Kann man in Berlin wirklich leben?
Mit Karin treffe ich mich hin und wieder zu einer krossen Ente mit Erdnusssoße, Reis, Gemüse und ein, zwei Tiger-Bieren. Wir sitzen dann vorzugsweise vor einem kleinen Viet-Schuppen auf Holzstühlen in der Sonne, plaudern über dies und das und gucken uns die Leute an. Manchmal fassen wir uns auch an den Kopf, wenn die Typen an uns mit ihren E-Rollern und bunten Rücksäcken vorbeirauschen.
„Ey, was für irre Leute, oder?“
Und in den Tat: Großstadtmenschen sind anders. Also, auch unter sich gibt es hier eine unendliche Fülle an Typen, aber im Prenzlauer Berg, in Schöneberg oder Kreuzberg ist das Publikum schon spezieller als anderswo. Und bunter, vielfältiger.
Ein tätowiertes junges Mädchen mit grünem Haarschopf am Nachbartisch, die mit Stäbchen Seetang-Blätter in sich reinschaufelt und ein Buch liest – da guckt man nicht einmal mehr hin. Eher schon bei dem alten, weißen Mann in Jogginghose, Feinripp-Unterhemd und Badelatschen, ungepflegt, der an der Ampelkreuzung auf Grün wartet mit seinen drei großen deutschen Schäferhunden an mehreren Leinen.
Und natürlich das Fremdländische
In vielen Stadtteilen Berlins kann man auf den ersten Blick als Fremder nicht mehr sicher sagen, in welchem Land, in welcher Art von Gesellschaft man sich gerade befindet. Und, was mir ein bisschen sauer aufstößt: Man findet nicht auf Anhieb eine Bude, die anständige Currywurst anbietet. Man muss suchen, wenn man mittags schnell einen Snack zu sich nehmen möchte. Dönerbuden und Falafel-Stände gibt es alle paar Schritte, Currywurst ist schwierig. Klar, „Curry 36“ ist ein verlässlicher Anbieter, im Berliner Westen wirbt der unverwüstliche Frank Zander für eine kleine Currywurstbuden-Kette – lecker übrigens – und die beste Currywurst, klar, gibt es unstreitig bei »Konnopke’s Imbiß« an der Schönhauser Allee.
Wir alle regen uns zurecht über die Berliner Stadtregierung auf. Ob Rote und Grüne regieren, oder wenn die CDU mal mitmachen darf wie jetzt – es ändert sich nichts. Sie alle machen die gleichen Fehler, die gleiche falsche Politik, und – erstaunlich – die Berliner wählen auch mehr oder weniger gleich. Ich meine, wenn ich in einer Stadt lebe mit Araberclans, mit hohem Gewaltpotential, wo die Hälfte der Einwohner Sozialleistungen bezieht, wo man nicht in die Schmuddelecken gucken möchte, wo Schulunterricht vielerorts nur noch rudimentär stattfinden kann, weil außer dem Lehrer nur ein oder zwei Schüler im Unterricht fließend Deutsch sprechen können, dann wähle ich doch nicht immer wieder so grauenhaft falsch, oder? Und diese völlig sinnfreien Baustellen überall zur Zeit, wo nie einer arbeitet, aber die Autofahrer drangsaliert werden wie bei den vollkommen irren Bus- und Parkstreifen. Und überall Behinderten- und Frauenparkplätze, wo nie jemand steht, während Parkmöglichkeiten rar sind.
Der Berliner ist irgendwie anders
Und wissen Sie was: Ich mag diese Stadt. Wirklich, das Gewusel rund um die Uhr, die Verrückten, die überall unterwegs sind, das Angebot an Restaurants, Kultur, an Theatern und Clubs. Als ich Ende 1988 erstmals nach Berlin zog, um hier beim ersten privaten Radiosender in der Stadt anzuheuern, brauchte ich ungefähr ein halbes Jahr, um ein bisschen zu begreifen, wie es hier läuft, und wo das Wichtigste zu finden ist.
Ich weiß natürlich nicht mehr den genauen Tag aber irgendwann im Frühjahr 1989 fuhr ich mit dem Auto auf der Heerstraße zu irgendeiner Pressekonferenz in Spandau. Blauer Himmel, die Sonne schien, neben mir auf dem Beifahrersitz ein Mobiltelefon, das so groß war wie eine Coca Cola-Flasche. Und im Radio – ernsthaft, das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen – sang Roland Kaiser „Wind auf der Haut und Lisa“, eine mega Schnulze, aber es passte genau zum Moment. Es war schön, unbeschwert, was kostet die Welt?
„Hat sich auch unser Weg getrennt
Du bist immer noch ein Teil von mir
Wind auf der Haut und Lisa
Schön war’s mit dir…“
Das war damals genau das richtige Lied am richtigen Ort. Und ich dachte unwillkürlich: Geile Stadt.
Ich frage mich oft, warum klappt Integration in Amerika und bei uns nur unzureichend?
Nach Deutschland kann jeder einwandern, der es irgendwie über das schafft, was wir früher mal Grenzen nannten. Und wenn jemand reinkommt, und ein Richter entscheidet, dass er/sie/es raus muss, dann bleibt er/sie/es einfach hier, und niemanden scheint es zu stören in der Mehrheitspolitik. Wir sind schon ein irres Land geworden, nicht nur in Berlin.
Der ein oder andere von Ihnen wir jetzt denken, Integration klappt ja auch in den USA nicht perfekt. Und das stimmt. Aber es ist viel besser als bei uns. Es ist schwer, reinzukommen und zu bleiben. Und es gibt starke politische Kräfte, die sich dem Irrsinn mit der Massenmigration entgegenstemmen. Und eine Greencard? Da müssen sie etwas mitbringen, einen Mehrwert für die amerikanische Gesellschaft bei der Einreise vorweisen. Von wegen „wo gibt’s Geld ohne was dafür zu tun?“
Ich habe mich mal vor vielen Jahren – kurz nach der Einheit hier in Deutschland – mit einem indischen Taxifahrer darüber unterhalten, der mich vom JFK zum Hotel nach Manhattan brachte. Er erzählte, wie schwierig das Procedere gewesen ist, mit seiner Frau und Kindern eingebürgert zu werden. Und wie stolz sie waren, als sie ihre erste Wohnung bezogen und sofort ein Sternenbanner im Wohnzimmer aufhängten. Wie stolz sie waren, dazu zu gehören.
Ob die Zuwanderer bei uns auch diesen Stolz empfinden, zu den Deutschen dazu zu gehören, während sie ihren Bürgergeld-Antrag ausfüllen? Ich glaube, das sind nur wenige.
Und trotzdem möchte ich glauben, dass es irgendwie doch funktioniert. Denn es sind ja nicht nur Familienclans und politische Irre von ganz rechts und ganz links, Islamisten und Esoteriker, es sind unendlich viele Menschen aus aller Welt, allen Alters, aller Hautfarben, die hier friedlich leben, die auf den Straßen rumlaufen, die keinen Stress machen und froh sind, in diesem Land und dieser Stadt wohnen zu können.
Also, die Frage ist, kann es nicht am Ende des Tages vielleicht doch gut werden mit Menschen guten Willens, die hier mit uns leben und arbeiten wollen, die unsere Gesetze achten, Steuern zahlen und Respekt vor unseren Traditionen haben?