GASTSPIEL BJÖRN SCHREIBER: Ostern – seit 2010 nicht mehr wie es mal war

Plötzlich ist es sonnig, geschätzt 30 Grad – ich bin zurück in 2010. Ich schaue an mir hinab: Wüstentarnuniform, meine Hände halten Trommelstöcke. Mit einer absurden Konstruktion aus der Instandsetzung in Mazar-e Sharif haben wir am Karfreitag eine Tragekonstruktion für eine Tom unseres Bandschlagzeugs gebaut. Genau diese Tom hängt jetzt um meinem Hals, die Trommel auf Hüfthöhe. Auf der Tom haben wir mit Filz Stellen beklebt, um einen dumpfen Ton erzeugen zu können.

Von der Rede des Ministers Niebel sowie General Leidenberger bekomme ich nichts mit. Stattdessen schweift mein Blick über die Formation der angetretenen Soldaten, und in meinem Kopf kreist alles um den Gedanken, dass ich gleich bloß keinen Fehler machen darf. Das darf nicht passieren!
 Plötzlich Bewegung. Die Formation löst sich auf. „Habe ich was verpasst?“ Nein, die Kameraden begeben sich zur Aufstellung des Spaliers. Die drei Transportpanzer FUCHS begeben sich in Formation, eingerahmt von Kameraden aus Seedorf, die die Ehrenwache stellen, ein Bild des gefallenen Kameraden sowie die Orden präsentierend. Dahinter werde ich platziert. Drei Meter hinter dem letzten Kameraden stehe nun also ich: Oberleutnant zur See Schreiber, „bewaffnet“ mit einer notdürftig gebauten Trauertrommel – aus einem Bandschlagzeug!

Die Absurdität dieses Bildes führt zu einem paradoxen Gefühl, lachen zu wollen. Aber das geht nicht. Wieder Bewegung! Die Füchse rollen an. „Die Fallschirmjäger werden Dich verfluchen, wenn Du es jetzt versaust!“ Jeder Muskel spannt sich an und ich kann jede Muskelfaser spüren, die mein linkes Bein zum ersten Schritt bringen sollen. BUNM – der erste Trommelschlag trifft das Filz. Rechter Fuß – Linker Fuß – BUMM! Die ersten Schritte sind gemacht. Mein Blick richtet sich vorwärts. BUMM! Ein Sarg ragt aus dem TPz, bedeckt mit unserer Bundesdienstflagge. BUMM! Wir passieren die ersten Kameraden im Spalier. BUMM! Blick in die Gesichter – allen steht die Trauer in den Augen. BUMM! Unsere Blicke treffen sich, und auch mir steigen Tränen in die Augen. BUMM! Zeit für Gedanken habe ich nicht. BUMM! Blick auf die Trommel: Konzentration, nicht daneben schlagen! BUMM! Warum die Panzer plötzlich sehen bleiben erklärt sich nicht auf den ersten Blick. BUMM! Verdammt, wir stehen doch. Nicht mehr trommeln!

Das Zeitgefühl habe ich wohl verloren, das Gefühl für die Strecke auch, obwohl wir sie gestern noch abgelaufen sind. Wir sind am Heli-Pad, wo die CH53 stehen, mit denen gleich die Kameraden sowie sämtliche VIPs und auch ich nach Termez fliegen werden. 
Die TPz stellen sich nebeneinander auf. Ich fühle mich etwas verloren und werde platziert. Mit wird jetzt erst die ganze Medien-Entourage bewusst. Dann überkommt mich die Angst: Am Samstag Morgen hieß es noch, dass nur durch das Spalier getrommelt werden soll. Nach unserer Ankunft in Kunduz aber haben der Stabsfeldwebel (er hat den Guten Kameraden auf seiner Trompete gespielt) und ich uns weitere Infos eingeholt: Es wird auch erwartet, dass ich gleich den Trommelwirbel schlage, wenn die Särge aus den TPz in die CH53 getragen werden! Also hat der Staber am Abend versucht, mir noch das Wirbeln beizubringen. Versagensangst steigt in mir hoch! Ich will doch nichts falsch machen – nicht die würdige Zeremonie versauen! Ich fühle mich hilflos. Dann geht es los.

Die Sargträger gehen zu den Särgen und greifen zu. Blick auf die Trommel – jetzt bloß nicht die Filzstreifen treffen! Gestern Abend haben wir noch einen Streifen wieder abgezogen, weil der Wirbel anders klingen muss. Ich hebe die Trommelstöcke und fange an: RRRRRRRRRRRRRRR klingt es. „Soll so ein Wirbel klingen?“ Ich schaue in die Reihen der Fallschrimjäger, die wohl hinter mir hergegangen sind und alle einen schwarzen Trauerflor tragen. RRRRRRRRRRRRRRR! Sie halten sich in den Armen, viele weinen, allen sieht man den Schmerz an. RRRRRRRRRRRRRRR! Was muss in ihren Köpfen abgehen? Ich sehe Herrn General Leidenberger. RRRRRRRRRRRRRRR! Auch ihm sieht man an, dass es ihm nahe geht: Gehörten die Jungs doch zu seiner Brigade. RRRRRRRRRRRRRRR! Keiner schaut mich böse an. Erleichterung. RRRRRRRRRRRRRRR! Der erste Sarg verschwindet im Helikopter. RRRRRRRRRRRRRRR! Als der letzte Sarg verschwindet, bekommt die Trommel einen letzten etwas härteren Schlag – BUMM! Ruhe!

Die Fallschirmjäger – ihnen allen sieht man an, dass sie starke Jungs sind – lassen ihren Gefühlen freien Lauf. Ich möchte zu ihnen gehen, sie einfach trösten. Aber ich gehöre nicht zu ihrer Kompanie und weiß nicht, wie sie reagieren würden. Jeder geht mit seiner Trauer anders um. Und diese Einheit ist seit Freitag noch enger zusammengewachsen als sie es vorher schon war. Also stehe ich hier – tatenlos und hilflos. Langsam kommt Bewegung in die Masse. Herr Minister Niebel und seine Delegation werden zu einem Heli begleitet und auch die Gruppe um General Leidenberger, zu der ich seit gestern gehöre, bewegt sich langsam. Ein junger Oberleutnant steht relativ vereinzelt aber mit deutlicher Nähe zur Fallschirmjägerkompanie. Vielleicht ein Zugführer, der stellvertretende Kompaniechef oder Kompanieeinsatzoffizier.

Ich nehme mir ein Herz: Unter Offizieren ist – eigentlich total absurd in so einer Situation – die Nähe eher da. Ich gehe zu ihm hin und finde kaum Worte. „Mein herzliches Beileid, Kamerad!“ Es klingt trocken, formell und fast schon lächerlich. Toll, selbst das bekomme ich nicht hin. Der Oberleutnant aber nimmt mich in den Arm und ich sehe Tränen in seinen Augen: „Danke!“ Ein Wort – und doch soviel, was da zwischenmenschlich zwischen uns geschieht. Dann ist es Zeit: Ab in den Heli, Platz nehmen, Helm auf. Die Trommel zwischen meinen Füßen hebt der Heli ab.

Wie unwirklich die Bilder sind, wenn ich so aus der offenen Heckklappe am Heck-Gunner vorbeischaue. Schönes Land Afghanistan – Du hast am Freitag drei jungen Männern das Leben genommen! Weiteren schwere Verwundungen. Du hast Kindern den Vater, Frauen den Ehemann oder Lebensgefährten, Eltern ihr Kind genommen!
 Landung – Termez. Wir müssen aussteigen. Die Särge werden aus den Helikoptern in die Regierungsmaschine von Minister Niebel gebracht. Ich erfahre, dass ich dabei nicht trommeln muss. Es ist als ob das ganze Marmalgebirge von mir abfällt. Und dann geschieht es: Mir kommen die Tränen. Ich kann gar nicht anders. Die ganze Anspannung ist weg und ich heule. Der Stabsfeldwebel steht neben mir und nimmt mich einfach in den Arm. Danke! Ich kann nicht reden, aber ich fühle mich geborgen. Ich bin 28 und heule, weil drei meiner Kameraden seit Freitag nicht mehr unter uns sind!

Zwei Arme um mir. Eine Umarmung und ich sitze am Kaffeetisch. Ostersonntag 2018 – meine Frau holt mich aus meinen Gedanken und Erinnerungen. Danke, ich liebe Dich!

Ostern wird nie mehr das sein, was es vor 2010 war.

Karfreitag 2010: Bei einem stundenlang andauernden Gefecht in der Ortschaft Isa Khel, (Distrikt Chahar Darreh, Provinz Kunduz) fallen Hauptfeldwebel Nils Bruns, Stabsgefreiter Robert Hartert und Hauptgefreiter Martin Kadir Augustyniak. Acht weitere Kameraden werden zum Teil schwer verwundet.




Das Böse und den Bösen – gibt es sowas?

Für mich ist die Geschichte vom Leben, Leiden, Sterben und der Wiederauferstehen von Jesus Christus die gewaltigste Geschichte aller Zeiten. Wenn Sie „religiös unmusikalisch“ sind, wie der Philosoph Jürgen Habermas sich eins selbst beschrieb, bleibe Sie dennoch hier, liebe Leserinnen und Leser, denn es geht auch um ganz weltliche Dinge heute.

Gestern gedachten die meisten der nominell mehr als zwei Milliarden Christen auf der Welt, wenigstens die, die ihren Glauben tatsächlich leben, der Geschichte vom letzten Abendmahl und vom Verrat des Judas. Damit beginnt das furchtbare Leiden des Jesus von Nazareth, den viele für Gottes Sohn halten, und der am Kreuz zunächst stirbt. Mich beschäftigt diese Geschichte immer wieder intensiv und fast immer berührt sie mich in der Abendmesse des Gründonnerstags emotional sehr. Der Freund, der mit am Tisch sitzt, mit dem man über wichtige Themen spricht, dem man uneingeschränktes Vertrauen schenkt, mit dem man lacht und Spaß hat. Und der dann zum Verräter wird, der mit einem Satz oder einer Handlung alles zerstört, was man für Gewissheit gehalten hat. Kennen Sie so etwas auch? Ich habe es in meinem Leben immer wieder erlebt. Es muss gar nicht ein Familienmitglied oder ein wirklich enger Freund sein, einfach jemand, den man mag und dem man vertraut. Und der sich dann als echtes A….. herausstellt.

Warum passiert so etwas? Menschen, die im Gegensatz zu Habermas religiös musikalisch sind, führen das oftmals auf „das Böse“ zurück. Gibt es das überhaupt? Oder sind das Gute und das Böse in jedem von uns grundsätzlich angelegt, um uns in der Balance zu halten? So wie im chinesischen Daoismus mit Ying und Yang?

Das Böse? Gibt es das? Vielleicht sogar DEN Bösen? Für uns aufgeklärte Menschen schwer vorstellbar, auch wenn es in den christlichen Kirchen fester Bestandteil des Glaubens ist. Bei der Taufe eines Kindes und jetzt auch wieder in der Osternacht gehört es in jeder katholischen Messe dazu, dem Bösen zu widersagen.

Aber ein Böser, der in unser Leben eingreift? Einer mit Hörnern und Pferdefuß? Teuflische Besessenheit? Ich bitte Sie… Der WDR-Journalist Marcus Wegner schrieb vor Jahren ein spannendes Buch mit dem Titel „Exorzismus heute: der Teufel spricht Deutsch“. Darin erzählt er unglaublich skurrile Geschichten, die hier und heute in diesem Land jeden Tag passieren. Was für ein Quatsch, denkt man an vielen Stellen unwillkürlich. Wie kann man an so einen Firlefanz glauben? Doch dann erzählt auch Wegner im letzten Kapitel ein persönliches Erlebnis, das er offenbar selbst nicht rational einordnen kann.

Papst Franziskus hat übrigens jüngst in der italienischen Zeitung „La Repubblica“ gesagt: „Die Hölle gibt es nicht, was es gibt, ist die Auslöschung der sündhaften Seelen.“ Vor wenigen Stunden korrigierte der Vatikan diese bahnbrechende Aussage des Pontifex. Er sei falsch zitiert worden, und die Hölle gibt es doch. Wenn die sich da in Rom nicht einmal einig sind…

Ihnen allen wünsche ich gesegnete Ostertage!




Warum der gedruckte „Spiegel“ ein Genuss ist

Dieser Blog ist bekannt, ich würde fast sagen berühmt, für unkonventionelles Denken, das – wie der Name sagt – erwünscht ist. Heute möchte ich Ihnen wieder etwas zum Denken geben, das Sie vielleicht überraschen wird: ich will eine Lanze für das linkslastige Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ brechen.

Meine Präferenzen bei Printmedien sind eindeutig. Seit fast 40 Jahren lese ich „Die Welt“, die ich damals an der Universität in Bielefeld für ein Jahr kostenlos geliefert bekam, weil ich im RCDS war, danach dann auch deutlich verbilligt. Ich bin der bürgerlichen Tageszeitung bis heute treu geblieben. Damals war sie konservativ, heute ist sie liberal – anspruchsvoll und lesenswert ist sie geblieben. 25 Jahre lang habe ich den Spiegel gelesen, das selbsternannte „Sturmgeschütz der Demokratie“, das es zweifellos auch lange Jahre Jahre gewesen ist. Wie viele Schweinereien in unserer Gesellschaft wurden durch seine Redakteure aufgedeckt? Eine Demokratie braucht unerschrockene Journalisten, sonst funktioniert sie nicht.

Als der großartige Helmut Markwort („Fakten! Fakten! Fakten! Und immer an die Leser denken.“) mit „Focus“ ein bürgerliches Nachrichtenmagazin dagegen setzte, war ich von Anfang an dabei. Als er aufhörte, gefiel es mir schon nach kurzer Zeit überhaupt nicht mehr. Ich verabschiedete mich als Stammleser so wie auch beim gedruckten Spiegel. Dazu müssen Sie wissen, dass ich als politischer Journalist natürlich immer wieder in Spiegel und Focus schauen muss, weil hier oftmals die Agenda gesellschaftlicher Debatten in Deutschland vorgegeben werden. Heute lese ich den gedruckten Focus jede Woche, weil der junge Chefredakteur Robert Schneider dem einstigen Markwort-Magazin eine thematische Breite und eine brillante Optik verpasst hat, die nur noch Spaß bereitet.

Der Vollständigkeit halber möchte ich noch erwähnen, dass ich seit gut zehn Jahren die konservative Wochenzeitung „Junge Freiheit“ lese – so etwas wie die linksalternative TAZ, nur auf der anderen Seite und journalistisch erheblich anspruchsvoller, sprich: besser.

In den vergangenen drei Tagen habe ich die beiden jüngsten gedruckten Ausgaben des Spiegel gelesen, und es war ein wahrer Genuss. Man denkt ja, das Magazin aus Papier und Spiegel Online seien quasi eins. Doch mitnichten! SPON ist schnell und aktuell, bleibt aber journalistisch weit hinter anderen Medien zurück. Man bedient professionell den Mainstrem und leistet sich mit dem großartigem Kolumnisten Jan Fleischhauer einen brillanten konservativen Autor. Der Rest ist grauer Mainstream-Brei, wie man ihn sonst so konsequent nur noch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern findet.

Aber diese beiden gedruckten Spiegel-Ausgaben waren wie eine Offenbarung nach längerer Zeit, in der ich bewusst auf dieses Lesevergnügen verzichtet habe. „Todesgrüße aus Moskau“ ist der Titel aus der vergangenen Woche überschrieben, eine fesselnde Story über den „mysteriösen Giftanschlag von Salisbury“. Und dann der Beitrag des überragenden Autors Alexander Osang über den Tod einer jungen Amerikanerin im weltweit bekannten Technoklub „Berghain“. Und dann die aktuelle Ausgabe mit dem Titel „Die Falle Facebook“ und den Streitgesprächen mit Feministinnen und Nicht-Feministen*_Innen oder wie man das heute schreiben muss. Klar, ich wollte diese Ausgabe in erster Linie lesen, um zu wissen, wie sich Birgit Kelle, meine Frau, dort geschlagen hat. Und sie war wie erwartet wunderbar. Aber ebenso viel Lesevergnügen hat mir die Geschichte über das politische Ende von Martin Schulz in der SPD bereitet. Nicht, weil ich Freude am galoppierenden Untergang der deutschen Sozialdemokratie habe. Wirklich nicht! Sondern weil der Erzählstil der Kollegen beim Spiegel oftmals mitreissend und ein intellektueller Genuss sind. Etwa wenn wir erfahren, dass Schulz Freundschaften in der Politik für möglich hält und dann hinzufügt: „Aber vielleicht nicht mit Sigmar Gabriel.“

Oder als er auf dem Weg nach Berlin ist, wo er den Vorsitz der traditionsreichen Arbeiterpartei SPD abgeben wird und die Limousine am Flughafen wegen einer „Reifendrucksystenstörung“ nicht weiterfahren kann. Der Autor beschreibt, wie Schulz danach „verfolgt von überraschten, mitleidigen Passantenblicken einmal quer durch den Flughafen“ läuft, um dann in ein Taxi zu steigen. Der Spiegel-Journalist weiter: „Ein Vorgeschmack aufs neue Leben.“ Ganz groß!

Ich habe heute Morgen beschlossen: Ab dieser Ausgabe gehört der gedruckte Spiegel wieder zu den Blättern, die ich regelmäßig lesen werde.




Wir verneigen uns vor Arnaud Beltrame, der nicht zögerte, als es auf ihn ankam

Ja, Arnaud Beltrame ist ein Held. Der Polizist, der sich gestern bei einer Geiselname im südfranzösischen Trèbes als Geisel für eine Frau angeboten hatte, ist in der vergangenen Nacht an zwei Schusswunden gestorben. „Frankreich wird niemals seinen Heldentum, seine Tapferkeit und sein Opfer vergessen“, schrieb Innenminister Gérard Collomb auf Twitter. Und wir auch nicht, möchte man anfügen.

Wir alle sollten einen Augenblick innehalten und über Beltrames persönliches Opfer nachdenken und über den Begriff des Dienens. Wer macht so etwas heute noch in unseren Fit-for-Fun-Gesellschaften? Sich aufopfern, das eigene Leben riskieren für einen anderen Menschen, den man zuvor noch niemals getroffen hat?

Staatschefs erwarten von ihren Leibwächtern, dass sie sich im Ernstfall aufopfern und mit ihrem Körper den ihnen Anvertrauten schützen. Aus Konzentrationslagern des Nazi-Regimes gibt es ergreifende Geschichten von christlichen Märtyrern, die sich für andere aufgeopfert haben. Wie viele junge Männer und Frauen werden Jahr für Jahr in den Krieg geschickt, wo ihr Land selbstverständlich von ihnen erwartet, dass sie ihr Leben für die vermeintlich richtige Sache einsetzen?

Über das Leben von Arnaud Beltrame habe ich heute noch nicht viel erfahren. Hatte er eine Familie? Mit was verbachte er seine Freizeit? Liebte er Fußball oder Rotwein? Wir wissen nichts, außer dass er bereit war, als es ernst wurde, sein Leben für eine fremde Frau zu opfern – im Kampf gegen die islamistischen Terror, der unsere westlichen Gesellschaften mehr und mehr herausfordert, während die Mächtigen, die uns anführen, weitgehend tatenlos zuschauen. Im Krieg gegen den Terror gibt es viele Namen von Menschen, die unvergessen bleiben. Die nicht gezögert haben, als es auf sie ankam. Menschen wie Todd Beamer, der am 11. September 2001 im entführen Verkehrsflugzeug UA 93 den Aufstand der Passagiere gegen die Islamisten im Cockpit anführte. Und viele andere, namenlose an vielen Orten dieser Welt, die sich mutig eingemischt haben. In der Reihe dieser Helden verneigen wir uns ab heute auch vor Arnaud Beltrame, dem Polizisten aus Trèbes.




GASTSPIEL FRANK JORDAN Die Schweiz: Alpiner Vorposten von Unrecht und Gewalt?

Heute schon gelacht? Oder geweint? Nicht? Lesen Sie das Folgende. Dann geht beides wie von allein. Gleichzeitig.

Die Schweiz (das sind die mit der direkten Demokratie, einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt und einem Ausländeranteil von rund 23 Prozent) wurde im vergangenen November zum dritten Mal durch die Mitgliedsländer des Uno-Menschenrechtsrats überprüft. Nun liegen die auf der Überprüfung basierenden 251 (!) Empfehlungen und Forderungen der Gralshüter des Guten vor:

Die Zentralafrikanische Republik hält eine Nachbesserung des Schweizer Gleichstellungsgesetzes dringend geboten, während die Türkei den ungenügenden Schutz von Minderheiten und die gefährdete Meinungsfreiheit moniert und Südafrika von dem Alpenstaat einen Aktionsplan gegen Rassismus fordert. Russland macht sich Gedanken über die Bedingungen (Überfüllung) in Schweizer Gefägnissen und Angola fordert eine bessere Suizidprävention. Thailand erwartet mehr Engagement im Kampf gegen sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel und Kirgistan mehr Einsatz bei Genderfragen. Die Mongolei will mehr Frauen auf Entscheidungsebene sehen und der Iran ist besorgt um die fehlende Gleichstellung bei Lohnfragen. Südafrika fordert Menschenrechtstrainings für Behördenmitarbeiter. Die Republik Moldau will für Schweizer Männer einen bezahlten Vaterschaftsurlaub, China sieht Handlungsbedarf beim Schutz von ethnischen Minderheiten, Venezuela ist betrübt über die schweizerische Polizeigewalt und Ägypten sorgt sich über Folterpraktiken und fordert eine Anpassung des Militärstrafgesetzes.

Dies nur eine kleine Auswahl. In gleicher Weise ergiesst sich der Sermon über rund 30 Seiten. Zu verstehen ist die Groteske wie stets nur dann, wenn man sich fragt, wem dieses Papier dient. Die Antwort ist ebenso einfach wie erschütternd: Sie dient dem Staat, der zwei Drittel dieses Wunschzettels umsetzen will, und den an seinen Zitzen hängenden NGOs, die die Mitglieder des Uno-Sicherheitsrats beraten, sprich: „briefen“. Mehr Entwicklungshilfe, mehr Minderheiten finanzieren, schützen und aufnehmen, mehr staatliche Leistungen und Zulagen, mehr Befugnisse für die Behörden in allen angesprochenen Punkten via Anpassung des Strafgesetzes.

Die einzigen, die davon nichts, ausser einer weiteren Beschneidung ihres Wohlstands und ihrer Freiheit haben, sind jene, die es bezahlen. Die nicht auf der nahrhaften Seite der Gesellschaft (Staatdienst oder Leistungsbezüger) lebenden Schweizer Bürger. Oder anders gesagt: es bedeutet, was Politik immer bedeutet: Mehr Macht und Personal den Behörden und für das aufzustockende Heer der Staatsabhängigen (in diesem Fall NGOs und Einzelpersonen) mehr Geld auf Kosten anderer. Eine treffendere und traurigere Beschreibung von Politik ist schwer zu finden.




Vier Morde und ein Todesfall… viele Todesfälle…nur Zufall natürlich

Eigentlich müsste man Putin und seiner Clique im Kreml fast dankbar sein, dass sie uns in regelmäßigen – kürzer werdenden – Abständen daran erinnern, warum diese Leute niemals Partner für zivilisierte Länder sein können.

Vor zwei Wochen war ich in Berlin bei einem Freund zum Frühstück eingeladen, der einen großen Teil seines Lebens in Russland gelebt, seine Frau dort kennen und lieben gelernt hat. Die Kinder der beiden wurden in Russland geboren, alle sprechend fließend Russisch und alle lieben dieses große Land, seine Kultur und seine Menschen. Aber nicht die Mafia, die dort unter einem Paten herrscht, der in Deutschland einst für den sowjetischen Geheimdienst KGB spionierte.

Bei Blinis mit Marmelade und schwarzem Tee philosophierten wir darüber, warum Putin all das tut, was er tut. All die Drohgebärden, die militärischen Muskelspiele, völkerrechtswidrig Krieg in der Ukraine führen, all die Desinformationskampagnen, die Hacker-Angriffe im Netz gegen staatliche und politische Einrichtungen in Deutschland und überall in Europa. All die Morde…

Sergej Skripal und seine Tochter Julija sind noch nicht tot, aber sie sind nahe dran am schwarzen Abgrund. Sergej, früherer Oberst des sowjetischen, später russischen, Geheimdienstes ist ein Soldat, der in Afghanistan kämpfte. Irgendwann später wollte er nicht mehr mitspielen – nach seiner Version, weil er die Korruption in der Behörde nicht mehr ertragen konnte. Er beschloß Doppelagent zu werden, der als Diplomat getarnt in Europa spionierte – für beide Seiten. Skripal flog auf und verbrachte sechs Jahre in einem russischen Straflager, bevor er mit drei anderen gegen zehn russische Spione ausgetauscht wurde, die das FBI aus dem Verkehr gezogen hatte.

Am 4. März wurden der frühere Spion und seine Tochter bewusstlos im englischen Salisbury aufgefunden, wie sich herausstellte vergiftet mit einem in Russland hergestellten Nervengift. Seitdem tobt eine diplomatische Schlacht zwischen dem Westen, angeführt von England, den USA, Deutschland und der EU auf der einen und Russland auf der anderen Seite.

Wie immer hat auch in Russland nichts mit nichts zu tun. Dutzende Putin-Gegner starben in den vergangenen Jahren eines gewaltsamen Todes so wie Boris Nemzow, Anna Politkowskaja, Natalia Estemirowa und Boris Beresowski. Andere – vornehmlich Journalisten – hatten Glück, sie wurden nur vor der eigenen Haustür halb totgeschlagen. Alexander Litwinenko, auch ein russischer Agent, der zu den Briten überlief, wurde mit dem radioaktiven Polonium-Isotops 210 vergiftet und getötet. Auch er hatte im Zusammenhang mit dem Mord an Politkowskaja Wladimir Putin öffentlich kritisiert. Auch ein Ex-Agent, der die seiten wechselte. Sicher Zufall…

Im Jahr 2012 starb Skripals Frau Ljudmila an einem Krebsleiden eines natürlichen Todes. Im Jahr 2016 starb Skripals Bruder in Russland aus welchen Gründen auch immer. Im Jahr 2017 dann starb Skripals 43-jähriger Sohn bei einem Urlaub mit seiner Freundin in St. Petersburg. Todesursache: akutes Leberversagen. Die noch lebenden Angehörigen der Familie glauben nicht, dass diese Reihe von Todesfällen innerhalb weniger Jahre Zufall ist.

Klar ist, wie es jetzt hier weitergeht. Sie werden im Laufe des Tages im Forum lesen, was Putin für sein Land Großartiges geleistet hat, und wie stark er es wieder gemacht hat mit neuen Atomraketen und superschnellen Kampfflugzeugen. Wie toll er immer alle Wahlen gewinnt und wie bunt die Fußball-WM demnächst sein wird. Und dass auch die Amerikaner schon unliebsame Leute umgelegt haben. Und wurde nicht auch Kennedy ermordet von der Macht im Schatten? Und überhaupt: George Bush habe doch selbst die Sprengungen am World Trade Center angebracht, die diese dann zum Einsturz brachten. Und ist dieser Kelle nicht von Wall Street und Bilderbergern ferngesteuert und russophob?

Denken und schreiben Sie, was Sie wollen. Das ist das Markenzeichen dieses Blogs. Ich war nur vier Mal in Russland und das ist viele Jahre her. Aber ich habe damals phantastische Gastfreundschaft erlebt, intensive Gespräche bei Kerzenlicht und Wein mit Studenten in einer Mini-WG. Und diese landesübliche Wodka-Sauferei aus Wassergläsern habe ich überlebt. Die schwermütige Musik – unvergessen.

Ja, wir europäischen Länder, wir Westen müssen mit Russland klarkommen, immerhin eine Atommacht. Wir müssen Beziehungen zu ihnen pflegen und – wenn Putin mal ein paar Jahre nichts annektiert – auch Handel treiben. Aber dieses menschenverachtende Putin-Regime ein Partner für uns? Nie! Nie! Nie!




Musterland ist abgebrannt: Schweden wird zu einem „Failed State“

Fast eine Schießerei pro Tag in 2017, Angriffen auf Polizeiautos, Sprengstoffanschläge auf Polizeiposten, Schüssen gegen die Wohnung eines Polizisten… Wir reden nicht von den Favelas in Rio de Janeiro. Wir reden von Schweden, der Heimat von Pippi Langstrumpf, dem weltweit geachteten Musterland des Gutmenschentum, dem Staat, in dem IKEA erfunden wurde und diese großartige Mandeltorte mit Vanillecreme.

Die Neue Züricher Zeitung berichtet vor vier Tagen über den zerplatzten Integrations-Traum dieses liebenswerten skandinavischen Landes, in dem es angeblich die schönsten blonden Frauen der Welt gibt. Doch für die ist die neue Zeit alles andere als lustig. Und für die Männer auch nicht.

Landesweit haben die Sicherheitsbehörden 61 Stadtteile identifiziert, in denen 200 kriminelle Netzwerke mit insgesamt 5000 Mitgliedern aktiv sind, wohlgemerkt Stadtteile, in denen es hohe Migrantenanteile an der Bevölkerung gibt.

Die hilflosen Integrationsbemühungen des Staates haben in Schweden so offensichtlich versagt, dass sich die Politik inzwischen mit dem Problem von Jugendgangs – die Mitglieder sind zwischen 15 und 25 Jahren jung – in Großstädten wie Stockholm, Göteborg und Malmö beschäftigen muss. Die Zeitung «Aftonbladet» berichtet, von 131 tödlichen Schiessereien in den drei Grossstadtregionen seit 2011, davon 100 auf offener Straße.

Im September wählen die Schweden ein neues Parlament. Im Wahlkampf dreht sich alles um das Thema Innere Sicherheit. Die konservativen Schwedendemokraten (so eine Art schwedische AfD) wollen in den sozialen Brennpunkten Militär einzusetzen, um die Polizei zu unterstützen.

Schweden ist die Blaupause. Wir sollten von deren Erfahrungen lernen und die richtigen Schlüsse ziehen.




Heute jährt sich der Tag, an dem ich vor dem Fernseher weinte

Heute vor 35 Jahren wurde Helmut Kohl vom Volk zum Bundeskanzler gewählt. Schon am 1. Oktober 1982 war er durch den dringend notwendigen Koalitionswechsel von der SPD und Schmidt zur Union ins Amt gekommen. Die Bürger bestätigten die schwarz-gelbe Vernunftehe eindrucksvoll. Und die Sozialdemokraten verabschiedeten ihren großen Kanzler Helmut Schmidt mit einem schäbigen und gegenüber der Sowjetunion unterwürfigen Beschluss gegen den NATO-Doppelbeschluss, der später maßgeblich zum Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums Moskauer Prägung führte.

Ich war junger Wahlhelfer in einem Wahllokal der Hauptschule Holzhausen in meiner Heimatstadt Bad Salzuflen. Noch nie zuvor war die CDU dort auch nur in die Nähe der 40 Prozent gekommen. Als wir an diesem Abend ausgezählt hatten und der Wahlleiter hinter der CDU als erste Zahl eine 4 mit Kreide an die Tafel schrieb, begriff ich, das heute etwas Historisches in meinem Land geschehen würde. Freiheit statt Sozialismus hatte Kohl im Wahlkampf versprochen und eine geistig-moralische Wende. Ich hatte wochenlang jeden Tag Wahlkampf betrieben in unserer Ortsunion, die von einem Bauern geleitet wurde. Im strömenden Regen fuhren wir mit einem CDU-beschrifteten VW Bulli nachts durch die Stadtteile und klebten Kohl-Konterfeis auf Plakatständer. Samstags standen wir in der Fußgängerzone der Innenstadt, verteilten Broschüren und Luftballons und Aufkleber. Ab und an kamen Aktivisten der örtlichen DKP-Ortsgruppe vorbei und pöbelten uns an. „Fußkranke der Weltrevolution“, so hatte Kohl solche Leute bei einer Kundgebung vor dem Detmolder Rathaus genannt.

Die geistig-moralische Wende kam nicht, was mich irgendwann sehr enttäuschte. Dafür wurde das Privatfernsehen eingeführt, was ich gut fand und finde. Nicht wegen Dschungelcamp und Casting-Shows, sondern wegen Pluralität und echter Konkurrenz zum Staatsfunk. Das wurde letztlich auch enttäuschend für mich.

Die Einheit hat nicht Helmut Kohl erfunden, aber er hatte den richtigen Riecher. Als der „Mantel der Geschichte“ wehte, griff er beherzt zu. Mit seinem Zehn-Punkte-Plan zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit unseres Vaterlandes (Aufpassen Gender-StaSi!), mit seiner unnachahmlichen Umarmungsstrategie gegenüber skeptischen Staatschefs. Die Amerikaner unter George Bush senior waren sofort an Deutschlands Seite. Margret Thatcher wollte überhaupt nicht, aber Kohl nötigte sie so lange zum Saumagen-Essen, bis sie aufgab. Und mit Gorbatschow saß er am Rhein und philosophierte um Truppenabzug und Einheit, später mit Jelzin soff und schwitzte mein Kanzler in einer russischen Sauna. Ja, ich stehe heute noch dazu, dass ich Kohl immer wieder gewählt habe, obwohl er kein Konservativer war. Aber er war ein Patriot, für den das Wort Pflichterfüllung keine leere Hülse war. Der Platz ließ für die Flügel, der den Herz-Hesu-Marxisten Blüm ins Kabinett holte und den schwarzen Sheriff Dregger für die Konservativen. Welcher Minister stand eigentlich im Kabinett Merkel zuletzt für…irgendwas? Außer Frau von der Leyen für das Runterwirtschaften der Bundeswehr.

In wenigen Tagen wird Frau Merkel erneut zur Bundeskanzlerin gewählt. Wahrscheinlich werde ich wieder weinen. Aber aus anderen Gründen als damals.




„Wie der Hase da so läuft“: Eine Ministerin vor hohen Hürden

Demokratie ist eine feine Sache. Wenigstens hin und wieder wird das Volk gefragt, in welche Richtung ungefähr sich die Politik bewegen soll. Und jeder, auch die, die keine Ahnung haben, dürfen mitreden und für ihre Überzeugungen streiten. Manche schaffen es bis nach ganz oben, etwa ein Taxifahrer und linksextremer Straßenschläger, der in Deutschland Vizekanzler und Bundesaußenminister werden konnte. Und er hat es gut gemacht, der Joseph Fischer aus Gerabronn, der Deutschland auf internationaler Bühne selbstbewusst vertreten und keine Scheu hatte, selbst einem Schwergewicht auf der Weltbühne wie dem damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld klar zu sagen, dass er und damit Deutschland nicht „convinced“, also nicht überzeugt sei und deshalb nicht in den Irakkrieg ziehen werde. Das war klasse von Joschka.

Oder nehmen Sie Ursula von der Leyen, die noch 1978 für wohltätige Zwecke gemeinsam mit ihrer Familie eine Single mit zwei Volksliedern aufnahm, darunter „Wohlauf in Gottes schöne Welt“. Sie studierte Archäologie, dann Volkswirtschaft und schließlich Medizin. Und jetzt ist sie Bundesministerin der Verteidigung, leider auch noch die nächsten dreieinhalb Jahre (lesen Sie dazu mehr hier).

Nun also Anja Karliczek aus dem schönen Münsterland, genau aus Ibbenbüren. Eine gelernte Bankkauffrau, die dann zur Hotelfachfrau umschulte. Berufsbegleitend absolvierte sie auch noch noch ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der FernUniversität in Hagen, das sie 2008 mit dem akademischen Grad Diplom-Kauffrau abschloss. So lesen wir es auf Wikipedia. Und nun wird sie Bundesministerin für Bildung und Forschung.

Warum denn nicht? Ich meine, Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe ist eigentlich Jurist, und er hat seinen Job nach Meinung vieler Mediziner exzellent gemacht. Deshalb wird er ja auch im neuen Kabinett nicht mehr vertreten sein. Das ist so unter Führung von Angela Merkel, die ja immer wieder vom Volk gewählt wird. Muss man halt mit klarkommen…

Doch zurück zu Anja Karliczek. Die stellte sich nach ihrer für die Öffentlichkeit überraschenden Nominierung dem WDR zu einem Interview, das sie hier noch einmal genießen können. Auf die Frage, was denn das „Leuchtturmprojekt“ ihrer Amtszeit sein werde, das sie zur Chefsache machen werde, antwortete Karliczek sinngemäß, sie wolle sich erstmal alles genau anschauen, weil sie ja eigentlich noch keine Ahnung habe. Und dann wörtlich: „Ich werde so lange fragen, bis ich ein gutes Gefühl habe, wie der Hase da so läuft.“

Ja, das überzeugt! So stelle ich mir eine Bundesministerin für Bildung und Forschung vor. Sie will sich im Amt erst mal bilden und forschen, was da so los ist, Seit ich dieses Interview gesehen habe, bin ich mir aber doch nicht mehr sicher, ob es ausreicht, mal einen Bauernhof besucht zu haben, um Bundeslandwirtschaftsminister zu werden oder ob ein Sommerurlaub im Robinson Club Agadir (Marokko) dafür ausreichend qualifiziert, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu werden.

Immerhin: Ursula von der Leyen hat die Bundeswehr in ihrer Amtszeit schon jetzt so intensiv geprägt, dass sie auch nach ihrer Amtszeit unvergessen bleiben wird.




Nur mal zur Erinnerung: Bei Politik geht es um Überzeugungen, nicht um Dienstwagen

Hätten Franz-Josef Strauß oder Herbert Wehner in unseren heutigen real existierenden Volksparteien jemals politische Karriere machen können? Wären sie – und andere aus der Zeit – jemals nach ganz oben gekommen? Könnten solche kantigen Typen Deutschlands Geschicke heute noch maßgeblich beeinflussen?

Gestern Abend war ich mit einem bekannten Abgeordneten in meinem Lieblingslokal in Düsseldorf zum Essen verabredet. Er hatte Fisch, ich Lammrücken bestellt, und wir teilten uns einen herrlichen italienischen Rotwein. Es ging um dies und das und irgendwann um den bevorstehenden CDU-Bundesparteitag am Montag. Keine Sekunde sprachen wir darüber, dass der Koalitionsvertrag von den Delegierten abgelehnt werden könnte. Die CDU wird der SPD, die derzeit in Umfragen bei 16 Prozent liegt, einen Punkt vor der rechtskonservativen AfD, wesentliche Schlüsselressorts im neuen Kabinett überlassen. CDU und SPD werden wieder ein GroKo-Bündnis schließen, das bei der jüngsten Bundestagswahl 13,6 Prozent an Stimmen der Wähler verloren hat. Die CDU gibt wesentliche Kernpositionen in der Europapolitik auf, sie wird ihre verhängnisvolle – man mag es eigentlich gar nicht so nennen – Familienpolitik weiterführen. Anders als im Wahlkampf versprochen, tut sie nichts für den Mittelstand. Steuerentlastungen für die Unternehmer, die den Karren am Laufen halten? Fehlanzeige! Die Bundeswehr ist in einem bemitleidenswerten Zustand – unter CDU-Führung.

Und haben wir beim Essen auch darüber gesprochen, ob es irgendeine Reaktion der CDU-Delegierten auf all das geben wird? Nein. Werden Sie ihre Vorsitzende wieder mit stehenden Ovationen feiern? Toppen sie die 11:40 Minuten vom vergangenen Mal, wohl wissend, wie lächerlich sie sich damit in der Öffentlichkeit machen? Sie werden es tun, denn es ist ihnen egal.

Unser Parteiensystem hat sich überholt, auch wenn es noch immer gute Politiker und kluge Abgeordnete in allen Parteien gibt. Aber was sich verändert hat: Bei vielen von Ihnen ist nicht mehr erkennbar, welchen politischen Überzeugungen sie folgen. Was treibt sie an? Warum sind sie irgendwann in die Politik gegangen? Wie leidenschaftlich wurde früher im Deutschen Bundestag gestritten? Nicht manchmal, sondern immer… Und heute?

Unser System krankt daran, dass es nicht mehr die grundsätzlichen Debatten gibt, wirklichen Streit um wichtige Themen. Selbst die Öffnung der deutschen Grenzen für einen wochenlang vollkommen ungeregelten Massenzuzug aus dem islamischen Kulturkreis löste im Parlament keinen Streit aus. Bei so einem Thema kein Ringen um den richtigen Weg. Deutsche Grenzen sind nicht zu sichern – und es löst keinen massiven Widerspruch im Hohen Haus aus. Schon wegen dieses Einheitsbreis ist es richtig, dass die AfD dort nun für Widerspruch sorgt. Nicht jedesmal eine Bereicherung, aber manchmal schon, wie man schon bei den ersten Debatten sehen konnte. Und endlich, endlich ist wieder Streit. Denn davon lebt die Demokratie.

Beim doppelten Espresso, bevor wir das Lokal verließen, waren sich mein Gesprächspartner und ich gestern einig. Strauß und Wehner hätten heute keine Chance, politische Karriere zu machen. Weil sie nicht bereit gewesen wären, immer und überall für das eigene Fortkommen und die Altersversorgung faule Kompromisse zu machen. Weil sie nicht Politiker geworden sind, um einen Dienstwagen zu bekommen, sondern weil sie feste politische Überzeugungen hatten.