Oktoberrevolution zum Mythos erhobenen „New Deal“.

Spanien, Portugal, Irland haben nicht auf die Wunschdenken-Propheten a la Varoufakis oder Tsipras, Muhm oder Schulmeister gehört. Sie sind dafür heute die große Erfolgsstory.

In Irland ist die Staatsverschuldung im letzten Jahr von 124 auf 110 Prozent des BIP zurückgegangen. Das Land hat ein Wachstum von 4,8 Prozent erreicht – ein Wert, dem Österreich seit vielen Jahren nicht einmal im Traum nahegekommen ist. Und wer sagt, dass das nichts heiße, weil Irland 2009 ja um 6,4 Prozent geschrumpft sei, der sollte aber auch dazusagen, dass das Land bis 2007 alljährlich um rund fünf Prozent gewachsen ist, und vor der Jahrestausendwende etliche Jahre sogar um rund zehn Prozent.

Auch Portugal ist am trockenen Ufer; es zahlt Kredite sogar schon vorzeitig zurück. Ebenso erfreulich ist Spanien: Dort ist das Wirtschaftswachstum bei 3,3 Prozent angekommen. 70 Prozent der Unternehmen vergrößern jetzt wieder ihre Belegschaft und investieren. die Arbeitslosigkeit hat den niedrigsten Stand der letzten fünf Jahre erreicht.

Gewiss waren das harte Jahre. Gewiss hat auch der niedrige Ölpreis geholfen. Gewiss ist überall noch viel der hohen Arbeitslosigkeit abzubauen. Gewiss droht die Aussicht, dass die Wähler die erfolgreichen Regierungen wieder abwählen – wie es schon in vielen Ländern passiert ist. Aber die Richtung und vor allem die Stimmung ist zufriedenstellend. Und diese ist in der Wirtschaft genauso wichtig wie harte Daten.

Genauso wichtig war eben auch das richtige Verhalten während der Krise. So schwer es Politikern auch fällt: Aber man muss Krisen wirken lassen. Nur wenn man zulässt, dass dauerhaft fußmarode Firmen oder Unternehmsteile sterben, und wenn man sie nicht auf Kosten aller anderen durchfüttert und ihretwegen ganze Nationen schwer verschuldet, kann neues, kräftigeres Wirtschaftsleben entstehen.

Das hat als erster der große – im Ausland freilich viel mehr geschätzte – österreichische Ökonom Joseph Schumpeter beschrieben. Er nannte es „kreative Zerstörung“.

Der Österreicher Andreas Unterberger war Chefredakteur der Presse und der Wiener Zeitung und schreibt heute den meistgelesenen und wichtigsten liberal-konservativen Blog im Nachbarland. Er ist Vorstandsmitglied des Hayek Instituts und des Clubs unabhängiger Liberaler. Für seine journalistischen Leistungen wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Östereichischen Staatspreis. Seine Beiträge veröffentlicht er regelmäßig unter http://www.andreas-unterberger.at .




GASTSPIEL: Birgit Kelle über die Pervertierung von „Frauenrechten“

„Gut gemeint, schlecht gemacht“, so lautet ein gemeines Sprichwort. Diesen Grundsatz hat sich jetzt auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) auf die Fahnen geschrieben mit der Forderung nach der weltweiten Legalisierung von Prostitution. Gut gemeint, denn die Generalsekretärin von Amnesty, Salil Shetty, merkt zu Recht an, dass Prostituierte in den meisten Fällen „ständig dem Risiko von Diskriminierung, Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind“. Deswegen wolle man eine Politik verfolgen, die den „Schutz der Menschenrechte von Prostituierten fordert“. Da wird man dann doch stutzig. Seit wann muss man kriminelle Handlungen legalisieren, um die Menschenrechte der Opfer zu wahren? Und helfe ich dem Opfer damit, dass ich die Tat legalisiere? Zumindest in Deutschland sieht die Polizei das jedenfalls anders. Seit Prostitution bei uns legal ist, haben die Beamten noch mehr Schwierigkeiten, den Opfern von Schlepperbanden zu helfen. Genaugenommen kommt sie ohne konkreten Verdacht gar nicht mehr an diese Frauen ran, weil unser wunderbares Gesetz beispielsweise Frauen, die in Privatwohnungen zwecks Zwangsprostitution festgehalten werden, nicht mehr schützt.

Gleichzeitig wird hier noch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, denn wer die Prostitution legalisiert, tut dies im gleichen Atemzug auch mit der Zuhälterei. Das wird sicher ein Freudenfest für Schlepper und Menschenhändler, wenn Zwangsprostitution weltweit gar nicht mehr existiert, weil qua Gesetz abgeschafft. Toll! So wird aus der Prostituierten nicht nur eine ganz normale Berufstätige mit Krankenversicherung und gewerkschaftlicher Vertretung wie etwa in Deutschland bei verdi mit dem eigenen Arbeitskreis „Besondere Dienstleistungen“. Der Zuhälter erhält also den Status eines Jobvermittlers mit Provisionszahlung. Und besonders sind diese Dienstleistungen allemal, glaubt man zumindest den Werbeanzeigen mancher Flatrate-Bordelle, die seit der Legalisierung in Deutschland aus dem Boden sprießen und analog zum all-you-can-eat an sommerlichen Standbuffets das „all-you-can-fuck“ zum Pauschalpreis anbieten.

Die Wochenzeitung „Die Zeit“ sieht das ganz anders als ich und stellt die Frage „Ist es wirklich ein so großer Unterschied, ob jemand seinen Körper in der Altenpflege oder auf dem Bau kaputtarbeitet oder denselben Körper für sexuelle Handlungen zur Verfügung stellt? In welchem Jahrhundert leben wir, dass wir Sexualität noch immer mit anderen Maßstäben messen?“ Nun liebe „Zeit“ wir leben im 21. Jahrhundert, und ja, „nuttig“ ist auf deutschen Schulhöfen immer noch ein Schimpfwort unter Jugendlichen, gerne gebraucht gerade auch von Mädchen gegenüber anderen Mädchen. Vermutlich steht das Wort „nuttig“ und auch „Schlampe“ längst auf dem Sexismus-Index. Denn obwohl weltweit feministische Gruppe zu sogenannten „Slutwalks“ (Schlampenläufen) aufrufen, bei denen Sie dann halbnackt durch die Straßen laufen und für das Recht kämpfen, wie Schlampen herumzulaufen zu dürfen, ist immer noch der Teufel los, wenn man eine derselben Damen dann auch entsprechend als solche bezeichnet. Merke: Wenn eine Frau sich das Wort „Schlampe“ auf die nackten Brüste malt, ist das ein emanzipatorischer Akt. Bezeichnet man sie als solche, ist es Sexismus. Anscheinend haben die jugendlichen Mädchen aber auch heute immer noch ein recht gutes Gespür dafür, wie offenherzig und schlampig zu unterscheiden sei. Und als Mutter zweier Töchter bin ich ganz froh darüber.

Doch zurück zu der Frage der „Zeit“, ist es denn so ein Unterschied, ob man sich mit seiner Arbeitskraft bei schlechter Bezahlung auf dem Bau „prostituiert“ oder seinen Körper zum Sexualakt zur Verfügung stellt? Seit die Frage der Ausgestaltung eines Bordells für manche Streiter einer „sexuellen Vielfalt“ auch zum allgemeinen Unterrichtsstoff für Jugendliche gehören sollte, eine nicht unberechtigte Frage. Von manchen habe ich zudem in meiner politischen Arbeit bereits das Argument gehört, Hausfrauen seien schließlich auch nichts anderes als Prostituierte, sie lassen sich für Dienstleistungen und Liebenswürdigkeiten von einem Mann bezahlen. Na siehste! Der Unterschied ist nur, dass Hausfrauen nicht an der Straße stehen, sondern gemeinhin vermutet, hinterm Herd. In Sachen Hausfrau plädiere ich immer auf freie Entscheidung der Frau, weil ich mir nicht von anderen Frauen oder sonst jemandem erklären lassen will, was gut oder schlecht für mich ist. Es stellt sich also die nicht unberechtigte Frage, mit welchem Recht wir Frauen verbieten wollen, ihre Sexualität zu verkaufen. Tatsächlich gibt es doch auch diejenigen, die vorgeben, es freiwillig und gerne zu tun. Analog kann man übrigens auch die Kopftuch-Debatte in Bezug auf muslimische Frauen führen.

Nun bin ich ja selten mit Alice Schwarzer einig, aber in Sache Prostitution stehen wir auf derselben Seite. Ich kann und will mich nicht daran gewöhnen, dass es ein normaler Job ist, auch wenn Begriffe wie „Blow-Job“ so manchen möglicherweise dazu verleiten. Ich glaube nicht an die glückliche Prostituierte, dafür tun es weltweit zu viele Frauen unter Zwang und Androhung von Gewalt gegen sich selbst oder gar gegen ihre Familien. Ich kann der Rotlicht-Romantik des angeblich ältesten „Gewerbes“ der Welt nichts abgewinnen, seit ich als 20-Jährige nachts in Amsterdam die rot beleuchteten Schaukästen bestückt mit lebender Ware gesehen habe, an denen das Publikum gaffend vorbeizieht. Gerne würde ich mit den Kollegen von der „Zeit“ einmal die Frage diskutieren, ob es für sie auch in Ordnung wäre, wenn diese Dienstleistung, dieser „Job“, der doch so normal sein soll wie Krankenpflegerin und Arbeit auf dem Bau, künftig über die Agentur für Arbeit vermittelt wird. Dagegen dürfte dann doch wohl nichts sprechen und selbst ungelernte Kräfte bekommen da sicher viele Stellenangebote inklusive Mindestlohn. Darf man als arbeitslose Frau dann noch ablehnen, oder gilt diese „Arbeit“ dann als genauso „zumutbar“ wie Laubfegen im Park?

Von der Ausbeutung der Sexualität einer Frau ist es übrigens nur ein kleiner Schritt zur Ausbeutung der Fruchtbarkeit einer Frau. Wenn ich meine Vagina zur Verfügung stellen darf, warum nicht meine Gebärmutter? Auch hier wird gerne darauf verwiesen, dass diese Frauen es doch freiwillig tun und damit sogar gutes Geld verdienten. Bislang floriert der Markt vor allem in Asien und Indien, die Debatte wird aber genauso Deutschland erreichen. Nicht wenige Frauen in Indien verkaufen ihren Körper als Brutstätte, verkaufen ihre Kinder, um die restliche Kinderschar zu Hause durchzubringen. Freiwillig? Oder aus der Not heraus, weil sie vor lauter Armut keinen anderen Weg sehen. Und da sind wir dann wieder bei der „Zeit“, die im gleichen Artikel noch anmerkt, „in vielen Ländern bleibt Prostitution insbesondere für „Transpersonen und offen schwule Männer“ die einzig mögliche Einkommensquelle, weil sie auf dem legalen Arbeitsmarkt diskriminiert werden.“ Man könnte nicht deutlicher ausdrücken, dass es eben nicht freiwillig ist, sondern aus der Not heraus. Wäre es nicht angebracht, dass wir weltweit dafür sorgen, dass sich niemand mehr genötigt fühlt, seinen Körper zu verkaufen, weil er sonst kein Einkommen hat, anstatt diese Tätigkeit zu einem „normalen Job“ zu erklären?

In Sachen Leihmutterschaft, die zusammengefasst nichts weiter ist als ein moderner Menschenhandel – ich bestelle und bezahle ein Kind und hole es dann ab – teilt sich das feministische Lager übrigens. Diejenigen, die bei Prostitution noch laut Ausbeutung schreien, sind seltsam still bei der Leihmutterschaft. Schließlich ist man im Dilemma: Man kann nicht auf der einen Seite für sexuelle Vielfalt kämpfen und dann empört sein, wenn sich zahlreiche homosexuelle Paare in Indien ein Kind kaufen – wie es nachweislich geschieht. Es ist kein neuer Kurs bei Amnesty International, dass die Rechte von Frauen ganz eigen definiert werden, diesmal regt sich weltweit nur mehr Widerstand. Als Amnesty International vor einigen Jahren begann, „Abtreibung“ als Frauenrecht zu propagieren, waren die prominenten Schauspielerinnen wie Meryl Streep, Emma Thompson oder Kate Winslet, die jetzt gegen die Legalisierung der Prostitution richtigerweise protestieren, nicht mit von der Partie. Liest man sich die Argumentation von Amnesty International damals durch, ist es aber ähnlich schizophren wie im aktuellen Beschluss.

So hatte man einst in der Abteilung „Menschenrechtsverletzungen an Frauen“ (MAF) die Kampagne „Mutter werden, ohne zu sterben“ ins Leben gerufen. Klingt wunderbar, denn in der Tat ist die Müttersterblichkeit gerade in den Ländern der Dritten Welt extrem hoch. Hauptgrund hierfür ist die mangelhafte medizinische Versorgung der Schwangeren und Gebärenden. Die Forderung von Amnesty beschränkt sich zu diesem Problem aber eben nicht nur darauf, dann bitteschön dafür zu sorgen, dass die medizinische Versorgung von Müttern und werdenden Müttern endlich weltweit gewährleistet werden muss, sondern auch in der Forderung nach Zugang zu legaler Abtreibung weltweit. Das Recht, sein eigenes, ungeborenes Kind zu töten, als Frauenrecht. Das aus dem Mund einer Menschenrechtsorganisation. Wann genau hat man bei Amnesty eigentlich aufgehört, Kinder als Menschen zu betrachten? Abtreibung also als Lösung gegen das Problem „Müttersterblichkeit“. Anstatt als Mutter zu sterben, wird man besser gar nicht mehr Mutter, das macht sich super in den Müttersterblichkeits-Statistiken, denn logisch: Wer die Schwangerschaft abbricht, kann nicht während der Geburt sterben. Lieber tötet man vorher das Kind, das taucht in keiner Statistik auf. Konsequent ist man aber bei Amnesty, man fordert auch medizinisch einwandfreie Abtreibungen, nicht dass die Mütter dann statt in der Geburt bei der Abtreibung zu Tode kommen. Wieviel Zynismus braucht man eigentlich, um so zu argumentieren?

Bleibt am Ende das Fazit, wir Frauen bekommen immer mehr Rechte dazu und alle meinen es unglaublich gut mit uns. Wir dürfen uns heute Schlampen nennen und uns dabei emanzipiert fühlen, wir dürfen uns am Arbeitsmarkt abschuften zu unserer Emanzipation, wir dürfen unsere Kinder abgeben, damit sie bei der Selbstverwirklichung nicht stören. Ja wir dürfen gar unsere Kinder töten, als Frauenrecht, wir dürfen unsere Sexualität verkaufen, als Frauenrecht, wir dürfen unsere Kinder verkaufen, als Frauenrecht. Nur eines dürfen wir nicht: All diese „Errungenschaften“ ablehnen, dann sind wir nämlich Antifeministinnen. Das bin ich dann allerdings gerne.




In der Mitte wird es langsam eng

Jakob Augstein gehört, um es sehr moderat auszudrücken, zu den Kommentatoren in Deutschland, die ich am wenigsten schätze. Zu wirr sind seine Texte oft, zu sehr Revolutionsromantik vergangener Zeiten und zu deutlich der verzweifelte Versuch, überholte (und gescheiterte) Ideologien irgendwie noch kompatibel für die moderne Zeit zu machen. Doch in dieser Woche hat er mich positiv überrascht mit seinem Beitrag „Deutschland, dein Elend ist die Mitte“. Nun muss man vorab sagen, dass die Mitte erstmal nichts Ehrenrühriges ist. Unser Problem in Deutschland ist allerdings, dass sich in der Politik nahezu alle in der Mitte tummeln, und dass damit der Grundgedanke einer demokratischen Gesellschaft pervertiert wird. Die Demokratie lebt nämlich davon, dass es Streit um die besten Lösungen und auch die fähigsten Personen gibt. Dazu sollen Parteien, aber auch Verbände, Bürgerinitiativen und bestenfalls jeder Bürger einen Beitrag leisten, in dem sie Ideen und Konzepte entwickeln. Soweit die Theorie.

In der Praxis werden die großen Linien der deutschen Politik heute für „alternativlos“ erklärt. Ob es um Energiewende und Atomausstieg geht, um die Integration von Zuwanderern, die Verstaatlichung der Kindererziehung und Gender-Kreationismus, die Euro-Rettungspolitik – wir bekommen bei allen etablierten Parteien die gleiche Soße vorgesetzt. Und das Erstaunliche daran: Diese Gesellschaft macht das mit, anders als die Bevölkerung anderer europäischer Staaten, die schon bei viel geringeren Veränderungen ausflippt, Massendemonstrationen und Streiks veranstaltet. Und deshalb ist Jakob Augstein absolut zuzustimmen, wenn er schreibt: „Das Elend der Deutschen liegt darin, dass sie Apathie mit Stabilität verwechseln.“ Genau! Und wenn mal jemand bei der lauwarmen Konsenssoße nicht mehr mitspielen will, dann sagt man ihm bestenfalls im Hohen Haus in Berlin „Ich kann Deine blöde Fresse nicht mehr sehen“. Andere versucht man, medial an den Rand der Gesellschaft zu drängen oder auch, sie beruflich kaltzustellen. Freier Meinungsaustausch geht anders. Neuerdings sind sogar Leute unterwegs, um gezielt Menschen mit bürgerlich-konservativer Agenda zu Rechtsextremen umzuschreiben. Mangels ausreichender intellektueller Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit Inhalten schreiben sie sich „rechte Netzwerke“ zusammen, die es gar nicht gibt. Da wird der Phantasie freien Lauf gelassen. Wer kennt wen, der diesen kennt? Wer ist wo mal mit wem auf einem Foto? Wer hat mal ein russisches Buffet gelobt? Wer schreibt wo, und wer liest was? Die #Geisterjäger sind unterwegs.

Für unser demokratisches System ist diese Entwicklung schädlich. Es braucht neue Konzepte, sonst werden wir eines Tages aufwachen und feststellen, dass das Leben die bestraft, die zu spät kommen. Wir alle, insbesondere die Medien, dürfen nicht zulassen, dass alles zu einem Brei aus unbedingtem Konsenswillen und Politischer Korrektheit gerührt wird. Hier liegt nämlich auch der Grund, warum sich immer mehr Menschen von der Politik und den Parteien abwenden. Wenn es sowieso nichts mehr zu entscheiden gibt, warum soll man dann noch hingehen? Die SPD hat jüngst öffentlich überlegt, ob sie zur nächsten Bundestagswahl überhaupt noch einen Kanzlerkandidaten aufstellen soll, weil Merkel ja sowieso wieder gewinnt. Was für ein Armutszeugnis.




Der Politiker an sich

Ist man politisch korrekt, wenn man Politiker lobt? Ich denke nicht, denn es ist inzwischen Usus in Deutschland, Politiker grundsätzlich als Deppen darzustellen und anzusehen. Insofern will ich mal eine Lanze für die Spezies brechen, die in der sogenannten „Comedy“ im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk Tag für Tag als grenzdebile Volltrottel dargestellt wird. Fast zehn Jahre meines Lebens habe ich als politischer Korrespondent gearbeitet – in Berlin und in Düsseldorf. Und ich muss gestehen, ich habe neben Postenjägern, Zynikern und Leuten, die nichts mehr interessiert als ihre üppige Altersversorgung, auch viele Abgeordnete kennengelernt, die ihren Job ernst nehmen und gute Arbeit leisten. Übrigens quer durch die Parteien, wenn man mal von der SED/PDS/Linke absieht, wobei ich annehme, dass es da auch welche gibt.
Was erwarten wir von den Leuten, die wir als unsere Repräsentanten in Parlamente schicken? Sie sollen klug sein, ehrlich und vor allem sollen sie immer genau das vertreten, was wir selbst auch denken. Das ist allerdings nicht ganz leicht, denn auch mit unserer Stimme sind sie immer dem ganzen Staatsvolk verantwortlich, so dass Konflikte nicht ausbleiben. Jeder von uns hat das schon erlebt. Man ringt sich zur Stimmabgabe für einen Kandidaten durch, kreuzt den oder die an, und schon ein paar Wochen später stimmt er (sie) für etwas, das uns gar nicht gefällt. Ärgerlich, aber unvermeidlich. Doch was ist die Alternative? Wollen wir ein dirigistisches System, in dem der Bürger nichts zählt und keine Mitwirkungsmöglichkeiten hat? Oder wollen wir ein Systen, das sich weiterentwickeln lässt? Vielleicht hin zu mehr plebiszitären Elementen wie in der Schweiz? Oder ein Mehrheitswahlrecht wie in Großbritannien? Vieles ist denkbar. Ich zum Beispiel würde mir kleinere Parlamente wünschen. Wenn die USA mit 400 Abgeordneten bei 300 Millionen Bürgern auskommen, wieso brauchen wir mehr als 600 für 80 Millionen?
Aber natürlich ist nicht alles gut hier. Oft kommen Abgeordnete in ihre Positionen, ohne sich direkt dem Bürger stellen zu müssen, etwa beim EU-Parlament, wo es keine Direktwahl gibt. Oder, wenn man ein europäisches Parlament will: Warum dann nicht auch länderübergreifende Listen? Da würde mir viel einfallen.
Vor allem gehören zu einer Demokratie aber selbstbewusste und aufmerksame Bürger. Auch daran fehlt es in Deutschland vielfach. Wir müssen denen stärker auf die Finger schauen, die uns vertreten sollen. Wir müssen vor der Wahl intensiver nachfragen, was sie mit unserem Vertrauen später anfangen wollen. Und wenn sie uns enttäuschen, müssen wir sie abwählen. Früher habe ich oft „kleinere Übel“ gewählt. Das mache ich heute nicht mehr.

Vergangene Woche war ich auf einem privaten Fest, wo auch ein paar Abgeordnete dabei waren. Es war sehr voll, sehr laut, es ging (feucht-)fröhlich zu, es wurde lautstark gesungen und Schnaps aus Mini-Fläschchen getrunken. Und irgendwann habe ich gedacht: Eigentlich sind die ja wie wir….




Im Küstennebel: Wie sich Bremen zum deutschen Amsterdam entwickeln könnte

Nicht wenige Menschen sagen: Das Beste an Bremen ist die Autobahn nach Hamburg. Dem möchte ich gleich zu Beginn widersprechen. Der kleinere Bruder der beiden Hansestädte ist zweifellos eine Stadt, in der sich’s gut leben lässt. Doch Bremen hat nicht nur das malerische Schnoor-Viertel, das Delikatessen-Paradies Grashoff und die pulsierende Einkaufsmeile namens Sögestraße, sondern auch eine Menge ernster Probleme. Der Zwei-Städte-Staat aus Bremen und Bremerhaven, idiotischerweise zu einem Bundesland formiert, liegt bei vielen innerdeutschen Statistiken ganz hinten. Hohe Schulden, hohe Arbeitslosigkeit, kriminelle Familien-Clans, schlechte PISA-Ergebnisse – kein negativer Superlativ, bei dem Bremen nicht dabei ist. Mehr als 20 Milliarden Euro Schulden bei Gesamteinnahmen von wenig mehr als 3,7 Milliarden im Jahr – ein ordentlicher Batzen aus dem Länderfinanzausgleich bereits eingerechnet – das hat nicht die geringste Perspektive. Außerdem zeigt die Statistik unbarmherzig, dass Bremen von den deutschen Großstädten über 500.000 Einwohner die Stadt ist, aus der die 25- bis 30-Jährigen am stärksten abwandern. Kein Zeichen, das die Einwohner große Hoffnungen in eine Wende zum Besseren setzen.

Doch die Bremer sind stolze Hanseaten, und keine Volksabstimmung hätte an der Weser jemals Aussicht auf Erfolg, in der die Auflösung des Bundeslandes und seine Eingliederung in Niedersachsen gefordert würde. Und so behalten sie da im Norden ihren Status, ihre Landesregierung mit all den schönen Ministerien, ihren Landtag – Bürgerschaft genannt -, all die Ministerien, ein eigenes Landesamt für Verfassungsschutz, einen Landesrechnungshof und natürlich auch ein eigenes Landesverfassungsgericht. Als nicht in Bremen wohnender Bundesbürger kann man darüber den Kopf schütteln. Ändern kann man es nicht.

Doch nun hat Bremen einen neuen Bürgermeister, der dort im Norden gleichzeitig den Rang eines Ministerpräsidenten innehat. Der ein oder andere von Ihnen wird nun vielleicht denken: Ist das nicht der Scherf? Und die Älteren erwarten vielleicht, dass Hans Koschnick immer noch im Amt ist, um die beiden – neben Wilhelm Kaisen – bemerkenswertesten Männer in diesem Bremer Amt zu benennen. Aber nein, der neue Mann an der Spitze heißt Carsten Sieling, und er kommt aus der SPD. Bremer wählen immer einen SPD-Mann an die Spitze, seit 1945 ohne Unterbrechung. Klar, wenn ein Land so blendend dasteht, ist politische Kontinuität wünschenswert. Und der Neue, noch einmal: er heißt Carsten Sieling, hat jetzt, kaum im Amt, das wichtigste Problem der Hansestadt kraftvoll in Angriff genommen. Er hat angekündigt, die Droge Cannabis legalisieren zu wollen, denn deren „Kriminalisierung sei nicht mehr zeitgemäß“. Grüne, Linke und FDP finden das auch sofort ganz super und signalisierten bereits Zustimmung. Schon phantasieren die Ersten über zusätzliche Steuereinnahmen durch den legalen Verkauf der Droge, die in die Hochschule investiert werden könnten. Für jeden, der mal in der Bremer Exzellen-Universität war und dort den leichten süßlichen Duft bemerkt hat, der in vielen Gängen unüberriechbar ist, ein absolut logischer Gedanke.

Ich meine, Bremen sollte ein umfangreiches Geschäftsmodell aus Sielings Initiative machen, das den Zwei-Städte-Staat endlich wieder nach vorn bringt. Bremen als Deutschlands Amsterdam. Coffeeshops statt Eisdielen im Schnoor-Viertel, zum Hafenfest statt Shantychören Bob Marley-Coverbands und überall „Rauchen erlaubt“-Schilder mit der stilisierten Cannabispflanze drauf. Das würde den Tourismus enorm ankurbeln, und vielleicht könnte jemand für viel Geld sogar dem Inhaber eines schleswig-holsteinischen Spirituosenherstellers die Marke „Küstennebel“ abkaufen und mit neuem Leben füllen. Ideen muss man haben, dann kann Politik auch heutzutage noch etwas bewegen.

Kleiner Nachtrag: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: „Mir ist wichtig, dass unsere Kinder gerade in der Zeit, in der sie ihre volle Energie am nötigsten brauchen, sich nicht durch den Konsum illegaler Drogen gefährden. Die Studienergebnisse der letzten Jahre zeigen: Es gibt keine Belege dafür, dass Cannabiskonsum unbedenklich ist. Im Gegenteil: Gerade Jugendliche sind nachweislich besonders gefährdet.“




Von der Integration am Beckenrand

Es ist heiß in Deutschland, besonders heiß in unserer Bundeshauptstadt Berlin. Im sympathischen Stadtteil Neukölln ist das Columbiabad an Sonnentagen jeweils Anlaufpunkt für bis zu 6.000 Erfrischung suchende Berliner. Was die in den vergangenen Tagen erleben mussten, war eine moderde Form des „Spaßbads“, wie man es wohl zunehmend in Deutschland kennenlernen wird. Denn immer wieder kommt es rund um die Becken zu wüsten Schlägereien, in der Regel zwischen Badefreunden mit Migrationshintergrund. Die Berliner Zeitung schrieb jüngst dazu:

„Am Anfang kann ein kleiner Streit mit einem Bademeister oder einem anderen Jugendlichen stehen. Keiner gibt nach: In der Jugendszene in Neukölln, Kreuzberg oder Wedding mit 70 bis 80 Prozent junger Menschen mit türkischen, arabischen oder jugoslawischen Wurzeln, geht es sofort um die angebliche „Ehre“. Verwandte und Freunde eilen zu Hilfe, die Situation eskaliert.“

Da werden Bademeister geschlagen, über Smartphone verständigen sich Jugendbanden zur „Besetzung“ von Sprungtürmen, und wer falsch guckt, hat sowieso ganz schlechte Karten. Inzwischen beschäftigt das Neuköllner Bad zwei Dutzend (!) eigene Sicherheitskräfte, an den Eingängen werden Besucher nach Waffen durchsucht, selbst Obstmesser sammelt man ein. Mehrfach gab es Polizei-Großeinsätze in den vergangenen zwei Wochen. Kommen wenige Polizisten werden sie von einem entfesselten Mob beleidigte und bedrängt, kommen viele Uniformierte tauchen die Randalierer in der Masse der Badegäste unerkannt unter. Mehrfach hat die Polizei schon im vergangenen Jahr, aber auch vergangenes Wochenende das Columbiabad komplett geräumt und geschlossen, weil die Sicherheit der großen Masse friedlicher Besucher nicht mehr gewährleistet werden konnte. Ein Freibad als Mikrokosmos der Integrationsprobleme unseres Landes. Auch Badeanstalten in Pankow und Mariendorf wurden aus solchen Gründen geschlossen.

Der Rechtsstaat kapituliert, die schweigende Mehrheit lässt sich terrorisieren. Ins Freibad zum Baden mit Kindern? Ich würde dort nicht mehr hingehen, und ich bin sicher, dass es auch viele Neuköllner sicherheitshalber bleiben lassen. Was ist nun die kraftvolle Antowrt dieses Staates auf die Herausforderung am Beckenrand? Bei den Berliner Bäder-Betrieben sagt man, die Hitze schlage halt manchen Besuchern aufs Hirn (auch wieder ein Grund, die Erderwärmung energisch zu bekämpfen). Man überlegt nun, an die Badegäste gut gekühlte Freigetränke auszuschenken, um die Gemüter zu beruhigen. Und die Bademeister werden in Deeskalations-Strategien geschult.




Wochenende der Entscheidungen – Teil 1: die AfD

Am Ende konnte es nicht mehr wirklich überraschen. Frauke Petry hat sich im parteiinternen Machtkampf bei der „Alternative für Deutschland“ klar gegen Bernd Lucke durchgesetzt. Und, um es vorweg zu sagen: Im persönlichen Vergleich haben die Mitglieder richtig entschieden. Wenn der Gründer, Parteisprecher und Übervater Bernd Lucke noch im Januar dieses Jahres von einer großen Mehrheit der Parteimitglieder getragen und bejubelt und ein halbes Jahr später ausgepfiffen und abgewählt wird, dann hat er etwas falsch gemacht. Alles andere wäre Augenwischerei. Lucke hat durch seinen Sachverstand in der Staatsschuldenkrise bisweilen sogar seine Gegner mit großem Fachwissen beeindruckt. Als Parteigründer und Frontmann sind ihm die Mitglieder in den ersten Monaten zu Füßen gelegen. Doch das ist vorbei. Die große Mehrheit will keinen Dozenten an der Spitze. Das Votum gestern war eindeutig. Mit Frauke Petry hat die AfD nun eine Vorsitzende, die nicht bloß den Kopf von Menschen anspricht, sondern auch Bauch und Herzen. Das ist für eine Parteichefin ein gewaltiges Pfund. Hinzu kommt, dass sie machtbewusst ist, weiß wie Politik funktioniert und außerdem eine sympathische Frau ist, die anders daherkommt als manch freudlose und verbissene Konservative, die man bei Europas Konservativen sonst so erlebt.
Ob die gestrige Entscheidung für die Partei insgesamt gut ist, da habe ich meine Zweifel. Zum einen finde ich den Umgang mit Lucke schäbig. Auch wenn man seine politische Positionierung für falsch hält, geht man so nicht mit einem Mann um, ohne den es diese Partei nicht gäbe. Ich gehe selbst gern ins Fußballstadion und stehe dort auf einer Tribüne hinter dem Tor. Dort wird geschmäht und gepfiffen, manchmal weit über das gebotene Ziel hinaus, und es macht Spaß. Aber eine solche Atmosphäre auf dem Parteitag einer Partei, die selbst den Anspruch erhebt, eine „Volkspartei“ zu werden, das ist unwürdig.
Wohin die Reise der AfD nun gehen wird, ist schwer abzusehen. Ich denke, Petry wird den Vorsitz gut managen. Aber was, wenn die Lucke-Anhänger vom „Weckruf“ den Laden verlassen? Ist ein solcher Aderlaß, bei dem auch viele Funktionsträger und Abgeordnete dabei wären, überhaupt zu kompensieren? Und was, wenn sie bleiben? Geht der Dauerstreit dann weiter? Haben die Wähler Lust auf so etwas?

Und inhaltlich? Eine Mehrheit der Deutschen empfindet Unbehagen angesichts eines zunehmend als Bedrohung empfundenen Islam. Wenn die anderen Parteien in Deutschland das nicht ernst nehmen, wird die AfD aus diesem (PEGIDA-)Reservoir eine Menge Stimmen fischen können. Die schleichende Zerstörung der traditionellen Familie in Deutschland – Stichworte „Ehe für alle“, Gender-Wahn, Frühsexualisierung der Kinder – ist auch so ein Thema, bei dem die anderen etablierten Parteien in Deutschland bisher keine überzeugenden Antworten gefunden haben. Auch hier wird die AfD punkten, wenn nicht wenigstens die bürgerlichen Parteien endlich aufwachen. Aber sonst? Der größte Konstruktionsfehler der AfD ist ihre auch nach zwei Jahren existierende programmatische Unschärfe. Da kämpft eine Beatrix von Storch im EU-Parlament leidenschaftlich gegen den Genderwahn, während sich im Brandenburger Landtagswahlkampf Spitzenkandidat Alexander Gauland bei früheren PDS-Wähler anbiedert, indem er das Kinderaufbewahrungssystem in der früheren DDR als vorbildlich preist. Was gilt denn nun? Beides zusammen geht nicht.

Bei der EU-Wahl, die der erste große Erfolg für die AfD gewesen ist, speiste sich der Zulauf der Wähler im Wesentlichen aus Nichtwählern, früheren FDP-Wählern und früheren Linke-Wählern. Mit einigem Abstand folgten dann enttäuschte frühere CDU-Wähler. Diese Säulen alle zusammenzuhalten, erscheint mit nach dem gestrigen Tag als unmögliches Unterfangen. Wenn ein führender Funktionär der AfD unter dem Jubel der Mitglieder allen Ernstes fordert, auf das Freihandelsabkommen TTIP mit der führenden Wirtschaftsnation der Welt zu verzichten und stattdessen einen gemeinsamen Wirtschaftsraum Europas mit Russland zu bilden, ist das weder im Interesse Deutschlands, noch klug, aber schon gar nicht attraktiv für Wähler, die sich mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigen und ernstzunehmende Alternativen im politischen Angebot wünschen.

Nicht wenige Kommentatoren sehen heute mit der gestrigen Entscheidung das Ende der AfD eingeläutet. Ich bin da nicht so sicher. Es wird entscheidend davon abhängen, welchen Kurs Frauke Petry nun mit ihrer neuen Macht einschlägt. Es wird davon abhängen, ob es den großen „Luxit“ gibt, und es wird davon abhängen, ob es der Partei gelingt, programmatisch eine echte Alternative mit eigenen Ideen zu entwickeln. Eine realistische Alternative, denn Wahlen werden nicht bei „Russia Today“ gewonnen, sondern durch inhaltlich und personell überzeugende Angebote.




Zum Leben gehört auch manchmal das Verlieren

Christine Finke, Mutter, Journalistin und Kommunalpolitikerin aus Konstanz ist im Begriff, berühmt zu werden. Das ist in Deutschland nicht so schwer. Man muss eine durchgeknallte Idee haben, eine Petition starten und dann den „Spiegel“ als Durchlauferhitzer gewinnen. Dann läuft das. Ich bin sicher, dass wir sie schon bald in Fernseh-Talkshows sehen werden, denn Frau Finke hat eine Petition mit dem Ziel gestartet, die Bundesjugendspiele abzuschaffen. Initiiert vom jeweiligen Bundespräsidenten werden diese Wettkämpfe seit 1951 verpflichtend für Schüler zwischen 8 und 19 Jahren an den Schulen in Deutschland veranstaltet. Die Schüler müssen dabei in sportlichen Wettkämpfen wie Laufen, Springen und Schlagball-Weitwurf bestimmte Leistungsstandards erreichen. Dafür gibt es dann Leistungsurkunden, wer die Standards nicht erreicht, erhält Teilnehmerurkunden.
Frau Finke will das nicht mehr. Der Grund ist so deutsch, dass man fast schon lachen möchte, wenn es nicht um ein Kind ginge. Ihr Sohn nämlich, sei vergangene Woche weinend nach Haus gekommen, weil er „nur“ eine Teilnehmerurkunde bekommen hatte. Und das sei demütigend, beklagt die streitbare Frau Finke. Ihre Internetpetition hat in diesem Moment, da ich hier schreibe, 10.235 Zeichner gefunden, und dank spiegel-online und des zu erwartenden Rauschens im Blätterwald morgen früh werden es wohl noch viele mehr.
Ich war als Schüler kein sonderlich guter Sportler, muss ich an dieser Stelle einräumen. Fußball, Basketball und Tischtennis konnte ich recht gut, aber bei Laufen, Springen und Werfen fielen die Ergebnisse eher bescheiden aus. Bei Bundesjugendspielen war die Teilnehmerurkunde mein ständiger Begleiter. Und es kratzte mich nicht die Bohne, denn ich wusste schon damals, dass so ein Leben immer wieder aus Wettbewerb bestehen würde. Ich war auch nicht gut in Chemie. Einmal, es ist 40 Jahre her und ich weiß es noch genau, holte mich der Lehrer an die Tafel, malte ein paar Formeln auf, die ich weiterentwickeln sollte. Ich hatte keine Ahnung und stand vor meinen Klassenkameraden wie ein Volltrottel. Nach demütigenden Minuten mit weiteren Aufgaben, die mich überforderten, fragte er mich, ob ich die Formel für Wasser kenne. Ich sagte: H 2 O und sicherte mir damit wenigstens eine Fünf. DAS war eine Demütigung, doch ich hatte sie verdient, denn ich war faul und hatte keinen Bock, für Chemie zu lernen. Nach dieser Erfahrung, riss ich mich zusammen, fing an zu Lernen, und verbesserte mich Schritt für Schritt. Man nennt das wohl Leistungsprinzip.
Aber Leistung ist nicht mehr gefragt in unserer Republik, und ich wundere mich immer wieder, wieso dieses Land trotzdem immer noch so gut funktioniert. Starke politische Kräfte betreiben heutzutage die Abschaffung des Leistungsprinzips. Kinder sollen sich nicht mehr mit anderen Kindern messen müssen. Immer wieder wird gefordert, die Schulnoten und das Sitzenbleiben abzuschaffen. Ging es früher darum, dass alle Kinder unabhängig von sozialer Herkunft gleich gute Startvoraussetzungen bekommen, geht es heute zunehmend darum, auch dafür zu sorgen, dass alle zugleich die Ziellinie erreichen. Wer mehr arbeitet, wer mehr kann, ist der Spielverderber, der Streber, der Schleimer. Wer sich irgendwie durchmogelt, gilt als Cleverle.
Eine verhängnisvolle Entwicklung, die – davon bin ich zutiefst überzeugt – mit ursächlich für die mehr als 100.000 Auswanderer ist, die Deutschland jedes Jahr den Rücken kehren. Wir reden viel über die Zuwanderung, aber nie darüber, warum so viele gut ausgebildete Leistungsträger abhauen, und was das für unsere Zukunft bedeutet. Ja, wir müssen die Schwachen fördern, die Gemeinschaft muss sie auffangen und ihnen Perspektiven bieten. Aber wir müssen auch Freiräume für die Begabten schaffen, wir müssen Eliten fördern in Wissenschaft und Technologie, und zwar von klein auf. Und wir müssen den Kindern vermitteln, dass eigene Leistung die wesentliche Grundlage für ihren späteren Erfolg im Leben sein wird. Und sei es, die besondere Leistung bei einem Sportwettkampf. Denn es gibt nicht nur die Traurigen, die es nicht schaffen, sondern es gibt auch die Schüler, die vorn sind und Leistungsurkunden bekommen. Die gewinnen damit Selbstwertgefühl und finden einen Antrieb, noch besser werden zu wollen. Das sollte man ihnen nicht nehmen.