GASTSPIEL: Alexander Wallasch über die leider fehlende Opposition

Wenn immer mehr Stimmen wispern, sie würden sich nicht mehr trauen, ihre Meinung zu schreiben oder zu sagen, weil sie gleich in die Nazi-Ecke gestellt werden würden und sich ihre Ankläger im Gegenzug darauf berufen, dass man die Pflicht hätte, zu benennen, was zu benennen ist – also in der Tradition des „Nie wieder!“ – dann wird es schwer, eine problemlösungsorientierte Politik zu gestalten.

Der aktuelle Fall rund um die Vorschläge des Innministers ist alarmierender Höhepunkt einer Konsensverweigerung und eines fortschreitenden Realitätsverlustes weiter Kreise der politischen und, wie sich gleich noch herausstellen wird, auch der gesellschaftlichen Entscheiderebene. Ein Knoten, der immer schwerer zu lösen sein wird. Wenn Spiegel Online den neuesten Vorschlagskatalog des Innenministeriums zur Bewältigung der Einwanderungskrise zum Anlass nimmt, von unmittelbarer und persönlicher Schuld bei Thomas de Maizière zu sprechen, dann verweigert man nicht nur den Dialog, dann verlässt man die Debatte und läd die eigene Auffassung auf eine Weise ideologisch auf, die keine anderen Standpunkte mehr zulässt.

Wenn man erklärt, dass die Vorschläge des Ministers „einen Bruch dar(stellen) mit allem, was verantwortungsvolle Politik sein sollte“, wenn man schreibt, de Maizière sei ein Kandidat für den sofortigen Rücktritt wegen „persönlicher und moralischer Überforderung“, dann ist das ein Wedeln mit der Moralkeule in einer hysterischen Bedingungslosigkeit, die die Lösung der aktuellen Probleme im Land verweigert. Denn klar sollte auch sein, dass die Vorschläge des Ministers – ein zunächst subsidiärer Schutz für syrische Einwanderer, die Rückkehr zur Einhaltung deutscher Gesetze: also die Beendigung eines nicht erklärten Notstandes – allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein wären, hin zu einer baldigen Lösung des Gesamtproblems.

Wer aber die vorgeschlagenen Maßnahmen so aussehen lässt, als wären sie eine Kriegserklärung gegen eine Million Einwanderer, der hat sich aus dem Diskurs verabschiedet. Vergessen wir nicht, es war die Kanzlerin, die sich über Gesetze und europäische Abmachungen hinweggesetzt hat und die damit wie nebenbei und im Vorübergehen den europäischen Gedanken frontal torpediert hat. Die unsere Grenzen vakant gestellt hat, und die unsere Gesetze bricht, wie Stefan Aust und andere in lobenswerter Offenheit (ganz entgegen dieser Kai Diekmannsschen Marschrichtung für Springer) in der WamS festgestellt haben: „…unsere Grenzen sind nicht mehr viel wert. Manche Gesetze auch nicht. Das Asylrecht sagt klipp und klar: Wer als Flüchtling aus einem sicheren Land kommt, hat kein Recht auf Einlass. Doch daran hält sich niemand mehr, allen voran die Kanzlerin. Sie beruft sich auf das grenzenlose Schengen-Europa. Flüchtlingsnot kennt kein Gebot: ‚Wir können die Grenzen nicht schließen. Wenn man einen Zaun baut, werden sich die Menschen andere Wege suchen'“

Damit lässt Merkel den deutschen Schlagbaum einfach oben. Dafür wird nun aber ein neuer Schlagbaum dorthin herunter gelassen, wo es ein immer lauter werdendes Aufbegehren gibt gegen eine nicht mehr nachvollziehbare Politik. Gegen ein Staatsversagen, das in der Nachkriegsgeschichte seines Gleichen sucht. Substanzielle politische Debatten wurden aus dem Reichstag verbannt. Politiker diskutieren jetzt in Talkshows, auf Facebook und Twitter. Dort werden die neuen Leitlinien proklamiert, gelikt und wieder zur Verabschiedung ans Parlament zurückgeschickt. Es gibt faktisch keine Opposition mehr. Weil es kein oppositionelles Denken mehr gibt. Die Einheitspartei ist da. Und irgendwelche Debatten werden nur noch innerhalb dieses geschlossenen Systems geführt. Der Innenminister wird vorübergehend von den eigenen Leuten kaltgestellt, und die vermeintliche Opposition souffliert der Kanzlerin. Die grüne Katrin Göring-Eckart steht Frau Merkel heute vielfach näher, als der Unionspartner und weite Kreise der eigenen Partei.

Aber auch, wer jetzt in seiner Verzweiflung über so viel EInigkeit auf den letzten verbliebenen Kandidaten, auf die Linken als lautstarke Opposition hofft, wird enttäuscht: Lafontaine und Wagenknecht haben zwar noch Verstand genug, Washington und das State Department als eigentlichen Verursacher der Krise zu benennen, aber sie lassen keine Handlungsforderungen in Richtung Zukunft mehr folgen. Eine ergebnisverweigernde, anachronistische Politik. Der nationale Weg ist den Sozialisten aus naheliegenden Gründen verschlossen. Aber wenn ich keine autonome Entscheidung mehr zu treffen bereit bin, dann habe ich mich von der politischen Bühne verabschiedet. Dann hat sich die Opposition aus sich heraus abgeschafft.

Wenn es nun aber keine Opposition gibt, dann muss das Volk seine Rechte außerparlamentarisch einfordern. Es wäre nicht das erste Mal, dass so etwas in Deutschland möglich ist. Nur wer sollte da vorangehen? Die Kirchen sind auf Regierungskurs gegangen. Die Gewerkschaften bedrohen ihre Mitglieder in den Betrieben mit dem schwammigen Maulkorb: „Wer hetzt der fliegt“ – nur was ist ab wann Hetze? Wäre der Innenminister mit seinen Vorschlägen schon von der Gewerkschaft vor die Tür gesetzt worden?

Wenn es der Innenminister schon nicht richtig weiß, wie soll es der Werkzeugmacher oder Maschinenbauer richtig machen? Der gute Mann schweigt dann einfach. Sogar immer öfter bei sich zu Hause. Denn auch das ist wahr: Die Gräben verlaufen jetzt mitten durch die Familien. Nur eine Frage der Zeit, wann die erste pubertär-wütende Tochter oder nur irgendein beleidigter Sohn eine vermeintliche Hetze des Vaters bzw. Vorgesetzten den Gewerkschaftsvertretern in dessen Betrieb meldet, damit der Beschuldigte ein paar Extra-Flugstunden bekommt.

Wie aber artikuliert sich nun diese sogenannte schweigende Mehrheit? Wie findet man zusammen jenseits dieser kontaminierten Pegida-Bewegung? Jenseits der AfD-Parteibücher? Wie organisiert man Demonstrationen vor dem Reichstag, wie bekommt man einige hunderttausende Menschen dieser Millionen höchstunzufriedener Bürger auf die Straße? Bürger, die sich von ihrem Parlament, der Regierung, der Kirche, den Kulturschaffenden, weiten Teilen der Presse und den Gewerkschaften nicht mehr vertreten fühlen? Wer organsiert diesen Aufschrei der Millionen, wenn das sonst die Parteien und Gewerkschaften übernommen haben? Tatsächlich muss man es selbst in die Hand nehmen, indem man sich zunächst die richtigen Protagonisten aussucht: Entscheider, von denen man sich vertreten fühlt. Diese Entscheider müssen nun ultimativ zum Handeln aufgefordert werden, indem man sie bestärkt und ihnen Unterstützung zusagt. Immer wieder und wieder. Ideen entwickeln, Treffen vereinbaren, Gesprächsrunden mit Gleichgesinnten organisieren, solange noch Zeit ist.

Das ist der Weg. Und nicht, indem man eine zweite Pegida-Front aufmacht, nicht, indem man ins Risiko geht, rechten Scharfmachern das Feld zu überlassen, sondern indem man jene prominente Köpfe versammelt, die sich nicht vereinnahmen oder anderweitig gegen eine innere Haltung beeindrucken lassen, indem man diese Menschen an die Spitze des Protestes bittet, drängt und stellt. Und warum sollte nicht auch ein Thomas de Maizière den außerparlamentarischen Weg mitgehen? Noch bieten einige prominente streitbare Geister dem aktuellen politischen Blindflug die Stirn – oder ist es schon ein Amoklauf?

So dürfte es also schwerfallen, beispielsweise einen Wolfgang Bosbach reflexartig in die rechte Ecke zu drängen, ebenso wie einen Minister Wolfgang Schäuble oder den bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer. Natürlich wird man die totale Diskreditierung versuchen, wenn der Lärm vor dem Reichstag immer lauter wird und zuletzt bis in den Plenarsaal schallt. Wenn „Wir schaffen das!“ etwas völlig anderes meint, nämlich die Sicherung unserer Grenzen, das Ende einer uferlosen Hysterie, die Rückkehr zu so etwas wie Normalität und die bleierne Erkenntnis, dass wir helfen, wo wir helfen können, dass wir aber immer noch selber bestimmen wollen, wann und auf welche Weise das der Fall sein wird, und wann wir es aus humanitären Gründen eventuell kurzfristig mal etwas großzügiger auslegen, als es unsere schützenswerten Gesetze zulassen.

Ja, es wird Zeit, diese Mauer aus Vorwürfen, Unterstellungen und Stigmatisierungen zu durchbrechen und klare Kante zu zeigen. Ein Ende zu erzwingen dieser über die gesamte Gesellschaft verhängten Blockade. Das Ende dieser fortschreitenden Lähmung muss möglich sein. Der kritische Punkt ist doch längst überschritten. Höchste Zeit, dass die richtigen Leute zusammenfinden, einen gemeinsamen politischen Willen artikulieren und ihn zu Hunderttausenden auf die Straße tragen. Organisiert Euch! Nicht jeden Montag, gerne an einem Sonntag, der in Erinnerung bleiben, der nachhaltig Eindruck hinterlassen wird. In einer Präsenz und Eindringlichkeit, welche anzeigt, dass wir bereit sind, die inneren Verhältnisse wieder geradezurücken. In einer Präsenz, die den Entscheidern dieses Landes eine unmissverständliche Handlungsaufforderung senden: Mit uns. Oder ohne Euch.

Nachtrag:

Auch das ZDF scheut vor keiner Schmierenkomödie mehr zurück:
gerade auf heute+
Der Moderator erklärte wörtlich (Zitat aus dem Gedächnis) mit aller ihm möglichen investigativen Süffisanz: „Der Theaterplatz in Dresden auf dem sich Pegida jeden Montag versammelt, hieß früher Adolf-Hitler-Platz. Mehr will ich dazu nicht sagen.“ Und dann Themawechsel.




Es wäre wünschenswert, dass Russland ein echter Partner wird

War der Absturz eines russischen Passagierflugzeugs, der alle 224 Insassen das Leben kostete, also doch ein Terroranschlag? Russische und ägyptische Offizielle bestätigen das bisher nicht, aber britische und amerikanische Geheimdienste halten es für die plausibelste Erklärung, warum ein Passagierflugzeug ohne Vorwarnung einfach so in der Luft auseinanderbricht. Warten wir also ab, was die weiteren Untersuchungen ergeben. Wenn Allahs Killertrup vom ISIS dahinter steckt, so würde das nur erneut belegen, dass Russland und der Westen ein gemeinsames Problem haben, das sie gemeinsam angehen und lösen könnten. Wenn sie Partner wären.

Russland ist ein großes und militärisch starkes Land. Jeder Nachbar, nicht nur die unmittelbaren, ist gut beraten, sich um ordentliche, ja gute Beziehungen zum Kreml zu bemühen. Und NATO und Russland gemeinsam, jeder mit seiner Militärmacht und seinen Einflusszonen im Nahen Osten, könnten dem Islamischen Staat ein schnelles Ende bereiten. Das wäre auch die Voraussetzung dafür, eine ernsthafte Lösung für das europäische und insbesondere deutsche Problem mit Flüchtlingen und illegalen Zuwanderern zu finden. Aber ich fürchte, es wird nicht passieren, denn Russland wird von einem Mann angeführt, der sich nicht an internationale Gepflogenheiten und Spielregeln zu halten gedenkt.

Nun ist gutes Personal bei der Führung von Supermächten nicht leicht zu finden. Wir sehen das in Washington ebenso wie in Moskau. Staaten sind sowieso keine Freunde, sie haben lediglich Interessen. Diese zusammenzuführen, dazu kann es gut sein, wenn die Chemie zwischen den führenden Personen stimmt. Helmut Kohl war als Kanzler ein Meister darin, persönliche Beziehungen zu flechten. Barbecue mit Bush in Camp David, am Rhein mit Gorbatschov sitzen und über die „Gechichte“ plaudern, und Maggie Thatcher in Rheinland Pfalz zum Saumagen-Essen nötigen. Und plötzlich öffnen sich Wege, von denen man nur Monate vorher nicht zu träumen gewagt hätte.

Eine gute Chemie zwischen Putin und Obama scheint es nicht zu geben. Spätestens seit dem Wort von „der Regionalmacht Russland“ ist man echt sauer im Kreml angesichts dieser offenen Demütigung. Verständlich. Nur, wenn man ein gemeinsames Problem lösen muss und sich nicht leiden kann, gibt es nur einen Weg: Vertrauen in die Verlässlichkeit der jeweils anderen Seite und das strikte Einhalten allgemein gültiger Regeln. Ob die Sowjetunion Gulags betrieben hat oder die Amis einst die Indianer nahezu ausrotteten, spielt nüchtern betrachtet keine Rolle, wenn man den IS bekämpfen will. Aber die Spielregeln müssen eingehalten werden. Sie heißen Transparenz und Rechtssicherheit. Wer im Europa 2015 mit militärischer Gewalt Grenzen verschiebt, wer Tag für Tag mit militärischen Provokationen kleinere NATO-Staaten piesackt, wer durch PR-Profis das Internet mit Unmengen selten dümmlicher Hetzpropaganda gegen den Westen fluten lässt, der kann einfach kein Partner sein. Der kann seinen Fans im Westen ein wenig Spaß bereiten, es den USA endlich mal richtig zeigen. Aber er trägt sicher nicht zu einer Lösung der aktuellen Konflikte bei. Und Respekt gewinnt er höchstens so, wie ein Wirtshausschläger. Dem gehen alle aus dem Weg und jeder grüßt freundlich aus der Ferne, aber in Wirklichkeit kann ihn kaum einer leiden.




Wer nicht mitspielt, wird plattgemacht

„Wer keine Hitze verträgt, hat in der Küche nichts verloren“, hat der 33. Präsident der Vereinigten Staaten, Harry S. Truman, einmal gesagt. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass Politik ein hartes – manche sagen schmutziges – Geschäft und nichts für Sensibelchen ist. Und das ist wahr. Wer eine politische Haltung vertritt, weiß von vornherein, dass er oder sie dafür geschmäht, beschimpft und beleidigt wird. Und dabei ist vollkommen gleichgültig, welche Position vertreten wird. Auch die etablierten Parteien sind davon nicht ausgenommen – Merkel, Roth oder früher Guido Westerwelle haben Schmähungen ertragen müssen, die weit über jedes akzeptable Maß hinausgehen. Das Mitleid der Bevölkerung hält sich in Grenzen. „Ist im Preis mit drin“, heißt es lapidar, wenn man fragt, warum wir unsere politischen Repräsentanten so behandeln, wie „wir“ es bisweilen tun.

Was mir in jüngster Zeit zunehmend Sorgen macht, ist, dass es mit der Solidarität der Demokraten in unserem Land nicht mehr weit her ist, sobald es um den „Kampf gegen Rechts“ geht. Ich meine damit nicht die Rassisten, die Brandsatz-Werfer oder diese armseligen, ekelhaften Gestalten, die in einer Berliner U-Bahn Migrantenkinder angepinkelt haben. Solchen widerwärtigen Figuren kann kaum genug abgrundtiefe Verachtung ihrer Mitmenschen entgegenschlagen. Ich meine diejenigen, die im politischen Diskurs Positionen vertreten, die vom Mainstream der Mehrheits-Gesellschaft abweichen. Die politisch Unkorrekten, die sogar bei manchen Themen die Mehrheit hinter sich haben. Vor kurzem wurde innerhalb weniger Tage zunächst ein Infostand der AfD von Linksextremisten in Frankfurt kurz und klein geschlagen. Das Auto der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch wurde nachts abgefackelt (Foto) und ins Haus des AfD-Vorsitzenden von Sachsen-Anhalt brachen Unbekannte ein und schlugen die Einrichtung kurz und klein. Die Medien meldeten das kurz, mehr als ein Schulterzucken rief es nicht hervor. Selbst schuld, wird mancher gedacht haben. Warum sind sie denn auch in einer konservativen – sprich: rechten – Partei? Den Vogel schoß SPD-Vizechef Ralf Stegner ab, der mittels Internet zwar mitteilte, Gewalt sei nicht akzeptabel, aber diese Rechtspopulisten sollten mal besser aufhören „hier die Opferrolle zu markieren“. So, als würde Frau von Storch nachts durch Kreuzberg schleichen und Autos von Linkspolitikern anzünden. Ich finde diese Relativierung von Gewalt gegen Andersdenkende geht in einer freien und sich weltoffen gebenden Gesellschaft überhaupt nicht. Und ich schreibe dies, Leser meiner Beiträge wissen das, als jemand, der der AfD nicht nahesteht und sie auch nicht wählt. Es geht um das hohe Gut der Meinungsfreiheit, eines der wichtigsten Grundrechte, das wir haben.

Werfen wir einen Blick auf den „Fall Pirincci“. Seine politischen Texte haben mir nie gefallen, das Vokabular noch weniger. Und seine Rede letztens in Dresden bei „Pegida“ war selten dämlich, in Teilen unsäglich, und rief auch lautstarken Protest bei den Demonstranten selbst hervor. Darf man in einem freien Land dämliche Reden halten? Nun verschwinden seine Bücher aus den Regalen der führenden Buchhändler in Deutschland, auch bei amazon ist Pirincci ein Ausgestoßener. Es soll sogar einzelne Buchhändler gegeben haben, die ankündigten, Pirinccis Bücher öffentlich zu schreddern. Verbrennen hätte wohl nicht so gut geklungen. Nun können in einem freien Land Verlage und Buchhändler natürlich selbst entscheiden, wessen Bücher sie verlegen oder zum Verkauf feilbieten wollen. Und wenn ein liberales Haus wie Bertelsmann zu dem Schluss kommt, dass Titel wie „Die große Verschwulung“ oder Texte, in denen neben „der, die, das“ dem Wort „ficken“ eine zentrale Bedeutung zukommt, nicht zum Image passt, dann ist das deren Entscheidung, die zu respektieren ist. Aber Katzenkrimis? Mit den Katern Francis und Blaubart und ihren Abenteuern? Diese höchst erfolgreichen Frühwerke von Pirincci sind inzwischen auch verbannt. Und wohl kaum wegen politischer Unbotmäßigkeit. Ganz offenbar geht es hier darum, jemanden wirtschaftlich zu vernichten, weil er das Falsche denkt, schreibt und sagt. Ganz bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein Aufsatz des bekannten Homo-Aktivisten David Berger, der sich mit dem Thema beschäftigt: „Warum es unklug ist, wenn sich Schwule an der Zerstörung der Meinungsfreiheit beteiligen“. Berger weist gekonnt auf Paralleln zwischen Pirincci und seinen Kritikern hin, wenn es im Forum eines Schwulenmagazins über Pirincci heiße: „Der Autor leide an einem ’schweren Dachschaden‘, sei ein „braunes Arschloch‘, ein ‚Kanacken-Nazi‘, dem man ’nicht nur mit Worten … immer wieder auf die Fresse schlagen müsse‘.“ Dann fragt Berger zu recht: „Was wird sein, wenn Schwule irgendwann zu Sündenböcken werden?“ Wenn sich der Wind einmal dreht, wird dann der „Fall Pirincci“ die Büchse der Pandorra geöffnet haben, mit der unliebsame Meinungen aus den Regalen verbannt werden dürfen? Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden, hat Rosa Luxemburg gesagt. Die hatte es begriffen – ebenso wie David Berger.

Man muss in diesen Tagen nicht suchen, um Beispiele zu finden, die belegen, wie unbotmäßige Personen hierzulande zerstört und unter Druck gesetzt werden sollen. An der Schaubühne Berlin wird gerade eine Aufführung gezeigt, die den Titel „Fear“ trägt. Falk Richter hätte seinem neuen Stück im chronischen klammen Theater besser den Titel „Hate“ gegeben, denn in einem wüsten Mix aus Beate Tschäpe vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) über besorgte Bürger und Pegida bis hin zur Gender-Kritikerin Birgit Kelle wird dort alles in einen Topf geworfen, was Herrn Richter nicht gefällt. Hätte er auch noch Werder Bremen oder die bemannte Weltraumfahrt mit hineingenommen, wäre es genauso sinnfrei gewesen, wie das aktuelle Stück. Pegida in einen Topf mit der NSU? Eine des Terrorismus und der Beihilfe zum Mord angeklagte Frau Tschäpe und Birgit Kelle? Dümmlicher geht es nicht, und selten hat jemand aus dem Kulturbetrieb seine Denk- und Differenzierunfähigkeit dermaßen eindeutig dokumentiert, wie dieser Herr Richter. Im Fall von Birgit ist das hilflose Agieren sogar nachvollziehbar, denn inzwischen hat sich in der Bevölkerung herumgesprochen, was für eine menschenverachtende, ja groteske Ideologie dieses Gender Mainstreaming ist. Eigentlich könnte man nur lachen über diese Gender-Tanten, wenn sie nicht gleichzeitig versuchen würden, sich Zugriff auf das Denken unserer Kinder zu veschaffen. Ein kritisches Theater würde das aufspießen, würde mit den Mitteln der Kunst bloßstellen, dass Genderisten eine Art Sekte sind, deren Wissenschaftlichkeit sich auf einer Höhe mit dem Kreationismus befindet. Aber unser deutscher Kulturbetrieb ist enteiert, er bringt inzwischen nur noch selten Überraschendes oder Kreatives auf die Bühne. Glattgebügelt und sakrosankt. Mit Subventionen der Steuerzahler gut versorgt.

In diesen Tagen habe ich immer mal wieder an die Weimarer Republik denken müssen. Die ist aus einer ganzen Reihe von Gründen gescheitert, aber eben auch daran, weil das Bürgertum zugelassen hat, dass Extremisten mit Gewalt und dem Verächtlichmachen von Überbringern ungewünschterr Ansichten und Institutionen die junge Demokratie von innen heraus zerstörten. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht Weimar, nicht einmal in der Nähe. Aber was man in dieser Zeit großer Herausforderungen für unser Land und sicher auch deutlicher Fehlentwicklungen im politischen Betrieb ohne Zweifel festhalten kann, ist: Hass und Hetze finden wieder in einem beunruhigenden Maße statt. Wer nicht mit dem Strom schwimmt, läuft Gefahr, verleumdet, beleidigt, bedroht und seiner wirtschaftlichen Existenz beraubt zu werden. Die etablierte Politik und die Mehrheitsgesellschaft schauen mit wenigen Ausnahmen ungerührt zu oder wenden sich desinteressiert ab. Und die Gralshüter der Political Correctness, die Gedankenpolizei und ihrer Helfershelfer in politischen Stiftungen und einigen Medien bereiten mit bisweilen unfassbar dümmlichen „Analysen“ den Weg für die Hetzer und Hasser.

Wer nicht mitspielt, wird plattgemacht. Und diese Haltung konzentriert sich längst nicht mehr auf die sogenannten Rechtspopulisten. Dieser Tage erlebt das Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer. Der hatte öffentlich festgestellt, dass es so etwas wie ein Diskursverbot in Deutschland gibt. Er treffe zur Zeit viele Menschen, die fürchten, sie würden „in eine rechte Ecke gestellt“, wenn sie ihre Ängste und Sorgen angesichts der Flüchtlingskrise öffentlich äußern. Inzwischen werden aus seiner Partei heraus Stimmen laut, Palmer bei den Grünen auszuschließen. Das bunte Deutschland im Jahr 2015.




Wenn Politik die Bürger mitnimmt, laufen sie nicht woanders herum

Der Blogger und Autor Sascha Lobo ist neben Jan Fleischhauer ein Lichtblick bei Spiegel Online (SPON). Auch wenn ich oft nicht seiner Meinung bin, sind seine Beiträge immer fundiert und zeugen stets von Sachkenntnis, was ich nicht erst so empfinde, seit Frau Stokowski das Niveau der SPON-Kommentare insgesamt spürbar gesenkt hat. In dieser Woche hat sich Lobo mit der Wechselwirkung Pegida – Hass im Netz – rechte Gewalt beschäftigt. Er beschreibt zu recht die Maßlosigkeit und den Hass, der sich derzeit in den sozialen Netzwerken angesichts des nicht enden wollenden Stroms von Flüchtlingen nach Deutschland Bahn bricht. Ja, es ist wahr, was dort alles behauptet, gelogen und beleidigt wird, überschreitet oft jedes Maß des noch Vertretbaren. Gestern las ich auf Facebook in einem der widerwärtigen Verschwörungspamphlete, die da neuerdings das Netz fluten, inzwischen seien „80.000 IS-Kämpfer“ illegal nach Deutschland eingereist. Und ich bin sicher, es wird Tausende Leser geben, die diesen offensichtlichen Schwachsinn für bare Münze nehmen und mit dem Zusatz „Seht Ihr, ich habe es schon immer gesagt…“ weiterverbreiten. IS-Terror in Deutschland? Nun, im Moment geht Terror von einer anderen Seite aus. Von einem rechtsextremen Terroristen, der in Köln aus Fremdenhass einer Bürgermeisterkandidatin mit einem Rambo-Messer in den Hals stach. Oder dem Rassisten, der gestern in einer schwedischen Schule Lehrer und Schüler mit Migrationshintergrund mit einem Schwert angegriffen hat. Er tötete eine Lehrer und einen elfjährigen Jungen, dieser selbsternannte Beschützer des christlichen Abendlandes und der westlichen Zivilisation. Dieses Arschloch.

Der ungezügelte Hass, die Unversöhnlichkeit, mit der sich in Deutschland zwei Lager gegenüber stehen, ist ebenso besorgniserregend wie die Angst vieler Menschen vor den Riesenproblemen, die eine immer noch nicht geregelte und in Teilen unkontrollierte Massenzuwanderung in unser Land mit sich bringen wird. Ja, es kommen viele Menschen in größter Not nach Deutschland und erbitten unsere Hilfe. Und ja, es kommen auch Leute mit einer Anspruchshaltung und falschen Erwartungen zu uns. Menschen, die unsere Gesetze nicht anerkennen, die sich weigern, Essen von Frauen entgegenzunehmen oder ihnen auch nur die Hand zu schütteln. Junge Männer, die Christen bedrohen und die Frauen sexuell belästigen. Das passiert in vielen Erstaufnahmeeinrichtungen, und es sind keine Einzelfälle, wie gern abgewiegelt wird. Die Opfer sind nicht „blonde deutsche Frauen“, über die der AfD-Politiker Björn Höcke bei einer Demo in Erfurt schwadronierte. Die Opfer sind Frauen aus Syrien, Afrika und Afghanistan – und ihre Rechte und ihr Leben verdienen den gleichen Schutz. Schlimm genug, dass man auf so etwas hinweisen muss. Und die Täter? „Sie kommen aus Kulturen wie dem Islam, in dem Frauen als minderwertig gelten. Sie sind überwiegend Araber, bei denen es, unabhängig vom Glauben, schlecht bestellt ist um Frauenrechte.“ Das schrieb jetzt die dem Rechtsextremismus nun wirklich unverdächtige Alice Schwarzer in der „Emma“. Der gleiche Satz, gesagt von Herrn Höcke, hätte lautstarke Empörung in Jauchs Fernsehstudio hervorgerufen. Der Araber als potentieller Frauenschänder – den Shitstorm möchte ich mir nicht einmal vorstellen.

Und damit komme ich auch schon zu dem Punkt, an dem Sascha Lobo in seinem Kommentar nicht konsequent ist. Er kritisiert Pegida, das darf er, und das habe ich selbst schon gemacht. Aber er fragt nicht: Warum es Pegida überhaupt gibt. Darf Kritik an dem, was derzeit in Deutschland passiert, nur von Links geäußert werden? Müssen alle anderen schweigen oder im Fall der Zuwiderhandlung hinnehmen, als rechtsradikal stigmatisiert zu werden? 57 Prozent der Deutschen sind nach einer aktuellen Umfrage der Meinung, dass sich Deutschland übernimmt. Mehr als 200 Bürgermeister und Landräte haben gerade an die Bundeskanzlerin geschrieben und mitgeteilt, dass nichts mehr geht mit der weiteren Aufnahme von Flüchtlingen in ihren Kommunen. Es gibt viele Ängste in diesen Tagen – berechtigte und unberechtigte. Aber eine Situation, in der Menschen mit solchen Ängsten an den Rand gedrängt und stigmatisiert werden, statt dass die Politik sie ernst nimmt, führt eben dazu, dass sie sich anderswo mit Gleichgesinnten organisieren, auf den Straßen, im Internet und auch in Parteien. Nebenbei bemerkt, ohne gesellschaftlich an den Rand gedrängt zu sein, verbreitet die linksradikale antifa auch Hass gegen andere Menschen, Politiker und „das System“ im Internet. Seit vielen Jahren. Da hätte ich mir auch mal einen Justizminister gewünscht, der entschieden dagegen vorgeht. Denn Hass ist immer schlecht. Aber wir sollen ja keinen „Whataboutism“ mehr betreiben, empfehlen die Gralshüter der Political Correctness, und deshalb zurück zum Thema.

Die deutliche Spaltung unserer Gesellschaft ist ein Beleg für das Versagen der etablierten Politik, den Menschen, die sie vertreten, zu erklären, was und warum sie etwas tun. 20.000 oder mehr Leute demonstrieren Montag für Montag in Dresden vornehmlich gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Und in der Menge sind deutlich erkennbar viele Rechtsradikale und Hooligans dabei. Denen geht es nicht nur um die Flüchtlinge, sondern sie wollen „das System“ möglichst effektiv bekämpfen, unser System, unseren gemeinsamen Staat. Vielen „besorgten Bürgern“, die mitlaufen, geht es aber ausschließlich um das Flüchtlingsproblem, so wie jener jungen Frau aus Dresden, die ich am Dienstag in einer Nachrichtensendung sah, und die sagte: „Ich habe Angst um die Zukunft meiner Kinder.“ Deshalb laufe sie bei Pegida mit. Ist das eine Rechtsradikale? Oder ist das eine Frau, deren Ängste ernstgenommen zu werden verdienen? Würde sie bei Pegida mitlaufen, wenn sie das Gefühl hätte, Frau Merkel und Herr Gabriel nehmen ihre Sorgen ernst? Ich weiß es nicht, aber „besorgte Bürger“ soll man ja auch nicht mehr sagen. Das ist jetzt ein Pfui-Synonym und voll Nazi.

Liebe Politiker, nehmt die Leute ernst! Ihr hört doch in Euren Bürgersprechstunden, wie die Stimmung ist. Ihr lest es in Briefen und Mails an Eure Abgeordnetenbüros. Die Aufgabe, Hunderttausende Flüchtlinge aufzunehmen und über Jahre zu integrieren, erfordert eine Gemeinschaftsleistung dieser Gesellschaft. Das geht nicht mit Fakten schaffen und dann mal schauen, wie es wohl laufen wird. Wenn der Begriff „die Bürger mitnehmen“ jemals passte, dann jetzt. Sprecht mit den Leuten, erklärt euren Plan, so ihr einen habt. Und wenn nicht, macht einen. Und den Hass und den Rassismus im Netz und auf den Straßen bekämpfen wir dann gemeinsam. Der Sascha und ich. Und viele andere.




Klartext in Bergisch-Gladbach und Schkeuditz

Lutz Urbach, Bürgermeister von Bergisch-Gladbach, hatte gestern im WDR einen überaus souveränen Auftritt. Sachlich schilderte er, was derzeit in der Kommune los ist, deren Verwaltung er seit 2009 führt. Ursprünglich hatte man gut 600 Flüchtlinge aufgenommen und – „darauf waren wir stolz“ – gewisse Standards gesetzt, zum Beispiel, dass die Ankommenden in Wohneinheiten mit eigener Küche untergebracht wurden. Inzwischen wurden der 100.000-Einwohner-Stadt im Bergischen Land gut 1.200 Flüchtlinge zugeteilt, und niemand weiß, wie viele es noch werden. Von Standards spricht keiner mehr und von eigenen Kochmöglichkeiten. Inzwischen wurden auf dem Sportplatz zwei Leichtbauhallen errichtet. Weil die üblicherweise konsultierten Möbelhäuser vor Februar keine Betten mehr liefern können, fuhren städtische Bedienstete zu IKEA und kauften dort in einer Hauruck-Aktion für 15.000 Euro Möbel für die Neuankömmlinge. Und auch in Bergisch-Gladbach ist es kalt geworden. Die Leichtbauhallen werden mit Öfen beheizt, und weil am vergangenen Wochenende der Sprit auszugehen drohte, fuhren ehrenamtliche Helfer mit Benzinkanistern zu einer Tankstelle, um Diesel zu kaufen, damit die Heizöfen weiter betrieben werden konnten. Ein paar Szenen aus dem Alltag, wie er sich in diesen Tagen so oder ähnlich überall in Deutschlands Städten abspielt.

Da sprach kein Ausländerfeind, da ging es auch nicht um Kriminalität oder „Invasion“, sondern da erklärte ein Bürgermeister in ruhigen Worten, dass nun nichts mehr geht. Fini! Aufnahmekapazität erschöpft! Lutz Urbach gehört zur CDU, der Partei, der Bundeskanzlerin Angela Merkel vorsitzt. Und die galt bis vor wenigen Wochen über Parteigrenzen hinaus als letztlich alternativlos. Dass das nicht so bleiben muss, wird sie spätestens am vergangenen Mittwoch im sächsischen Schkeuditz begriffen haben. Dort waren rund 1.000 Parteiffreundinnen und -freunde zu einer Regionalkonferenz mit Frau Merkel zusammengekommen. Ich bin sicher, diesen Abend wird sie so schnell nicht vergessen, denn in für CDU-Verhältnisse völlig ungewohnter Klarheit wurde der eigenen Kanzlerin da die Meinung gegeigt. Die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge, die Weigerung, eine Obergrenze festzulegen, das schlechte Krisenmanagement – viele Parteimitglieder sind empört und fordern einen radikalen Kurswechsel. Grenzen zu – sofort! Diese Forderung ist nicht mehr zu überhören. Schon am Dienstag hatte es in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion massive Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik gegeben. „Glaubt Ihr, wir könnten einfach so die Grenzen schließen?“, hatte Merkel da sinngemäß gefragt. Spontan riefen mehrere Abgeordnete laut „Ja!“, gefolgt von tosendem Beifall der Fraktion.

Merkel hat der Union, insbesondere ihrer CDU, in den vergangenen Jahren viel zugemutet und abverlangt. Der sogenannten Modernisierungskurs hat ihre Partei in vielen Bundesländern und Großstädten Mehrheiten gekostet. Die CDU war nie die Partei von Öko-Strom, Homo-Ehe und Mindestlohn, und ich denke, sie wird es auch nie mit dem Herzen sein. Aber ihre Union ist der Kanzlerin gefolgt, selbst als es um den ungeliebten Euro und die Griechenland-Rettung ging. Doch die Flüchtlingskrise überspannt den Bogen. In einer aktuellen Umfrage erklären diese Woche 57 Prozent der repräsentativ Befragten, man solle erstmal keine weiteren Flüchtlinge mehr in Deutschland aufnehmen. Bürgermeister und Landräte gehen in die Öffentlichkeit und stellen klar, dass das Boot voll ist. Und die meistens handzahme Parteibasis tritt Angela Merkel gegenüber und ist auf Krawall gebürstet. Pegida und AfD könnte sie durchstehen, so lange eigene Partei und Koalitionspartner ihr den Rücken stärken. Kippt das, ist durchaus möglich, dass wir in diesen Tagen den Anfang vom Ende der Merkelschen Kanzlerschaft erleben.

Doch Totgesagte leben oft auch lange. Wie all das ausgeht, ist längst nicht entschieden. Im Internet lese ich von der Erwartung, dass Merkels Rücktritt unmittelbar bevorsteht. Andere mutmaßen, sie werde bald in den Job der UN-Generalin wechseln, wobei mir nicht bekannt wäre, dass sie diesen Berufswunsch jemals geäußert hätte. Es kann auch alles ganz anders kommen. Sollte sie die Signale nicht nur hören, sondern schnell Konsequenzen daraus ziehen und ein tragfähiges Krisenmanagement installieren, den weiteren Zuzug deutlich begrenzen, mit dem gestern beschlossenen neuen Asylgesetz konsequent diejenigen abschieben, die kein Recht haben, hier bei uns zu sein, ist durchaus möglich, dass sie noch einmal die Kurve kriegt. Aber es hängt nun von ihr selbst ab.




Ein Narrenschiff auf großer Fahrt

Ganz ehrlich: Mein Publizistenleben überfordert mich im Moment. Ich musste mich geradezu zwingen, mit meiner neuen Kolumne zu beginnen. Ich mag nicht mehr über das Thema Flüchtlinge schreiben, aber man kommt nicht darum herum. Ich mag nicht mehr den Zusammenhalt unseres Landes beschwören, denn den gibt es nicht mehr. Sie werden sagen: es gab immer Leute, die etwas zu meckern hatten. Doch das hier ist anders. Zeitung zu lesen, Fernsehen zu schauen, ja selbst bei meinen Freunden in Facebook unterwegs zu sein, was ich wirklich gerne tue, macht mir zur Zeit nur noch wenig Spaß. Durch unsere Gesellschaft geht ein Riss, wie ihn Deutschland seit dem Kampf um die Ostpolitik von Willy Brandt nicht mehr erlebt hat. Zwei große Lager standen sich damals fast unversöhnlich gegenüber. Die einen waren überzeugt, Brandt, Wehner und Bahr würden uns „an die Russen verkaufen“. Die anderen bejubelten kritiklos nahezu jede Preisgabe westlicher Positionen in der Zeit des Kalten Krieges. Es gab Demonstrationen, sogar Handgreiflichkeiten, die „Aktion Widerstand“ veranstaltete Großkundgebungen. Man hatte nicht das Gefühl, dass da Leute zusammen in einem Land leben wollten.

Heute ist es wieder so, vielleicht sogar intensiver als damals. Begonnen hat es nicht erst mit den Flüchtlingen. Fast hat man das Gefühl, die Parteien sind irgendwann aus dem politischen Geschäft ausgestiegen. Keine klaren Aussagen mehr, keine eigenen, durchdachten Konzepte, kaum erkennbares Interesse daran, was ihre Wähler bedrückt, es ist gespenstisch. Am Mittwoch war die Bundeskanzlerin im Fernsehen. Vorwärtsverteidigung, so nennt man das wohl. Irgendwer im Kanzleramt muss ihr bei der Morgenlage zugeraunt haben, dass die Stimmung im Volk schlechter wird. „Frau Bundeskanzlerin, sie müssen jetzt etwas tun….“ So ähnlich wird es geklungen haben. Und so setzte sie sich also gegenüber von Anne Will und erklärte ihre Sicht der Dinge. Obwohl ich schon lange keine Merkel-Fan mehr bin, stehe ich zu meiner Ansicht, dass sie sich ordentlich geschlagen hat. Zwei minus, würde ich unter die Klassenarbeit schreiben. In den sozialen Netzwerken ging es nach der Sendung erst noch halbwegs zivilisiert zu, wenngleich unterschiedliche Meinungen deutlich aufeinander prallten. So soll es sein in einer Demokratie. Aber am Tag danach hatte ich den Eindruck, im Irrenhaus sei Tag der offenen Tür. In gleich mehreren Zeitungen bekundeten politisch linksgestrickte Journalisten, sie hätten Merkel noch nie gewählt, aber jetzt sei sie #meinekanzlerin. Von „Befreiungsschlag“ fabulierten Analysten und davon, dass sie wieder kraftvoll zurückgekehrt sei. Bei online-Abstimmungen sagten dagegen 86 bis 90 Prozent, Merkel sei eine einzige Katastrophe gewesen. Ich wurde auch verschiedentlich von FB-Freunden aufgefordert, unbedingt bei dieser oder jener Abstimmung gegen Merkel zu stimmen. Ich habe mich kurz gefragt, ob ich auch Aufrufe von CDU-Freunden bekommen würde, Merkel per Abstimmung ganz toll zu finden. Aber dann fiel mir wieder ein, dass die CDU ja das Kämpfen verlernt hat, und es kam auch tatsächlich nichts.

In Dresden verzeichnet derweil Pegida wieder starken Zulauf, in Erfurt trommelt die AfD 8.000 Anhänger zusammen, um die Kanzlerin aufzufordern, sich doch einen anderen Job zu suchen. Im Fernsehen kanzelt ein unerträglich arroganter Verlegersohn-Schnösel eine junge Polizistin ab, die von ihrem unerfreulichen Alltag mit vorzugsweise jungen Muslimen berichtet. Weitergezappt! Auf N24 ist Michel Friedman mit einem Kamerateam unter Flüchtlingen unterwegs. Es war wirklich spannend, zu hören, was einige von ihnen über ihr Leben und ihre Motivation, nach Deutschland zu kommen, erzählten. Weitergezappt! Polizisten führen einen grinsenden Asylbewerber ab, der sich in einer Flüchtlingsunterkunft geprügelt hat. Es war wohl sogar noch etwas bunter, insgesamt 60 Beamte mussten anrücken, erfahre ich. Auf Facebook vergleichen zum wiederholten Mal Menschen, die mit ihren Sorgen ernst genommen werden möchten, Merkel mit Hitler. Ja, mit Hitler. Manchmal ist man einfach nur sprachlos, einmal wegen des widerlichen und sowieso unhistorischen Vergleichs an sich, aber auch, weil dieselben Leute immer beklagen, dass man ja in der politischen Auseinandersetzung stets einen mit der „Nazikeule“ übergebraten bekomme. Nicht ganz zuende gedacht, würde ich meinen.

Ich könnte noch eine Stunde weiter Erlebnisse und Momentaufnahmen aus dem Tollhaus erzählen, aber ich mag Sie, meine geschätzten Leserinnen und Leser, nicht langweilen. Doch ich möchte nochmal daran erinnern: Unser gemeinsames Land befindet sich in einer komplizierten, wahrscheinlich sogar gefährlichen Situation. Nicht wegen der Kosten, das wuppt Deutschland allemal, aber wegen des in Teilen unkontrollierten Zustroms Hunderttausender Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis. Die integriert man nichtmal einfach so nebenbei, das ist ein langer Prozess – und der sollte übrigens wirklich nur denen offenstehen, die ein Recht darauf haben, bei uns Schutz und Aufnahme zu erhalten. Es gibt irre viel zu tun, das ist ein Prozess, der die ganze Gesellschaft beeinträchtigt und herausfordert. Und was passiert hier? Manchmal kommt man sich vor wie an Bord der „Vera“ im berühmten Roman vom „Narrenschiff“, wo alle Arten von Charakteren und Ethnien auf engstem Raum beisammen sind, und von Tag zu Tag eine unangenehme und aggressive Gereiztheit zunimmt, die schließlich alle erfasst…




Warum nicht mal stolz sein auf das eigene Land?

Morgen feiern wir 25 Jahre Deutsche Einheit. 25 Jahre – schon? Kaum zu glauben. Alle Gänsehaut-Momente durfte ich damals als Reporter in Berlin miterleben. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 verbrachte ich mit Kopfhörer auf und Mikro in der Hand am Übergang Bernauer Straße. Als Helmut Kohl vor dem Schöneberger Rathaus gnadenlos ausgepfiffen und Stunden später vor der Gedächtniskirche von Zehntausenden begeistert gefeiert wurde, stand ich in der Menge. Unzählige Reportagen habe ich aus der untergehenden DDR produziert, live vom Weihnachtsmarkt auf dem Alexanderplatz berichtet, in Betrieben und Kitas Landsleuten eine Stimme gegeben, und am 3. Oktober stand ich auf der Pressetribüne vor dem Reichstag und berichtete live für ein Dutzend Privatsender in Deutschland, während zu den Klängen der Freiheitsglocke unsere Fahne gehisst wurde. Ich habe diese Zeit als Journalist und als Deutscher miterlebt, für den sich die Wiedervereinigung unseres Landes wie ein Wunder anfühlte. Bis heute bin ich bewegt, wenn ich alte Fotos aus dieser Zeit sehe. Mein emotionales Verhältnis zu unserem Land ist damals stark geworden. Ich habe nichts dafür getan, hier geboren zu werden. All das, was unser Land ausmacht, habe ich geschenkt bekommen. Und unser Land ist weit mehr als die zwölf Jahre der widerlichen Nazi-Barbarei. In Kunst und Kultur hat Deutschland Großartiges hervorgebracht. Unsere Techniker, die Machinenbauer, deutsche Autos, deutsches Bier und deutscher Fußball werden weltweit bewundert. Wir sind bestens organisiert, deutsche Tugenden und so. Und deshalb ist dieses Land, unübersehbar in diesen Tagen, ein Magnet für Menschen aus aller Welt, für die Hoffnungslosen, die sich wünschen, Teil des deutschen Wunders werden zu dürfen.

Heute denke ich politische Themen stets von dem Standpunkt aus, was ist gut und richtig für Deutschland und seine Menschen. Wie kleinkariert kommt mir oftmals vor, mit was wir uns hier Tag für Tag beschäftigen. Einem Land, dessen politische Elite sich allen Ernstes mit einer Pseudowissenschaft wie Gender Mainstreaming beschäftigt, kann es nicht schlecht gehen. Warum schreibe ich hier so hymnisch über das Land, in dem ich lebe? Es ist die Sorge, dass wir unsere Gemeinsamkeiten mehr und mehr vergessen oder nicht mehr zu schätzen wissen. Wir warten darauf, stets empörungsbereit, dass irgendetwas schief geht, über das wir schimpfen können. Menschen, die sich selbst als Patrioten verstehen, beleidigen hemmungslos die gewählten Repräsentanten und die Institutionen unserer freiheitlichen Gesellschaft. Und die schwarz-rot-goldenen Fahnen hängen wir nur bei Fußball-Großereignissen aus dem Fenster, statt ein unverkrampftes Verhältnis zu unserem Land zu pflegen – wie das überall auf der Welt üblich ist.

Ich bin gern Deutscher, und – ja, ich sage das so – ich bin stolz auf dieses Land, mein Land. Ich bin das, ohne gegenüber anderen Staaten und Menschen überheblich zu sein oder Schlimmeres. Ich weiß, dass man stolz auf das eigene Land sein kann, und trotzdem glücklich über Reisen ohne Grenzen, über die enge Partnerschaft mit anderen Ländern insbesondere in Europa. Unsere Kinder haben schon viel von der Welt gesehen, eine Tochter ist gerade zu einem Schulpraktikum in London. Wahnsinn, oder? Alles ist möglich, die Zukunft könnte golden sein – könnte, wenn wir nicht vergessen, wer wir sind und woher wir kommen. Ich wünsche Ihnen einen schönen 3. Oktober – feiern Sie ihn bewusst!




Wer sind wir, wer wollen wir sein?

Als die Bundeskanzlerin jüngst auf die geäußerte Furcht vor einer zunehmenden Islamisierung unserer europäischen Gesellschaften mit dem lapidaren Hinweis antwortete, man solle der Entwicklung begegnen, indem wir uns unserer christlichen Traditionen wieder bewusster werden und die sonntäglichen Gottesdienste besuchen, erntete sie neben Zustimmung aus den Kirchen auch jede Menge Kritik. Zu recht, denn so einfach ist es eben nicht. Zu unseren freien Gesellschaften gehört nämlich zum Beispiel auch die Freiheit, nicht an einen Gott glauben zu müssen. Und auch diese Freiheit wird bedroht, wenn der missionarische Islam hierzulande an Boden gewinnt. Außerdem weicht Angela Merkel dem tatsächlichen Hintergrund der Frage aus, nämlich der Furcht vor einer politischen Religion, die ganzen Gesellschaften und Staaten ihre Regeln aufdrängt. Und nein, die Scharia ist ganz sicher nicht das Regelwerk, unter dem ich leben möchte. Ich denke, in dieser Frage bin ich mir mit der Mehrheit der Deutschen einig.

Aber die Aussage der Kanzlerin hat auch einen interessanten Aspekt, denn sie impliziert, dass wir alle aufgefordert sind, uns unserer historischen, geistigen und auch religiösen Wurzeln wieder bewusster zu werden, weil uns das Selbstvergewisserung und – wie ich überzeugt bin – auch Stärke gibt. Und so passt in diesen Kontext sehr gut das neue Buch des früheren Verfassungsrichters Udo di Fabio, das vorgestern der Öffentlichkeit präsentiert wurde. „Schwankender Westen“, so heißt es – und genau darum geht es in dieser Zeit. Di Fabios Grundthese in meinen einfachen Worten: Mit zunehmender Freiheit und Wohlstand haben wir in den reichen westlichen Ländern vergessen (verdrängt?), was uns zu freien und wohlhabenden Gesellschaften gemacht hat. Welche Kämpfe ausgefochten wurden, welche Opfer gebracht werden mussten, um dorthin zu kommen, wo wir heute sind. Der Autor formuliert das nicht als Vorwurf, sondern als Mahnung, sich unseren geistigen und historischen Wurzeln wieder anzunähern. Di Fabio ist kein Kritiker der westlichen Demokratien, im Gegenteil, er will sie erhalten und weiterentwickeln. Aber er weicht klaren Feststellungen nicht aus. Ein Europa ohne Grenzen sei eine schöne Vorstellung, wenn man es vom Standpunkt des Handels und des Tourismus betrachte. Aber in Zeiten, in denen Hunderttausende Menschen aus anderen Kulturen in den Schengen-Raum strömten, gäbe es nur zwei Möglichkeiten: entweder konsequente Sicherung der EU-Außengrenzen oder dauerhafte Aussetzung von Schengen und damit Wiedereinführung der Grenzsicherung der Einzelstaaten. Auf keinen Fall könne ein Zustand akzeptiert werden, in dem Flüchtlingsströme unregistriert durch die EU-Staaten ziehen, weil so die Funktionsfähigkeit der sozialen Rechtsstaaten gefährdet werde.

Wir müssen uns klar werden, was wir hier eigentlich erhalten wollen. Vielleicht schauen wir ein wenig herum, was es sonst so für gesellschaftliche Modelle auf der Welt gibt. Und dann erinnern wir uns, wie all das über viele Jahre entstanden ist: die Soziale Marktwirtschaft, die parlamentarische Demokratie, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die sozialen Sicherungssysteme und so weiter. Und wenn wir uns einig sind, dass all das verteidigenswert ist, dann muss unsere Politik die Voraussetzungen für den Erhalt all dessen schaffen. Und zwar konsequent. Das beginnt damit, dass man unmissverständlich erklärt, dass Deutschland nicht alle Probleme der Welt schultern kann, und dass auch nicht jeder, der unser Land erreicht, hierbleiben kann. Das geht dann weiter in den europäischen Zusammenhängen. Machen wir den EU-Institutionen klar, dass wir keine Bevormundung aus Brüssel brauchen, wie wir unser alltägliches Leben gestalten sollen. Europa soll für eine florierende wirtschaftliche Entwicklung, für ein gemeinsames internationales Handeln und für (auch militärische) Sicherheit sorgen. Welche Glühbirnen wir benutzen, ob wir homosexuelle Partnerschaften als „Ehe“ ansehen oder wie wir Familien fördern – dazu brauchen wir die EU nicht. Schauen wir mal wieder einen Moment auf uns selbst, auf unser Land und wer wir sind. das ist die Basis von der aus wir denken sollten. Was ist gut für uns, was erhält uns die Kraft, auch anderen helfen zu können. Ein solches Denken kann ich bei vielen politisch Verantwortlichen in Deutschland derzeit nicht erkennen.




GASTSPIEL: Birgit Kelle über eine Sendung, die den Blutdruck hochtreibt

Die chronisch gut gelaunten Moderatoren des öffentlich-rechtlichen „Morgenmagazins“ (MoMa) beschäftigen sich in dieser Woche mit den Ängsten und Befürchtungen der Bevölkerung in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise. Will man seinen Blutdruck also schon morgens in Form bringen, lohnt das Einschalten bei den Öffentlich-Rechtlichen allemal. Sie schaffen in 10 Minuten mehr Bluthochdruck als eine ganze Kanne Kaffee. Heute Morgen war das Thema Kranken- und Rentenversicherung dran und die Frage, ob der Zustrom der Flüchtlinge nicht enorme Kosten und Belastungen mit sich bringe. Brav hatte man dazu ein paar besorgte Bürgerstimmen eingefangen, die das äußerten und erwartungsgemäß endete der Beitrag mit dem Ergebnis: Befürchtung unbegründet. Dazu präsentierte man die völlig nutzlose Zahl, dass in den vergangenen Jahren schließlich 900.000 Einzahler mit Migrationshintergrund in die Rentenkasse hinzugekommen sind. Dazu der rührselige Bericht eines fleißigen Einwanderers (wenigstens war auf das Klischee syrischer Arzt verzichtet worden), dem von seinem Arbeitgeber ab nächstes Jahr eine Festanstellung versprochen wurde. Quod erat demonstrandum, oder etwa nicht?

Die interessanten Zahlen hatte man beim MoMa leider nicht parat, nämlich die Frage, wieviel Prozent der Einwanderer tatschlich als Einzahler und nicht als Empfänger in der Rentenkasse zu erwarten sind. Oder gar, wie viele Prozent der jetzt Zuwandernden überhaupt jemals auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen werden. Schon heute haben wir es in Deutschland mit einer extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit unter den Bewohnern Deutschlands mit Migrationshintergrund zu tun. Und die leben teilweise bereits seit ihrer Geburt hier, waren auf deutschen Schulen, landen aber dennoch anstatt auf dem Arbeitsmarkt nicht selten zielsicher in Hartz 4. Wie schwer wird es also werden, Einwanderer, die in der Regel kein Deutsch sprechen und in nicht unerheblicher Zahl nicht einmal lesen und schreiben können, in einen Job mit Mindestlohn zu bekommen?

Immerhin nötigte sich das MOMA noch den Expertenhinweis ab, für die Rentenkasse werde ausschlaggebend sein, wie viele der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Wie das verlaufen wird, steht in den Sternen, sieht aber nicht rosig aus. Erste Frage also schon mal nicht beantwortet. Es folgte das System der Krankenkassen. Auch hier steht die Befürchtung im Raum, die Versorgung der Flüchtlinge werde zu einer hohen Zusatzbelastung für das System. Um dies zu entkräften stand die SPD-Gesundheits-Allzweckwaffe Karl Lauterbach als Experte parat mit der aberwitzigen Behauptung, der Gesundheitszustand der Flüchtlinge sei durch die monatelange Flucht gestärkt und im Schnitt wohl sogar besser als der der Deutschen. Fast hätte ich kurzfristig zum Koffer gegriffen und schnell ein paar Sachen gepackt, um zur Kur nach Syrien aufzubrechen. Immer noch nichts zur eigentlichen Frage, nämlich der finanziellen Mehrbelastung für unser Krankenkassensystem. Stattdessen wieder Lauterbach, der beklagt, dass es immer noch keine Krankenkarte für Flüchtlinge gibt, mit der sie unbürokratisch zum Arzt gehen können. Sie müssen sich nämlich vorher sowas genehmigen lassen. Das scheint wohl unzumutbar. Ins allgemeine Gequassel gepackt die Information, dass die ersten 15 Monate eine kostenlose ärztliche Versorgung für alle gewährleistet sei. Die Kosten hierfür, als auch für die medizinische Erstversorgung, das Impfen der Flüchtlinge und die zahnmedizinischen Behandlungen, die in den ersten 15 Monaten anfallen, hätten mich dann als Zuschauer doch interessiert. Auch die Frage, aus wessen Geldbeutel das beglichen wird. Dazu kamen sie aber nicht im MoMa, wahrscheinlich ging zu viel Zeit drauf, das Morgenrätsel redaktionell vorzubereiten. Zweite Frage auch nicht beantwortet.

Fakt bleibt, selbstverständlich führt der nicht enden wollende Flüchtlingsstrom erst einmal für gewaltige Kosten im Krankensystem, die von uns allen getragen werden. Ob über unsere Beiträge in den Krankenkassen oder über Steuern, ist da schon nahezu unerheblich. Ob das System Rentenkassen-Rettung mittels Zuwanderungspolitik jemals aufgehen wird, ist ebenfalls fragwürdig. Es bräuchte Millionen von Einwanderern, die sofort auf dem Arbeitsmarkt loslegen und dazu auch noch viele Kinder bekommen, um unser umlagefinanziertes System zu stabilisieren. Arbeitsministerin Andrea Nahles rechnet mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen und einem Zusatzpaket von drei Milliarden, die sie für Programme zur Integration auf den Arbeitsmarkt, Deutschkurse und die Sicherung des Lebensunterhalts von Flüchtlingen benötigt. Ohne Zweifel werden wir erst einmal eine hohe finanzielle Kraftanstrengung brauchen, wenn der Flüchtlingsstrom sich jemals positiv auf die Bilanzen der sozialen Sicherungssysteme auswirken sollen. Und ganz nebenbei fällt bei dem Thema eine nahezu groteske Argumentations-Diskrepanz auf. Was haben Einwanderer aus allen Teilen der Welt und Mütter im Erziehungsurlaub gemeinsam? Man sollte meinen nichts, und doch verbindet ein Thema: Die Frage ihrer Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt. Geht es um Flüchtlinge, gilt neuerdings jeder als brauchbar und integrierbar auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass doch viele von ihnen, gerade aus Syrien, sogar studiert hätten, und wir brauchen ja Arbeitskräfte. Jetzt schnell ein bisschen Deutsch lernen und dann sollte es kein Problem sein, für einen Flüchtling, der Willens ist zu arbeiten, auch eine bezahlte Aufgabe zu finden. Geht es hingegen um Mütter, die mehr als ein Jahr oder – Gott behüte – sogar drei Jahre oder mehr vom Arbeitsplatz fern bleiben, weil sie sich um die Kinder kümmern, heißt es komischerweise immer: Wer so lange aus dem Job raus ist, hat kaum eine Chance, wieder genommen zu werden. Deshalb bitte am besten nach sechs Monaten wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren, und die Kinder in die Krippe geben.
Ein Flüchtling ohne Deutschkenntnisse und ohne deutschen Abschluss ist also für den Arbeitsmarkt zu gebrauchen, eine deutschsprachige Mutter mit Universitätsabschluss in Deutschland, sei aber angeblich bereits nach drei Jahren Elternzeit geistig nicht mehr voll einsatzfähig. Ist es nicht eine seltsame Diskrepanz in der Argumentation? Ja, das ist es.

Morgen will man sich im Morgenmagazin mit den Befürchtungen der Bevölkerung um die kulturelle Identität Deutschlands befassen. Ich bin nicht sicher, ob mein Arzt mir die Sendung genehmigt. Ich packe doch lieber Koffer, und fahre zur Kur. Nach Syrien.




GASTSPIEL Alexander Wallasch: Frau Merkel und Frau Göring-Eckardt – Ihre Ausreise wird hiermit genehmigt!

Dass eigentlich Erstaunliche der aktuellen Einwanderungsdebatte ist, dass es noch keine ernstzunehmenden öffentlichen Rückrittsforderungen an die Bundeskanzlerin gibt. Betrachten wir es einmal ganz nüchtern: Die wirtschaftliche Lage der Deutschen ist so gut, wie sie es seit Jahrzehnten nicht mehr war. Und da, wo es noch Defizite gibt, haben wir eine linke Opposition, die sich vehement dieser Defizite annimmt und die sogar in der Lage ist – siehe Mindestlohn – diese Forderungen mitten ins Herz der Sozialdemokratie, also auf die Regierungsbank, zu tragen.

Nun ist es geradezu kurios, dass ausgerechnet die für diesen Erfolg identifizierte deutsche Bundeskanzlerin eine Entscheidung getroffen hat, die diesen neuen deutschen Wohlstand in ernste Gefahr bringt. Nicht mal eben für den Moment, nicht kurzfristig revidierbar, sondern mit erheblichen langfristigen und nachhaltigen Folgen. Sie glauben, dass werde doch alles nicht so schlimm? Sie sind ebenfalls davon überzeugt: „Das schaffen wir!“, ohne dass es zu einer eklatanten Verschlechterung der Inlandssituation kommen muss? Sie sind sogar bereit, die Annahme zu teilen, dass Zuwanderung in diesem Ausmaß ein Segen für Deutschland, für Europa sei? Es wird also alles gar nicht so schlimm werden?

Dann setzen Sie sich bitte, und hören Sie im Folgenden mal etwas genauer hin: Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Katrin Göring-Eckardt hat diese zu erwartenden Veränderungen nämlich jüngst bei Anne Will so verbalisiert:

„Dieses Land wird sich verändern. Und es wird sich ziemlich drastisch verändern. Und es wir ein schwerer Weg sein, aber dann glaube ich, können wir wirklich ein besseres Land sein. Und daran zu arbeiten, das mit Begeisterung zu machen, die Leute mitzunehmen, auch die, die Angst haben (..) das ist eigentlich die historische Chance in der wir sind. Das ist wahrscheinlich sogar noch mehr als die deutsche Einheit, was wir da erreichen können. Was die Kanzlerin gemacht hat, ist eine große Idee davon, was es heißt, dieses Land neu zu denken. (…) Die Arbeitgeber scharren längst mit den Füßen und sagen: Wir brauchen diese Leute. (..)

Was Sie eben gelesen haben, ist der seltene Fall emotionalisierter öffentliche Geschwätzigkeit einer Fraktionsführerin im Deutschen Bundestag, einer Partei, die sich als zukünftiger Koalitionspartner einer Rot-Rot-Grünen-Regierung empfiehlt.

„Was geben wir denn in Europa für ein Bild ab, dass wir unsere Außengrenzen schützen?“, fragte die Politikerin dort weiter. Ja, Frau Göring-Eckardt, aber eben genau das empfinden viele deutsche Bürger nach wie vor als natürlichste Sache der Welt. Mehr noch, es ist sogar Konsens zwischen souveränen Staaten, diese Vorgehensweise als elementaren Bestandteil einer staatlichen Souveränität zu pflegen. Es mag ja sein, dass die zunehmende Totalvernetzung der Welt suggeriert, nationalstaatliche Grenzen wären anachronistisch, aber in der realen Welt sind sie Grundbedingung innerstaatlicher Handlungsfähigkeit. Und das bezieht sich beileibe nicht nur auf das Steuerrecht, es wird sogar zur Grundbedingung für die Funktionalität einer feinjustierten Gewaltenteilung, der „Verteilung der Staatsgewalt auf mehrere Staatsorgane zum Zweck der Machtbegrenzung und der Sicherung von Freiheit und Gleichheit“. (wikipedia)

Nein, diese Grundbedingungen innerdeutschen Wohlstandes sind ebenso wenig verhandelbar, wie das Grundgesetz. Die alte Sehnsucht der Grünen nach einer radikalen Veränderung der Gesellschaft wird sich auch nicht mit Unterstützung der Bundeskanzlerin durchsetzen. Eine Renaissance dieser „Fuck-You-Deutschland“-Stimmung, herübergerettet aus der Düsternis der 1968er Bewegung, wird es in einem Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht geben. Zu viele Deutsche sind mit ihrer aktuellen Situation durchaus zufrieden. Und sie sind hilfsbereit, aber nicht bis zur Selbstaufgabe. Die Sensoren sind dabei fein genug eingestellt, um zu verstehen, dass eine Art Selbstaufgabe jetzt Regierungsmaxime geworden zu sein scheint. Von Angela Merkel hinüber zu Katrin Göring-Eckardt ist es kein langer Weg, eine schwarz-grüne Koalition längst keine Utopie mehr.

Wenn Göring-Eckardt also sagt, was Frau Merkel noch nur denkt, dann müssten in Deutschland längst alle Alarmglocken läuten: „Dieses Land wird sich verändern. Und es wird sich ziemlich drastisch verändern. Und es wird ein schwerer Weg sein, aber dann glaube ich, können wir wirklich ein besseres Land sein.“ Nein, wir müssen kein besseres Land werden, denn dazu gehört die Annahme, wir würden eine Verbesserung herbeisehnen. Noch unverständlicher übrigens, betrachtet man den millionenfachen Wunsch von Menschen aus aller Herren Länder, in diesem angeblich so verbesserungswürdigen Land Ihr Glück zu finden. Tatsächlich wünschen sich besonders diese Menschen kein anderes Deutschland. Von den Einreisemodalitäten vielleicht einmal abgesehen – solange sie noch nicht angekommen sind.

Also Frau Merkel, machen wir es kurz: Wenn sie dem Volk die Vertrauensfrage stellen ( „… dann ist das nicht mehr mein Land“) dann bedenken Sie bitte auch, das Sie, so man Ihnen dieses Vertrauen nicht ausspricht (was ich hiermit gerne erledige), überlegen müssten, wo Sie dann Ihr Heil suchen wollen. Wenn Sie aber irgendwo auf der Welt Ihr neues Paradies gefunden haben, dann seien Sie doch bitte so nett und nehmen sie die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Katrin Göring-Eckardt gleich mit.

Wir machen dann einstweilen alleine weiter. Und wir werden unsere neuen syrischen Freunde nicht belügen, wir werden ihnen kein deutsches Paradies vorgaukeln ohne auf die massenhafte Arbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern hinzuweisen. Denn wir sind Teil dieses Europas. Ebenso, wie wir unseren Neubürgern erklären werden, das ihre Religion mit Grenzübertritt zur reinen Privatsache geworden ist.

Wir werden dann also auch ohne Ihre Hilfe, Frau Merkel, für eine begrenzte Zahl Flüchtlinge alles tun, was wir zu tun in der Lage sind. Wir werden Arbeitsplätze schaffen und die Kinder ausbilden, damit sie die besten Zukunftschancen haben. Übrigens unabhängig davon, ob Mädchen oder Junge. Und wir werden die direkten Anrainerstaaten Syriens und die der anderen kriegsgepeinigten Herkunftsländer mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Und wir werden auch direkt in den Krisenländern diplomatisch wirken auf eine Weise, die uns vor allergrößte Herausforderungen stellen wird. Und wir werden mit allen Beteiligten dieser Konflikte – auch in Washington – Klartext zu reden haben.

Was wir allerdings nicht tun werden, ist, falsches Zeugnis ablegen wie Frau Göring-Eckardt über einen nicht existenten Wunsch nach einer massiven Veränderung unseres Landes. Wir sehen nicht nur keine „historische Chance“, wir suchen auch keine. Seien Sie gewiss, Frau Merkel (und Frau Göring-Eckardt): Wir Deutschen werden uns dieser Herausforderung, dieser Flüchtlingswelle maximal stellen: Aber die Probleme die das mitbringt, taugen nicht dafür längst ad acta gelegte grüne Ideologien und linke Visionen von einem Ende des deutschen Wohlfahrtstaates, wie wir ihn heute kennen, zu befeuern. Wenn Sie Frau Merkel und Frau Göring-Eckardt, wenn Sie beide das so sehen, müssen wir Sie schweren Herzens ziehen lassen. Dann betrachten Sie ihre Ausreise jetzt als bewilligt!