„When the tailgate drops, the bullshit stops“, lautet ein englisches Sprichwort unter Jägern. Frei übersetzt: Wenn es ernst wird, hat das Gequatsche ein Ende!
Und Bullshit gab es während des Wahlkampfs zuhauf. Von Hitler war die Rede, von Nazis, von menschlichem Müll, von Korruption und Verbrechern. Selbst Papst Franziskus meinte, sich zu Wort melden zu müssen und sprach von zwei Übeln. Ein Fauxpas, den sich sein Vorgänger Benedikt nicht in 200 Jahren erlaubt hätte. Bedauerlicherweise änderte sich an den gegenseitigen Beschimpfungen und Unsachlichkeiten auch durch den Wechsel des demokratischen Kandidaten nichts. Vizepräsidentin Kamala Harris sprach praktisch nicht über ihre politischen Ziele, sondern versuchte, einen Tiefschlag nach dem anderen zu landen. Der politische Interessierte kam immerhin bei den Verlautbarungen der beiden Running Mates Tim Walz und James Vance auf seine Kosten. Diese wussten sich zu benehmen und verkündeten auch Inhalte.
Vizepräsidentin brauchte die „Blaue (demokratische) Mauer“
Zurück zum Ende des Gequatsches: Nach Schließung der Wahllokale ist jetzt erstmal Ruhe. Und es wurde und wird gezählt.
Klar war, dass das Ergebnis von der Auszählung in 7 Staaten abhing: Nevada, North Carolina, Nevada, Arizona, Georgia, und den drei Staaten des Rostgürtels – Wisconsin, Michigan und vor allem Pennsylvania. Unter diesen Staaten ist Pennsylvania der größte mit 19 Wahlmännern im Wahlmännergremium. In den vergangenen Wochen vor der Wahl verstärkte sich daher der Eindruck, dass wer Pennsylvania gewinnt, auch die Wahl insgesmt gewinnt.
Über den Wahlabend hinweg trudelten dann langsam die Ergebnisse ein.
New York natürlich an Harris, Texas an Trump usw. Aber der Fokus lag auf den genannten 7 Staaten. Mehr und mehr verstärkte sich in der Nacht dann der Eindruck, dass Donald Trump eine gute Chance auf den Sieg haben würde. North Carolina und vor allem Georgia fielen an den New Yorker. Im Gegensatz zu den Wahlen im Jahr 2020. Bei Georgia war das besonders verwunderlich, denn es war erwartet worden, dass die relativ starke schwarze Bevölkerung des Bundesstaates den Ausschlag zugunsten der Kalifornierin geben würde.
Aber diese Hoffnung trog. Entgegen den Vorhersagen war die Wahlbeteiligung nicht substantiell höher als bei den vergangenen Wahlen. Und je mehr Ergebnisse aus den einzelnen Wahlkreisen eintrafen, desto mehr verstetigte sich ein Trend: Donald Trumps Ergebnisse waren besser als im Jahr 2020, die Kamala Harris‘ schwächer als die Joe Bidens vor 4 Jahren. Ins Bild passte, dass gegen 22 Uhr plötzlich Virginia in den Fokus rückte. Ein Staat, der eigentlich klar demokratisch gebucht war. Letztlich konnte die Vizepräsidentin Virginia aber für sich entscheiden.
Um 22.40 dann die Botschaft, dass Trump Iowa deutlich gewonnen hatte. Ein weiteres Ausrufezeichen.
Noch drei Tage vor der Wahl hatte ein renommiertes Umfrageinstitut zur Überraschung aller verkündet, dort läge jetzt die Vizepräsidentin vorn. Alle Kommentatoren waren sich am Wahlabend einig: Kamala Harris‘ Chancen waren durchweg zu positiv eingeschätzt worden.
Für sie kam jetzt alles auf die sogenannte „Blue Wall“ an, die 3 umkämpften Staaten im Norden. Kamala Harris‘ war auf den Sieg in allen diesen drei Staaten angewiesen. Es bedurfte hier eines Durchmarsches. Doch der fand nicht statt. Trump gewann völlig überraschend in Wisconsin, Michigan und Pennsylvania, was niemand für möglich gehalten hatte. Die „Blaue Mauer wurde zur „Roten“ (der Republikaner).
Da fiel es auch nicht mehr ins Gewicht, dass der Ausgang in Arizona denkbar knapp war.
Wo irrten die Demoskopen?
Im Vorfeld hatten die meisten Institute und die demokratische Kampagne die Chancen der Vizepräsidentin an erwartet starken Ergebnissen in bestimmten Wählergruppen fest gemacht.
Nicht dazu gehörte die Gruppe der über 65-Jährigen. Hier schlug sich die Vizepräsidentin besser als erwartet. Tatsächlich hielten sich beide Lager hier, was unerwartet war, die Waage. Vielleicht wäre eine stärkere Ansprache der älteren Wähler durch die immerhin schon 60-Jährige sinnvoll gewesen.
Enttäuschend war für die Demokraten das Abschneiden bei den im Wahlkampf angesprochenen Zielgruppen.
Schlaglicht junge Wähler: hier lag die Kalifornierin zwar 8 Prozentpunkte vorn, aber Joe Biden hatte hier im Jahr 2020 noch 25 Prozent Vorsprung.
Schlaglicht Hispanics, also Wähler mit lateinamerikanischer Herkunft
Joe Biden hatte 2020 einen Vorsprung von 21 Prozent gegenüber Trump. Harris‘ Vorsprung betrug nur 16 %. Junge Wähler nahmen der 60jährigen Vizepräsidentin ihre vorgebliche Jugend offenbar nicht ab; auch, wenn ihr Kontrahent fast 20 Jahre älter war als sie.
Schlaglicht schwarze Wähler
Kamala Harris glaubte, diese aufgrund ihrer eigenen Vita praktisch in der Tasche zu haben. Ein Irrtum. North Carolina und Georgia haben einen überproportional hohen Anteil an schwarzer Bevölkerung. Dennoch gewann Donald Trump beide Staaten. 33 Prozent der afro-amerikanischen Stimmen wanderten zu ihm. Deutlich mehr als 2020 im Rennen gegen den weißen Herausforderer Joe Biden.
Schlaglicht urbane Bevölkerung
David Brooks von der linken New York Times konstatierte am frühen Morgen konsterniert, dass Donald Trump die größten Zugewinne in Großstädten gehabt hätte. Miami, New York, Houston, Dallas. Weder er noch die demokratische Kampagnenführungen konnten die Entwicklung erklären. Man war sicher, dass im Grunde nur Bauerntölpel für Trump stimmen würden.
Auch kein Faktor: die Never-Trumper
Die klassischen Republikaner, allen voran der ehemalige Vizepräsident Dick Cheney, hatten ihre Ablehnung des deutschstämmigen Geschäftsmanns überdeutlich gemacht. Wirkung gleich Null. Trump konnte den Verlust durch Erschließung bislang demokratischer und unpolitischer Wählergruppen überkompensieren.
Und zum Schluss: Die Harris-Kampagne verausgabte fast eine Milliarde Dollar, etwa das dreifache dessen, was der Trump-Kampagne zur Verfügung stand. Geld hilft sicher, ist aber Gott sei Dank nicht alles.
Beide Kammern jetzt bei den Republikanern
Im Senat hatten die Demokraten bislang eine Mehrheit von einer Stimme. Dieser Vorsprung schmolz über den Abend langsam dahin. Gegen Mitternacht war klar, dass die Republikaner mindestens zwei Wahlkreise umdrehen konnten und zu diesem Zeitpunkt bereits die Mehrheit der Sitze sicher hatten.
Im Kongress hatten die Republikaner bereits eine Mehrheit von 4 Stimmen. Die Grand Old Party (GOP) strebte nach einem Ausbau ihrer Führung. Um 23 Uhr ein kleiner Lichtblick für die Demokraten. Es gelang dem Demokraten Joe Mannion einen Wahlkreis in New York zu seinen Gunsten zu drehen. Das aber reichte nicht. Letztlich gewannen die Republikaner ausreichend Sitze und konnten ihre Mehrheit im Kongress verteidigen. In welchem Umfang genau stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest.
Um 12.45 (Ortszeit) trat Harris-Berater Cedric Richmond bei der Wahlparty der Demokraten in Washington auf, um mitzuteilen, dass die Vizepräsidentin in dieser Nacht nicht mehr zu ihren Anhängern sprechen würde. Erstaunlich. War ihr zu diesem Zeitpunkt bereits klar, dass sie verloren hatte? Ihre Anhänger verließen darauf enttäuscht das für die Party vorgesehene Gelände.