In Kürze: Die Debatte in Philadelphia setzte den Duktus fort, der in der Debatte zwischen Präsident Biden und seinem Herausforderer im Juni etabliert worden war. Einen klaren Sieger gab es auch diesmal nicht. Aber einen Verlierer: die demokratische Kultur in den USA.
Schwieriger Prozess der Einigung auf ein Format
Einen Tag vor dem 23. Gedenktag an die Terroranschläge in New York und Washington trafen sich die beiden Kandidaten für die amerikanischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024. Nach langem Hin und Her konnten sich die Kontrahenten dann doch noch auf ein Format einigen. ABC sollte die Debatte ausrichten. Der Sender, der zwar eher demokratisch ausgerichtet ist, dessen politische Berichterstattung wohl noch am ehesten als neutral zu bezeichnen ist. Der demokratische Sender CNN und der republikanische Sender Fox waren jeweils von den Kandidaten ausgeschlossen worden. Umstritten auch die Frage, wie Zeitüberziehungen und Unterbrechungen zu handhaben seien. Schließlich ließ man sich allenthalben darauf ein, dass während der Ausführungen des einen Teilnehmers das Mikrofon des anderen abgeschaltet wird. Die Szenen der ersten Debatte, die übrigens auf CNN lief (daher wäre eigentlich Fox am Zug gewesen, was aber die Demokraten kategorisch ausschlossen), sollten sich nicht wiederholen. Keine Zuschauer.
Hitzige Vorphase
Das Feuer, das die neue Kandidatur Harris begleitete und, das der demokratische Parteitag schürte, war am Tag danach schon wieder dahin: Der bis dahin noch im Rennen befindliche unabhängige Robert F. Kennedy, Sohn des ehemaligen demokratischen Senators, Neffe des demokratischen Präsidenten, erklärte seinen Rückzug und … unterstützt Donald Trump. Harris und ihre demokratische Partei seien durch und durch korrupt, befand er.
Kurz vor der Debatte dann der Rückschlag für Trump: George Bushs ehemaliger republikanischer Vizepräsident Dick Cheney, Vater der erklärten Trumpgegnerin und ehemaligen Abgeordneten Liz Cheney, gab bekannt, Kamala Harris wählen zu wollen. Ein klares Zeichen, wie tief der Graben innerhalb der republikanischen Partei ist. Die Liste der Never Trumper in seiner eigenen Partei ist lang: Paul Ryan, Mitt Romney, Dick Cheney, Chris Christie, Asa Hutchinson, Mike Pence. Es könnte am Schluss entscheidend sein.
Die Ausgangslage war klar: Die Demokraten mussten die Debatte gewinnen
Sie hatten mehr zu verlieren als die Republikaner. Es war der erste gemeinsame Auftritt der beiden Kandidaten. Die beiden schüttelten sich vor Beginn die Hände.
Und dann ging’s los. ABC hatte Linsey Davis und den erfahrenen David Muir als Moderatoren aufgeboten. Überraschend, dass sich die Republikaner darauf eingelassen hatten. Muir und insbesondere Linsey Davis sind klar links positioniert. Im Laufe der Moderation wurde dies mehr als deutlich. Während Kamala Harris unablässig Steilvorlagen erhielt, musste sich ihr Kontrahent Belehrungen anhören.
Kamala Harris begann nervös. Muir stellte die Frage, ob es den Menschen heute wirtschaftlich besser ginge als vor vier Jahren. Die Vizepräsidentin beantwortete die wiederholt gestellte Frage nicht, sondern ritt hingegen Attacken gegen den deutschstämmigen Immobilienunternehmer. Sie schien vorformulierte Antworten auswendig gelernt zu haben.
Wenn ihr Ansatz war, den New Yorker wegen angeblicher Lügen zu stellen, so tat sie sich keinen Gefallen damit, sich auf die gleiche Ebene zu begeben.
Beispiel 1: Trump verantwortlich für die höchste Arbeitslosigkeit seit der Depression. Alle Statistiken zeigen das Gegenteil.
Beispiel 2: Trump verantwortlich für die massive Staatsverschuldung. Richtig ist: Die Regierung Trump führte die Verschuldung nicht zurück. Richtig aber auch: Keine amerikanische Regierung trieb die Staatsverschuldung so nach oben wie der demokratische Schuldenpräsident Barack Obama und später die Regierung von Joe Biden.
Im Laufe der Debatte wurde Kamala Harris allerdings souveräner. Sie machte einen wichtigen, weil richtigen Punkt: Donald Trumps Importtarif von 10 Prozent wird Handelskriege hervorrufen.
Im Verlauf der Diskussion schenkten sich die Kandidaten nichts. Die Anzahl gegenseitiger persönlicher Angriffe stand in nichts hinter der in der Debatte Biden-Trump zurück. Und mit zunehmender Zeit nahm auch die entsprechende Frequenz zu und der inhaltliche Fokus ab. Das war für Kamala Harris schädlicher als für den ehemaligen Präsidenten, da es von ihm erwartet worden war, nicht aber von ihr. Die Chance, sich abzuheben, vertat sie.
Abschließend versprach die Vizepräsidentin erneut einen „neuen Weg in die Zukunft“. Warum sie diesen Weg in den vergangenen vier Jahren nicht gegangen ist, fragte sich nicht nur Donald Trump.
Eines ist klar geworden: Gewinnt Kamala Harris wird sie sicher nicht, entgegen ihren unablässigen Beteuerungen, die Präsidentin aller Amerikaner sein. Die Kalifornierin ist eine kompromisslose Vertreterin des linken Spektrums ihrer Partei. Wer auch immer gewinnt, Donald Trump hat viele Millionen treuer Anhänger. Nach der Debatte besteht kein Zweifel, dass dieser Teil der Bevölkerung von der aktuellen Vizepräsidentin nicht vertreten werden wird.
Umfragen ohne klaren Favoriten
Die Umfragen sind im Ergebnis uneinheitlich. Mehrheitlich führt Kamala Harris derzeit in den Umfragen im Durchschnitt mit undgefähr ein bis zwei Prozentpunkten. Nicht nur die demokratisch orientierte NY Times, die mit der Agentur Siena zusammenarbeitet, sieht derzeit allerdings den Mann aus New York im Vorteil. Der Vorsprung der Vizepräsidentin, getragen von einem gelungenen Parteitag, da sind sich alle Institute einig, ist geschmolzen oder ganz dahin. Entscheidender als die Frage, wer bundesweit führt, ist die Frage, wer in den sechs oder sieben Swing States führt. Das amerikanische Wahlsystem sieht nämlich im Grundsatz vor, dass alle Wahlmänner eines Bundesstaats dem jeweiligen Sieger zugutekommen, auch wenn das Ergebnis im Staat knapp ist. Diese entscheidenden Staaten sind: Pennsylvania, Wisconsin, Michigan, Arizona, Georgia, Nevada und North Carolina. Während North Carolina vermutlich an Trump gehen wird und Wisconsin an Harris, sind alle anderen Rennen offen: Michigan eher demokratisch, Nevada und Arizona eher republikanisch.