Herr Diez und die „opportunistischen Arschlöcher“

Wenn man sich mit dem imposanten Niedergang des Qualitätsjournalismus in Deutschland beschäftigt, kommt man um Georg Diez nicht herum. Der ist Autor bei „Spiegel Online“ und hat der Welt einst zwei Standardwerke über die Beatles und die Rolling Stones geschenkt. Was ihn allerdings zu einem Kritiker gesellschaftlicher oder politischer Entwicklungen befähigt, erschließt sich nicht so ohne Weiteres, wenn man eine Blick auf seine Texte wirft. Inhaltlich geißelt er alles, was irgendwie nicht links ist, stilistisch auf einem Niveau dargeboten, das viele mir bekannte Lokaljournalisten mühelos übertreffen. In seinem neuesten Text hat er sich nun also „die Reaktionäre“ vorgenommen. In der Sache bietet er wie üblich keine neuen Gedanken und Erkenntnisse. Vielmehr reiht er Plattitüden aneinander, die nur deshalb einer Betrachtung wert sind, weil sie in einem sogenannten „Qualitätsmedium“ erscheinen, das eine erhebliche Anzahl von Lesern erreicht.
Diez schreibt – zusammengefasst – dass Menschen, die seine Mainstream-Auffassungen nicht teilen, irgendwie doof sind. Das liest sich dann so: „Er verachtet die Vernunft, er widert sich vor der Wirklichkeit und ekelt sich vor der Empirie – und kann von jeder Bodenhaftung befreit loslegen.
Der Schneeball? Haha! Gender Gaga? Haha!“ Keine schlechte Sache für das aktuelle Buch meiner Frau („Gendergaga“), derart liebevoll beworben zu werden. Aber bemerkenswert beim Diez’schen Text ist, dass er vollkommen faktenfrei bleibt. Er belegt seine Sicht der Dinge….durch nichts. Quasi ein Text über sein Gefühl, wie er wohl sein muss, der böse, böse „Reaktionär“. Umso erstaunlicher, dass derselbe Herr Diez noch am 9. Januar in einem Beitrag „die ungeheure Freiheit des Denkens“ würdigte. Seit heute wissen wir, dass er damit keinesfalls die Freiheit des Denkens allgemein meinte, sondern lediglich die Freiheit des Denkens derjenigen, die so denken wie er. All die Wissenschaftler rund um den Erdball, die fundierte Kritik an der neuen Religion um den menschgemachten Klimawandel üben, gehören nicht dazu. Auch diejenigen, die davon überzeugt sind, dass Frauen heute alles aus eigener Kraft erreichen können, ohne dass der Staat Zwangsbeglückung in Form von Quoten und „Girl’s Day“ leisten muss, mag der Herr Diez nicht. „Es ist“, so schreibt er, „wie gesagt, ganz einfach, Reaktionär zu sein: Man muss nur sagen, dass weiß schwarz ist oder schwarz weiß, je nachdem.“ Gerade so, als sei am Berufsemanzentum unserer Tage oder an der durch kein demokatisches Gremium legtitimierten Verhunzung der deutschen Sprache irgendetwas Buntes.
Als der Journalist und Buchautor Matthias Matussek nach 26 Jahren beim „Spiegel“ das Nachrichtenmagazin verließ und zur „Welt“ wechselte, beschrieb er seinen Ex-Kollegen Diez in einem Interview als „eifernden Denunzianten“ und „Schienbeintreter“, dem er öfter gesagt habe, „dass er eine Niete ist“. Und weiter sagte Matussek: „Man nennt ihn ja den Thesen-Diez, er liest von Büchern eben meistens nur die Klappentexte und hat sofort eine angespitzte These.“ Gab es bisher vielleicht noch leise Zweifel an dieser Einordnung, so darf sie mit dem neuesten Diez’schen Beitrag als belegt gelten, jedenfalls wenn man den Kontext betrachtet, in dem er über „Dann mach doch die Bluse zu“ schreibt.
Seinen aktuellen Text über Menschen, die anders denken als er selbst, und die angeblich alternativlose Wahrheiten zu hinterfragen bereit sind (sollte eigentlich auch die Aufgabe von Journalisten sein), schließt er mit dem Urteil über diese Menschen: „Was für opportunistische Arschlöcher.“ Fast ist man geneigt, spontan zu antworten: Was für ein hirnloser Vollpfosten. Aber das mache ich natürlich nicht, sondern ich blättere nochmal beim großen Gesellschaftserklärer Georg Diez. In seiner Kolumne vom 2. Januar dieses Jahres beweint er „Das Ende des Meinungsmonopols“ und schreibt: „Die alten Gewissheiten der journalistischen Meinungsführer geraten ins Wanken: Nicht nur die ökonomische Basis ist bedroht, auch Glaubwürdigkeit und Deutungshoheit.“ Nun müsste ihm nur noch jemand erklären, dass dies genau in dieser Art mäßig begabter Mainstream-Gestalten im Journalismus begründet liegt, wie er selbst einer ist.




Wie tolerant und „bunt“ wollen wir denn sein?

Die Zeitung „Jüdisches Berlin“ der Jüdischen Gemeinde in der Hauptstadt wird neuerdings nur noch in neutralen Umschlägen verschickt, damit für Außenstehende Juden nicht mehr erkennbar sind. Gleichzeitig werden jüdische Gläubige aus Sicherheitsgründen davor gewarnt, in der Öffentlichkeit die Kippa tragen. Man könne ja eine Basecap darüber aufsetzen. Aktueller Grund für all‘ das sind die Anschläge von Paris und Kopenhagen, bei denen gezielt Juden ermordet wurden, aber auch eine zunehmend feindliche Stimmung in einigen Stadtteilen Berlins. Bezirken mit hohem Anteil an Muslimen, um es deutlich auszusprechen. Immer wieder sind in den vergangenen Monaten Menschen jüdischen Glaubens in der Öffentlichkeit beleidigt, bedroht und sogar angegriffen worden.
Vor zwei Jahren sorgte der Fall eines Rabbiners wenigstens für etwas Aufsehen, der von vier arabischstämmigen „Jugendlichen“ vor den Augen seiner siebenjährigen Tochter zusammengeschlagen wurde. Einer der Schläger sagte zu dem keinen Mädchen: „Ich bring‘ Dich um.“ So etwas passiert heutzutage in Deutschland, und jeder der es wissen will, kann es wissen. Wo ist der „Aufschrei“ der vielbesungenen „Zivilgesellschaft“? Wo sind die Politiker, die Gewerkschaften und Kirchen, die sich unübersehbar und kompromisslos schützend vor die Juden in Deutschland stellen? Wer schaltet im Kölner Dom angesichts solcher Taten mal das Licht aus? Es ist ein gutmenschliches Versagen epochalen Ausmaßes, was wir derzeit erleben. Und ich empfinde das so, ohne dafür auf die Nazi-Herrschaft Bezug nehmen zu müssen.
Wir wollen ein freies, tolerantes und „buntes“ Land sein. Fein, aber dann kann es nicht sein, dass gesellschaftliche Gruppen daraus ausgeschlossen oder wegen ihrer Überzeugungen oder ihres Glaubens beleidigt, bedroht und sogar angegriffen werden, ohne dass es eine massive Reaktion des Staates und der Gesellschaft gibt. Gläubige Juden haben ihren Platz in einer freien Gesellschaft, gläubige Muslime und Christen auch. Flüchtlinge verdienen gesellschaftliche Solidarität, ebenso wie Alte, Kranke und Behinderte. Kinder brauchen ganz besonders unseren Schutz. Kommunisten und Anarchisten haben das Recht, zu demonstrieren für oder gegen was sie wollen. Pegida hat dieses Recht auch. Und der Christopher Street Day. Eine „bunte Gesellschaft“ muss für alle offen sein, die sich friedfertig und gesetzestreu verhalten, weil die Gesellschaft sonst weder „bunt“ noch tolerant ist. Das sage ich auch ausdrücklich an die Adresse derjenigen Medien und Stichwortgeber, die neuerdings bemüht sind, Menschen zu gefährlichen Rechtsextremisten zu erklären, weil sie ihr Elternrecht wahrnehmen und ihre Kinder vor ideologischen Zugriffen der Gender-Industrie in den Schulen Baden-Württembergs und Niedersachsens schützen wollen. Eltern-Demonstrationen, die wegen der irrationalen Hetze ihrer Gegner – leider medial breit transportiert – inzwischen regelmäßig von einem Großaufgebot der Polizei geschützt werden müssen. Der politische Meinungskampf und der Kampf gegen Lebensmodelle, Traditionen und Gläubige ist im modernen, „bunten“ Deutschland längst keine Sache von Worten und Argumenten mehr.




Die Ukraine hat nie eine Chance gehabt – aber wer hätte überhaupt eine?

Seit Russlands Führer Wladimir Wladimirowitsch Putin beschlossen hat, die Ukraine unter Kontrolle zu bringen und dem gesammten Westen eine Lektion zu erteilen, ist die Angelegenheit entschieden gewesen. Umso tragischer, dass mindestens 5.000 Menschen dafür mit ihrem Leben bezahlen mussten. Die Annektion der Krim und die Unterstützung der „Separatisten“ durch die Streitkräfte der Russischen Föderation mit Soldaten und militärischem Nachschub – das war nur möglich, weil sich Putin absolut sicher sein konnte, dass der Westen weitgehend untätig zusehen würde. Klar, ein paar russische Millionärsgattinnen können derzeit in Paris keine Schuhe mehr kaufen, aber eine kraftvolle Reaktion sieht anders aus. Dass die Sanktionen Russland wenigstens ein bisschen zu schaffen machen, hängt damit zusammen, dass die Energiepreise weltweit so niedrig sind. Alles zusammen schadet Russland, die Staatsrücklagen schrumpfen, der Rubel hat fast die Hälfte seines Wertes verloren. Aber all das wird auf die Situation in der Ukraine keine Auswirkungen haben. „Der Drops ist gelutscht“, nennt der Volksmund sowas, oder „die Messe ist gelesen“. Würde Putin morgen beschließen, auch die Westukraine einzukassieren – was würden wir, was würde die EU, der Westen oder die Weltgemeinschaft tun? Ich prognostiziere: Nichts! Null! Nada! Ein paar Proteste, ein paar nutzlose Konferenzen und noch ein paar Reisebeschränkungen für Oligarchen und Politiker. Aber keiner wäre bereit, einen Finger für die Ukraine zu rühren. So nüchtern, so empathiefrei muss man das leider beurteilen.
Ich bin übrigens auch dagegen, dass der Westen in irgendeiner Form militärisch in der Ukraine eingreift. Ich sage das nur, weil man heutzutage leicht zum Kriegstreiber ernannt wird, wenn man für das Recht eines souveränen Staates plädiert, sich gegen eine Aggression zu verteidigen. Aber ich möchte empfehlen, dass sich „der Westen“ und damit insbesondere auch Deutschland jetzt einmal selbstvergewissern: Was sind wir bereit, überhaupt noch zu tun? Würden wir tatsächlich für Lettland in den großen Krieg ziehen, wenn der NATO-Verteidigungsfall einträte? Ja, ja, ich weiß, wir müssten ja wegen des Beistandsvertrages. Aber würde die Bundeswehr in einem solchen Fall gegen Russland aufmarschieren? Wären die Franzosen dabei und die Italiener, die Holländer und die Norweger? Das Versagen des Westens in der Ukraine-Krise wirft die Grundsatzfrage auf: Würden wir für überhaupt etwas Krieg führen? Würden wir unser eigenes Land noch mit Waffen verteidigen wollen? Könnten wir es überhaupt – mit fünf einsatzfähigen Marine-Hubschraubern? Oder würden wir uns jedem und allem unterwerfen, um nur bloß einen Krieg zu vermeiden? Das ist eine Frage, um die sich alle Verantwortlichen herumdrücken. Wir haben uns an Dolce Vita gewöhnt, wir streiten uns um „Ampelmännchen“ und Kita-Plätze, wir wollen gute Geschäfte mit Ländern wie Russland machen. Aber um welchen Preis? Was wird die Lehre aus dem entschlossenen, ja zynischen Vorgehen Putins in der Ukraine sein? Werden wir unsere Streitkräfte modernisieren? Werden unsere gewählten Vorturner den Deutschen sagen, dass Freiheit einen Preis haben kann? Werden wir der Propaganda-Offensive aus Moskau medial etwas entgegen setzen? Werden wir wenigstens über diese Dinge sprechen? Oder werden wir unseren Sommerurlaub planen und hoffen, dass schon nichts mehr passieren wird?




Was unser Staat von Herrn Biedermann lernen kann

In seinem herausragenden Drama „Biedermann und die Brandstifter“ erzählt Max Frisch die Geschichte von Herrn Biedermann, der zwei Männer in seinem Haus aufnimmt und sie auf dem Dachboden wohnen lässt. Bald stellt sich heraus, dass die Gäste beabsichtigen, Biedermanns Haus anzuzünden. So dauert es nicht lange, und ihn beschleicht ein ungutes Gefühl. Spätestens als er Benzinkanister und Zünder entdeckt, unternimmt er wenig überzeugende Anstrengungen, die beiden Brandstifter loszuwerden. Biedermann redet den Männern freundlich zu, er gibt ihnen zu Ehren ein üppiges Abendessen mit Gans und Wein. Man lacht und singt gemeinsam „Fuchs Du hast die Gans gestohlen“. Statt drastische Schritte zu ergreifen, versucht der Hausbesitzer, die Fremden zu Freunden zu machen. Doch die lassen sich in ihrem Vorhaben nicht beirren, Biedermanns Haus geht in Flammen auf.

Ein Leser meines Blogs macht mich gestern in einer langen Mail auf Parallelen des Dramas mit der heutigen Zeit aufmerksam. In Lochham wurde vor wenigen Tagen eine schwangere Frau Opfer eines brutalen Überfalls. Zwei 15 und 16 Jahre alte Kriminelle „mit Migrationshintergrund“ schlugen und traten auf ihr Opfer ein. Als die Frau mit Nasenbeinbruch und Gehirnerschütterung blutend am Boden lag, schnappten sich die Täter ihre Tasche und rannten davon. In Presseartikeln wurden die Gewalttäter als „Buben“ bezeichnet. Mein Blog-Leser schreibt „da hätte nur noch die ‚Laus‘ davor gefehlt“. Zeitungleser erfuhren auch, dass die beiden Schläger bereits polizeibekannt waren.

In einem Altersheim in der Nähe, so berichtete mein Leser weiter, würden regelmäßig jugendliche Straftäter vorstellig, um ihre Sozialstunden abzuleisten. Dabei gäbe es einige, die ihre Taten tatsächlich bereuen und den auferlegten Dienst ableisten. Aber da seien auch die anderen, die bereits beim Antritt klar machten, dass sie hier keinen Finger rühren werden, und wenn jemand von der Belegschaft Einwände dagegen habe oder sich gar weigere, die Anwesenheitsbestätigung abzuzeichnen, man den Sachverhalt gerne unter Beisein der Familie des Straftäters abends auf dem Parkplatz ausdiskutieren könnte. Das Ende vom Lied sei in solchen Fällen dann meist, dass „diese Typen draußen auf der Terrasse sitzen, rauchend und Red-Bull-saufend ihren Kumpels am iPhone erklären, wie sie den Laden hier als Boss rocken“, und nachdem sie zur Erleichterung aller weg sind, räumt die Belegschaft noch den Müll hinter ihnen auf. Meist würden dann im Nachweis noch mehr Stunden aufgeschrieben und gerne von der Belegschaft unterzeichnet, damit die Strafe, die vor allem eine Strafe für die Beschäftigten des Altersheims ist, schnell vorbei sei.

Unser Rundum-wohlfühl-Land hat verlernt, die Ernsthaftigkeit seiner Gesetze zu vermitteln und durchzusetzen. Warum wird die Notwendigkeit des Strafvollzugs vom Staat auf Sozialeinrichtungen abgeschoben? Werden dort nicht aggressive Jugendliche zu der Erkenntnis kommen, wenn sie weiter aggressiv sind, zahlt sich das für sie aus? Wer annimmt, dass Nachsicht und Toleranz gegenüber Gewalttätern von diesen goutiert werden, sie zur Vernunft bringen, der muss scheitern. Oder er wird so enden, wie Herr Biedermann, der aus Toleranz, Feigheit und dem Bemühen, stets freundlich zu wirken, letztlich sein Haus und sein Leben verliert.




Warum muss man eigentlich Bilder für NRW retten?

Ich weiß noch, wie beeindruckt ich war, als ich zum ersten Mal die Zentrale der WestLB in Düsseldorf betrat. Eine Lobby, so groß wie die Ankunftshalle eines mittleren Flughafens, viel Marmor und beeindruckende Kunst überall. Wie wir inzwischen erfahren haben, befanden sich mindestens 400 wertvolle Werke großartiger Künstler darunter. Picasso, Dali, Beus – Geigen von Stradivari, nichts war zu teuer in den goldenen Zeiten der Landesbank. Allerdings sind die inzwischen vorbei, die WestLB verzockte sich, häufte Milliardenschulden an und wurde abgewickelt. Rechtsnachfolger ist die Portigon AG, die alles, was an Werten übriggeblieben ist, für möglichst viel Geld verkaufen soll. Darunter auch die Kunstwerke.
Nachdem sich bei der Landesregierung herumgesprochen hatte, was da alles meistbietend unter den Hammer kommen sollte, entstand hektische Betriebsamkeit. „Unser Ziel ist es, so viele Kunstwerke wie möglich für NRW zu sichern“, versprach NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD), erläuterte aber nicht, warum eigentlich. Das Land Nordrhein-Westfalen ist mit etwa 140 Milliarden Euro verschuldet, auch die an sich geduldigen Steuerzahler an Rhein und Ruhr dürften unruhig werden, wenn jetzt fette Millionenbeträge für Hochkultur ausgegeben würden. Deshalb entschieden die Politiker, erst einmal energisch ans Werk zu gehen… und einen Runden Tisch einzuberufen. Das Ergebnis: Es soll eine Stiftung gegründet werden, möglichst mit vielen privaten Geldgebern. Kommt nicht genug Kohle zusammen, will das Land irgendwie helfen, ob mit Cash oder Bürgschaften ist ebenso unklar, wie die Höhe der zu erwartenden Kosten für die Rettungsaktion. Sicher ist nur: Nicht alle 400 Werke sollen NRW erhalten bleiben, aber die besten Stücke. Zwölf sind wohl schon ausgewählt, ein paar Dutzend sollen noch bewertet werden.
Ich finde Kunst und Kultur großartig, und ich befürworte, dass der Staat sich um die Pflege derselben kümmert. Zum Beispiel, indem er dafür sorgt, dass Kinder in der Schule einen Zugang zu diesem für sie in jungen Jahren noch eher langweiligen Bereich bekommen. Schüler sollen zu Theateraufführungen gehen, sie sollen begreifen, dass es nicht nur HipHop gibt, sondern andere Arten der Musik, die mitreißend sind. Sie sollen erfahren, welch ein Gewinn es für sie persönlich ist, ein gutes Buch zu lesen. Oder Gedichte. Aber warum muss der Staat Hochkultur subventionieren? Warum ist es eigentlich so wichtig, ob die genannten zwei Picassos in Nordrhein-Westfalen hängen oder in Rheinland-Pfalz, München oder Berlin? Die Welt wächst zusammen, haben wir gelernt, viele Millionen Deutsche verreisen jedes Jahr, längst nicht nur nach Malle. Kulturinteressierte laufen mit Reiseführer in der Hand von Tempelruine zu Stadtmauer. Und sie gehen auch in Museen in Paris, London oder New York. Klar wäre es schön, wenn Picasso und Dali in Essen zu sehen sind, aber es wäre auch schön, wenn sich private Sammler oder Großkonzerne darum kümmern statt Politiker.
In Deutschland ist beinahe der gesamte Kulturbereich staatlich alimentiert. Jeder Theater-Sitzplatz wird mit Steuergeldern subventioniert. Die staatliche Filmförderung in Deutschland steckt seit Jahren eine Menge Geld in die Produktion von Filmen, von denen es viele nicht einmal in die Kinos schaffen, geschweige denn ein großes Publikum erreichen. Künstlerisch wertvoll, natürlich, aber sollten in einer freien Gesellschaft nicht auch die Gesetze des Marktes gelten, wenn es um Kunst und Kultur geht? Warum muss der Staat Kunst fördern, die bisweilen kaum einen interessiert? Wer entscheidet eigentlich, was künstlerisch wertvoll ist? Und vor allem: Warum ist es staatliche Aufgabe, möglichen solventen Sammlern und Galerien wertvolle Kunstwerke vor der Nase wegzuschnappen?




Was verbindet uns Deutsche überhaupt noch?

Man muss kein Politologe sein, um festzustellen, dass Pegida seinen Zenit überschritten hat. Der Streit im Dresdener Führungsteam hat jetzt faktisch zu zwei konkurrierenden Pegida-Veranstaltern geführt. Aus meiner Sicht ist das der Anfang vom Ende. Es wird noch ein paar Demonstrationen geben, und die Teilnehmerzahlen werden sinken. In Leipzig sind die Forderungen der Veranstalter deutlich zu radikal, als dass sie ernsthaft in den allgemeinen politischen Diskurs einbezogen werden könnten. Und im Westen der Republik hat das Konzept sowieso nie funktioniert. Ja, die Tausende, die sich Montag für Montag in Dresden versammelt haben, sind auch „das Volk“, die Mehrheit sind sie erkennbar längst nicht. Soweit die nüchterne Analyse. Fraglich war ohnehin, wo das alles enden sollte, denn alle sieben Tage bloß durch die Straßen zu ziehen, ist kein Handlungskonzept.
Und dennoch war Pegida – man möge mir die Vergangenheitsform entschuldigen – alles andere als ein Misserfolg. Wenn es einen Fehler gibt, den etablierte Politik und Medien jetzt machen könnten, dann wäre es, sich bequem und schadenfroh zurückzulehnen und einfach zur Tagesordnung überzugehen. SPD-Chef Siegmar Gabriel und Politiker wie CDU-Präside Jens Spahn oder auch Innenminister Thomas de Maiziere haben das scheinbar begriffen. Was wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, war eine Zäsur in der politischen Arithmetik Deutschlands. Der über viele Jahre von Unions-Strategen arrogant gepflegte Grundsatz „Die können ja nichts anders wählen“ gilt nicht mehr, denn sie können sehr wohl. Und dass so viele Bürger – neben den Morgenluft witternden Extremisten von Rechtsaußen – aufstehen und laut hinausbrüllen, das sie sich vom „System“, seinen etablierten Politikern und besonders den Medien nicht verstanden, ernst genommen und vertreten fühlen, hat eine neue Qualität bekommen. Anders als übrigens das „Lügenpresse“-Gekreische suggeriert, haben sich im Zusammenhang mit Pegida viele der großen Medien durchaus selbstkritisch gezeigt und versucht, das neue Phänomen zu begreifen.
Es gibt ein großes, weiter wachsendes Potential unzufriedener Bürger in diesem Land. Ob Pegida existiert oder nicht, diese Menschen bleiben existent. Viele verweigern sich Wahlen, andere hocken in Zirkeln zusammen und lamentieren. Ein paar pflegen groteske Verschwörungstheorien. Aber sie sind Teil dieses Landes, und ihre Ängste und Sorgen sind genauso ernstzunehmen, wie die anderer progressiver Gruppen. Natürlich gibt es Probleme mit einem Teil der Zuwanderer und Flüchtlinge, meistens aus dem islamischen Kulturkreis. Und natürlich wurde das jahrelang von Politik und Medien ignoriert oder bagatelisiert. Und, verehrter Herr Bundespräsident, nicht nur Zuwanderer fürchten sich vor Ablehnung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Auch deutsche Bürger fürchten sich, wenn sie auf einem Bahnsteig stehen und eine Horde übertestosteronisierter Halbstarker aus dem Libanon kommt um die Ecke. Wäre schön, wenn auch die mal in der nächsten Weihnachtsansprache erwähnt würden.
Es ist etwas in Bewegung geraten durch Pegida. Der Meinungsaustausch ist offener und intensiver geworden, auch mit denen, die nicht zum modernen Mainstream gehören wollen. Und das tut dieser Gesellschaft gut, durch die sich offenbar ein tiefer Riss zieht. Und das bringt uns zum nächsten Punkt, nämlich der Frage, was verbindet uns Deutsche untereinander überhaupt noch? Wie funktioniert Patriotismus in Zeiten von Moderne und Globalisierung? Das ist eine entscheidende Frage, die derzeit niemand beantworten kann, wenn nicht gerade Fußball-Weltmeisterschaft ist. Und das ist keine abstrakte Überlegung, sondern sehr konkret. Wenn Pegida demonstrierte, trugen selbstverständlich viele Teilnehmer deutsche Fahnen. Wenn die (Gegen-)Demonstrationen gegen Rassismus und für Weltoffenheit und Toleranz stattfanden, sah man Fahnen vom DGB, den Jusos und den Grünen – aber niemand hatte eine Deutschland-Fahne dabei, obwohl sie doch für ihre Vorstellung von Deutschland demonstrierten. Und ich frage mich: Warum tragt Ihr keine Fahnen unseres gemeinsamen Landes?




„Nicht an ihren Worten, sondern ihren Taten sollt ihr sie erkennen“

Es hätte alles so schön sein können. Die Reise des Papstes zu den Gläubigen auf den Philippinen war ein Thriumphzug sondergleichen. Eine Heilige Messe mit sechs Millionen begeisterten Katholiken, ein Papst, der zu den Armen geht, zu denen, die kaum noch Hoffnung auf ein besseres Leben haben. Ein Pontifex, der im gelben Regencape Sturm und Regen trotzt. Was für gewaltige Bilder aus dem Fernen Osten verbreiteten sich da in Windeseile um die Welt. Und dann kam der Rückflug…
„Einige glauben, dass wir, um gute Katholiken zu sein, wie die Kaninchen sein müssen“, sagte Papst Franziskus, um dann Journalisten seine Vorstellungen von verantworteter Elternschaft zu erläutern. Man ist geneigt, sich kurz aufs Ohr zu klopfen und dann zu fragen: „Was hat er gesagt?“ Vergleicht er wirklich die Millionen, oft kinderreichen, katholischen Familien rund um den Globus mit „Karnickeln“? So einen rhetorischen Missgriff hat es in der Geschichte des Papsttums lange nicht mehr gegeben. Viele, gerade die Treuesten der Treuen, sind verstört und verärgert. Geradezu erleichernd zwischendurch die ironische Gelassenheit eines Internetbeitrages, den ich gestern dazu las: „Was? Wir müssen gar nicht wie die Karnickel „züchten“? Hätte ich das bloß früher gewusst, mein armer schmerzender Rücken….“
Die falsche Wortwahl auf dem Rückflug von Manila macht ein Thema greifbar, das besonders viele traditionsbewusste Katholiken umtreibt und zunehmend verärgert. Es geht um die Frage: Wie volkstümlich darf ein Pontifex öffentlich formulieren? Darf er Worte wie „Karnickel“ und „Schnickschnack“ verwenden, ohne die Autorität seines Amtes zu beschädigen? Schwer, eine Antwort darauf zu finden, denn ich gebe zu, auch mich hat die aktuelle Aussage, nennen wir es, befremdet. Dabei gibt es theologisch an Papst Franziskus nichts auszusetzen. Er lehrt, was zuvor Benedikt XVI. und davor Johannes Paul II und davor Paul VI. gelehrt hat. Alle diejenigen, die annehmen, der neue Stil im Vatikan werde zu den – im wesentlichen von Nichtkatholiken geforderten – so genannten Reformen führen, werden sich wundern. Dieser Papst ist Gegner der Abtreibung, dieser Papst verteidigt den Zölibat, und dieser Papst schätzt und ehrt die traditionelle Familie. Es gibt nichts, das darauf hindeutet, daran könnte sich etwas ändern. Es gibt lediglich ein unglücklich und missverständlich gewähltes Wort.
Vielleicht müssen wir, die wir aus Überzeugung zur katholischen Weltkirche gehören, uns mit dem Stil des neuen Papstes arrangieren, so lange die Lehre unverwässert bleibt. Franziskus kommt aus einem anderen Kulturkreis, er hat einen anderen Lebensweg hinter sich, als kirchensteuerfinanzierte Hochwürden hierzulande, die wegen First Class-Flügen ins Gerede kommen. Der Pontifex aus Südamerika geht einen anderen Weg. Er folgt dem, was Jesus Christus von seiner Kirche verlangt. Er geht zu den Armen, zu den Menschen an den Rändern der Zivilisation. Seine Worte und Gesten erreichen viele Menschen, die zum Beispiel der von mir verehrte, intellektuell wie rhetorisch brillante Benedikt nie hätte erreichen können. Und – noch einmal – die Botschaft von Franziskus für diese Menschen ist klar und unverwässert. Es ist eine Botschaft des Glaubens an Gott, der Liebe und des Mitgefühls. Darauf, und nur darauf kommt es letztlich an. Ich empfehle deshalb: sehen wir ihm seinen „Schnitzer“ nach. Er formuliert gern aus dem Stegreif, manchmal auch für meinen Geschmack zu flapsig. Aber er ist der richtige Papst zur richtigen Zeit. Und wir Katholiken glauben, dass ein Konklave eine solche Wahl nicht aus Zufall trifft.




Unserer Freiheit drohen viele Gefahren

Wir leben in verrückten Zeiten. In Paris töten islamistische Terroristen 17 Menschen, in Belgien gab es die ganze Nacht Anti-Terror-Razzien gegen islamistische Terrorzellen, die „unmittelbar“ einen großen Anschlag begehen wollten. In Berlin durchsucht die Polizei Wohnungen von terrorverdächtigen Rückkehrern aus dem Syrien-Urlaub. In Hameln gehen Mitglieder einer „Großfamilie“ nach dem Tod eines Angehörigen Polizisten mit brutaler Aggressivität an – 14 Beamte werden verletzt. Und in Leipzig greifen Linksradikale eine Polizeistation an. Und wie reagiert die etablierte deutsche Politik? Genau! Sie verstärkt den Kampf gegen Rechts. Schon irre, oder? Ich werde mir das mal auf Wiedervorlage legen, wenn beim nächsten „Al Quds Tag“ auf den Straßen Berlins wieder – wie üblich – die Vernichtung aller Juden und das „Ausradieren“ Israels von der Landkarte gefordert werden. Mal schauen, ob sich die politische Elite unseres Landes dann auch vor dem Brandenburger Tor versammelt und mahnende Worte an das Volk spricht. Oder wenigstens an die Fotografen in einer Nebenstraße.
Wolfgang Bosbach, streitbarer Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, hat recht, wenn er sagt, dass sich die politische Diskussion in Deutschland komplett verändern würde, am Tag nach einem Anschlag wie jüngst in Paris. Dann würde man sagen: Warum habt Ihr das nicht verhindert? Warum wusstet Ihr nicht vorher Bescheid? Warum kanntet Ihr diese Leute nicht? Doch es gab in Deutschland eben bisher noch keinen Terroranschlag dieser Kategorie. Ob das einfach dem glücklichen Zufall geschuldet ist oder der Kompetenz unserer Sicherheitsbehörden, weiß ich nicht. Aber ich bin froh darüber, dass es so ist. Festzustellen bleibt, dass wir derzeit in Deutschland eine aufreizende Ignoranz gegenüber einem Teil der Gefahren pflegen, die unserer freien und offenen Gesellschaft drohen. Nazis und Rassisten sind so eine Gefahr, und damit meine ich ausdrücklich nicht verunsicherte Bürger, die Angst vor dem Islam, vor sozialem Abstieg oder Drogendealern im Stadtpark haben, und dagegen demonstrieren. Die sogenannte „antifa“ ist auch so eine Gefahr, marodierende linke Schlägerbanden, die weder vor Gewalt gegen Sachen noch gegen Personen – besonders uniformierte – zurückschrecken, die aber in den Sonntagsreden von Politikern höchst selten vorkommen. Denn die „antifa“, das sind ja nach ihrem Selbstbild die guten Kriminellen, weil sie vorgeblich den Faschismus bekämpfen, indem sie sich selbst aufführen, wie früher die faschistischen Schlägerhorden. Ja, und dann der Islam – den nehmen wir in Schutz, weil es natürlich richtig ist, dass man wegen 500 Syrien-Kämpfern aus Deutschland und 200 möglicherweise gewaltbereiten Salafisten nicht 4 Millionen Muslime in Deutschland – wahrscheinlich sind es erheblich mehr – unter Generalverdacht stellen darf. Aber bitte, wir wollen bei all dem nicht außer acht lassen, dass das Einzige, was die aktuellen Ereignisse in Paris und Belgien verbindet, der Islam ist bzw. das, was die Mörder für den Islam halten. Insofern hat übrigens Bundeskanzlerin Merkel absolut recht, wenn sie von muslimischen Theologen eine unmissverständliche Klarstellung fordert, dass Terror nicht mit der islamischen Lehre zu begründen ist. Auch wenn sich Frau Merkel leider den verunglückten Wulff-Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ zu eigen gemacht hat, der historisch kompletter Nonsens ist. Aber das ist ein anderes Thema.




Begreift Ihr, dass wir alle gemeint sind?

Die Barbarei von Paris trifft unser Nachbarland wie ein Schock. Terroranschläge wie diese sind nicht zu verhindern. In Frankreich nicht und in Deutschland auch nicht. Jede anderen Gefühle als Trauer und Wut sind in diesen Stunden fehl am Platze. Dass schon kurz nach Bekanntwerden der schlimmen Nachrichten aus Paris in Deutschland die ersten politischen Strippen gezogen werden, ist erbärmlich. Jetzt bloß nicht überreagieren, hat ja mit dem Islam nichts zu tun, ist die Devise. Und in der Tat, auch jetzt ist es falsch, jeden Muslim als potentiellen Terroristen zu verdächtigen, wie es nicht wenige in den Internetforen offenbar tun. Es ist nicht der Islam, der hier sichtbar wird. Es ist eine Minderheit von fanatisierten Verbrechern, die in meinen Augen jegliches Verständnis verwirkt haben. Terror ist der Krieg der Armen, hat der große Peter Ustinov einmal gesagt. Aber er hatte nicht Recht. Hier geht es nicht um den Aufstand unterdrückter Menschen, hier geht es um blinden Hass. Auf uns, auf unsere Art zu denken und zu leben. Diejenigen, die heute auf n-tv schon wieder darüber fabulieren, ob die Anschläge in Paris wohl Pegida „nutzen“, haben nichts begriffen. So, wie nach 9/11 diejenigen, die klammheimliche Freude erkennen ließen. Menschen, die sich selbst für Intellektuelle halten, und deren Dummheit grenzenlos ist.
Eine Gruppe muslimischer Fundamentalisten hat uns allen den Krieg erklärt. Sie hassen unsere Kultur, unsere Bücher, unsere Musik und – bei den schrumpfenden christlichen Kirchen – unseren Glauben. Sie dulden kein Recht und keine Demokratie, sie wollen keine Freiheit der Gedanken, selbstbewusste modere Frauen sind ihnen zuwider. Und Satiriker. Wie oft habe ich mich geärgert, wenn mein christlicher Glaube von Satirikern und in Karrikaturen durch den Dreck gezogen wurde. Ich habe es hingenommen, denn dies ist eine freie Gesellschaft, in der jeder das Recht hat, zu sagen und zu zeichnen, was er möchte. Und nun waren Satiriker das Ziel, Menschen, die frech und unbekümmert Dinge aussprechen, die ihnen durch den Kopf gingen. Und nun sind sie tot, ermordet von Killern, die den Abzug bedienen und Allah anrufen. Und ich frage all die wackeren Demonstranten, die jede Warnung vor dieser Gefahr zu „Rassismus“ und „Faschismus“ erklären: Begreift Ihr, dass Paris uns alle angeht? Der internationale islamistische Terror ist keine Sache, die „nur“ die USA betrifft. Oder Großbritannien und Spanien. Oder Russland und Dänemark. Diese Leute zielen auf uns alle, auch auf jeden von Euch. Und es ist ihnen auch egal, ob andere Muslime zu Opfern werden. Dass Deutschland bisher vom Terror verschont geblieben ist, verdanken wir in einigen Fällen dem Glück, in anderen unseren aufmerksamen Sicherheitsbehörden. Wie wäre es mal mit einer Demo am nächsten Montag, vielleicht einem Trauermarsch für die Opfer des islamistischen Terrors? Wie wäre es, wenn die muslimischen Verbände in Deutschland endlich so klar Flagge zeigen, wie es die muslimischen Organisationen in Frankreich tun? Und warum nicht den Kölner Dom als Zeichen der Solidarität mit den Opfern in Paris verdunkeln? Oder eine Ansprache der Bundeskanzlerin, die klarmacht, dass Paris uns alle betrifft – jedenfalls alle Menschen, die unsere Freiheit und unsere Kultur zu schätzen wissen. Die Barbarei, die heute erneut sichtbar geworden ist, sollte uns alle jenseits von kleinlichem Parteiengezänk zusammenrücken lassen.




Auch wenn es keine Hellseherei gibt…

Wer hätte vor einem Jahr vorhersagen können, was 2014 bringt? Die Eskalation auf der Krim und in der Ostukraine, das Verschwinden von Passagierflugzeugen, die Erfolge der AfD, das Aufkommen von Pegida, die Explosion der Flüchtlingszahlen – Entwicklungen, die zumindest nicht in dieser Dramatik von irgendjemandem vorhergesagt werden konnten. So wird es auch im neuen Jahr sein. Es werden politische und gesellschaftliche Entwicklungen stattfinden, die heute noch niemand auf dem Schirm hat. Dennoch möchte ich ein paar Themen streifen, die absehbar oder aus meiner Sicht wichtig in 2015 sind oder werden.
Niemand weiß sicher, wie in wenigen Wochen die Parlamentswahlen in Griechenland ausgehen. Die Meinungsforscher sehen derzeit linke Parteien vorn, die der Sparpolitik des Landes, zumindest partiell durchaus erfolgreich, den Garaus machen wollen. Wird das so kommen, wird Athen wieder damit beginnen, Geld zum Fenster hinaus zu schmeißen, schadet sich das Land selbst gewaltig und könnte vermutlich die ganze Euro-Zone erneut in Turbulenzen bringen. Der Euro wird deshalb nicht abgeschafft, und die EU wird nicht zusammenbrechen, aber die Geduld der letzten Steuerzahler dürfte dann flöten gehen. Nutznießer dieser Entwicklung könnten die Euroskeptiker überall in Europa werden, in Deutschland die AfD. Mit ihren Wahlerfolgen im vergangenen Jahr hat die Partei den Grundstein dafür gelegt, sich politisch rechts von der Union dauerhaft zu etablieren. Doch zuvor steht noch die Bewährungsprobe auf der Tagesordnung, an der schon viele hoffnungsvolle Parteigründungen gescheitert sind: die Realpolitik und die innerparteilischen Klärungsprozesse. Regelmäßige Leser meiner Texte wissen, dass ich seit langem die programmatische Unschärfe der neuen Partei kritisiere. Oder können Sie mir sagen, wie die AfD zum Betreuungsgeld oder zum Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare steht? Ja, ja, ich weiß, was Frau von Storch dazu sagt – aber eine Beschlusslage gibt es nicht, und unvergessen ist die Teilnahme der Berliner AfD am Christopher Street Day 2013. Viel gravierender könnte sich allerdings der aktuelle Zwist zwischen den Führungspersonen auswirken. Parteisprecher Bernd Lucke lädt unabgesprochen die Kreisvorsitzenden zum Gespräch, führende Parteifunktionäre um Gauland und Petry bestellen Lucke zum Gespräch ein, Henkel macht aus seiner Abneigung gegenüber der Kreml-Fraktion auch öffentlich keinen Hehl und Ende Januar will Lucke beim Bundesparteitag eine Satzungsänderung durchsetzen, die ihn zum alleinigen Vorsitzenden macht – ein Unterfangen, gegen das sich große Teile der jungen Partei massiv wehren. Was, wenn Lucke scheitert? Was, wenn er sich durchsetzt? Meine These: Wenn Lucke abgesägt wird, wenn Henkel hinschmeißt, wird die AfD scheitern, weil auch für neue Parteien gilt: Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Kaum vorstellbar, dass die vielen ehemaligen Unions- und FDP-Wähler ohne diese bürgerlichen Zugpferde bei der Stange bleiben.
Wie es in der Ukraine weitergeht, weiß kein Mensch. Ich denke, die schweren wirtschaftlichen Turbulenzen in Russland werden Herrn Putin die Freude an weiteren Abenteuern erst einmal vermiesen. Dennoch wird es weiter Gewalt in der Ostukraine geben, denn Russland hat kein Interesse an einer Stabilisierung, die das Land weiter Richtung Westen treiben würde. In Deutschland wird es höchste Zeit, dass wir zu einer breiten öffentlichen Debatte über das Freihandelsabkommen TTIP kommen, das aus meiner Sicht viel besser ist, als sein Ruf hierzulande. Doch die beiden langfristigen Themen, die mich auch 2015 umtreiben, und zu denen ich immer wieder publizistische Zwischenrufe starten werde, sind der schleichende Verlust unserer Freiheit durch einen allumfassenden Staat und die Daueroffensive progessiver Kräfte gegen die traditionelle Familie, die ja nach wie vor ein großes Erfolgsmodell ist. Das Herabsetzen der Leistung von Müttern („Heimchen am Herd“, „vergeudetes Potential“), die fortgesetzten Angriffe auf die Ehe aus Mann und Frau („Familie ist überall, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen“), der mit unendlichen Steuermillionen forcierte Gender-Schwachsinn, die Frühsexualisierung unserer Kinder („Gang Bang“ und „Darkroom“ als Unterrichtsstoff für Zwölfjährige) sind für mich das Thema, das langfristig die größte Bedrohung für unsere Art zu leben, darstellen. Erfreulich, dass 2014 der Widerstand von Eltern und Lehrern gegen diesen Irrsinn in Form von Petitionen und Demonstrationen zugenommen hat. Diese Entwicklung sollte sich im neuen Jahr immer stärker fortsetzen.
Und die Zuwanderung? Und die Flüchtlinge? Und der Islam? Alles schwierige Themen, die einer differenzierten Betrachtung bedürfen, die hier den Rahmen sprengen würde. Nur eins: Welches christliche Abendland sollen wir verteidigen, wenn wir ungerührt zuschauen, wie Tausende Menschen im Mittelmeer jämmerlich ersaufen? Nächstenliebe ist eine der tragenden Säulen des christlichen Abendlandes. Wer seine Augen vor dem Leid der Menschen und seine Grenzen vor den Todgeweihten verschließt, soll mir bitte nichts mehr vom „christlichen Abendland“ erzählen!