Na, ausgeschlafen, Kollegen von ARD und ZDF?

Zu meiner Zeit als Reporter bei Radio Hundert,6, dem ersten und über alle Maßen erfolgreichen Privatsenders in Berlin wurde alles vorbereitet, wenn der Winter nahte. Die Sendeassistenten, die rund um die Uhr dafür sorgten, dass der Laden läuft, hatten die Anweisung, beim ersten Schneeflöckchen, das sie sichten, Alarm auszulösen. Dann mussten sie den diensthabenden Redakteur anrufen, damit der entscheidet, ob jetzt Winter ist. Kein Witz, „wann Winter ist, entscheide ich“ war ein Runing-Gag meines sehr geschätzten Kollegen Christoph, der bis heute immer wieder erzählt wird, wenn sich „die Hundertsechser“ von damals zu ein paar Bier treffen.

Wann Winter ist, entscheide ich – dahinter steckte der journalistische Ehrgeiz, der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz – damals dem Sender Freies Berlin (SFB) – die Schau zu stehlen im Kampf um den besten Verkehrsservice der Stadt. Und wir haben gewonnen, Jahr um Jahr. Morgens um drei Uhr alle Reporter aus den Betten jagen, mit Übertragungswagen an allen verkehrstechnischen Brennpunkten der Stadt unterwegs, das ganze Programm gekippt. Alle 15 Minuten Live-Berichte aus den Bezirken der Stadt: wo ist es glatt, wo sind Unfälle, wo sind die Staus, die man umfahren muss. Wenn der SFB-Intendant dann irgendwann erwachte, musste er feststellen, dass wir wieder mal die Nase vorn hatten beim Kampf um die Hörer.

Journalismus in einer freien Gesellschaft – das ist Wettbewerb. Um die besten Geschichten, die wichtigsten Nachrichten und wer als erster die heißen Nachrichten hat. Weil die Hörer, Zuschauer und Leser das so wollen.

Gestern Abend kam ich spät nach Hause und erfuhr, dass das Militär in der Türkei gegen Ministerpräsident Erdogan putscht. Kampfflugzeuge im Tiefflug über Istanbul, Panzer auf den Straßen, Schüsse, Tote, Verletzte… Und ich griff zur Fernbedienung. ARD? ZDF? Nichts zu diesem wichtigen Thema. Und die Türkei ist für uns nicht irgendein Land. Mehr als drei Millionen Türken leben hier bei uns in Deutschland. Die Türkei muss die Arbeit machen, um die fatale Flüchtspolitik der Bundeskanzlerin in den Griff zu bekommen. Die Türkei will in die EU. Putsch in der Türkei – das ist etwas Anderes als Island im Halbfinale. Doch unsere Grundversorger, für die jeder Haushalt in Deutschland zahlen muss, auch wenn man es gar nicht will, versagt. Versagt? Ja, versagt! Acht Milliarden Euro stehen im Jahr zur Verfügung für die mediale Grundversorgung. Aber Freitagsnachts um Eins macht jeder wohl seins, wie man in der DDR etwas abgewandelt sagte. Der öffentlich-rechtliche Kanal Phoenix, den ich eigentlich schätze, teilte gestern Abend per twitter (!) allen Ernstes mit, man werde ab 9 Uhr Samstagmorgen über die Ereignisse in der Türkei berichten. Wahrscheinlich hält das die Redaktion dort auch noch für Service… Und wieso haben eigentlich ARD und ZDF keinen Nachrichtenkanal? Stattdessen gibt es die privaten Sender N24 und n-tv.

Es gab andere Medien, die gestern Abend sofort ihr Programm änderten. Die britische BBC zum Beispiel, CNN aus USA und sogar der Kreml-Staatssender Russia Today – sie alle machten ihre Arbeit, professionell und aktuell. Unfassbar dieses Versagen von ARD und ZDF! Leser meines Blogs wissen, dass ich nicht dafür bin, das öffentlich-rechtliche System in Deutschland abzuschaffen, was viele lautstark fordern. Ich würde mir wünschen, dass es schlanker wird, dass es mehr Informationen und Dokumentationen bringt statt flache Unterhaltung. Aber auf jeden Fall erwarte ich, dass unsere Grundversorger schnell und professionell arbeiten, wenn sie gebraucht werden. Sonst brauchen wir sie nämlich nicht mehr.




Ich will heute nicht schreiben, was man immer so schreibt

„In Nizza hat ein mutmaßlicher Attentäter mit einem LKW zahlreiche Menschen überfahren…“

Nein, es war kein mutmaßlicher Attentätter, er war ein realer Attentäter. 84 Tote, 18 Schwerverletzte – die grauenhafte Bilanz der vergangenen Nacht. Und immer wieder diese Rituale. Die Schauspielerin Mia Farrow, die immer gern in Nizza ihre Ferien verbringt, hat dem französischen Volk ihre Solidarität mitgeteilt – „Ich sende Liebe an Frankreich“ – Wirklich nett, das wird den Angehörigen helfen, die die zerfetzten Körper ihrer Familienangehörigen und ihrer Kinder identifizieren müssen. Die gestern am französischen Nationalfeiertag die Werte ihrer Republik feiern wollten: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. US-Präsident Obama bietet über Twitter (!) dem französischen Volk Hilfe an, Bundeskanzlerin Merkel drückt ihre Anteilnahme aus und versichert, man werde den Kampf gegen den Terror gewinnen. Den Kampf? Welchen Kampf? Und gegen wen? Der Massenmörder von Nizza war nach ersten Medienberichten nicht als radikaler Islamist bekannt, auch nicht als politisch motivierter Täter. Gegen wen kämpfen wir also, Frau Merkel?

Der Mörder von Nizza stammt aus Tunesien – hat aber sicher nichts mit dem Islam zu tun. So wie die Massenmorde von Paris, von Brüssel, von London, von Madrid, von Istanbul und so weiter. Hat nichts mit dem Islam zu tun, so wie die 1.500 jungen Männer, die in der Silvesternacht massenhaft Frauen sexuell belästigten. Gestern wurde im Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags zu diesen Ereignissen bekannt, dass es inzwischen acht bekannt gewordene Vergewaltigungen vom Vorplatz des Kölner Hauptbahnhofs in der Silvesternacht gab. Einige der Frauen haben es nicht einmal bei der Polizei angezeigt. Warum auch? Werden ja sowieso nur wenige Verdächtige ermittelt, in eine Zelle kommt letztlich sowieso niemand dieser Leute, die in unser Land kommen, denen wir großzügig Hilfe gewähren, denen wir die Hand zum Willkommensgruß ausstrecken, denen wir die Chance auf eine glückliche Zukunft in einem wohlhabenden und freien Land bieten. Aber sie verachten uns. Nicht alle, natürlich. Wahrscheinlich sogar eine deutliche Minderheit. Ich sage es auch an dieser Stelle nochmal: Ich kenne viele Muslime, die hier gern bei uns leben, die unsere Gesetze achten, arbeiten, Steuern zahlen und die ihre Kinder genau so lieben wie wir. Und dennoch dürfen wir heute nicht zur Tagesordnung übergehen. Ich kann diese Worthülsen unserer Politiker nicht mehr hören: „Wir sind solidarisch mit unseren französischen Freunden…bla bla bla“ Es muss sich etwas ändern – jetzt!

Die russische Luftwaffe hat heute Morgen Stellungen des IS, des sogenannten „Islamischen Staates“ bombardiert. Vielleicht ist das genau die richtige Antwort. Sind Sie jetzt schockiert, wenn ich das so schreibe? Gewalt ist doch keine Lösung, lernen wir immer. Unsere Soldaten sind „Mörder“, darf man in Deutschland gerichtsbestätigt behaupten. Wer hat denn in Deutschland, in Frankreich, überall im Westen das bessere Konzept gegen den Terrorismus? Jeder, der Augen hat zum Sehen, weiß doch seit Jahren, was los ist. Die zornigen jungen Männer, die in den Pariser Banlieus Nacht für Nacht randalierten, der rasante Zuwachs zum Salafismus in unseren Gesellschaften. Und 9/11? Schon vergessen? Ich kann das Gelaber nicht mehr hören in einer Gesellschaft, die sich nicht mehr zu wehren weiß, in der Angriffe auf Polizisten Alltag sind, übrigens in der Regel verursach von Horden, die sicher nichts mit dem Islam zu tun haben.

Nach den Anschlägen vor einigen Monaten in Paris las ich in einer Zeitungsmeldung, dass es in Brüssel – Zentrum der Europäischen Union – 800 bekannte radikale Islamisten gibt, die potentielle Gefährder sind. In Paris dürften es mehr sein und in London. Im Ruhrgebiet und Berlin gibt es die auch. Sie werden überwacht, rund um die Uhr. Warum eigentlich? Warum haben unsere europäischen Gesellschaften nicht den Mut, diese Leute auszuweisen? Wer hier zu uns kommt und unsere Hilfe bekommt und dann Verbrechen begeht muss raus. Raus! Raus! Raus! Ich höre schon die ersten Beschwichtiger, die jetzt sagen werden: Ja, die müssten raus, aaaaaber…. ihre Heimatländer nehmen sie ja nicht zurück. Und in ihren Heimatländern sind die Menschenrechte nicht gewahrt. Wissen Sie was? Es ist mir scheißegal. Schafft sie meinetwegen an den Nordpol oder zahlt Devisen an Nordkorea, damit sie diese Leute in ihren dortigen Urlaubsparadiesen wegsperren. Ich bin es leid, immer wieder diese Bilder zu sehen, Blut auf dem Straßenpflaster, zerfetzte Körper, zugedeckt mit dunkelblauen Tüchern, ein totes Kind mit einer Puppe neben sich.

„Wir sind in diesen schweren Momenten an der Seite von Frankreich“, sagt gerade Außenminister Steinmeier im Fernsehen. „Kurz vor dem Wochenende erholen sich die Temperaturen“, meldet der Nachrichtensender N 24…. ich glaube, ich muss kotzen.




Man sollte die Böcke nicht zu Gärtnern machen

Wissen Sie, was „Hate Speech“ ist? Na, dämmert’s? Genau! Vor zwei Tagen schlug der Rechtsstaat zu. 60 Polizisten durchsuchten in Berlin Wohnungen und Häuser in den Stadtteilen Buch, Niederschöneweide, Bohnsdorf, Marzahn, Hellersdorf, Hohenschönhausen, Kreuzberg, Reinickendorf und Friedenau. Ihr Ziel: Computer und Smartphones von Hass-Schreibern im Internet. Menschenverachtende Propaganda und Volksverhetzung und Rassismus wolle man bekämpfen, sagte Berlins CDU-Innensenator Frank Henkel, und wer wollte dagegen etwas haben? Wer im Internet unterwegs ist, weiß, wie viel Widerwärtiges man dort findet. Und gegen Hass anzugehen, ist eine noble Aufgabe, wenn damit zwei Prämissen beachtet werden: Erstens eine klare Definition, was unter einer Hassrede zu verstehen ist, damit nicht jede Meinungsäußerung oder Kritik der Zensur anheim fallen kann. Das widerspricht nämlich der Meinungsfreiheit in unserem freiheitlichen Staat. Und zweitens darf man bei der Überprüfung, was in diesem Land gesagt und geschrieben werden darf, nicht die Böcke zu Gärtnern machen.

So wie im Falle der Amadeu Antonio Stiftung, eine Organisation, die sich nach Selbsteinschätzung auf die Fahnen geschrieben hat, „eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet.“ Und das ist prima. Wer, der halbwegs Verstand sein eigen nennt, ist nicht gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus? Problematisch wird es nur, wenn man ausgerechnet Hetzer selbst von staatlicher Seite üpig fördert, um Hetze zu bekämpfen. Die Amadeu Antonio Stiftung, die gegen „Hate Speech“ aktiv ist, hat als Frontfrau ausgerechnet Anetta Kahane, über die Wikipedia dokumentiert:

Von 1974 bis 1982 arbeitete sie unter dem Decknamen Victoria als Inoffizielle Mitarbeiterin des Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Kahanes Stasi-Akte umfasst knapp 800 Seiten. Laut Berliner Zeitung notierte ihr Führungsoffizier Mölneck zu Beginn ihrer Tätigkeit für das MfS, dass sie bereits beim zweiten Treffen „ehrlich und zuverlässig“ berichtet habe. Kahane hat laut Berliner Zeitung Dutzende Personen aus ihrem Umfeld belastet. Sie habe auch Aufträge ausgeführt und vom MfS Geld und kleinere Geschenke erhalten.

Diese Frau und ihre Stiftung führen heute im Rechtsstaat Deutschland Listen darüber, wer als rechtsextrem zu gelten hat, was in unserem Land zweifelsohne den sofortigen Ausschluss aus dem politischen Diskurs der etablierten Politik zur Folge hat. Diese Frau berät mit Wohlwollen von Justizminister Heiko Maas (SPD) Facebook, was man löschen muss und was stehen bleiben darf. Ausgerechnet.

Wer sich auch gegen Hass-Reden engagiert ist übrigens auch Julia Schramm, Öffentlichkeitsarbeiterin der sauberen Amadeu-Stiftung. Sie fällt immer wieder durch eigene Hass-Beiträge in den sozialen Netzwerken auf. So wie diesem: „Nennen sie mich hysterisch, weil ich Steinmeier für seinen nationalistischen Dreck anspucken will, nenne ich sie ein Arschloch, Herr Kister.“ Ja, Frau Schramm ist eine wackere Streiterin für den gepflegten Dialog. Auch gegenüber dem deutschen Bundesaußenminister.

Bleibt die Frage: Wie lange schauen wir uns diesen Hass und diese Hetze von dieser Stiftung und ihren lupenreinen Demokraten noch an? Wo sind eigentlich die Abgeordneten der Mehrheitsfraktionen im Deutschen Bundestag – von Grünen und Linken ist da sowieso nichts zu erwarten -, die mal ihre Aufsichtspflicht gegenüber der Bundesregierung nachkommen. Gibt es eigentlich die CDU noch? Wer etwas gegen Hass-Sprech in diesem Lande tun möchte, sollte als erstes solchen Hetzern den Geld-Hahn zudrehen.

Vielleicht schreiben Sie mal einen Brief an Ihren Wahlkreisabgeordneten!?




Muffins statt Algebra – unsere Schulen vor den Sommerferien

Wir haben vier Kinder auf drei verschiedenen Schulen. Seit etwa zwei Wochen stehen die Zensuren fest. Und seither findet Unterricht nur noch rudimentär, wenn überhaupt statt. Wir haben auch viele befreundete Paare, die ebenfalls schulpflichtige Kinder haben. Sie alle erzählen die gleichen Erfahrungen. Einer unserer Söhne fragte in dieser Woche seine Lehrerin, ob sie wohl die siebte Stunde ausfallen lassen könne, die Klasse wolle zelten und man müsse noch Einiges vorbereiten. Es wurde, klar, genehmigt. Aus anderen Klassen höre ich von Filme gucken, Eis essen gehen, und man bringt selbstgebackene Muffins und Taccos mit Chilli-Sauce morgens in die Schule mit, denn statt Mathematik will man ein Pre-Sommer-Frühstück veranstalten. Immerhin fand auch ein Sponsorenlauf für irgendeinen wohltätigen Zweck statt.

Ich bin kein Spießer und will auch keiner sein. Wenn es um nichts mehr geht, warum sollen die Kids noch getriezt werden? Aber halt, vielleicht um etwas zu lernen? Vielleicht in einer Projektwoche, wo die Schüler gemeinsam und abseits vom Zensuren-Druck etwas Sinnvolles tun. Eine Theaterstück proben, einen Garten auf dem Schulgelände anlegen, die Welt retten…was weiß ich.

Als im Jahr 2005 Jürgen Rüttgers zum ersten Mal seit 40 Jahren für die CDU die nordrhein-westfälische Staatskanzlei eroberte, war neben der galoppierenden Verschuldung des Landes das heißeste Streitthema im Wahlkampf der Unterrichtsausfall. 2,8 Millionen Stunden fanden pro Schuljahr nicht statt. Lehrer krank ohne Vertretung, Schulkonferenzen, Fortbildung. Rüttgers und seine umtriebige Schulministerin Barbara Sommer machten Schluss damit. Für fünf Jahre, dann war schwarz-gelber Feierabend und alles wurde wieder so wie zuvor. Alles? Nein, die rot-grüne Landesregierung erhebt einfach keine Statistiken mehr über den Unterrichtsausfall an NRW-Schulen. Dann kann es auch kein schlechtes Ergebnis mehr geben…

Übrigens: Weil immer mehr Eltern in NRW ihre Kinder mit fadenscheinigen Ausreden schon vor den offiziellen Ferien aus dem Unterricht nehmen – dann sind auch Urlaubsflüge billiger – gehen die Schulbehörden rigoros gegen diese Familien vor. Eltern, die die Ferien ihrer Kinder verlängern und die Schulpflicht missachten, müssen mit einem Bußgeld rechnen. Pro Kind und Elternteil werden pro Tag 80 Euro fällig. Merke: In Nordhrein-Westfalen dürfen Schüler zwar Eis essen und zelten statt Erdkunde und Physik lernen, aber wenn sie Urlaub machen wollen, folgt direkt die Zahlungsaufforderung vom Amt.




Warum sind eigentlich alle doof, die dem Mainstream widersprechen?

„Das ist ja das Fatale, dass die Alten für die Jungen entschieden haben“, belehrte uns alle vor ein paar Tagen die Londoner ARD-Korrespondentin Hanni Hüsch, die mich vom Habitus – meine persönliche Obzession – immer unwillkührlich an die Reporterin „Karla Kolumna“ aus der Zeichentrickserie „Benjamin Blümchen“ erinnert. Also die Alten sind schuld am Brexit und die Ungebildeten auch. Und Fremdenfeinde natürlich auch. Dann ist ja alles klar, die Grundversorgung ist hergestellt.

Schon im März schrieb das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel„: „Konservative und religiöse Menschen haben hingegen einen geringeren Intelligenzquotienten. Psychologen glauben, dass man das Phänomen evolutionsbiologisch erklären kann.“ Und der Psychologe Satoshi Kanazawa von der London School of Economics veröffentlichte 2014 in einem Fachmagazin einen Artikel mit dem Titel „Warum Liberale und Atheisten intelligenter sind.“ Ausgerechnet ein Kolumnist der linken Tageszeitung taz wagte daraufhin, ein paar kluge Fragen zu stellen wie: „Sind Konservative wirklich dümmer? Oder behaupten Dumme, sie seien konservativ, um ihre angeborenen Verhaltensweisen mit einem wohlklingenden Etikett zu versehen?“ Und die Süddeutsche Zeitung, die vor 20 Jahren mal eine wirklich lesenswerte Tageszeitung war, behauptete allen Ernstes im Jahr 2012: „Kinder mit geringerem IQ neigen später eher zum Rassismus“. Vielleicht stimmt das sogar, ich kann es nicht beurteilen. Aber wir sollen doch Menschen nicht mit Pauschalurteilen verunglimpfen, haben wir zum Beispiel gelernt, als 1.500 nordafrikanische Gäste unseres Landes in der Silvesternacht massenweise vor dem Kölner Hauptbahnhof Straftaten wie sexuelle Belästigung, Vergewaltigung und Diebstahl begangen. Ausländer oder Flüchtlinge sind natürlich nicht per se kriminell, aber Konservative und Christen sind latent doof. Auch wenn mir das bei Auftritten von hyperintelligenten Linken wie Claudia Roth nicht direkt einfällt.

Die politische Kategorisierung in schlau und ungebildet analog zu konservativ und progressiv ist selbst unglaublich dumm und wird vorrangig von linken Protagonisten verbreitet, die sich auf diese Art selbst für klug erklären. Das gibts auch in anderen Bereichen ähnlich, wo staatlich alimentierte ehemalige Stasi-Spitzel mit Wohlwollen der Regierung definieren dürfen, wer in Deutschlands als rechts zu gelten hat und deshalb gefälligst die Klappe zu halten habe. Oder die bemitleidenswerten Gestalten, die ich gern als Geisterjäger bezeichne, die von erschreckend simplifizierten Denken sind, aber meinen, sie haben die Deutungshoheit, wer was sagen darf, wer welche Zeitungen lesen darf oder wer höchst verfassungsfeindlich am falschen Buffet gestanden hat. Alle diese Doofen sind die Klugen von heute. Das habe ich jetzt verstanden.




GASTSPIEL: Dr. Albert Wunsch über Sex-Akrobatik als Lebenshilfe für Kinder und Jugendliche

„Mama, wieso spritzt die Feuerwehr die Hose von dem Mann nass?“ Der Mutter schießen die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. Dann setzt bei ihr reichlich Ärger ein. Wieso werden Kinder auf dem Weg zu KiTa oder Schule mit einem solchen Plakat konfrontiert? Was sollen Eltern antworten? „Das weiß ich auch nicht.“ Zuhause erfuhr die Mutter dann, als sie die ganze Plakatserie „Liebes-Leben“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) per Internet kennenlernte, dass – bei anderen öffentlich zur Schau gestellten Plakate – auch die Frage lauten könnte: „Mama, was machen die Frau und der Mann denn da im Aufzug? Wieso turnen da zwei Männer nackt auf einen Nachtschrank?“

Werden unsere Kinder nicht schon viel zu intensiv mit sexistischen Bildern und Äußerungen konfrontiert? Wie hätte wohl zuständige Bundesgesundheitsminister und Vater Gröhe, der die Serie am 4.Mai präsentierte, vor einigen Jahren auf entsprechende Fragen seiner kleinen Kinder reagiert?

Da ich Minister Gröhe schon vor Wochen – nach einigen Facebook-Aktionen – mitteilte, dass diese Plakat-Aktion nicht hinnehmbar sei, liegt mir zwischenzeitlich auch eine differenzierte Stellungnahme vor. Ein Auszug: Um wichtiger Ziele willen müsse man „durchaus kalkuliert Tabubrüche in Kauf zu nehmen, um überhaupt eine Gesprächsfähigkeit etwa im Hinblick auf die Nutzung von Kondomen zu erreichen. Solch kalkulierter Tabubruch müsse und muss stets vermeiden, Schamgrenzen in unserer Gesellschaft rücksichtslos zu missachten“. Doch genau das ist der Kritikpunkt. Hier werden sowohl Schamgrenzen missachtet als auch ein inakzeptabler Umgang mit dem Thema Sexualität propagiert. Und durch die öffentliche Plakatierung werden Kinder und Jugendliche auf eine Weise mit diesem Thema konfrontiert, welche weder dem Alter der Heranwachsenden, noch einem ethisch vertretbaren Umgang mit dem Thema entspricht. Im Grunde geht es um die Frage, ob oder bis zu welchem Punkt der – gute oder wichtige – Zweck die Mittel heiligt?

Auch wenn um der wichtigen AIDS-Prävention willen drastische oder ins Auge springende Aktionen geplant werden, sollte möglichst kein Kollateralschaden entstehen. So fragte ich mich schon vor Jahren, wieso die sicher wichtigen Info-Spots zur Nutzung von Kondomen zur AIDS-Prävention in solche Film-Situationen eingebettet wurden, wo – so nebenbei – durch den situativen Kontext deutlich wurde, dass sich das Paar erst ganz kurz kannte. Damit wurde gleichzeitig – gewollt oder ungewollt – für den One-Night-Stand geworben.

Ein Sexualakt im Aufzug mag vielleicht ein lustiger Hingucker für Erwachsene sein, aber keinesfalls für Kinder. Alle Menschen müssten sich jedoch fragen, was eine solch artistische Akrobatik denn mit Liebe und einem verantwortlichen Umgang mit einer Beziehung zu tun hat. Denn eine Plakatserie wird nicht dadurch dem sittlich-kulturellen Wert der Liebe gerecht, wenn man ihr das Etikett „LiebesLeben“ anheftet. Etikettenschwindel gibt es schon genug.

Sie schreiben mir, sehr geehrter Herr Minister, dass es bei dieser Plakataktion nicht nur um AIDS geht. Das wird nicht in angemessener Weise erkennbar. So steht auf etlichen Motiven: „Gib AIDS keine Chance“. Aber auf den Plakaten, bei welchen es um Geschlechtskrankheiten geht, müsste dann konsequenterweise der Hinweis stehen: „Gib Geschlechtskrankheiten kein Chance.“
Ich unterstreiche: Das Ziel, den dramatischen Anstieg an Neuinfektionen bei anderen sexuell übertragbaren Krankheiten zu stoppen, ist wichtig. Aber ein verändertes Sexualverhalten hat in erster Linie etwas mit Verantwortung, einer Abkehr vom Prinzip „Genuss, jetzt und sofort!“ mit der schon von Sigmund Freud als so wichtig angesehenen Bedürfnis-Aufschub-Fähigkeit und weniger mit lustig wirken sollenden Plakat-Information zu tun. Die BZgA setzt so auf – durch rot-grün-rot gepuschte – Ideologien einer so genannten sexuellen Vielfalt im Zuge einer Gendererisierung unserer Gesellschaft. Wollen wir das hinnehmen?

Copyright: Dr. Albert Wunsch, 41470 Neuss, Im Hawisch 17

Dr. Albert Wunsch ist Psychologe, Diplom Sozialpädagoge, Diplom Pädagoge, Kunst- und Werklehrer sowie promovierter Erziehungswissenschaftler. Bevor er 2004 eine Lehrtätigkeit an der Katholischen Hochschule NRW in Köln (Bereich Sozialwesen) begann, leitete er ca. 25 Jahre das Katholische Jugendamt in Neuss.

ACHTUNG:Einen Link zu einer Petition, diese Kampagne zu stoppen, finden Sie unter: http://www.citizengo.org/de/pc/35049-sex-plakate-der-bzga-stoppen




Großbritannien beschließt den Brexit: Alle Uhren auf Null!

Ist Demokratie nicht wunderbar? Die Briten haben eine historische Entscheidung über den zukünftigen Weg ihres Landes gefällt. 51,8 Prozent wollen raus aus der europäischen Staatengemeinschaft EU. Das ist ein klares Votum für die Rückgewinnung der Souveränität Großbritanniens. Und so sei es nun! Nigel Farage, Chef der Unabhängigkeits-Partei UKIP machte am frühen Morgen auf Hollywood, als er in der Helden-Pose von Bill Pullman als amerikanischer Präsident in dem Science-Fiction-Film „Independence Day“ verkündete, dass nun auch die Briten ihren Independence Day, ihren Unabhängigkeitstag, feiern werden. Nun ja, bei allem Respekt, aber die europäischen Partnerländer mit dem Angriff von Aliens aus dem All zu vergleichen, das empfinde ich dann doch,..sagen wir… ein wenig…übertrieben.

Was sind die Lehren der gestrigen Entscheidung auf der Insel? Die Welt wird nicht untergehen, und die Europäische Union auch nicht. Großbritannien hatte immer das deutliche Unbehagen, zu viel seiner Souveränität nach Brüssel abzugeben. Und wahrscheinlich war diese Skepsis angebrachter als die oftmals devote Haltung Deutschlands gegenüber der EU. Großbritannien hat entschieden und wird für diese Entscheidung einen Preis zahlen. Zufällig war ich gestern in Brüssel und hatte die Gelegenheit, mit einigen Politikern und auch mit Leuten aus zwei Denk-Fabriken über das Thema Brexit zu sprechen. Unisono sagten sie alle: Wenn die Briten aussteigen, dann werden sie auch wirklich aussteigen. Anders formuliert: Reisende soll man nicht aufhalten. Alle Uhren auf Null! Die EU wird auch in Zukunft mit Großbritannien Geschäfte machen. Und auch wenn sie formal raus sind, gehören die Briten zur europäischen Familie, nicht zuletzt sind sie einer der wichtigsten Partner in der Verteidigungsgemeinschaft NATO. Und sie werden das bleiben. Aber die Regeln des Handels zwischen EU und England werden nun neu ausgehandelt, und ich habe nicht den Eindruck, dass man es den Briten leicht machen will.

Die Börse in London erlebt heute morgen einen „Black Friday“, einen Schwarzen Freitag. Fast 11 Prozent Absturz der Kurse – der schlimmste Rückgang seit 31 Jahren. Das ist ein deutliches Zeichen, was die englische Wirtschaft von der Entscheidung ihres Volkes hält. Die Grundstimmung bei den großen britischen Unternehmen ist an diesem Tag mit deppressiv noch nett beschrieben. Und wenn gleich um 9 Uhr die Frankfurter Börse öffnet, dürfte es auch dort ungemütlich werden. Doch das kann sich auch ändern.

Der konservative britische Premier David Cameron hat verloren, denn er hat sich für den Verbleib seines Landes in der EU engagiert. Viele Beobachter vermuten, dass er heute zurücktreten werde. Warum eigentlich? Er hat großen Mut bewiesen, sein Volk entscheiden zu lassen. Mehr Mut als die meisten Staaten der Europäischen Union – auch mehr Mut als Deutschland. Warum sollte ein Regierungschef der Mut zeigt, in der Sache kämpft und eine Abstimmung verliert, zurücktreten? Ich sehe dafür keinen Grund.

Und die EU? Die bemerkenswerte Chefredakteurin der BILD-Zeitung, Tanit Koch, hat in dieser Woche einen bemerkenswerten Kommentar geschrieben. Unter der Überschrift „Keine Strahlkraft mehr“ schreibt sie:

„Das große europäische Integrations-Projekt, das stets das Gute will und oft das Schlechte schafft, ist abgekoppelt. Von den Menschen, die statt positiver Ziele (Klimaschutz) nur den Bürokratismus (Glühbirnen-Unsinn) wahrnehmen.

Ob mit oder ohne Brexit – die EU muss ihre Anziehungskraft zurückgewinnen. In dem sie abspeckt, bei Kommission und Regulierung. Und zuhört, den Bürgern.“

Genau das ist es! Der heutige Tag ist ein schwarzer Tag für die EU. Und wahrscheinlich auch kein guter für Großbritannien. Aber er ist die Chance, Europa neu zu denken. Es ist die Chance darüber nachzudenken, was wir, was die Politik, was Brüssel anders machen müssen, um das Vertrauen der Menschen in den Mitgliedsstaaten zurückzugewinnen. So kann aus dem Brexit vielleicht für die Zukunft sogar etwas Gutes wachsen!




Warum gibt es eigentlich keine dänischen Hooligans?

Haben Sie das Fußballspiel zwischen Portugal und Island gesehen? Island, ja, zum ersten Mal dabei. Portugal deutlich besser, hochfavorisiert. Es endete 1:1. Leidenschaft und Herzblut errangen einen nicht für möglich gehaltenen Teilerfolg. Haben Sie vbielleicht im Fernsehen das Fan-Paar küssend gesehen? Die junge Frau aus Schweden und der junge Mann aus Irland, frisch verliebt in Frankreich, in Landesfarben gekleidet und bemalt. Es endete auch 1:1, zumindest auf dem Rasen. Fußball ist eigentlich ein schöner Sport. Handball, Basketball und Eishockey auch. Aber nichts im Mannschaftssport ist vergleichbar mit der Emotion, die zwei Fußballmannschaften im Zusammenspiel mit einer gefüllten Arena hervorzurufen vermögen. Ein internationales Turnier wie die EM in Frankreich wäre ein ideales Festival für das ganze Europa. Junge und alte Menschen aus aller Herren Länder feiern ein großes Fest, singen ihre Hymnen lautstark in den Abendhimmel, trinken Bier miteinander und küssen sich…

Leider ist das nur ein schöner Traum, denn die Wirklichkeit ist anders. Ich habe den Eindruck, die Berichterstattung über die Krawalle durchgeknallter Hooligans steht gegenüber dem Sport-Großevent im Vordergrund. Festzuhalten ist: Die französische Polizei ist offenbar überfordert. Und man kann ihr das nicht einmal vorwerfen, denn eigentlich wäre ihr vorrangiger Job, die Spiele vor Terroranschlägen zu schützen. Jetzt müssen sie Horden von Gewalttätern auseinander halten, die weit angereist sind, um sich gegenseitig auf die Fresse zu hauen. Hooligans – das sind nicht etwa Fußball-Fans, wie viele meinen. Die Hools (englisch „Rabauken“) sind Leute, die sich im Umfeld von Fußballspielen treffen, oft auch verabreden, um sich körperlich in einem brutalen Wettstreit zu messen. In Marseille waren es nach Behördenangaben etwa 120 russische Schläger, die systematisch Jagd auf völlig überraschte Engländer machten. Einer schwebt noch immer in Lebensgefahr. Die Uefa verhängte eine Geldstrafe von 150.000 Euro und drohte im Falle von wiederholter Randale mit Ausschluss Russlands aus dem Turnier. Am Mittwoch, nur einen Tag später griffen russische Hooligans in der Innenstadt von Lille slowakische Fans an und bewarfen sie mit Stühlen. Ein deutliches Indiz, dass den Schlägern der Sport an sich völlig egal ist. Für Russland, das in zwei Jahren Ausrichter der nächsten Weltmeisterschaft ist, könnte eine erneute Straßenschlacht wie in Marseille auch eine Katastrophe für das Ansehen des Landes werden. Nach der Tragödie im Brüsseler Heysel-Stadion am 29. Mai 1985 wo englische Schläger beim Spiel zwischen Liverpool und Turin eine Massenpanik auslösten, bei der 39 Menschen starben und 454 verletzt wurden, sperrte der europäische Fußball-Verband englische Vereine international für fünf Jahre.

Die jüngsten Ereignisse auf den Straßen von Paris, Marseille und Lille kann kein Grund für Russen-Bashing sein, auch wenn der russische Parlaments-Vizepräsident Igor Lebedew mit seiner Äußerung „Gut gemacht Jungs. Weiter so!“ nach den brutalen Angriffen auf Engländer einen neuen Gipfel an Infantilität von Funktionären eines an sich ja zivilisierten Staates bewiesen hat. Aber wie gesagt: Hier geht es nicht um die bösen Russen, hier geht es auch um englische Hooligans, die über die Jahre immer für die brutalsten Schlachten bei Fußballturnieren sorgten. Und wir Deutschen haben in dieser Hinsicht überhaupt keinen Grund, mit dem Finger auf andere zu zeigen, denn in diesen Tagen hat die französische Polizei auch deutsche Hooligans festgenommen, die aus dem Ruhrgebiet zum Prügeln nach Frankreich gereist sind. Und beim ersten Gruppenspiel jagten deutsche Schläger ukrainische Anhänger mit Schlägen und Tritten durch die Straßen.

Das bringt mich zum eigentlichen Thema dieser Kolumne. Warum kommen Iren und Isländer, Schweden und Spanier zum Feiern und Fußball-Gucken nach Frankreich? Und aus anderen Ländern reist ein Teil der Event-Touristen an, um Angst und Schrecken zu verbreiten? Liegt es an den „Genen“? Sind Menschen aus Ländern mit „Großmacht-Vergangenheit“ wie England, Russland und Deutschland grundsätzlich anders drauf als Skandinavier? Aggressiver? Liegt es an der klaren und kühlen nordeuropäischen Luft? Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt. Dem „World Happiness Report“ der Vereinten Nationen (kein Scherz) zufolge sind die Dänen das fröhlichste Volk auf der Welt. Auch Schweden, Norwegen und Finnland sind ganz vorn, wenn es um Freundlichkeit und Friedfertigkeit geht. Und an Schweizer Hooligans, die ein ganzes Land in Schrecken gejagt haben, kann zumindest ich mich nicht erinnern. Das muss doch einen Grund haben.




Wenn sie nicht singen wollen – schade! Aber sie müssen es nicht…

Morgen Abend beginnt die Fußball-Europameisterschaft. Frankreich tritt gegen Rumänien an, und wir hoffen wohl gemeinsam, dass es keinen Terroranschlag geben wird und dem sportlichen Wettstreit an sich gehuldigt werden kann. Wenn ich so im Internet lese, was Landsleute von mir zur bevorstehenden EM schreiben, stockt mir der Atem. „Nicht meine Mannschaft“ lese ich da über einem durchgestrichenen Poster mit den deutschen Spielern. „Ich freue mich über jede Niederlage der Deutschen“ schreibt ein Deutscher, der ansonsten das Abendland verteidigen will und der Meinung ist, dass man viel häufiger die schwarz-rot-goldene Fahne unseres Landes raushängen sollte. Und Herr Gauland von der AfD vermutet, dass es Deutsche gibt, die Herrn Boateng zwar gern Tore schießen sehen, aber nicht neben ihm wohnen wollen. Das hat – um das klarzustellen – nicht etwa Herr Gauland als eigene Meinung gesagt, sondern man darf sogar annehmen, dass ihm zwei Journalisten in eine Falle gelockt haben, um der AfD zu schaden.

Warum soll also ein Herr Boateng nicht für Deutschland spielen? In Deutschland geboren, Mutter Deutsche, in Deutschland aufgewachsen, deutsche Staatsbürgerschaft, und Christ ist er auch. Warum um alles in der Welt sollte man neben einem solchen Mann nicht wohnen wollen? Wegen seiner Hautfarbe? Blöder geht es ja wohl nicht. Und Herr Özil wurde in Gelsenkirchen geboren, zweifellos in Deutschland. Er war kürzlich in Mekka, wohin ja viele Muslime einmal in ihrem Leben reisen. Warum auch nicht? Darf ein deutscher Nationalspieler nicht freitags anderswo beten als ich sonntags? Oder gar nicht? Nehmen nicht gerade viele Leute Anstoß an einem Fußballspieler, der Muslim ist, die sonst aber sagen, Religion sei Privatsache? Özil wird auf wikipedia zitiert: „Ich habe in meinem Leben mehr Zeit in Spanien als in der Türkei verbracht – bin ich dann ein deutsch-türkischer Spanier oder ein spanischer Deutsch-Türke? Ich will als Fußballer gemessen werden – und Fußball ist international, das hat nichts mit den Wurzeln der Familie zu tun.“ Für mich klingt das logisch.

Bleibt noch das Singen…. Ich gebe zu, ich habe mich auch schon häufiger geärgert, wenn einzelne unserer Nationalspieler bei der Hymne unseres Landes nicht mitgesungen haben. Warum tun sie das nicht? Sie treten unter dem Namen und der Fahne unseres Landes an, sie haben den Bundesadler auf dem Trikot (oder hatten…), sie werden umjubelt von Deutschen, Kinder sammeln Bilder von ihnen und stehen lange an, um einen Schriftzug des Idols auf das eigene Fan-Trikot zu bekommen. Warum also nicht Respekt denjenigen Menschen zeigen, in deren Namen sie ins Turnier ziehen? Ich verstehe es nicht, und ich würde mich freuen, wenn alle Spieler unserer deutschen Mannschaft „Einigkeit und Recht und Freiheit…“ in den französischen Abendhimmel schmettern. Aber sie müssen es nicht. Sie müssen die Hymne nicht singen, keine feuchten Augen bekommen, ja nicht einmal bei Xavier Naidoo mitsingen, bevor die Kanzlerin in die Umkleidekabine schlendert. Es ist ihr Ding. Wenn sie es nur für Geld machen, ist das in Ordnung. So ist das in einer freien Gesellschaft.




Ein Brief aus der Vergangenheit und meine Gedanken dazu

Wie es so manchmal passiert. Ein Onkel aus dem Ausland ruft an und bittet uns, ein lange verschollenes Dokument zu suchen, das er braucht. Meine Mutter (90) setzte sich also gestern mehrere Stunden an alte Kisten aus dem Keller. Gefunden hat sie dieses Dokument nicht, aber ein anderes, das meinen Vater betrifft. Der hatte sich am 20. Februar 1938 an die Verwaltung seiner Heimatstadt Lage gewandt und um eine Stelle im Öffentlichen Dienst beworben. Am 18. März 1938 schickte der Bürgermeister, ein Nazi, die Bewerbungsunterlagen zurück. Mein Vater wurde nicht eingestellt, erfuhr er im Brief des Bürgermeisters, weil er „nicht gewillt und bereit“ sei, „jederzeit rückhaltlos für den heutigen nationalsozialistischen Staat einzutreten“. Wer zu den „Formationen der nationalsozialistischen Bewegung rückhaltend oder abwartend“ stehe, dürfe eben in öffentlich rechtlichen Betrieben nicht beschäftigt werden. Ich habe den Brief nochmal gelesen und nochmal, und ich war verdammt stolz auf meinen alten Herrn, der schon vor 15 Jahren von dieser Welt geschieden ist.

Ich bin sicher, das es einzelne Leute gibt, die jetzt denken: Wenn der da nicht eingestellt wird, dann hatte das wohl auch einen Grund. Aber keine Spur davon. Er war einfach nicht in „der Partei“. In keiner. Mein Vater war überhaupt nicht politisch, sondern ein junger Mann, den man wie Millionen andere in einen wahnsinnigen Krieg geschickt hat. Er war Pilot, hatte sich den Traum vom Fliegen als Segelflieger erfüllt und fand sich irgendwann im Cockpit eines Kampfbombers an der Ostfront wieder. Über der Krim. Ausgerechnet. Dann dreieinhalb Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft in einem Lager in Sibirien. Wie so viele. Mein Vater überlebte und baute sich und unserer Familie ein neues Leben auf. Wir haben in all den Jahren nicht oft über den Krieg und was er dort gesehen und erlebt hat, gesprochen. Unzweifelhaft war er kein Nazi, kein Täter im eigentlichen Sinne des Wortes. Unvergessen ist mir ein Satz, den er mir als Junge mal sagte. Sinngemäß: „Wir wussten schon 1944, dass der Krieg verloren ist. Aber wir haben weiter unseren Dienst gemacht, damit die Rote Armee nicht bis an den Rhein durchmarschiert.“ Ein Soldat, einer von Millionen Soldaten. Junge Männer aus Deutschland, aus England, Frankreich oder Russland. Wollten sie Krieg führen? Viele sicher. Aber ich glaube, es ging den meisten nicht um Politik, um eine mörderische Ideologie, sondern um ihr Verhältnis zum eigenen Land. Man dachte, man müsse eine Pflicht erfüllen. Man wollte Patriot sein, der sein Vaterland liebt. Und das ist nichts grundsätzlich Schlechtes, auch wenn diese jungen Männer in Deutschland von einem widerwärtigen Verbrecherregime missbraucht wurden.

Warum schreibe ich das hier? Weil es mich bewegt hat. Und weil ich es einfach mal niederschreiben wollte.