Klartext in Bergisch-Gladbach und Schkeuditz

Lutz Urbach, Bürgermeister von Bergisch-Gladbach, hatte gestern im WDR einen überaus souveränen Auftritt. Sachlich schilderte er, was derzeit in der Kommune los ist, deren Verwaltung er seit 2009 führt. Ursprünglich hatte man gut 600 Flüchtlinge aufgenommen und – „darauf waren wir stolz“ – gewisse Standards gesetzt, zum Beispiel, dass die Ankommenden in Wohneinheiten mit eigener Küche untergebracht wurden. Inzwischen wurden der 100.000-Einwohner-Stadt im Bergischen Land gut 1.200 Flüchtlinge zugeteilt, und niemand weiß, wie viele es noch werden. Von Standards spricht keiner mehr und von eigenen Kochmöglichkeiten. Inzwischen wurden auf dem Sportplatz zwei Leichtbauhallen errichtet. Weil die üblicherweise konsultierten Möbelhäuser vor Februar keine Betten mehr liefern können, fuhren städtische Bedienstete zu IKEA und kauften dort in einer Hauruck-Aktion für 15.000 Euro Möbel für die Neuankömmlinge. Und auch in Bergisch-Gladbach ist es kalt geworden. Die Leichtbauhallen werden mit Öfen beheizt, und weil am vergangenen Wochenende der Sprit auszugehen drohte, fuhren ehrenamtliche Helfer mit Benzinkanistern zu einer Tankstelle, um Diesel zu kaufen, damit die Heizöfen weiter betrieben werden konnten. Ein paar Szenen aus dem Alltag, wie er sich in diesen Tagen so oder ähnlich überall in Deutschlands Städten abspielt.

Da sprach kein Ausländerfeind, da ging es auch nicht um Kriminalität oder „Invasion“, sondern da erklärte ein Bürgermeister in ruhigen Worten, dass nun nichts mehr geht. Fini! Aufnahmekapazität erschöpft! Lutz Urbach gehört zur CDU, der Partei, der Bundeskanzlerin Angela Merkel vorsitzt. Und die galt bis vor wenigen Wochen über Parteigrenzen hinaus als letztlich alternativlos. Dass das nicht so bleiben muss, wird sie spätestens am vergangenen Mittwoch im sächsischen Schkeuditz begriffen haben. Dort waren rund 1.000 Parteiffreundinnen und -freunde zu einer Regionalkonferenz mit Frau Merkel zusammengekommen. Ich bin sicher, diesen Abend wird sie so schnell nicht vergessen, denn in für CDU-Verhältnisse völlig ungewohnter Klarheit wurde der eigenen Kanzlerin da die Meinung gegeigt. Die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge, die Weigerung, eine Obergrenze festzulegen, das schlechte Krisenmanagement – viele Parteimitglieder sind empört und fordern einen radikalen Kurswechsel. Grenzen zu – sofort! Diese Forderung ist nicht mehr zu überhören. Schon am Dienstag hatte es in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion massive Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik gegeben. „Glaubt Ihr, wir könnten einfach so die Grenzen schließen?“, hatte Merkel da sinngemäß gefragt. Spontan riefen mehrere Abgeordnete laut „Ja!“, gefolgt von tosendem Beifall der Fraktion.

Merkel hat der Union, insbesondere ihrer CDU, in den vergangenen Jahren viel zugemutet und abverlangt. Der sogenannten Modernisierungskurs hat ihre Partei in vielen Bundesländern und Großstädten Mehrheiten gekostet. Die CDU war nie die Partei von Öko-Strom, Homo-Ehe und Mindestlohn, und ich denke, sie wird es auch nie mit dem Herzen sein. Aber ihre Union ist der Kanzlerin gefolgt, selbst als es um den ungeliebten Euro und die Griechenland-Rettung ging. Doch die Flüchtlingskrise überspannt den Bogen. In einer aktuellen Umfrage erklären diese Woche 57 Prozent der repräsentativ Befragten, man solle erstmal keine weiteren Flüchtlinge mehr in Deutschland aufnehmen. Bürgermeister und Landräte gehen in die Öffentlichkeit und stellen klar, dass das Boot voll ist. Und die meistens handzahme Parteibasis tritt Angela Merkel gegenüber und ist auf Krawall gebürstet. Pegida und AfD könnte sie durchstehen, so lange eigene Partei und Koalitionspartner ihr den Rücken stärken. Kippt das, ist durchaus möglich, dass wir in diesen Tagen den Anfang vom Ende der Merkelschen Kanzlerschaft erleben.

Doch Totgesagte leben oft auch lange. Wie all das ausgeht, ist längst nicht entschieden. Im Internet lese ich von der Erwartung, dass Merkels Rücktritt unmittelbar bevorsteht. Andere mutmaßen, sie werde bald in den Job der UN-Generalin wechseln, wobei mir nicht bekannt wäre, dass sie diesen Berufswunsch jemals geäußert hätte. Es kann auch alles ganz anders kommen. Sollte sie die Signale nicht nur hören, sondern schnell Konsequenzen daraus ziehen und ein tragfähiges Krisenmanagement installieren, den weiteren Zuzug deutlich begrenzen, mit dem gestern beschlossenen neuen Asylgesetz konsequent diejenigen abschieben, die kein Recht haben, hier bei uns zu sein, ist durchaus möglich, dass sie noch einmal die Kurve kriegt. Aber es hängt nun von ihr selbst ab.




Ein Narrenschiff auf großer Fahrt

Ganz ehrlich: Mein Publizistenleben überfordert mich im Moment. Ich musste mich geradezu zwingen, mit meiner neuen Kolumne zu beginnen. Ich mag nicht mehr über das Thema Flüchtlinge schreiben, aber man kommt nicht darum herum. Ich mag nicht mehr den Zusammenhalt unseres Landes beschwören, denn den gibt es nicht mehr. Sie werden sagen: es gab immer Leute, die etwas zu meckern hatten. Doch das hier ist anders. Zeitung zu lesen, Fernsehen zu schauen, ja selbst bei meinen Freunden in Facebook unterwegs zu sein, was ich wirklich gerne tue, macht mir zur Zeit nur noch wenig Spaß. Durch unsere Gesellschaft geht ein Riss, wie ihn Deutschland seit dem Kampf um die Ostpolitik von Willy Brandt nicht mehr erlebt hat. Zwei große Lager standen sich damals fast unversöhnlich gegenüber. Die einen waren überzeugt, Brandt, Wehner und Bahr würden uns „an die Russen verkaufen“. Die anderen bejubelten kritiklos nahezu jede Preisgabe westlicher Positionen in der Zeit des Kalten Krieges. Es gab Demonstrationen, sogar Handgreiflichkeiten, die „Aktion Widerstand“ veranstaltete Großkundgebungen. Man hatte nicht das Gefühl, dass da Leute zusammen in einem Land leben wollten.

Heute ist es wieder so, vielleicht sogar intensiver als damals. Begonnen hat es nicht erst mit den Flüchtlingen. Fast hat man das Gefühl, die Parteien sind irgendwann aus dem politischen Geschäft ausgestiegen. Keine klaren Aussagen mehr, keine eigenen, durchdachten Konzepte, kaum erkennbares Interesse daran, was ihre Wähler bedrückt, es ist gespenstisch. Am Mittwoch war die Bundeskanzlerin im Fernsehen. Vorwärtsverteidigung, so nennt man das wohl. Irgendwer im Kanzleramt muss ihr bei der Morgenlage zugeraunt haben, dass die Stimmung im Volk schlechter wird. „Frau Bundeskanzlerin, sie müssen jetzt etwas tun….“ So ähnlich wird es geklungen haben. Und so setzte sie sich also gegenüber von Anne Will und erklärte ihre Sicht der Dinge. Obwohl ich schon lange keine Merkel-Fan mehr bin, stehe ich zu meiner Ansicht, dass sie sich ordentlich geschlagen hat. Zwei minus, würde ich unter die Klassenarbeit schreiben. In den sozialen Netzwerken ging es nach der Sendung erst noch halbwegs zivilisiert zu, wenngleich unterschiedliche Meinungen deutlich aufeinander prallten. So soll es sein in einer Demokratie. Aber am Tag danach hatte ich den Eindruck, im Irrenhaus sei Tag der offenen Tür. In gleich mehreren Zeitungen bekundeten politisch linksgestrickte Journalisten, sie hätten Merkel noch nie gewählt, aber jetzt sei sie #meinekanzlerin. Von „Befreiungsschlag“ fabulierten Analysten und davon, dass sie wieder kraftvoll zurückgekehrt sei. Bei online-Abstimmungen sagten dagegen 86 bis 90 Prozent, Merkel sei eine einzige Katastrophe gewesen. Ich wurde auch verschiedentlich von FB-Freunden aufgefordert, unbedingt bei dieser oder jener Abstimmung gegen Merkel zu stimmen. Ich habe mich kurz gefragt, ob ich auch Aufrufe von CDU-Freunden bekommen würde, Merkel per Abstimmung ganz toll zu finden. Aber dann fiel mir wieder ein, dass die CDU ja das Kämpfen verlernt hat, und es kam auch tatsächlich nichts.

In Dresden verzeichnet derweil Pegida wieder starken Zulauf, in Erfurt trommelt die AfD 8.000 Anhänger zusammen, um die Kanzlerin aufzufordern, sich doch einen anderen Job zu suchen. Im Fernsehen kanzelt ein unerträglich arroganter Verlegersohn-Schnösel eine junge Polizistin ab, die von ihrem unerfreulichen Alltag mit vorzugsweise jungen Muslimen berichtet. Weitergezappt! Auf N24 ist Michel Friedman mit einem Kamerateam unter Flüchtlingen unterwegs. Es war wirklich spannend, zu hören, was einige von ihnen über ihr Leben und ihre Motivation, nach Deutschland zu kommen, erzählten. Weitergezappt! Polizisten führen einen grinsenden Asylbewerber ab, der sich in einer Flüchtlingsunterkunft geprügelt hat. Es war wohl sogar noch etwas bunter, insgesamt 60 Beamte mussten anrücken, erfahre ich. Auf Facebook vergleichen zum wiederholten Mal Menschen, die mit ihren Sorgen ernst genommen werden möchten, Merkel mit Hitler. Ja, mit Hitler. Manchmal ist man einfach nur sprachlos, einmal wegen des widerlichen und sowieso unhistorischen Vergleichs an sich, aber auch, weil dieselben Leute immer beklagen, dass man ja in der politischen Auseinandersetzung stets einen mit der „Nazikeule“ übergebraten bekomme. Nicht ganz zuende gedacht, würde ich meinen.

Ich könnte noch eine Stunde weiter Erlebnisse und Momentaufnahmen aus dem Tollhaus erzählen, aber ich mag Sie, meine geschätzten Leserinnen und Leser, nicht langweilen. Doch ich möchte nochmal daran erinnern: Unser gemeinsames Land befindet sich in einer komplizierten, wahrscheinlich sogar gefährlichen Situation. Nicht wegen der Kosten, das wuppt Deutschland allemal, aber wegen des in Teilen unkontrollierten Zustroms Hunderttausender Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis. Die integriert man nichtmal einfach so nebenbei, das ist ein langer Prozess – und der sollte übrigens wirklich nur denen offenstehen, die ein Recht darauf haben, bei uns Schutz und Aufnahme zu erhalten. Es gibt irre viel zu tun, das ist ein Prozess, der die ganze Gesellschaft beeinträchtigt und herausfordert. Und was passiert hier? Manchmal kommt man sich vor wie an Bord der „Vera“ im berühmten Roman vom „Narrenschiff“, wo alle Arten von Charakteren und Ethnien auf engstem Raum beisammen sind, und von Tag zu Tag eine unangenehme und aggressive Gereiztheit zunimmt, die schließlich alle erfasst…




Warum nicht mal stolz sein auf das eigene Land?

Morgen feiern wir 25 Jahre Deutsche Einheit. 25 Jahre – schon? Kaum zu glauben. Alle Gänsehaut-Momente durfte ich damals als Reporter in Berlin miterleben. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 verbrachte ich mit Kopfhörer auf und Mikro in der Hand am Übergang Bernauer Straße. Als Helmut Kohl vor dem Schöneberger Rathaus gnadenlos ausgepfiffen und Stunden später vor der Gedächtniskirche von Zehntausenden begeistert gefeiert wurde, stand ich in der Menge. Unzählige Reportagen habe ich aus der untergehenden DDR produziert, live vom Weihnachtsmarkt auf dem Alexanderplatz berichtet, in Betrieben und Kitas Landsleuten eine Stimme gegeben, und am 3. Oktober stand ich auf der Pressetribüne vor dem Reichstag und berichtete live für ein Dutzend Privatsender in Deutschland, während zu den Klängen der Freiheitsglocke unsere Fahne gehisst wurde. Ich habe diese Zeit als Journalist und als Deutscher miterlebt, für den sich die Wiedervereinigung unseres Landes wie ein Wunder anfühlte. Bis heute bin ich bewegt, wenn ich alte Fotos aus dieser Zeit sehe. Mein emotionales Verhältnis zu unserem Land ist damals stark geworden. Ich habe nichts dafür getan, hier geboren zu werden. All das, was unser Land ausmacht, habe ich geschenkt bekommen. Und unser Land ist weit mehr als die zwölf Jahre der widerlichen Nazi-Barbarei. In Kunst und Kultur hat Deutschland Großartiges hervorgebracht. Unsere Techniker, die Machinenbauer, deutsche Autos, deutsches Bier und deutscher Fußball werden weltweit bewundert. Wir sind bestens organisiert, deutsche Tugenden und so. Und deshalb ist dieses Land, unübersehbar in diesen Tagen, ein Magnet für Menschen aus aller Welt, für die Hoffnungslosen, die sich wünschen, Teil des deutschen Wunders werden zu dürfen.

Heute denke ich politische Themen stets von dem Standpunkt aus, was ist gut und richtig für Deutschland und seine Menschen. Wie kleinkariert kommt mir oftmals vor, mit was wir uns hier Tag für Tag beschäftigen. Einem Land, dessen politische Elite sich allen Ernstes mit einer Pseudowissenschaft wie Gender Mainstreaming beschäftigt, kann es nicht schlecht gehen. Warum schreibe ich hier so hymnisch über das Land, in dem ich lebe? Es ist die Sorge, dass wir unsere Gemeinsamkeiten mehr und mehr vergessen oder nicht mehr zu schätzen wissen. Wir warten darauf, stets empörungsbereit, dass irgendetwas schief geht, über das wir schimpfen können. Menschen, die sich selbst als Patrioten verstehen, beleidigen hemmungslos die gewählten Repräsentanten und die Institutionen unserer freiheitlichen Gesellschaft. Und die schwarz-rot-goldenen Fahnen hängen wir nur bei Fußball-Großereignissen aus dem Fenster, statt ein unverkrampftes Verhältnis zu unserem Land zu pflegen – wie das überall auf der Welt üblich ist.

Ich bin gern Deutscher, und – ja, ich sage das so – ich bin stolz auf dieses Land, mein Land. Ich bin das, ohne gegenüber anderen Staaten und Menschen überheblich zu sein oder Schlimmeres. Ich weiß, dass man stolz auf das eigene Land sein kann, und trotzdem glücklich über Reisen ohne Grenzen, über die enge Partnerschaft mit anderen Ländern insbesondere in Europa. Unsere Kinder haben schon viel von der Welt gesehen, eine Tochter ist gerade zu einem Schulpraktikum in London. Wahnsinn, oder? Alles ist möglich, die Zukunft könnte golden sein – könnte, wenn wir nicht vergessen, wer wir sind und woher wir kommen. Ich wünsche Ihnen einen schönen 3. Oktober – feiern Sie ihn bewusst!




Wer sind wir, wer wollen wir sein?

Als die Bundeskanzlerin jüngst auf die geäußerte Furcht vor einer zunehmenden Islamisierung unserer europäischen Gesellschaften mit dem lapidaren Hinweis antwortete, man solle der Entwicklung begegnen, indem wir uns unserer christlichen Traditionen wieder bewusster werden und die sonntäglichen Gottesdienste besuchen, erntete sie neben Zustimmung aus den Kirchen auch jede Menge Kritik. Zu recht, denn so einfach ist es eben nicht. Zu unseren freien Gesellschaften gehört nämlich zum Beispiel auch die Freiheit, nicht an einen Gott glauben zu müssen. Und auch diese Freiheit wird bedroht, wenn der missionarische Islam hierzulande an Boden gewinnt. Außerdem weicht Angela Merkel dem tatsächlichen Hintergrund der Frage aus, nämlich der Furcht vor einer politischen Religion, die ganzen Gesellschaften und Staaten ihre Regeln aufdrängt. Und nein, die Scharia ist ganz sicher nicht das Regelwerk, unter dem ich leben möchte. Ich denke, in dieser Frage bin ich mir mit der Mehrheit der Deutschen einig.

Aber die Aussage der Kanzlerin hat auch einen interessanten Aspekt, denn sie impliziert, dass wir alle aufgefordert sind, uns unserer historischen, geistigen und auch religiösen Wurzeln wieder bewusster zu werden, weil uns das Selbstvergewisserung und – wie ich überzeugt bin – auch Stärke gibt. Und so passt in diesen Kontext sehr gut das neue Buch des früheren Verfassungsrichters Udo di Fabio, das vorgestern der Öffentlichkeit präsentiert wurde. „Schwankender Westen“, so heißt es – und genau darum geht es in dieser Zeit. Di Fabios Grundthese in meinen einfachen Worten: Mit zunehmender Freiheit und Wohlstand haben wir in den reichen westlichen Ländern vergessen (verdrängt?), was uns zu freien und wohlhabenden Gesellschaften gemacht hat. Welche Kämpfe ausgefochten wurden, welche Opfer gebracht werden mussten, um dorthin zu kommen, wo wir heute sind. Der Autor formuliert das nicht als Vorwurf, sondern als Mahnung, sich unseren geistigen und historischen Wurzeln wieder anzunähern. Di Fabio ist kein Kritiker der westlichen Demokratien, im Gegenteil, er will sie erhalten und weiterentwickeln. Aber er weicht klaren Feststellungen nicht aus. Ein Europa ohne Grenzen sei eine schöne Vorstellung, wenn man es vom Standpunkt des Handels und des Tourismus betrachte. Aber in Zeiten, in denen Hunderttausende Menschen aus anderen Kulturen in den Schengen-Raum strömten, gäbe es nur zwei Möglichkeiten: entweder konsequente Sicherung der EU-Außengrenzen oder dauerhafte Aussetzung von Schengen und damit Wiedereinführung der Grenzsicherung der Einzelstaaten. Auf keinen Fall könne ein Zustand akzeptiert werden, in dem Flüchtlingsströme unregistriert durch die EU-Staaten ziehen, weil so die Funktionsfähigkeit der sozialen Rechtsstaaten gefährdet werde.

Wir müssen uns klar werden, was wir hier eigentlich erhalten wollen. Vielleicht schauen wir ein wenig herum, was es sonst so für gesellschaftliche Modelle auf der Welt gibt. Und dann erinnern wir uns, wie all das über viele Jahre entstanden ist: die Soziale Marktwirtschaft, die parlamentarische Demokratie, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die sozialen Sicherungssysteme und so weiter. Und wenn wir uns einig sind, dass all das verteidigenswert ist, dann muss unsere Politik die Voraussetzungen für den Erhalt all dessen schaffen. Und zwar konsequent. Das beginnt damit, dass man unmissverständlich erklärt, dass Deutschland nicht alle Probleme der Welt schultern kann, und dass auch nicht jeder, der unser Land erreicht, hierbleiben kann. Das geht dann weiter in den europäischen Zusammenhängen. Machen wir den EU-Institutionen klar, dass wir keine Bevormundung aus Brüssel brauchen, wie wir unser alltägliches Leben gestalten sollen. Europa soll für eine florierende wirtschaftliche Entwicklung, für ein gemeinsames internationales Handeln und für (auch militärische) Sicherheit sorgen. Welche Glühbirnen wir benutzen, ob wir homosexuelle Partnerschaften als „Ehe“ ansehen oder wie wir Familien fördern – dazu brauchen wir die EU nicht. Schauen wir mal wieder einen Moment auf uns selbst, auf unser Land und wer wir sind. das ist die Basis von der aus wir denken sollten. Was ist gut für uns, was erhält uns die Kraft, auch anderen helfen zu können. Ein solches Denken kann ich bei vielen politisch Verantwortlichen in Deutschland derzeit nicht erkennen.




GASTSPIEL: Birgit Kelle über eine Sendung, die den Blutdruck hochtreibt

Die chronisch gut gelaunten Moderatoren des öffentlich-rechtlichen „Morgenmagazins“ (MoMa) beschäftigen sich in dieser Woche mit den Ängsten und Befürchtungen der Bevölkerung in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise. Will man seinen Blutdruck also schon morgens in Form bringen, lohnt das Einschalten bei den Öffentlich-Rechtlichen allemal. Sie schaffen in 10 Minuten mehr Bluthochdruck als eine ganze Kanne Kaffee. Heute Morgen war das Thema Kranken- und Rentenversicherung dran und die Frage, ob der Zustrom der Flüchtlinge nicht enorme Kosten und Belastungen mit sich bringe. Brav hatte man dazu ein paar besorgte Bürgerstimmen eingefangen, die das äußerten und erwartungsgemäß endete der Beitrag mit dem Ergebnis: Befürchtung unbegründet. Dazu präsentierte man die völlig nutzlose Zahl, dass in den vergangenen Jahren schließlich 900.000 Einzahler mit Migrationshintergrund in die Rentenkasse hinzugekommen sind. Dazu der rührselige Bericht eines fleißigen Einwanderers (wenigstens war auf das Klischee syrischer Arzt verzichtet worden), dem von seinem Arbeitgeber ab nächstes Jahr eine Festanstellung versprochen wurde. Quod erat demonstrandum, oder etwa nicht?

Die interessanten Zahlen hatte man beim MoMa leider nicht parat, nämlich die Frage, wieviel Prozent der Einwanderer tatschlich als Einzahler und nicht als Empfänger in der Rentenkasse zu erwarten sind. Oder gar, wie viele Prozent der jetzt Zuwandernden überhaupt jemals auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen werden. Schon heute haben wir es in Deutschland mit einer extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit unter den Bewohnern Deutschlands mit Migrationshintergrund zu tun. Und die leben teilweise bereits seit ihrer Geburt hier, waren auf deutschen Schulen, landen aber dennoch anstatt auf dem Arbeitsmarkt nicht selten zielsicher in Hartz 4. Wie schwer wird es also werden, Einwanderer, die in der Regel kein Deutsch sprechen und in nicht unerheblicher Zahl nicht einmal lesen und schreiben können, in einen Job mit Mindestlohn zu bekommen?

Immerhin nötigte sich das MOMA noch den Expertenhinweis ab, für die Rentenkasse werde ausschlaggebend sein, wie viele der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Wie das verlaufen wird, steht in den Sternen, sieht aber nicht rosig aus. Erste Frage also schon mal nicht beantwortet. Es folgte das System der Krankenkassen. Auch hier steht die Befürchtung im Raum, die Versorgung der Flüchtlinge werde zu einer hohen Zusatzbelastung für das System. Um dies zu entkräften stand die SPD-Gesundheits-Allzweckwaffe Karl Lauterbach als Experte parat mit der aberwitzigen Behauptung, der Gesundheitszustand der Flüchtlinge sei durch die monatelange Flucht gestärkt und im Schnitt wohl sogar besser als der der Deutschen. Fast hätte ich kurzfristig zum Koffer gegriffen und schnell ein paar Sachen gepackt, um zur Kur nach Syrien aufzubrechen. Immer noch nichts zur eigentlichen Frage, nämlich der finanziellen Mehrbelastung für unser Krankenkassensystem. Stattdessen wieder Lauterbach, der beklagt, dass es immer noch keine Krankenkarte für Flüchtlinge gibt, mit der sie unbürokratisch zum Arzt gehen können. Sie müssen sich nämlich vorher sowas genehmigen lassen. Das scheint wohl unzumutbar. Ins allgemeine Gequassel gepackt die Information, dass die ersten 15 Monate eine kostenlose ärztliche Versorgung für alle gewährleistet sei. Die Kosten hierfür, als auch für die medizinische Erstversorgung, das Impfen der Flüchtlinge und die zahnmedizinischen Behandlungen, die in den ersten 15 Monaten anfallen, hätten mich dann als Zuschauer doch interessiert. Auch die Frage, aus wessen Geldbeutel das beglichen wird. Dazu kamen sie aber nicht im MoMa, wahrscheinlich ging zu viel Zeit drauf, das Morgenrätsel redaktionell vorzubereiten. Zweite Frage auch nicht beantwortet.

Fakt bleibt, selbstverständlich führt der nicht enden wollende Flüchtlingsstrom erst einmal für gewaltige Kosten im Krankensystem, die von uns allen getragen werden. Ob über unsere Beiträge in den Krankenkassen oder über Steuern, ist da schon nahezu unerheblich. Ob das System Rentenkassen-Rettung mittels Zuwanderungspolitik jemals aufgehen wird, ist ebenfalls fragwürdig. Es bräuchte Millionen von Einwanderern, die sofort auf dem Arbeitsmarkt loslegen und dazu auch noch viele Kinder bekommen, um unser umlagefinanziertes System zu stabilisieren. Arbeitsministerin Andrea Nahles rechnet mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen und einem Zusatzpaket von drei Milliarden, die sie für Programme zur Integration auf den Arbeitsmarkt, Deutschkurse und die Sicherung des Lebensunterhalts von Flüchtlingen benötigt. Ohne Zweifel werden wir erst einmal eine hohe finanzielle Kraftanstrengung brauchen, wenn der Flüchtlingsstrom sich jemals positiv auf die Bilanzen der sozialen Sicherungssysteme auswirken sollen. Und ganz nebenbei fällt bei dem Thema eine nahezu groteske Argumentations-Diskrepanz auf. Was haben Einwanderer aus allen Teilen der Welt und Mütter im Erziehungsurlaub gemeinsam? Man sollte meinen nichts, und doch verbindet ein Thema: Die Frage ihrer Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt. Geht es um Flüchtlinge, gilt neuerdings jeder als brauchbar und integrierbar auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass doch viele von ihnen, gerade aus Syrien, sogar studiert hätten, und wir brauchen ja Arbeitskräfte. Jetzt schnell ein bisschen Deutsch lernen und dann sollte es kein Problem sein, für einen Flüchtling, der Willens ist zu arbeiten, auch eine bezahlte Aufgabe zu finden. Geht es hingegen um Mütter, die mehr als ein Jahr oder – Gott behüte – sogar drei Jahre oder mehr vom Arbeitsplatz fern bleiben, weil sie sich um die Kinder kümmern, heißt es komischerweise immer: Wer so lange aus dem Job raus ist, hat kaum eine Chance, wieder genommen zu werden. Deshalb bitte am besten nach sechs Monaten wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren, und die Kinder in die Krippe geben.
Ein Flüchtling ohne Deutschkenntnisse und ohne deutschen Abschluss ist also für den Arbeitsmarkt zu gebrauchen, eine deutschsprachige Mutter mit Universitätsabschluss in Deutschland, sei aber angeblich bereits nach drei Jahren Elternzeit geistig nicht mehr voll einsatzfähig. Ist es nicht eine seltsame Diskrepanz in der Argumentation? Ja, das ist es.

Morgen will man sich im Morgenmagazin mit den Befürchtungen der Bevölkerung um die kulturelle Identität Deutschlands befassen. Ich bin nicht sicher, ob mein Arzt mir die Sendung genehmigt. Ich packe doch lieber Koffer, und fahre zur Kur. Nach Syrien.




GASTSPIEL Alexander Wallasch: Frau Merkel und Frau Göring-Eckardt – Ihre Ausreise wird hiermit genehmigt!

Dass eigentlich Erstaunliche der aktuellen Einwanderungsdebatte ist, dass es noch keine ernstzunehmenden öffentlichen Rückrittsforderungen an die Bundeskanzlerin gibt. Betrachten wir es einmal ganz nüchtern: Die wirtschaftliche Lage der Deutschen ist so gut, wie sie es seit Jahrzehnten nicht mehr war. Und da, wo es noch Defizite gibt, haben wir eine linke Opposition, die sich vehement dieser Defizite annimmt und die sogar in der Lage ist – siehe Mindestlohn – diese Forderungen mitten ins Herz der Sozialdemokratie, also auf die Regierungsbank, zu tragen.

Nun ist es geradezu kurios, dass ausgerechnet die für diesen Erfolg identifizierte deutsche Bundeskanzlerin eine Entscheidung getroffen hat, die diesen neuen deutschen Wohlstand in ernste Gefahr bringt. Nicht mal eben für den Moment, nicht kurzfristig revidierbar, sondern mit erheblichen langfristigen und nachhaltigen Folgen. Sie glauben, dass werde doch alles nicht so schlimm? Sie sind ebenfalls davon überzeugt: „Das schaffen wir!“, ohne dass es zu einer eklatanten Verschlechterung der Inlandssituation kommen muss? Sie sind sogar bereit, die Annahme zu teilen, dass Zuwanderung in diesem Ausmaß ein Segen für Deutschland, für Europa sei? Es wird also alles gar nicht so schlimm werden?

Dann setzen Sie sich bitte, und hören Sie im Folgenden mal etwas genauer hin: Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Katrin Göring-Eckardt hat diese zu erwartenden Veränderungen nämlich jüngst bei Anne Will so verbalisiert:

„Dieses Land wird sich verändern. Und es wird sich ziemlich drastisch verändern. Und es wir ein schwerer Weg sein, aber dann glaube ich, können wir wirklich ein besseres Land sein. Und daran zu arbeiten, das mit Begeisterung zu machen, die Leute mitzunehmen, auch die, die Angst haben (..) das ist eigentlich die historische Chance in der wir sind. Das ist wahrscheinlich sogar noch mehr als die deutsche Einheit, was wir da erreichen können. Was die Kanzlerin gemacht hat, ist eine große Idee davon, was es heißt, dieses Land neu zu denken. (…) Die Arbeitgeber scharren längst mit den Füßen und sagen: Wir brauchen diese Leute. (..)

Was Sie eben gelesen haben, ist der seltene Fall emotionalisierter öffentliche Geschwätzigkeit einer Fraktionsführerin im Deutschen Bundestag, einer Partei, die sich als zukünftiger Koalitionspartner einer Rot-Rot-Grünen-Regierung empfiehlt.

„Was geben wir denn in Europa für ein Bild ab, dass wir unsere Außengrenzen schützen?“, fragte die Politikerin dort weiter. Ja, Frau Göring-Eckardt, aber eben genau das empfinden viele deutsche Bürger nach wie vor als natürlichste Sache der Welt. Mehr noch, es ist sogar Konsens zwischen souveränen Staaten, diese Vorgehensweise als elementaren Bestandteil einer staatlichen Souveränität zu pflegen. Es mag ja sein, dass die zunehmende Totalvernetzung der Welt suggeriert, nationalstaatliche Grenzen wären anachronistisch, aber in der realen Welt sind sie Grundbedingung innerstaatlicher Handlungsfähigkeit. Und das bezieht sich beileibe nicht nur auf das Steuerrecht, es wird sogar zur Grundbedingung für die Funktionalität einer feinjustierten Gewaltenteilung, der „Verteilung der Staatsgewalt auf mehrere Staatsorgane zum Zweck der Machtbegrenzung und der Sicherung von Freiheit und Gleichheit“. (wikipedia)

Nein, diese Grundbedingungen innerdeutschen Wohlstandes sind ebenso wenig verhandelbar, wie das Grundgesetz. Die alte Sehnsucht der Grünen nach einer radikalen Veränderung der Gesellschaft wird sich auch nicht mit Unterstützung der Bundeskanzlerin durchsetzen. Eine Renaissance dieser „Fuck-You-Deutschland“-Stimmung, herübergerettet aus der Düsternis der 1968er Bewegung, wird es in einem Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht geben. Zu viele Deutsche sind mit ihrer aktuellen Situation durchaus zufrieden. Und sie sind hilfsbereit, aber nicht bis zur Selbstaufgabe. Die Sensoren sind dabei fein genug eingestellt, um zu verstehen, dass eine Art Selbstaufgabe jetzt Regierungsmaxime geworden zu sein scheint. Von Angela Merkel hinüber zu Katrin Göring-Eckardt ist es kein langer Weg, eine schwarz-grüne Koalition längst keine Utopie mehr.

Wenn Göring-Eckardt also sagt, was Frau Merkel noch nur denkt, dann müssten in Deutschland längst alle Alarmglocken läuten: „Dieses Land wird sich verändern. Und es wird sich ziemlich drastisch verändern. Und es wird ein schwerer Weg sein, aber dann glaube ich, können wir wirklich ein besseres Land sein.“ Nein, wir müssen kein besseres Land werden, denn dazu gehört die Annahme, wir würden eine Verbesserung herbeisehnen. Noch unverständlicher übrigens, betrachtet man den millionenfachen Wunsch von Menschen aus aller Herren Länder, in diesem angeblich so verbesserungswürdigen Land Ihr Glück zu finden. Tatsächlich wünschen sich besonders diese Menschen kein anderes Deutschland. Von den Einreisemodalitäten vielleicht einmal abgesehen – solange sie noch nicht angekommen sind.

Also Frau Merkel, machen wir es kurz: Wenn sie dem Volk die Vertrauensfrage stellen ( „… dann ist das nicht mehr mein Land“) dann bedenken Sie bitte auch, das Sie, so man Ihnen dieses Vertrauen nicht ausspricht (was ich hiermit gerne erledige), überlegen müssten, wo Sie dann Ihr Heil suchen wollen. Wenn Sie aber irgendwo auf der Welt Ihr neues Paradies gefunden haben, dann seien Sie doch bitte so nett und nehmen sie die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Katrin Göring-Eckardt gleich mit.

Wir machen dann einstweilen alleine weiter. Und wir werden unsere neuen syrischen Freunde nicht belügen, wir werden ihnen kein deutsches Paradies vorgaukeln ohne auf die massenhafte Arbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern hinzuweisen. Denn wir sind Teil dieses Europas. Ebenso, wie wir unseren Neubürgern erklären werden, das ihre Religion mit Grenzübertritt zur reinen Privatsache geworden ist.

Wir werden dann also auch ohne Ihre Hilfe, Frau Merkel, für eine begrenzte Zahl Flüchtlinge alles tun, was wir zu tun in der Lage sind. Wir werden Arbeitsplätze schaffen und die Kinder ausbilden, damit sie die besten Zukunftschancen haben. Übrigens unabhängig davon, ob Mädchen oder Junge. Und wir werden die direkten Anrainerstaaten Syriens und die der anderen kriegsgepeinigten Herkunftsländer mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Und wir werden auch direkt in den Krisenländern diplomatisch wirken auf eine Weise, die uns vor allergrößte Herausforderungen stellen wird. Und wir werden mit allen Beteiligten dieser Konflikte – auch in Washington – Klartext zu reden haben.

Was wir allerdings nicht tun werden, ist, falsches Zeugnis ablegen wie Frau Göring-Eckardt über einen nicht existenten Wunsch nach einer massiven Veränderung unseres Landes. Wir sehen nicht nur keine „historische Chance“, wir suchen auch keine. Seien Sie gewiss, Frau Merkel (und Frau Göring-Eckardt): Wir Deutschen werden uns dieser Herausforderung, dieser Flüchtlingswelle maximal stellen: Aber die Probleme die das mitbringt, taugen nicht dafür längst ad acta gelegte grüne Ideologien und linke Visionen von einem Ende des deutschen Wohlfahrtstaates, wie wir ihn heute kennen, zu befeuern. Wenn Sie Frau Merkel und Frau Göring-Eckardt, wenn Sie beide das so sehen, müssen wir Sie schweren Herzens ziehen lassen. Dann betrachten Sie ihre Ausreise jetzt als bewilligt!




Die Grenze zwischen Hass-Beitrag und erlaubter Meinung ist auch die Grenze zwischen Freiheit und Zensur

Im Grunde ist die Initiative von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) typisch für das, was heutzutage in Deutschland unter Politik verstanden wird. Da identifiziert man ein tatsächlich existierendes Problem, und dann muss eine Lösung her. Mangels Kreativität in der Regel ein Gesetz, ein Verbot oder ein vom Staat eingefordertes und bei Nichtbeachtung mit Strafe sanktioniertes Verhalten des Bürgers. Heiko Maas will nun also den Hass in sozialen Netzwerken bekämpfen. Jeder, der in diesen Netzwerken unterwegs ist, weiß, was für übelste Schmähungen dort Tag für Tag und rund um die Uhr verbreitet werden. Über die Flüchtlinge ebenso wie über ernsthaft besorgte Bürger, über den falschen Glauben, den falschen Fußballverein, die falsche Einstellung zu Homosexuellen und so weiter und so weiter. Im Meinungsstreit sollte alles erlaubt sein, sofern Mindestregeln des Anstands eingehalten werden. Doch das funktioniert nicht.

Und deshalb wurde nun der wackere Saarländer Maas bei Facebook vorstellig, um zu beraten, wie man Hass-Beiträge schnell im Netz tilgen kann. Dass ausgerechnet Facebook erstes Ziel der Maas’schen Inititative ist, verwundert ein wenig, denn Twitter ist nach meinem Eindruck ungleich schlimmer, ätzender und beleidigender (übrigens auch belangloser), aber sei’s drum. Nun sollen also Hass-Beiträge innerhalb eines Tages von Facebook gelöscht werden, und genau da beginnen die Probleme. Wer entscheidet in einer freien Gesellschaft eigentlich, was so ein Hass-Beitrag ist? Jedem fallen sofort Beispiele ein, wo eine solche Bewertung unumstritten sein dürfte. Aber wo hören Kritik, Sarkasmus, vielleicht auch Zynismus auf – und Hass beginnt? Hass-Veröffentlichungen zum Beispiel gegen Kirche und Papst werden ja in der Regel mit „Kunst“ erklärt, und die darf bekanntlich alles. Satire! War gar kein Urin, war nur Fanta. Hahaha! Nun gut, wer entscheidet, wo Kunst endet und Böswilligkeit beginnt? Eine ständige Arbeitsgruppe von Facebook? Eine staatliche Aufsichtsbehörde? Bettina Röhl hat in dieser Woche konkrete Beispiele genannt, was da so alles im Netz zu bewerten sein könnte. Keine leichte Aufgabe für die Gedankenwächter.

Was ich für wahrscheinlich halte: die Lautstärke wohlorganisierter Lobbygruppen wird den Ausschlag geben. Je schriller der Aufschrei, desto schneller wird gelöscht. Ein Internetportal der militanten Homo-Lobby beispielsweise macht schon jetzt vor, wie das läuft. Wird eine Fernsehdiskussion unter Teilnahme unliebsamer Personen angekündigt, gibt es einen Aufruf, die Redaktion oder den Sender anzuschreiben und gegen die Einladung zu protestieren. Die Namen und Anschriften werden gleich mitgeliefert. Jedes Mal, da gibt es ein Umfeld, das auf Knopfdruck spurt und Empörung heuchelt. Meine Frau, die Autorin Birgit Kelle, hat das schon erlebt, viele andere auch. Inzwischen werden Behörden massenhaft angeschrieben, die politischen Gegnern öffentliche Räume entziehen sollen. Und warum das alles? Weil allein die ruhig und sachlich vorgetragene Feststellung, dass der Artikel 6 Grundgesetz eine Privilegierung der Ehe aus Mann und Frau beinhaltet, von solchen Lobbygruppen als „Hass“ interpretiert wird. Ebenso wie die Kritik am massiven Zustrom von Flüchtlingen derzeit automatisch zu Rassismus und „Hass auf alles Fremde“ erklärt wird. Auch, wenn es gar keiner ist. Basta!

Das, was Justizminister Maas da gemeinsam mit Facebook plant, ist Zensur, zumindest birgt das Vorhaben die Gefahr, dass daraus Zensur unliebsamer Meinungen entstehen kann. Und bei anderen politischen Debatten, wie zum Beispiel über den Datenschutz, hört man auch immer wieder: „Ja, im Moment werden meine Daten zwar noch nicht missbraucht, aber es können ja mal andere Zeiten kommen, und dann sind sie dort verfügbar.“ Warum sollte man also bei Facebook nicht auch bereits den Anfängen wehren?

Deutschland hat Gesetze, da steht alles drin. Sie reichen aus, um Nazipropaganda und antifa-Gewaltphantasien ebenso zu bekämpfen wie Salafisten-Mordvideos und Verstöße jeglicher Art gegen die Menschenwürde. Das wird ja auch bisher schon gemacht. Beleidigungen, Übertreibungen und selbst unfassbare Blödheiten aber sollte man aushalten können, wenn man im Netz unterwegs ist. Weil die Alternative ein weiterer Verlust an Freiheit wäre. Und es arbeiten jetzt schon genügend Wächter der Political Correctness, Gleichstellungsbüros und politische Hobbyforscher daran, das wichtige Recht auf freie Meinungsäußerung immer weiter einzuschränken. Mehr Denkverbote und mehr Zensur braucht diese Gesellschaft wirklich nicht.




Von der ernsten Sorge, dass Deutschland dieses Mal scheitert

Wenn nahezu alle Parteien, ja sogar die große Mehrheit der Gesamtbevölkerung einer Meinung ist, beschleicht mich immer ein mulmiges Gefühl. Wie kann das sein, noch dazu bei einem Thema wie der momentanen Flüchtlingswelle, die nun wirklich eine der großen Herausforderungen nicht nur unserer Zeit, sondern der nächsten Jahre sein wird? Sind wir besoffen von unserer eigenen Hilfsbereitschaft, vom bunten und weltoffenen Deutschland, das sich gerade von seiner Sonnenseite zeigt? Und übersehen wir dabei vielleicht, was diese derzeitige unkontrollierte Masseneinwanderung für dieses Land und damit letztlich für uns alle bedeuten wird?

Ich habe mehrfach ohne Wenn und Aber dazu aufgerufen, den Menschen, die sich nach Deutschland duchgeschlagen haben, zu helfen. Und insbesondere aus Syrien kommen nicht „nur“ die Armen wie z. B. die Sinti und Roma aus Bulgarien und Rumänien, sondern auch gebildete und ausgebildete Menschen hierher. Eine differenzierte Betrachtung ist also unumgänglich, ob nicht auch einige dieser Leute auf Sicht hilfreich für unsere Gesellschaft sein können. Doch die meisten sind „nicht unmittelbar verwertbar“, wie Claudia Roth von den Grünen das nennt. Eine sprachliche Entgleisung, die ihresgleichen sucht. Was wäre in Deutschland los, wenn ein Konservativer angesichts der ausgemergelten Menschen, die an unseren Bahnhöfen ankommen, von „Verwertbarkeit“ spräche. Aber wir hatten ja schon mehrfach darüber sinniert, dass in Zeiten der Political Correctness manche alles dürfen und andere wiederum fast nichts, ohne lautstarke Empörung auszulösen.

In dieser Woche habe ich im Fernsehen eine Dokumentation über die Zustände auf der griechischen Ferieninsel Kos gesehen. Boot um Boot mit Flüchtlingen kommt dort an, und diese Flüchtlinge in ihren motorisierten Schlauchbooten waren ausnahmslos junge Männer. Ich muss gestehen, dass mir angesichts dieser Bilder unweigerlich ein Begriff in den Sinn kam, der in diesen Tagen im Internet massiv gepusht wird: Invasion. Bevor jetzt alle durchdrehen: nein, ich glaube nicht, dass wir eine großangelegte, geplante Invasion muslimischer Eroberer erleben. Aber unübersehbar ist, dass uns der Andrang Hunderttausender junger Männer vornehmlich aus dem arabischen Islam überfordern wird. Er wird unsere sozialen Sicherheitssysteme an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringen, denn die Mehrzahl der angekommenen Flüchtlinge sind Analphabeten. Machen die gut gemeinten und notwendigen Deutsch-Kurse sie fähig für die Erfordernisse des deutschen Arbeitsmarktes? Was können sie werden außer Hilfsarbeiter, Kellner oder Hartzer? Und wollen das überhaupt alle, gute Steuer- und Beitragszahler in „Tschörmänie“ werden?

Die Spannungen nehmen schon jetzt zu, in einer Phase, da Flüchtlinge noch mit Blumen und Beifall begrüßt werden. Im Internet kursieren zahlreiche Videos, die gewalttätige Auseinandersetzungen zeigen. Hier in Deutschland, mit Flüchtlingen untereinander, zwischen Flüchtlingen und der Polizei. Die konservative Wochenzeitung Junge Freiheit hat auf ihrer Homepage eine Auswahl zusammengestellt, die es wert ist, Beachtung zu finden. Und bevor Sie jetzt kommen und mich beschimpfen, wie ich schlimmer Kerl denn etwas aus der „Jungen Freiheit“ verbreiten könne, möchte ich dann auch noch Bemerkenswertes von ganz anderer Seite zum gleichen Thema hier anführen.

Mitte August erhielten die Fraktionen im hessischen Landtag ein Schreiben, ja geradezu einen Alarmbrief. Absender waren u. a. der Landesfrauenrat und „pro familia“, nun wahrlich beides keine rechtskonservativen Zusammenschlüsse. Thema war die Situation von Frauen in den Erstaufnahmeeinrichtungen Hessens. Ich zitiere aus dem Brief:

„Die Unterbringung in Großzelten, nicht geschlechtergetrennte sanitäre Einrichtungen, nicht abschließbare Räume, fehlende Rückzugsräume für Frauen und Mädchen – um nur einige räumliche Faktoren zu nennen – vergrößern die Schutzlosigkeit von Frauen und Kindern innerhalb der HEAE. Diese Situation spielt denjenigen Männern in die Hände, die Frauen ohnehin eine untergeordnete Rolle zuweisen und allein reisende Frauen als „Freiwild“ behandeln. Die Folge sind zahlreiche Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe, zunehmend wird auch von Zwangsprostitution berichtet.

Es muss deutlich gesagt werden, dass es sich hierbei nicht um Einzelfälle handelt.

Frauen berichten, dass sie, aber auch Kinder, vergewaltigt wurden oder sexuellen Übergriffen ausgesetzt sind. So schlafen viele Frauen in ihrer
Straßenkleidung.Frauen berichten regelmäßig, dass sie nachts nicht zur Toilette gehen, weil es auf den Wegen dorthin und in den sanitären Einrichtungen zu Überfällen und Vergewaltigungen gekommen ist. Selbst am Tag ist der Gang durch das Camp bereits für viele Frauen eine
angstbesetzte Situation.“

Männer, die Frauen als „Freiwild“ behandeln, Vergewaltigung von Kindern und Frauen, die sich nachts nicht auf die Toilette trauen, weil sie Angst vor sexuellen Übergriffen haben? In einem Aufnahmeheim für Flüchtlinge, die bei uns Schutz und ein besseres Leben suchen? Und dann die klare Aussage von Landesfrauenrat, pro familia und der Landesarbeitsgemeinschaft Hessischer Frauenbüros: Das sind keine Einzelfälle!

Hallo? Was für Leute kommen da zu Abertausenden? Es ist gar nicht mal die Angst davor, dass ein paar IS-Idioten darunter sein könnten. Es ist die tiefe und inzwischen massive Besorgnis, dass es nicht gelingen wird, Hunderttausende Männer mit archaischem Weltbild in unsere Gesellschaft zu integrieren. Sie zu überzeugen, dass sie Riester-Rente beantragen und den Müll in fünf Tonnen trennen müssen, dass bei uns Frauen auch Polizisten oder Bundeskanzlerin sind, dass ihre Kinder dringend Sexualaufklärung ab dem sechsten Lebensjahr in der Schule besuchen müssen und wie wichtig es ist, nicht in öffentlichen Gebäuden zu rauchen…

Auch wenn ich nach wie vor meine, dass wir den Flüchtlingen jetzt helfen müssen – die große Masse kann nicht auf Dauer hier bleiben. Seit dem Ende des Kalten Krieges vor 25 Jahren habe ich das erste Mal die ernste Sorge, dass unser Land sonst den Bach runtergehen wird.




GASTSPIEL: Gerd Kotoll über ein totes Kind am Strand

Meine Güte, die sozialen Netzwerke überschlagen sich in diesen Stunden vor Wut, Trauer und Mitgefühl. Und Hilflosigkeit. Vor allem aber vor Dummheit.
Was ist passiert? Es ist ein Foto. Ein Bild, das bekanntlich mehr sagt als tausend Worte. Und dieses hat Millionen Worte. Obwohl einem eigentlich die Worte fehlen beziehungsweise im Halse stecken bleiben. Denn der Anblick dieses kleinen syrischen Jungen, der offenbar ertrunken an den Strand gespült wurde, lässt einem wirklich den Atem stocken. Weil es unverständlich erscheint, dass dieses junge Leben so früh, so tragisch und so grausam endete. So sinnlos. Das Leid der Flucht hat ein Gesicht bekommen. Eines, das die Herzen erreicht.

Aber all die öffentliche und semi-öffentliche Empörung darüber ist nicht mehr als scheinheilig.

So ist dieser kleine Junge nicht das erste kindliche Opfer, noch wird er das letzte sein in diesem barbarischen Konflikt in Syrien und im Irak, in dem die Grenzen zwischen Gut und Böse längst nicht mehr klar zu erkennen sind. Wo war aber der Aufschrei, als Kinder vom Schutt zerbombter Häuser in Homs und Aleppo erschlagen wurden? Wo war die Empörung, als kleine yesidische Kinder verdursteten auf der Flucht durch die Wüste des Irak? Tatsächlich ist die öffentliche und veröffentliche Meinung dazu eine Mischung aus gefährlicher, verlogener Heuchelei und purer Dummheit. So erhält ein meinungsstarker Schauspieler öffentlich Beifall, weil er telegen Politiker beschimpft, aber am eigenen Anspruch scheitert, weil er nicht in der Lage erscheint, sich seriöse Geschäftspartner zu suchen. Da erfährt ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter, der inzwischen als Orientreisender eine zweite, späte Karriere macht, Aufmerksamkeit mit Plattitüden und Selbstverständlichkeiten. Dass er dabei die Propaganda für eine angeblich staatsbildende islamistische Terrororganisation transportiert, zählt nicht.

Ebenso bleibt mysteriöser Weise verborgen, dass dieser Terror sehr viel mehr Ursache für den Tod des Kindes am Strand ist, als vermeintlich verschlossene Grenzen in Europa. Und so suhlt und ahlt sich der durchschnittsdeutsche Gutmensch im eigenen Wohlgefallen, indem er zu verstärktem Engagement in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe und zu Kleiderspenden aufruft. So richtig und notwendig beides sein mag: es hilft nur den Menschen, die unser Land bereits erreicht haben. Anders formuliert (der ein oder andere mag das noch gar nicht realisiert haben): Kleiderspenden in der Hamburger Messehalle retten keinen Menschen auf dem Mittelmeer. Erst recht keinen, der immer noch in Syrien ist.

„Uns geht es so gut!“ liest man dazu auf Facebook. Das mag stimmen.

Sicher ist aber auch, dass auch etwas geringerer materieller Wohlstand in Deutschland das Schicksal des kleinen Jungen nicht geändert hätte.
Aber da flackert es wieder auf: das (notorisch) schlechte Gewissen des Deutschen: Massenmörder-Nachfahre, Kriege angezettelt und verloren – aber mehr Wohlstand als die ehemaliger Kriegsgegner, die Sieger. Da muss man sich natürlich schämen. Und etwas tun. Denn der Deutsche macht. Egal was, irgendwas wird schon richtig sein. Hauptsache gründlich. Also Kleiderspenden. Daher regt sich auch niemand spürbar auf, wenn der bekennende Linke und Nachrichtenmagazin-Erbe auf Facebook bekundet, dass er keine solchen Bilder mehr sehen mag, weil er es nicht aushalte. So einfach kann linke Logik sein: Wer sterbende Kinder nicht sieht, für den gibt es diese auch nicht. Dann ist der Konflikt auch gleich weniger grausam. Und hat dann natürlich auch andere Ursachen, die besser in das gepflegte linke Weltbild passen. Linke Logik – ein Widerspruch in sich.

Dabei sind es genau diese Art von journalistischen Volksverdummern, die das zuvor beschriebene schlechte Gewissen der Deutschen erweckt haben. Und mit Bilder und Geschichten („Begleitung der Flucht von Syrien nach Deutschland“) vermeintliche und tatsächliche Dramen in deutsche Wohnzimmer transportieren. Dabei haben sie die erste Journalistenpflicht längst aufgegeben: das Bemühen um Objektivität, das Zeigen der ganzen Geschichte, der anderen Seite, der Blick hinter die Kulissen. Während also der polit-mediale Mainstream durch Grenzöffnung und nahezu unbegrenzter Aufnahme aller Flüchtlinge (auch aus Nicht-Kriegs-Ländern) die Welt retten will, findet im öffentlichen Diskurs eine Vokabel nicht statt: Fluchtursache.
Erst recht wird nicht darüber diskutiert, wie man die Fluchtursachen beseitigen kann. Denn damit ist die europäische Gesellschaft, zumal die deutsche, schlicht überfordert. Derweil machen linke und linksextreme Gruppen, teilweise parlamentarisch organisiert, die deutsche Waffenindustrie und deren florierendes Exportgeschäft verantwortlich, aber niemand stellt öffentlich die Frage, wieso die ISIS-Terroristen mit Kalashnikows ihren Terror verbreiten (wohingegen das deutsche G36-Gewehr ja kaum einsatztauglich sein soll). Aber der islamistische Terror hat ja auch nichts mit dem Islam zu tun…

Ebenso hilflos ist der Versuch großkoalitionärer Parteien-Vertreter (immerhin im Minister-Rang) die Leistungen für Flüchtlinge von Geld- auf Sachleistungen zu wandeln. Nichts anderes als ein Kotau vor völkischer Dummheit wird dies die Menschen, die die Flucht über das Mittelmeer überlebt haben, nicht wirklich abschrecken, auch wenn das Taschengeld letztlich bequemer ist. Übrigens: trotzdem werden weiter auch Kinder sterben.
Tatsächlich hat die deutsche Mehrheits-Gesellschaft eine falsche Entscheidung getroffen, von der künftig gesagt werden wird, dass es niemand gewesen sein wollte. Wir haben die Wehrpflicht abgeschafft. Was konsequent erscheint, nachdem Westeuropa in den 90er Jahren den Balkan-Konflikt inklusive Massaker in Sebrenica nicht verhindert und auch im Libyen-Konflikt versagt hat, indem man sich „enthielt“ bei der Entscheidung, eine Flugverbotszone durchzusetzen.

In Wirklichkeit haben wir uns entschieden, dass deutsche Eltern ihre Kinder nicht mehr für Konflikte und Leid anderswo in Gefahr bringen müssen.
Also sehen wir zu, wie andere Kinder Opfer werden – und empören uns. Mit aller Scheinheiligkeit. Weil wir uns aber unsere Hände nicht mehr schmutzig machen wollen, müssen Kleiderspenden den Kampf für Freiheit und Sicherheit ersetzen. Das gibt uns die Zeit, uns über trophäenjagende amerikanische (typisch!) Zahnärzte zu ergehen, während die Menschen in Simbabwe nicht einmal ahnten, dass Löwe Cecil ihr inoffizielles Staatssymbol gewesen sein soll. Diese Empörung äußern wir dann auf der abendlichen Grillparty bei Nachbarn, die bedenkenlos die 400g-Packung mariniertes Grillfleisch für 2,48 Euro im Discounter gekauft haben. Und am gut gedeckten Tisch fragt der Berufsempörte dann „Sagt mal, habt Ihr heute auch das Bild mit dem Kind gesehen? Schrecklich, oder? Da muss man doch was machen!“




GASTSPIEL: Alexander Wallasch über ein erschreckend unvorbereitetes Einwanderungsland

Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch haben recht: Als mitverantwortlich für das aktuelle Flüchtlingselend darf das militärische und geheimdienstliche Engagement der USA gelten. Aber was heißt das eigentlich? Jetzt könnte man ja die Schuldkette weiter zurückverfolgen und sagen: Schuld ist dann aber noch viel mehr 9/11. Der Angriff von Selbstmordattentätern auf die Twin Towers in New York. Oder noch weiter: Dieser Angriff war aber doch die unmittelbare Folge der Politik der USA im Nahen Osten.

Deutlich wird hier zunächst nur, dass wir mit solchen Auge-um-Auge-Abrechnungssystemen nicht weiter kommen. Noch weniger, wenn wir uns der Widersprüche dieses Denkens gewahr werden. So lässt sich nicht stringent auflösen, warum Wagenknecht und Bartsch einerseits von Schuld sprechen – und Schuld impliziert ja ein Vergehen – andererseits aber in einem Zehn-Punkte-Papier der Linken zur Asylpolitik erklären, dass Flüchtlinge viele positive Aspekte und auch Chancen für die Bundesrepublik bieten würden. Also Einwanderung explizit befürworten. Denn das ließe ja den Schluss zu, man sei erfreut über diesen unerwarteten Bevölkerungszuwachs. Kurz gesagt: Da ist einerseits die berechtigte Kritik an dem Chaos, das amerikanische Interessen im gesamten Nahen Osten und Nordafrika angerichtet haben, und andererseits ein linkes Selbstverständnis einer offenen Gesellschaft und die Feststellung, das Deutschland heute mit einem Bevölkerungsanteil von Deutschen mit migrantem Hintergrund und Ausländern von annährend 30 Prozent ohne Zweifel als Einwanderungsland bezeichnet werden muss.

Das stellt auch niemand mehr wirklich in Frage. So ist der Streit um die Formulierung „Einwanderungsland“ lediglich noch einer um rechtliche Anpassungen, hin zu diesem Terminus oder eben davon weg. Angela Merkel betrachtet Deutschland ebenso als Einwanderungsland wie Sahra Wagenknecht. Und beide sind sich sogar einig in der Einschätzung, dass Deutschland zu den reichsten Ländern der Welt gehört, also auch –zumindest finanziell – mit einer noch größeren Zahl von Immigraten zurecht kommen könnte.

Eine Rolle, die Wagenknecht sicher schwerer fällen dürfte als Merkel, ist doch das Deutschland-Bild, das die Linke malt, ein deutlich anderes, als das der Kanzlerin. Die Masterthemen der Linken sind nun mal Kinderarmut in Deutschland, soziale Ungerechtigkeit, und diese Schere zwischen Arm und Reich, die immer weiter auseinanderklappt. Es darf hier also festgestellt werden, dass Armut mindestens relativ sein muss. Wer allerdings einmal einen Hartz4-Antrag beim Arbeitsamt gestellt hat, und sei es nur zum Zwecke der vorübergehenden Aufstockung, der wird von solchen Relativierungen wenig halten.

Nun hatte aber ausgerechnet jene Bundeskanzlerin, die Deutschland heute zum Einwanderungsland erklärt, noch (oder schon?) 2010 festgestellt, dass die multikulturelle Gesellschaft in der Bundesrepublik gescheitert sei: „Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert!“ Die spanische Zeitung El Mundo setzte damals direkt nach und ergänzte: „Eine multikulturelle Gesellschaft ist ein Mythos und in der Realität zum Scheitern verurteilt.“ Noch einmal drei Jahre zuvor hatte der Schriftsteller und Regisseur Ralph Giordano in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk erklärt: „Nach 30 Jahren können wir sagen, die Integration ist gescheitert. (…) Ich denke, die Politik hat die Bevölkerung nicht gefragt, weil sie die Antwort wusste, nämlich dass die Bevölkerung damit nicht einverstanden ist, und nicht aus rassistischen und neonazistischen, rechtsextremistischen Gründen.“

Wohlgemerkt, Merkel und Giordano beziehen sich hier nicht auf die aktuelle oder auf die noch zu erwartende Einwanderungswelle nach Deutschland, sondern auf jene Menschen, deren Vorfahren als sogenannte „Gastarbeiter“ überwiegend aus der Türkei nach Deutschland kamen und blieben. Die meisten von ihnen sind heute deutsche Staatsbürger. Man kommt nicht umhin festzustellen, dass die deutsche Gesellschaft daran gewachsen ist. Oder notwendigerweise daran wachsen musste: Man hat sich arrangiert, ohne dass die Neubürger ihre alte Kultur gänzlich ablegen mussten. Kein Kind von Herkunftsdeutschen geht heute in einen Kindergarten ohne Kontakt auch zu Deutschen mit migrantem Hintergrund zu haben.

Die Betreuungsquote der Kinder aus Einwandererfamilien ist zwischen 2008 und 2011 von 9,1 auf 14 Prozent angestiegen. Eklatante Defizite gibt es trotzdem noch. So haben immer noch mehr Deutsche mit migrantem Hintergrund schlechtere Chancen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Und das sogar noch, wenn man gleiche schulische Leistungen voraussetzt. Allerdings ist auch diese Tendenz rückläufig. So ist zwischen 2005 und 2010 der Anteil von Schülern mit migrantem Hintergrund, die Abitur oder Fachabitur machen, um insgesamt 36 Prozent gestiegen und diese positive Tendenz setzt sich bis heute fort.

Wenn man also hier von einer beschleunigten Entwicklung sprechen mag, dann steht dem allerdings eine deutlich verlangsamte Entwicklung im tatsächlichen integrativen Moment innerhalb des gesellschaftlichen Lebens gegenüber. Nach wie vor kann von einem regelmäßigem ernsthaften Miteinander zwischen den Herkunftsdeutschen und Deutschen mit migrantem Hintergrund nicht die Rede sein. So muss man im privaten und kulturellen Bereich weiterhin von Parallelgesellschaften sprechen. So betrachtet darf die multikulturelle Gesellschaft tatsächlich als gescheitert betrachtet werden, zumindest dann, wenn man davon ausgegangen wäre, das nach drei oder sogar vier Generationen Menschen unterschiedlicher Herkunft heute wie die Herkunftsdeutschen zuvor miteinander zusammenleben. So stellte das Bundesministerium im „Monitor Familienforschung“ Ausgabe 24 fest, das „durch die anhaltende Nachfrage von Migrantinnen und Migranten der zweiten Generation nach Heiratspartnern aus den Herkunftsgesellschaften ihrer Eltern, (…) Heiratsmigration in ihrer quantitativen Bedeutung in Zukunft zweifellos noch zunehmen (wird).“

Was sagt das nun aber alles über die aktuelle Problematik dieser schon als „unumkehrbare Völkerwanderungen“ (Welt, 08/2015) bezeichneten Einwanderung in die Bundesrepublik Deutschland aus? Zunächst einmal sind die Deutschen heute nicht die Deutschen von 1970. Von irgendeiner gesellschaftlich-kulturellen Homogenität kann überhaupt nicht mehr die Rede sein. Und die meisten Vorurteile gegenüber Deutschen mit migrantem Hintergrund sind heute gesellschaftlich geächtet. Ebenso ist der Wille zur Verbesserung des gesellschaftlichen Miteinanders auf beiden Seiten unzweifelhaft spürbar. Man ist aufeinander zugegangen. Ob nun freiwillig oder einer unabänderlichen Situation geschuldet. Daran ändern auch Sarrazin und Pirincci nichts.

Darf man also annehmen, die zu erwartende Einwanderungswelle nach Deutschland träfe auf positivere Voraussetzungen als sie es noch 1970 hätte erwarten können? Nein, das darf man leider nicht. Denn heute wie damals ist Zuwanderung nicht Ergebnis eines Volksbegehrens, sondern Resultat politischer Entscheidungen, politischer Fehlentscheidungen und noch mehr eklatanter politischer Versäumnisse. Letztere sind heute so wirkmächtig wie nie zuvor. So hat es beispielsweise die Bundesregierung in Totalverweigerung versäumt, rechtzeitig auf europäischer Ebene Voraussetzungen für eine quotierte Einwanderung zu schaffen. Außenpolitisch hat man es zugelassen, oder musste es gar zulassen, dass die Bündnispartner – allen voran die USA – im Nahen Osten und in Nordafrika jenes brutale Chaos anrichten, das die Grundvoraussetzung für eine ungesteuerte zu erwartende Masseneinwanderung nach Deutschland ist. Der amerikanische Präsident besitzt aktuell sogar die Frechheit, der Bundeskanzlerin in ihrer positiven Haltung in der Einwanderungsfrage zu gratulieren.

Und nicht zuletzt hat man es innenpolitisch mit der Verweigerung oder schlicht dem Unvermögen in der Durchsetzung aller zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mittel zu tun: bei gestrafften Asylverfahren, konsequenter Abschiebung, in der Bekämpfung von Parallelgesellschaften und auch bei der Bekämpfung rechtsradikaler Gewalt in den neuen Bundesländern. So hat man dafür gesorgt, dass wir heute eben nicht die besten Voraussetzungen für ein Einwanderungsland anbieten können.

Das Unvermögen der Politik, der deutschen Bundesregierungen, wird noch einmal deutlicher, betrachtet man eine fast ein Jahrzehnt alte Einschätzung in der „Berliner Zeitung“: Dort sprach man erstaunlicherweise, von einer Fehleinschätzung, wo man der Bundesregierung aus heutiger Sicht sogar eine gewisse Weitsicht bescheinigen könnte. Aber warum wurde wieder besseren Wissens nicht entsprechend gesetzgebend gehandelt?

Dort heißt es: „Schon seit Jahren geht die Zuwanderung zurück und betrug laut dem letzten Migrationsbericht gut 780 000 Personen im Jahr 2004. (…) Eine ähnliche Entwicklung ist bei Asylbewerbern zu verzeichnen. Die Zahlen zeigen, dass die Grundannahme der Union, Deutschland sei ein beliebtes Einwanderungsland, nicht haltbar ist. Hinzu kommt eine Entwicklung, die Demografen schon seit langem ankündigen. Ab 2010 prognostizieren sie einen Facharbeitermangel. Spätestens dann wird selbst die Union erkennen, dass ihre Regelungen zu rigoros waren und Deutschland geschadet haben.“

Sprechen wir zuletzt noch über einen weiteren wichtigen Player im Einwanderungskarussel: über die Rolle der deutschen Industrie. Sie war es doch, die schon in den 1960ern durch massive Anwerbung von Arbeitskräften aus der Türkei überhaupt erst das Integrationsproblem der späteren Jahrzehnte schuf. Nein, nicht weil man diese Menschen anwarb, sondern dadurch, das man die Folgekosten in Milliardenhöhe für diese vielen gescheiterten und wenigen erfolgreichen Integrationsmaßnahmen einfach dem deutschen Steuerzahler überließ. Wenn also 2010 der damalige BDI-Chef Hans-Peter Keitel forderte (Interview in „Frankfurter Rundschau“): „Es geht aber in erster Linie um einen Mentalitätswechsel. Wir müssen bereit sein zu akzeptieren, dass wir systematisch Zuwanderung nach Deutschland haben werden und brauchen“, dann dürfen wir seinem BDI-Nachfolger Ullrich Grillo heute zurufen: Bitte, da habt ihr sie! Schneller als sicherlich erwartet. Stellt Euch also jetzt auch Eurer Verantwortung. Langfristig! Nicht nur für Eure Aktionäre, sondern als gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt.

Inwieweit man damit allerdings nun eine qualifizierte Zuwanderung aus den EU-Staaten nach Deutschland verhindert – die war ja auch noch vor wenigen Jahren Wunsch der Industrie – wird sich erst in Zukunft zeigen. Sie meinen, nachher sei man ja immer schlauer? Dann vergessen Sie dabei, dass Politik eben nicht nur die Aufgabe hat, Zukunft irgendwie wage zu prognostizieren, sondern im Gegenteil: Zukunft aktiv zu gestalten. Eine Zukunft übrigens, die dem Wohle des Volkes ebenso zu dienen hat, wie sie aus dem Willen des Volkes heraus entstehen muss. Anders geht es nicht. Man nennt dieses Auslaufmodell übrigens Demokratie. Eine Demokratie im Verbund mit einer Souveränität, die es im Übrigen auch erlaubt, wehrhaft aufzutreten gegenüber einem militärischen und geheimdienstlichen Engagement der USA. Ursache und Wirkung eben.