Über die Banalisierung des Begriffes „Nazi“

Vielleicht ist dem ein oder anderen aufgefallen, dass ich mich seit Wochen um das Thema Pegida herummogele. Das hängt damit zusammen, dass ich mir noch kein abschließendes Bild gemacht habe und – anders als viele Kollegen in meinem Berufsstand – nur etwas über Themen schreibe, mit denen ich mich vorher ernsthaft auseinandergesetzt habe. Klar ist: Man darf Angst vor dem Islam haben und das auch öffentlich bekunden. Man darf sich durch EU-Bürokratismus und Gender-Wahn bedroht fühlen, bei Letzterem muss man es nach meiner Auffassung sogar. Man darf auch öffentlich bekunden, dass man sich durch Kriminalität zunehmend bedroht fühlt, selbst wenn diese objektiv betrachtet eher weniger geworden ist. Man darf das alles, man darf das auch in Demonstrationen auf die Straßen tragen. Denn dies ist eine freie Gesellschaft. Dennoch ist Pegida nichts für mich persönlich, denn die Vermengung ernsthafter Probleme mit abstrusen Verschwörungstheorien, die erschreckend kritiklosen Demutsgesten gegenüber Herrn Putin bei gleichzeitig absurdestem Antiamerikanismus, die blindwütige Verunglimpfung der Medien und der Journalisten in Deutschland – all das teile ich nicht, und es stößt mich ab.

Aber ich kann zumindest verstehen, warum viele Leute heute in Deutschland offenbar so denken. Das dümmliche Gequatsche von Politikern und zumindest einigen Leitmedien, die Tag für Tag aus allen Pegida-Demonstranten „Nazis in Nadelstreifen“ machen wollen, bestärkt viele Menschen in ihrer Auffassung, dass es ein Kartell aus Politik und Medien gibt, die sich herausnehmen, zu definieren, gegen oder für was man in Deutschland heute noch demonstrieren oder reden darf. Und wer durchs Raster fällt, ist Nazi, rechtsradikal, rechtsextrem oder – im besten Fall – rechtspopulistisch. Und der Demonstrant, der seinen Job verloren und Angst vor der Zukunft hat, oder der sich unwohl fühlt, wenn in der Nachbarschaft 100 Flüchtlinge aus einem anderen Kulturkreis untergebracht werden, fragt sich dann: Und darum bin ich jetzt ein Nazi? Was für eine Banalisierung der Nazi-Ideologie. Mein wunderbarer Kollege Martenstein schrieb vor zwei Jahren mal in der Süddeutschen sinngemäß: Man muss nur ein wenig suchen, dann kann man jeden Bürger zum Nazi erklären.

Das Jahr 2014 wird vielleicht einmal als Zeitenwende in wissenschaftliche Arbeiten von Politologen eingehen, denn erstmals ist zunehmend erkennbar, dass ein beträchtlicher Teil unserer Bevölkerung offenbar nicht mehr bereit ist, sich dem Diktat linksprogressiver Meinungsführer, was gut und was böse ist, widerspruchslos zu unterwerfen. Man kann das an vielen Faktoren sichtbar machen, die mir keineswegs alle gefallen. Da ist der fulminante Aufstieg einer AfD praktisch aus dem Nichts. Da ist der inzwischen von Tausenden getragene Protest von Eltern gegen die Frühsexualisierung von Grundschulkindern in Baden-Württenberg und Niedersachsen. Da ist der alljährliche „1000-Kreuze-Marsch“ gegen Sterbehilfe und Abtreibung, einstmals eine traurige Veranstaltung von vielleicht 300 Leuten, in diesem Jahr mit 5.500 Teilnehmern ein Ausrufezeichen im politischen Meinungskampf. Und nun eben auch Pegida. Es wäre zu wünschen, dass all diejenigen, die uns öffentlich ständig zum Dialog ermahnen, diesen auch nun selbst aufnehmen. Nicht nur mit Muslimen und antifa muss man reden, sondern auch mit normalen Bürgern und, ja, sogar mit Konservativen. Sonst suchen die sich nämlich andere Foren und andere Politiker. Die etablierten Parteien haben dabei versagt, ihre Politik und manche unerfreulichen aber „alternativlosen“ Maßnahmen ausreichend zu erklären. Viele Medien eskortieren das mit einer verzerrten Darstellung der Dinge, etwa wenn sie bewusst Straftaten von Menschen aus dem islamischen Kulturkreis durch Verschweigen der Nationalität vertuschen. Ein Priester, der sich an einem Kind vergeht – und alle schreiben über die schlimme katholische Kirche an sich. Ein Deutscher, der einen Migranten verprügelt – und am nächsten Tag wissen wir alles über ihn und seine Familie. Eine arabische Jugend-Gang, die auf dem U-Bahnhof einen Deutschen „abzieht“, und wir erfahren nur, es habe sich um „Jugendliche“ gehandelt. So geht das nicht, und man sollte die Bürger nicht für derart dämlich halten, dass sie nicht merken, wie bisweilen die Wirklichkeit aus ideologischen Gründen verzerrt wird.

Deutschland ist bis heute nicht auffallend anfällig für Rechtsradikalismus. Im Vergleich mit manchen unserer Nachbarländer sind rechtsextreme Ideen hier komplett am Rand, und das ist gut so. Aber jede Kritik an der in Deutschland dominierenden Politik mit Totschlagbegriffen wie „Nazi“ und „rechtspopulistisch“ zu belegen, jeden, der seine Kinder selbst erzieht, zum „spießigen Kleinbürger“ zu erklären, wird genau das Gegenteil von dem bewirken, was sich die selbsternannten Herren über die Diskurshoheit vorstellen: es wird den Protest anfachen und die Unzufriedenheit anwachsen lassen.




Die Dinge vom Kopf wieder auf die Beine stellen

Menschen, denen es Ernst damit ist, unser demokratisches System weiterzuentwickeln, haben oft klare Vorstellungen, was getan werden müsste. Das beginnt bei Einführung einer Wahlpflicht – wahlweise bei einer hohen Zahl von Nichtwählern die Reduzierung der zu vergebenden Parlamentssitze -, setzt sich fort bei der Forderung nach plebiszitären Verfahren – Volksabstimmungen, Direktwahl des Bundespräsidenten – und endet noch lange nicht bei der gewünschten Abschaffung des Fraktionszwangs für Abgeordnete. Einig sind sich jedenfalls alle, dass sich etwas ändern muss. Die nüchterne Beurteilung der einzelnen Forderungen fällt nicht leicht, haben sie doch sowohl Vor- als auch Nachteile. Der Wähler neigt ja bisweilen dazu, nicht immer nur nach Sachargumenten zu entscheiden, sondern er ist durchaus stimmungsanfällig. Nehmen wir also mal an, die Partei A, die in Berlin regiert und wegen ihrer Politik im Volk unbeliebt ist, stellt zur Wahl des Bundespräsidenten einen phantastischen Kandidaten auf. Wäre nicht die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass viele Bürger das Vehikel der Wahl des Staatsoberhaupts nutzen würden, um der verhassten Partei A mal „einen Denkzettel zu verpassen“? Und wäre das gut für unser Land, wenn ein Kandidat, der eigentlich perfekt ist, einer Anti-Stimmung gegen seine Partei zum Opfer fiele? Oder Volksabstimmungen: Wie viele Bürger haben denn das Wissen um unser internationales Finanzsystem, dass sie befähigen würde, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob es gut oder schlecht für Deutschland wäre, den Euro abzuschaffen? Welcher 18-Jährige, welcher Malermeister, welche Marktfrau kann das sachgerecht entscheiden? Dieses Land hat sich ja das System einer repräsentativen Demokratie gegeben, damit wir uns Leute wählen, die sich intensiv mit den Dingen beschäftigen und dann möglichst in unserem Interesse entscheiden. Die unbestreitbare Tatsache, dass das manchmal schiefgeht, spricht nicht grundsätzlich gegen das System.

Schauen wir auf den Fraktionszwang. Natürlich ist auch jetzt qua Gesetz jeder Abgeordnete zunächst einmal seinem Gewissen verantwortlich und völlig frei in seinem Abstimmungsverhalten. Soweit die Theorie. In der Praxis stimmen fast alle Abgeordneten in 99 Prozent der Fälle geschlossen mit der eigenen Fraktion. Das regt manche Bürger auf, hat aber ebenfalls einen Sinn. Die große Mehrheit der Wähler kreuzt in der Wahlkabine einen Politiker an, den sie persönlich gar nicht kennen. Sie haben über ihn vielleicht in der Zeitung gelesen, kennen sein Konterfei von Wahlplakaten. Aber sie schenken diesem Kandidaten oder dieser Kandidatin ihr Vertrauen. Und zwar wegen des Parteikürzels hinter dem Namen. Man wählt einen Abgeordneten, weil der Kandidat der XY-Partei ist und in der Überzeugung, dass dieser später als Abgeordneter dann auch die Politik vertritt, für die seine Partei steht. Wollen wir wirklich ein System, in dem wir einen Abgeordneten wählen und uns dann überraschen lassen, was er wohl in den folgenden Jahren im Parlament mit unserem Vertrauen so macht? Also, ich weiß gerne vorher, woran ich bin. Und wenn Sie mir jetzt schreiben, dass man ja vor der Wahl feststellen kann, wofür ein Kandidat steht, dann rufe ich schon jetzt: Einspruch, euer Ehren! Oder haben Sie schon vor zwei Jahren gewusst, was 2014 in der Ukraine passieren würde? Viele Themen entstehen überraschend, praktisch aus dem Nichts.

Nach meiner Meinung wäre es vorrangig, wenn wir erst einmal die ursprüngliche Aufgabenteilung zwischen Exekutive und Legislative wieder herstellen könnten. Sie erinnern sich: Das Parlament entscheidet, die Regierung führt aus – so ist es gedacht. Aber so läuft es nicht. Die Regierungsparteien in Deutschland sichern die Politik der Regierung im Parlament durch Mehrheitsbeschaffung ab. Das stellt das Prinzip auf den Kopf. Wichtige politische Initiativen aus der Mitte des Parlaments, wohlmöglich auch noch fraktionsübergreifend oder – Gott bewahre! – gegen die erklärte Politik einer Regierung? Das ist die Ausnahme. Das Kanzleramt und die Ministerien bestimmen die Agenda, das Parlament nickt ab. Wissen Sie, warum kürzlich die schwedische Regierung kollabiert ist? Weil die Opposition einen Haushaltsentwurf ins Parlament eingebracht hat, der eine Mehrheit fand. Sie haben richtig gehört. In Schweden darf die Opposition einen eigenen Etatplan erarbeiten und zur Abstimmung stellen. In Deutschland ist das nicht möglich. Hier legt die Regierung ihre Finanzplanung vor und die sie tragenden Parteien stimmen brav zu, denn alles andere würde ja als eine Niederlage der Regierung angesehen. Ja und? Das Parlament entscheidet! Das Parlament, unser Parlament, gebildet aus den Leuten, die wir als unsere Vertreter nach Berlin entsenden. Zurück zu den Wurzeln, würde ich empfehlen.




Liebe Thüringer, Ihr schafft das schon!

Der Linke Bodo Ramelow ist neuer Ministerpräsident von Thüringen. Zum ersten Mal nach Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands rückt damit ein Mitglied der Rechtsnachfolgerin der DDR-Staatspartei SED an die Spitze eines deutschen Bundeslandes. Persönlich finde ich das bitter. Nicht, weil ich etwas gegen Herrn Ramelow hätte. In den vergangenen Tagen habe ich mehrfach Interviews von ihm gehört und gelesen, in denen er sich klar und unmissverständlich von den Verbrechen des DDR-Regimes distanziert hat – so deutlich, dass es manchem seiner Genossen nicht gefallen dürfte. Hoffen wir also, dass es ihm Ernst ist mit dem, was er über Opfer und Dialog gesagt hat.

Über SPD und Grüne in Thüringen zu reden, verbietet sich mir aus gesundheitlichen Gründen. Mein Herz-Doktor sagt, ich soll mich nicht aufregen und auf meinen Blutdruck achten. Doch eins ist klar: Unabhängig von der Person Ramelow ist die SED/PDS/Linke eine widerwärtige Partei. Eine ganze Reihe ehemaliger StaSi-Spitzel befindet sich bis heute in Thüringen in der Partei und Fraktion sowie im direkten Umfeld des neuen Ministerpräsidenten. Dass Parteien wie die traditionsreiche SPD und die auch aus der Bürgerrechtsbewegung der DDR entstandenen Bündnis 90/Die Grünen aus wahltaktischen Motiven diesen Leuten wieder Zugang in die erste Reihe politischer Entscheidungsgremien unseres Staates verschaffen, ist geschichtsvergessen und erbärmlich.

Aber machen wir uns nichts vor: Die Welt wird nicht untergehen, weil Bodo Ramelow Ministerpräsident von Thüringen ist. Auch Deutschland nicht. Ich bin nicht einmal sicher, ob er es lange bleiben wird, denn das rot-rot-grüne Bündnis macht nicht den Eindruck eines selbstbewussten Paktes. Warten wir es also ab. Auf die Bürger von Thüringen werden nun erstmals nach 24 Jahren all die Segnungen zukommen, die wir bereits aus anderen Bundesländern mit fortschrittlicher Regierung kennen. Mehr Schulden, ein schlechteres Bildungssystem, Klimarettung durch Abkassieren und Gender-Wahn. Aber auch das hat vielleicht seinen Sinn, denn zum Prozess der inneren Überwindung der Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland kann ja auch gehören, einmal selbst zu erleben, was es für Folgen haben kann, wenn man aus Übermut, quasi um mal etwas Neues auszuprobieren, eine erfolgreiche Regierung abwählt. Baden-Württemberg hat das ja auch schon erlebt, im Westen.




Eine Steuererhöhung durch die Hintertür ist inakzeptabel

Die Deutsche Einheit war ein historisches Großereignis der Güteklasse A. Nach 28 Jahren Teilung, leidvollen Erfahrungen und Hunderten Toten an den Grenzanlagen des Arbeiter- und Mauerstaats DDR wurden die beiden Teile unseres Landes wieder zusammengefügt. Ein Volk, wie es in vielerlei Hinsicht unterschiedlicher nicht sein könnte. Viel Psychologie ist bis heute notwendig, und es wird noch viele Jahre dauern, bis wirklich zusammengewachsen ist, was zusammengehört. Um die materiellen Voraussetzungen zu schaffen, reichten – anders als viele Politiker damals annahmen – die laufenden Etats der Bundesrepublik nicht aus. Mehr als 2,2 Billionen Euro sollen es bisher sein, die ausgegeben wurden, um die Lebensverhältnisse in Ost und West auf ein Level zu bringen.

Damit all das gelingt, wurde der Solidaritätszuschlag eingeführt, liebevoll „Soli“ genannt. Eine Leistung, die übrigens alle deutschen Steuerzahler erbringen, auch die in den jungen Bundesländern. Und eine begrenzte Leistung zu einem klar benannten Zweck sollte es sein. Der scheint nun weitgehend erfüllt, der Tag rückt näher, an dem der Soli auslaufen soll. Und nun passiert das, was in solchen Fällen immer passiert, und was einer meiner Onkel mal so zusammenfasste: „Politiker verstehen von Geld, dass sie es immer von den Bürgern haben wollen.“ Der Soli soll nämlich fortbestehen, aber nicht mehr „nach Himmelsrichtung“ verteilt werden. Heißt: jetzt wollen die West-Bundesländer ein Stück vom Kuchen haben. Ein verständlicher Wunsch, denn längst sind viele Städte auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik in erbarmungswürdigem Zustand, während Dresden, Leipzig, Erfurt, Potsdam und Co blühen.

Doch eine Fortführung des Soli für neue Zwecke wäre nichts anderes als eine massive Steuererhöhung. Bezeichnend, dass von unseren Spitzenpolitikern bisher nur der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) das so klar ausspricht. Eine Steuererhöhung ist aber nicht das, was der Soli sein sollte, sondern eine auf begrenzte Zeit angelegte Sonderabgabe für einen klar umrissenen Zweck: den Aufbau Ost. So sehr ich den Wunsch westlicher Bundesländer wie NRW und vieler Kommunen nach einem warmen Geldstrom in ihre maroden Haushalte und maroden Strukturen verstehe: Taschenspielertricks dieser Art sollte die Politik nicht versuchen, will sie nicht den letzten Rest Vertrauen ihrer Bürger verspielen. Der Soli sollte wie geplant enden. Und wenn die Regierenden mehr Steuereinnahmen wollen, sollten sie das so sagen und darüber abstimmen, damit jeder Bürger sich ein Urteil bilden kann, was er konkret finanzieren soll.




Wenn sich der Rechtsstaat aus einem Park verabschiedet

Der kleinste gemeinsame Nenner, der einen Staat zusammenhält, ist sein Versprechen, den Bürgern Schutz und eine Absicherung vor Notlagen zu organisieren. Kann er das nicht einhalten, stellt sich irgendwann die Frage, wofür man ihn dann noch benötigt, diesen Staat. Deutschland ist in dieser Hinsicht nach wie vor eine Insel der Glückseligen, in der nicht darüber diskutiert werden muss, ob Menschen Rente bekommen, sondern nur über die Frage, ab wann und wie viel. Der Bereich aber, bei dem die Legitimation zusehends bröckelt, ist das Schutz-Versprechen.

Ein Musterbeispiel für das Totalversagen beim Schutz der Anwohner bekommt der fassungslose Bürger derzeit wieder einmal in Berlin vorgeführt. Genauer gesagt, wieder einmal in Kreuzberg. Dort gibt es den Görlitzer Park, liebevoll „Görli“ genannt. In diesem Park sammeln sich Tag für Tag Drogendealer und Kleinkriminelle, um ihren verbotenen Geschäften nachzugehen. Anwohner berichten von Pöbeleien, es gab gewalttätige Übergriffe, Kinder fanden beim Spielen ein Drogenversteck, auch Vergewaltigungen habe es gegeben. Alles in einem Park, am hellichten Tag, mitten in der deutschen Hauptstadt. Täglich rückt die Polizei zu Einsätzen an, oft umsonst, weil die Täter längst weg sind. Wird mal einer erwischt, ist er bald zurück im Park, nachdem seine Personalien aufgenommen wurden. Vor seinem Lokal in der Nähe des Grünstreifens hat vor einigen Tagen ein Wirt zwei Jugendliche niedergestochen. Mehr als 70 Mal hatte er in den Wochen vorher laut „taz“ die Polizei gerufen, Anzeigen gegen herumlungernde Dealer erstattet. Besserung trat nicht ein. Eine Mordkommission hat jetzt Ermittlungen gegen den Wirt aufgenommen.

Im Grunde ist der Görlitzer Park ein Mikrokosmos, an dem sich das Versagen des Rechtsstaates in einer offenen und liberalen Gesellschaft gut studieren lässt. Eine Sonderkommission der Polizei wurde aufgelöst, weil sie die Situation nicht in den Griff bekam. Die Beamten beklagten sich über fehlende Rückendeckung seitens der Polizeiführung. Auch die vielbeschworene Zivilgesellschaft versuchte sich daran, Lösungen zu finden. Immerhin stammt ein beachtlicher Teil der Kriminellen-Szene dort aus Westafrika, mutmaßlich Flüchtlinge. Da will man als Polizei ja einen guten Eindruck bei den Neu-Bürgern machen. So veranstaltete man Konzerte und Flohmärkte im „Görli“ und hoffte auf ein friedliches Miteinander. Aber es blieb bei der Hoffnung.

Der Bezirk erklärte sich nun durch seine Bürgermeisterin Monika Herrmann für überfordert, die Lage in den Griff zu bekommen. Ein Offenbarungseid gegenüber den Anwohnern und Ladenbesitzern in der Gegend. Es ist die Kapitulation des Rechtsstaates, sozusagen eine „gesetzesfreie Zone“. Und nun werden Sie sagen: ja, aber was sollen wir denn noch alles machen? Wir haben doch schon geredet und geredet, wir haben Kulturveranstaltungen organisiert und einige haben sogar angeboten, den Drogenhandel zu akzeptieren, wenn die begleitende Kriminalität aber – bitte, bitte – aufhören könnte. Mein Rezept wäre ein anders. Es heißt Rudi Guiliani. Null Toleranz. Null falsche Rücksichtnahmen aus Gründen der Politischen Korrektheit. Jeder normale Bürger muss sich an Gesetze halten. Tut er das nicht, wird er bestraft. So läuft das. Wenn normale Bürger aber sehen, dass diese Regel nicht mehr für alle gilt, dann wird die Lage unerfreulich. Irgendwann auch für unseren Staat.




Es ist immer eine Frage des Einzelfalls

Das Magazin „stern“ berichtete vor einigen Jahren über eine ältere Dame, die beim Runtertragen eines Müllbeutels auf der Treppe gestürzt und so unglücklich aufgeschlagen war, dass sie fortan vom Hals abwärts gelähmt blieb. Ihr Verstand funktionierte noch, den Kopf konnte sie bewegen – sonst nichts mehr. Danach wollte sie einfach nur noch sterben. Sie sagte, es gebe nichts mehr, was ihr Freude bereitet, nicht einmal die Besuche der Enkel. Jeder Tag, jede Minute ihres Lebens sei eine Qual. Sie flehte geradezu um Erlösung. Mich hat dieser Artikel – was beim „stern“ wirklich äußerst selten geschieht – tief bewegt. Es war einer dieser Momente, die heutzutage bei vielen, die immer alles ganz genau wissen, unmodern geworden sind. Eine menschliche Geschichte, die einen zum Überlegen zwingt, ob man vielleicht in einer wichtigen politischen Frage auf dem Holzweg ist.

Menschliches Leben sollte unantastbar sein – das ist zeitlebens meine Überzeugung gewesen. Da ich zudem auch noch von der Existenz Gottes überzeugt bin und die Lehre von Würde und uneingeschränktem Lebensrecht eines jeden Menschen wunderbar, ja geradezu revolutionär finde, bin ich Gegner von Euthanasie, Abtreibung, Angriffskriegen und Todesstrafe. Und dennoch sind es immer Einzelbeispiele, sind es menschliche Dramen und kaum vorstellbare Schicksalsschläge, die uns daran erinnern, dass es auch beim Lebensrecht nicht nur Schwarz und Weiß gibt. So lange man nicht selbst betroffen ist, lässt sich gut schwätzen. Da wird die reine Lehre vertreten, da wird alles abgebügelt, was der eigenen Meinung widerspricht. Aber wie sieht es aus, wenn man plötzlich selbst in eine Katastrophe hinein gerät?

Jeder Mensch darf in einer freien Gesellschaft selbst entscheiden, wie er oder sie leben möchte. Das bestreitet niemand, der halbwegs bei Verstand ist. Doch wie ist es mit dem Sterben? Selten wurde der Begriff „Selbstbestimmung“ derart inflationär gebraucht, wie gestern in Medien und sozialen Netzwerken und natürlich im Bundestag, wo unsere Abgeordneten übrigens mit Ernsthaftigkeit und Würde ein ethisch überaus heikles Thema diskutierten. Aber es reicht eben nicht, nur laut „Selbstbestimmung“ zu rufen. Ich bin erstaunt, wie viele Leute sogar sagen, die Politik soll sich aus dem Thema Sterbehilfe komplett raushalten und die Leute machen lassen, was sie wollen. Das wird dem Thema nicht gerecht. Natürlich, wenn jemand beschließt, vom Hochhaus-Dach zu springen, um dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, wird ihm herzlich egal sein, was der Gesetzgeber dazu meint. Doch was ist mit denen, die sterben wollen, es aber nicht allein bewerkstelligen können? Wer soll, wer darf ihnen helfen? Wollen wir eine Kommerzialisierung der Sterbeassistenz? Tötungsangebote in den Gelben Seiten des Telefonbuches? Oder wollen wir das ausschließen? Wollen wir wirklich die Ärzte von ihrem Eid, unbedingt Leben zu retten, entbinden und sie zu Dienstleistern für Leben und Sterben erklären? Was verändert das im Verhältnis zwischen Patienten und Ärzten im Alltag?

Was ist mit den Schwerstkranken, die nicht mehr selbst artikulieren können, was ihr Wille ist und auch keine Patientenverfügung haben? Wer entscheidet für diese armen Menschen? Ein Gericht, wohlmöglich nach Aktenlage? Eine Ärztekommission? Oder vielleicht der Familienrat der potentiell Erbberechtigten? Und wie sieht es mit neugeborenen Schwerstbehinderten aus? In einigen unserer westlichen Nachbarländer wird ernsthaft darüber diskutiert, ob man die nach der Geburt auch noch straffrei töten dürfen soll. In der DDR, über die wir in diesen Tagen ja viel gehört haben, war das übrigens häufig geübte Praxis. All diese und weitere Fragen müssen beantwortet werden, will man das Abgleiten in eine durch und durch inhumane Gesellschaft verhindern. Ich meine, wo endet das alles? Darf irgendwann jeder einen anderen Menschen ins Jenseits befördern, wenn der nur vorher sagt, er möchte das gern? Oder – wir leben in Deutschland – einen amtlichen Vordruck dazu ausgefüllt hat?

Ich bin immer noch gegen die Freigabe der Sterbeassistenz und für strafrechtliche Sanktionen, wenn sich Ärzte an einer solchen Handlung beteiligen. Zu groß sind aus meiner Sicht die Missbrauchs-Risiken. Und den Wert einer Gesellschaft sieht man in erster Linie daran, wie sie mit ihren Schwachen und Hilflosen umgeht. Wenn ungeplante Schwangerschaften, pflegebedürftige Familienangehörige und alte Menschen nur noch als Belastung und als Hindernis zur eigenen Selbstverwirklichung angesehen werden, läuft etwas gehörig schief im Land. Aber, und da schließt sich der Kreis, ich bin bisher nicht betroffen. Wer weiß, wie ich es sehen würde, wenn ich beim Müllruntertragen auf der Treppe stürzte und fortan vom Hals abwärts gelähmt wäre.




Schon jetzt sind Gewerkschaften und Bahn Verlierer

Klar, ich bin auch empört. Empört darüber, dass eine vergleichsweise kleine Gewerkschaft das halbe Land lahmlegt. Was nützen schöne Werbesprüche wie „Die Bahn fährt immer“, wenn sie genau das nicht macht? Für die Zuliefererindustrie sind diese Tage das nackte Grauen. Offenbar hat die Bahn wenigstens für die ganz großen Kunden wie Autohersteller und chemische Industrie einen Notfallplan. Und die Individualreisenden hatten zumindest zwei Tage Vorlauf, um sich Alternativen zu organisieren. Der Streik der Lokomotivführer bleibt ein Ärgernis, aber das ganz große Chaos dürfte ausbleiben.

In das Gefühl der Empörung mischen sich aber zunehmend andere, gegensätzliche Gedanken. Natürlich haben Gewerkschaften in Deutschland das Recht, ihre Forderungen auf dem Weg eines Arbeitskampfes durchzusetzen. Und so ganz ist der Eindruck nicht vom Tisch zu wischen, dass auch die Bahn AG und die größere Bahngewerkschaft EVG an der augenblicklichen Situation nicht unschuldig sind. Denn beim GDL-Streik geht es nur nachrangig um mehr Geld für die Beschäftigten. Was wir alle erleben, ist ein Kampf um Einfluss und Macht. Warum eigentlich ist die Bahn nicht bereit, der GDL und ihrem unbequemen Boss Claus Weselsky zu ermöglichen, die in ihr organisierten Bordbegleiter und Speisewagen-Servicekräfte selbst gegenüber dem Unternehmen zu vertreten? Oder anders gefragt: Ist es eine solche Frage wert, Deutschland tagelang in Atem zu halten und – geschätzte – Schäden von 50 bis 60 Millionen Euro durch den aktuellen Streik in Kauf zu nehmen? Was ist dran am GDL-Vorwurf, die zum mächtigen DGB gehörende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit ihren 200.000 Mitgliedern sei der Bahn lieber, weil handzahm?

Glaubt man der EVG, wäre sie zu einer Kooperation mit der GDL auf Augenhöhe bereit. Allerdings erwartet man, dass die streikfreudige Kleingewerkschaft vorher Zahlen nennt, wie viele Beschäftigte sie überhaupt vertritt – und das lehnt Weselsky konsequent ab. Als außenstehendem Beobachter scheint für mich hier das Problem zu liegen. Der GDL-Chef stellt Maximalforderungen und zeigt null Kompromissbereitschaft. Darauf ist unsere Konsensgesellschaft nicht eingestellt. Und so wird es keine Lösung geben können.

Ein Leser meines Blogs schrieb mir gestern Morgen: „Insbesondere rückt Herr Weselsky in dieser Diskussion in den Fokus, und er wird nicht nur als Vorsitzender der GDL, sondern auch privat an den Pranger gestellt. Das ist eine verheerende Entwicklung und es zeigt wieder einmal auf eine sehr bedrückende und erschreckende Art und Weise, wie man in unserem Lande mit Menschen umgeht, die über ein Rückgrat verfügen.“ Das ist die andere Seite. Die Nennung von Telefonnummer und Wohnort des Streik-Anführers in großen Medien überschreitet deutlich eine Grenze, auch das gehört zur Wahrheit, die man nennen muss.

Was folgt nun aus all dem? Die drei beteiligten Parteien müssen dringend an einen Tisch. Die GDL hat ihre Muskeln spielen lassen, jetzt kommt die Zeit für eine Lösung. Ich sehe nicht, dass die nicht zu finden wäre, wenn beide Gewerkschaften aufeinander zugehen, und die Bahn ernsthaft für eine Lösung offen ist. Denn ihnen muss klar sein, dass sie alle verlieren, wenn das aktuelle Theater noch wochenlang so weitergeht. Schon jetzt ist das Verständnis in der Bevölkerung für diesen Streik bei Null. Er schadet den Gewerkschaften, und er bedroht auf Sicht ihren rechtlichen Freiraum in der Gesellschaft. Und dass die Kunden, die jetzt ihre Güter kurzfristig auf LKWs umladen müssen und die Individualreisenden, die jetzt in großer Zahl auf Fernbusse umsteigen, einfach so wieder zurückkehren, wenn die Streiks beendet sind, ist kaum anzunehmen.




Werfen wir einen Blick auf die SPD

Die Sozialdemokraten in Deutschland haben unser Land mitgeprägt – im Guten wie im Schlechten. Als ich im zarten Alter von 16 Jahren begann, mich für Politik zu interessieren, war ich davon überzeugt, die SPD werde Deutschland „den Russen“ ausliefern. Die von Brandt, Bahr und Wehner betriebene Öffnung nach Osten schien mir ein katastrophaler Fehler zu sein. Heute weiß ich es besser und leiste Abbitte. Brandts Kniefall in Warschau im Dezember 1970 war richtig – eine angemessene Demutsgeste, die unserem Land viel neues Ansehen in aller Welt verschafft hat. Und seine Ostpolitik gehörte zu den vielen Mosaiksteinen, die dazu führten, dass knapp 20 Jahre später das SED-Unrechtsregime im unfreien Teil Deutschlands zusammenbrach und die Einheit ihre historische Chance bekam. Ich habe im Laufe der Jahre etwas gelernt, was heute vielen meiner Landsleute abhandengekommen ist: die Erkenntnis, dass es in der Politik nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern hauptsächlich ganz viele Grautöne.

„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, rief der Reichstagsabgeordnete Otto Wels am 23. März 1933 in das weitgehend gleichgeschaltete deutsche Parlament. Ein letztes Aufbäumen des demokratisch gesinnten Deutschland gegen den braunen Wahnsinn, der gerade begonnen hatte. Oder denken Sie an den legendären Berliner Bürgermeister Ernst Reuter und seinen leidenschaftlichen Appell an die „Völker der Welt“, die Stadt Berlin nicht der sowjetischen Unfreiheit preiszugeben. Was für herausragende Politiker hat diese Partei für unser Land hervorgebracht.

Und heute? Die SPD sitzt mit an Merkels Kabinettstisch in Berlin. Sie regiert in den meisten Bundesländern und fast alle deutschen Großstädte. Niemals zuvor war der Sozialdemokratismus so präsent wie in dieser Zeit, und fast alle machen mit. Und dennoch – das zeigt eine aktuelle Umfrage – verharrt die Partei bei 23 Prozent – kaum mehr als halb so viel Zustimmung wie die Union im Land genießt. Wie das zu erklären ist, sollen und werden Politologen und Historiker einst analysieren. Ich glaube, es liegt daran, dass sich in der SPD immer ein latenter Unwillen zeigt, in der bürgerlichen Mitte zu bleiben, also da, wo Gerhard Schröder sie zuletzt erfolgreich hingeführt hatte. Immer gibt es diese Ausreißer nach ganz links. Den Familien, die Krippenplätze wünschen, welche zur Verfügung zu stellen, reicht nicht. Man schwadroniert über eine Krippenpflicht für alle, man will die Hoheit über den Kinderbetten. Eine Sexualerziehung in den Schulen, die Kindern Toleranz beibringt, reicht nicht. Man will mit aberwitzigen Bildungsplänen Kinder zur Akzeptanz anderer Lebensstile zwingen. Und jetzt Thüringen. Die Partei, die in Ostdeutschland unter den Kommunisten gelitten hat, wie keine andere, gibt sich anscheinend als Steigbügelhalter für die Wahl des ersten Ministerpräsidenten aus den Reihen des SED-Rechtsnachfolgers namens „Die Linke“ her. Warum machen die das? Ein Hang zur Selbstzerstörung? Ich kann es nicht verstehen. Ist es in der Mitte so langweilig? 12 Prozent hatten die Sozialdemokraten jüngst noch bei der Landtagswahl in Thüringen. So, wie es aussieht, werden es beim nächsten Mal weniger sein.




Zeigt Rückgrat und sagt Nein!

Der große Nachkriegs-Vorsitzende der SPD, Kurt Schumacher, nannte die SED-Machthaber in Ost-Berlin einst „rotlackierte Faschisten“. Ansinnen von „Drüben“ nach Verhandlungen mit der West-SPD lehnte er brüsk mit dem Hinweis ab, er verhandle nicht mit „Gesinnungsrussen, deren Deutschtum eine bloße Äußerlichkeit ist“. Starke Worte eines Sozialdemokraten, der nach den Jahren der Hitler-Barbarei erleben musste, dass mehr als 5.000 seiner Genossen, die sich der Zwangsverschmelzung der Ost-SPD mit der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) widersetzt hatten, in Lagern interniert wurden. Teils in Lagern, die Kommunisten von den Nazis übernommen und direkt weitergeführt hatten.

Die SED war damals eine ekelhafte Ansammlung von Spießern, die sich auf der Siegerseite der Geschichte wähnten. Am 9. November 1989 endete der Spuk. Die Mauer fiel, bald darauf folgte die Deutsche Einheit, die viele auch im Westen zuvor längst abgeschrieben hatten. Die Geschichte der DDR endete, die Geschichte der SED aber nahm neue Wendungen. Viele Nutznießer des alten Systems fanden hier eine Heimat in Zeiten, als niemand mehr die Augen vor dem jämmerlichen Versagen des Staatssozialismus verschließen konnte. Die Partei löste sich nicht auf, sondern rettete viel Vermögen in die neue Zeit hinüber. Erst nannte sie sich um in PDS, dann verschmolz sie mit der westdeutschen WASG, einem persönlichen Racheprojekt des einstigen SPD-Hoffnungsträgers Oskar Lafontaine, zur Partei Die Linke. So weit so schlecht.

In Thüringen soll nun einer aus der Partei Die Linke Ministerpräsident werden. Bodo Ramelow heißt der Mann. Er stammt aus der alten Bundesrepublik, wo er Gewerkschaftsfunktionär war. StaSi und Mauerschützen kann ihm keiner vorwerfen. Er trägt gut geschnittene Anzüge, ist klug und redegewandt und gilt als Realo, also als einer, der den Traum von der Weltrevolution längst nicht mehr träumt. Dennoch erstaunt, dass die traditionsreiche SPD und die bürgerrechtsbewegte Grünen, die ja mit Vornamen Bündnis 90 heißen, dafür den Steigbügelhalter geben – zumal die CDU mit Abstand wieder stärkste Partei im Landtag in Erfurt geworden ist. Bündnis 90 – das war der Teil der grünen Partei, der sich selbst in der Tradition der einstigen DDR-Bürgerrechtsbewegung sah und sieht. Ohne ihren mutigen Widerstand gegen das SED-Regime, hätte die deutsche Geschichte ganz anders verlaufen können.

Nun wirken sie also mit am großen Comeback einer Partei, die außenpolitisch in Traumtänzereien wandelt, in der Abgeordnete bei antisemitischen Veranstaltungen auftreten und andere Aktivisten Kontakte in die antifa-Extremistenszene pflegen. Mir fehlt jedes Verständnis dafür. „Die Linke ist eine in Teilen linksextreme Partei“, hatten 2008 vier Abgeordnete der SPD argumentiert, weshalb sie den Tabubruch von Andrea Ypsilanti zur gemeinsamen Regierung mit der Ex-SED in Hessen nicht mitmachen wollten. Bleibt zu hoffen, dass auch in Thüringen einige Sozialdemokraten und Grüne das Rückgrat haben, Nein zu sagen.




Es ergibt keinen Sinn, die Realität zu ignorieren

Aldi-Süd bietet derzeit Spezialitäten aus dem Orient an. Zumindest in der AldiFiliale meines Vertrauens sahen die Regale gestern Nachmittag weitgehend unangetastet aus. Der Muslim an sich steht derzeit in Deutschland und anderen Teilen der Welt augenscheinlich bei vielen Menschen nicht sonderlich hoch im Kurs, und mein Eindruck ist, dass sich das u. a. auch auf das Kaufverhalten von Nicht-Muslimen auswirkt. Doch ganz im Ernst: Was können leckere Baklava und ihre Produzenten für die Gewaltorgie des „islamischen Staats“ (IS) im Nahen Osten?

Immer, wenn es bei Diskussionen um den Islam geht, mahne ich eindringlich zu einer differenzierten Betrachtung. Weil jemand freitags in ein anderes Gotteshaus geht, um zu beten, ist er nicht automatisch mein Feind. Und natürlich beunruhigen mich die Salafisten-Aufmärsche überall in Deutschland und Europa, der Hass von Demonstranten aus Palästina und dem Libanon gegen Israel, die gruseligen Videobotschaften verblendeter Islamisten aus der deutschen Provinz. Doch ich habe zu viele sympathische Menschen insbesondere aus der Türkei kennengelernt, die hier arbeiten und leben, unsere Gesetze und unsere Traditionen achten, um sie pauschal als mutmaßliche Terroristen oder Eroberer sehen zu können. Etwa die türkischen Eltern von Kindergartenkindern, die sich mit unseren Kids angefreundet hatten. Oder den türkischen Speditionsunternehmer, der einer katholischen Kirchengemeinde in seiner Nachbarschaft 3.000 Euro gespendet hat, weil sonst deren Weihnachtskonzert ausgefallen wäre. Oder türkischstämmige Kollegen aus Redaktionen, die abends beim Feierabend-Bier in der Kneipe selbstverständlich dabei waren, und sich nicht im Geringsten darum scherten, was Allah wohl zu ihrem Bier-Konsum meint.

Aber auf der anderen Seite muss man schon sehr politisch korrekt sein, um darüber hinwegzusehen, dass wir ein ernstes Problem mit denjenigen Muslimen haben, die zwar bei uns, aber nicht mit uns leben wollen. Kein Tag vergeht ohne die medial gern als „bedauerliche Einzelfälle“ bezeichneten Zwischenfälle. Sie werfen deutliche Schatten auf das von großen Mehrheiten durchaus gewünschte friedliche Miteinander. Und dann ist da noch der türkische Staat, repräsentiert durch den Präsidenten Erdogan. Unter seiner Führung rückt die Türkei zunehmend vom Weg eines säkularen Staates, der Partner der westlichen Länder sein will, ab. Der Abstand zum Rechtsverständnis Europas, die verbreitete Korruption und besonders der Umgang mit politisch Oppositionellen – all das passt nicht zur westlichen Wertegemeinschaft. Ganz besonders deutlich wird das in diesen Tagen beim Überlebenskampf der Kurden gegen die anstürmenden menschenverachtenden IS-Barbaren. Während USA und europäische Partner den Kurden inzwischen auf vielerlei Wegen Hilfe schicken, steht die Türkei daneben und tut nichts. Doch halt, vor ein paar Tagen soll die türkische Armee kurdische Stellungen angegriffen haben…

Ist das ein Partner für Europa und ein zukünftiges EU-Mitglied? Ich denke nicht. Die Konsequenz aus den aktuellen Ereignissen sollte der sofortige Stopp der vorbereitenden Verhandlungen über eine Aufnahme der Türkei in die EU sein. Zumindest so lange Herr Erdogan dort auf der Kommandobrücke steht, besteht keinerlei Aussicht auf eine Hinwendung des Landes zu einem freiheitlichen Staat westlicher Prägung. Es macht keinen Sinn, dies zu ignorieren. Und ein NATO-Land, das in einer kriegerischen Auseinandersetzung genau entgegengesetzt zu dem handelt, was alle seine Verbündeten denken und tun, braucht das westliche Bündnis übrigens auch nicht mehr.