„Dieser Löw, der kann was!“

Am Wochenende waren wir zu einem guten Freund eingeladen, am Bodensee, dort, wo die Welt noch in Ordnung ist. Ich kenne ihn seit fast 30 Jahren, und er ist ein knorriger, streitbarer Konservativer, der einen beeindruckenden Lebenslauf sein eigen nennt. Am Samstag Abend, beim Sommerfest in seinem Garten, hat er mich wieder einmal überrascht. Obwohl er sich für Fußball und Europameisterschaft – vorsichtig formuliert – nicht sonderlich interessiert, stimmte er ein Loblied auf Joachim Löw an, den Bundestrainer. Das sei ein Mann, der von seinem Fachgebiet wirklich etwas verstehe. Keiner, der nur „rumschwätzt“, sondern einer, bei dem jeder Satz einen Inhalt habe, der es wert sei, gehört zu werden.

Nun ist Jogi Löw ein Idol der Popkultur, die mein Freund – 75 Jahre alt und topfit – nicht sonderlich schätzt. Auch die Massenereignisse namens „Public Viewing“ (schon dieser Begriff erzeugt bei knorrigen Konservativen das Grauen – kann man das nicht wenigstens „Öffentliches Zugucken“ nennen?) werden ihm missfallen. Und die Freiburger „Mädles“ mit Bauchnabelpiercing, die im Bundestrainer wegen seiner taillierten blauen Pullis eine Mode-Ikone sehen, entsprechen wohl nicht dem Ideal-Bild, das sich mein Freund von jungen Frauen in Deutschland macht. Aber dieser Löw, „der kann was“. Womit bewiesen wäre, dass auch Konservative in der modernen Welt nicht nur meckern, sondern starke Leistungen durchaus anerkennen.




Schmeißt diesen schrecklichen Mann endlich aus der AfD-Fraktion!

Der AfD-Landtagsabgeoprdnete Wolfgang Gedeon sollte wegen Antisemitismus-Vorwürfen aus seiner Partei und Fraktion fliegen. Doch nun gab es nur eine Light-Lösung. Der Mann, der die ekelhaften und – historisch belegt – gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ über eine Weltverschwörung der Juden zur Erlangung der Weltherrschaft, mit den Worten sie seien zwar „moralisch die unterste Schublade“, aber „intellektuell hochwertig, ja genial“ kommentierte, lässt sein Mandat erst einmal ruhen. Ist ja nett von ihm. Seine AfD-Landtagsfraktion, die Bundespartei, sie hatten bisher nicht die Kraft, Gedeon rauszuschmeißen. Das ist schäbig. Ja, auch ein Juden-Hasser, hat in einem Rechtsstaat Anspruch auf Anhörung und ein faires Verfahren. Gerade. Aber im Fall Gedeon liegen alle Fakten auf dem Tisch. Die industrierelle Massenvernichtung von Juden in Hitler-Deutschland nannte er „gewisse Schandtaten“, Hetzer, die den Holocaust leugnen, sind für den AfD-Herren „Dissidenten“, also Menschen, die in autoritären Diktaturen für ihre Überzeugungen verfolgt werden. Autoritäre Diktaturen – so etwas wie unser Land, meint er wohl.

All das geht gar nicht. Dass diese solche gruselige Gestalt 71 Jahre „danach“ in einem deutschen Parlament auftreten darf, ist nicht zu akzeptieren. Klar, er ist gewählt, und wenn vor der Wahl bekannt gewesen wäre, wie Gedeon denkt, wäre er – davon bin ich überzeugt – jetzt nicht im Landtag von Baden-Württemberg. Da darf er nun sitzen und sich über üppige Diäten freuen, der Herr Gedeon. Dass muss das Parlament, das muss diese Gesellschaft aushalten. Aber das Mindeste ist, dass die AfD klare Kante zeigt. Natürlich, es gibt auch gedultete Antisemiten bei der Linken und wahrscheinlich in anderen Parteien. Aber eine Partei, die für Transparenz und für einen neuen Politikstil antritt, ja, die konservativ und damit mit dem latenten Vorwurf, rechtsextrem zu sein, leben muss, kann sich keinen Herrn Gedeon leisten.

Dieser Mann muss aus seiner Partei fliegen, lieber heute als morgen. Und er muss im Landtag größtmögliche Ächtung aller anderen Abgeordneten erfahren. Für solche Leute wie Wolfgang Gedeon ist kein Platz in einer freiheitlichen Demokratie.




Am Freitag kein Buffet für Herr van der Bellen

Die Bundespräsidentenwahl in Österreich vom 22. Mai muss wiederholt werden. Das ist die Nachricht des Tages. Viele Facebook-Freunde, die Herrn Hofer zugeneigt waren, haben mich schon Ende Mai angeschrieben und von Wahlbetrug besprochen. Obwohl es immer mal Unregelmäßigkeiten – auch in Deutschland – gegeben hat, konnte ich mir nicht vorstellen, was das Österreichische Verfassungsgericht zu Tage gefördert hat. In 94 von insgesamt 117 Wahlbezirken habe es „Unregelmäßigkeiten“ gegeben.

Der vermeintliche Gewinner der Wahl, der Grüne Alexander Van der Bellen, hätte kommenden Freitag vereidigt werden sollen. Daraus wird nun nichts. Staatdessen gibt es am 25. September eine neue Wahl.

Kein Wunder, dass Verschwörungstheoretiker in diesen Zeiten Hochkonjunktor haben. Ich persönlich sehe es eher positiv. Wenn Zweifel bestehen, wird überprüft. Und wenn Fehler oder gar Manipulationen festgestellt werden, wird gehandelt. Das nennt man Rechtsstaat.




Von einem transatlantische Festival der Stellvertreter

Obwohl der 240. amerikanische Unabhängigkeitstag erst in vier Tagen stattfindet, hatte der US-Generalkonsul für heute traditionsgemäß zum Independence Day ins Teehaus auf der Galopprennbahn in Düsseldorf-Grafenberg eingeladen. Ich gehe dort jedes Jahr gerne hin. Nette Leute, wunderbare Cheeseburger, eiskalte Coke und Weißwein aus – ich nehme an – Kalifornien. Es ist ein schönes Fest, die Reden sind kurz, die Nationalhymnen Deutschlands und der Vereinigten Staaten werden live gesungen, man trifft ein paar Bekannte, die man jedes Jahr dort trifft. Transatlantische Freundschaft eben. Oder doch nicht so ganz? Generalkonsul Michael R. Keller, der Gastgeber, war leider erkrankt. Das kann jedem passieren. Angela Freimuth von der FDP, seit Jahren eine meiner Lieblingsabgeordneten im Hohen Haus am Rhein, hielt ein Grußwort über das Edle unserer gemeinsamen Werte. Sie ist stellvertretende Fraktions- und Parteivorsitzende im Land, vertrat nach eigener Aussage die Landtagspräsidentin Carina Gödecke von der SPD, die etwas Anderes zu tun hatte. Keine Zeit hatte auch Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel von der SPD, zusammen mit 500 Bürgern seiner Stadt auf das Wohlergehen der deutsch-amerikanischen Beziehungen anzustoßen. Vielleicht einfach mal eine Viertelstunde vorbeischauen. Auch Geisel schickte … seinen Stellvertreter. Um es kurz zu machen: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hatte auch keine Zeit. Ihr Herausforderer im kommenden Jahr, Armin Laschet von der CDU, hatte keine Zeit. Christian Lindner von der FDP – nicht zu sehen. Die Grünen? Nun, Cheeseburger sind nicht vegan, da habe ich etwas Verständnis.

Verstehen Sie mich nicht falsch: All diesen Damen und Herren entscheiden selbst, ob sie einer Einladung folgen wollen oder nicht. Und die Bundesrepublik Deutschland ist nicht die DDR, wo keiner fehlen durfte, wenn der sowjetische Stadtkommandant zum Vodka bat. Wer wegbleibt, bleibt weg. Manch einer wird Gründe haben, Guantanamo Bay ist noch in Betrieb, der Irak-Krieg nicht vergessen. Aber verdient nicht die wichtigste Wirtschafts-, Technologie- und Militärmacht auf diesem Planeten auch in Düsseldorf ein wenig mehr Respekt von den hohen Damen und Herren des größten Bundeslandes? Unsere jahrzehntelange Schutzmacht, die maßgeblichen Beitrag dazu geleistet hat, dass die DDR und all ihre Annehmlichkeiten, die heute von denen gepriesen wird, die bis 1989 nicht schnell genug da raus kommen konnten, nicht bis zum Rhein reichte…

Vorhin kam mit der Gedanke, dass es mit den transatlantischen Beziehungen so ist wie mit uns und der Europäischen Union. Der Lack ist ab, es ist ein wenig wie bei einem alten Ehepaar. Man macht, was eben erwartet wird, aber die Leidenschaft ist weg. Zeit für eine Auffrischung…




St. Petersburg, Davos und Bilderberger verbindet nichts Geheimnisvolles

In St. Petersburg findet derzeit das Internationale Wirtschaftsforum statt. Jedes Jahr treffen sich über 7000 Führungspersonen aus Politik und Wirtschaft, führende Wissenschaftler und Medienvertreter aus der ganzen Welt unter der Schirmherrschaft des Präsidenten der russischen Föderation. Sie dikutieren über die wichtigen Fragen der Gegenwart: wie wird sich die globale Wirtschaft entwickeln? Wie kann das Verhältnis zwischen den Staaten West und Ost entspannt werden? Wie entwickelt sich diese Welt für alle gedeihlich? EU-Kommissionspräsident Juncker schaute heute vorbei, sozusagen als Friedenstaube, der unter bestimmten Bedingungen die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Aussicht gestellt hat.

Wenn geneigte Leser zufällig gerade in St. Petersburg sein sollten, mein Tipp: Schlendern Sie doch einfach mal dort in den Saal! Geht nicht? Klar, aus Sicherheitsgründen werden hochkarätige Treffen solcher Art vom gemeinen Publikum abgeschirmt. So wie bei den Bilderbergern. Das ist dieser total verschwörerische „Geheimbund“, von denen die Feinde der westlichen Lebensart so gern schreiben und sprechen. Im Jahr 1954 auf Einladung von Prinz Bernhard der Niederlande im „Hotel de Bilderberg“ in Oosterbeek gegründet, treffen sich alljährlich hochrangige Persönlichkeiten aus westlichen Staaten zum Meinungsaustausch. So ähnlich wie bei der alljährlichen Wirtschaftskonferenz in Davos oder jetzt im russischen St. Petersburg. Völlig normal, ja sogar wünschenswert, gerade in rauhen Zeiten. Gut, dass sich die Herren Putin und Juncker treffen und mal die Meinung geigen.

Verschwörungstheoretiker erfinden allerlei Geschichten um solche Konferenzen. Welcher Krieg geführt wird, wer zum Bundeskanzler gewählt wird, wie der Leitzins der US-Notenbank festgelegt wird – all das beschließt man nicht bei den Bilderbergern. Glauben Sie nicht? Im Jahr 2012 fand die Bilderberger-Konferenz in – höchst verdächtig! – USA statt, genau in Chantilly. Und mal ehrlich: welcher düstere Geheimbund, der Böses im Schilde führt, würde dazu ausgerechnet einen deutschen Grünen einladen?




Ein Urteil für die Ehe, das manche Medien wohl gar nicht gut finden

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat vergangene Woche entschieden, dass Staaten grundsätzlich das Recht haben, die juristische Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare zu verweigern. Woher ich das weiß? Aus dem Nachrichtendienst von Radio Vatikan, den nur Feinschmecker wie ich lesen. Die Richter urteilten, dass es nicht diskriminierend sei, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare einzuschränken. Das Thema sei zentral für nationale Identitäten und Traditionen. Es genüge, wenn ein Staat homosexuellen Paaren hinreichende rechtliche Alternativen anbiete, etwa die „eingetragene Partnerschaft“. Dies ist in Deutschland, Italien und einigen osteuropäischen Ländern der Fall. Komisch, irgendwie habe ich das in den großen Medien Deutschlands nicht entdeckt. Wie es wohl gewesen wäre, wenn die Richter in Straßburg entgegengesetzt geurteilt hätten?




Die große Frage, was man überhaupt noch glauben kann

In Zeiten des Internets ist es nicht mehr leicht, zu unterscheiden, was wahr und was nicht wahr ist. Rund um den Erdball arbeiten Tausende aus unterschiedlichen politischen und militärischen Lagern daran, die Deutungshoheit für die eigenen Ideale (im besten Fall) oder für ihre Lügen (im schlechtesten Fall) zu gewinnen. Die Sozialen Netzwerke, einst als Werkzeug gepriesen, der globalen Meinungsfreiheit und damit dem Urgedanken der Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen, erweisen sich nun als das genaue Gegenteil.

Ich gebe zu, dass ich gern auf Facebook unterwegs bin. Viele Freunde in meinem Netzwerk tragen zu vielen anregenden Debatten und Gedanken bei. Und eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen dort sind inzwischen auch im realen Leben Bekannte und sogar Freunde geworden. Aber sehen wir es nüchtern: die fast unbegrenzten Möglichkeiten des weltumspannenden Netzes ist auch ein Werkzeug für Demagogen und Manipulierer aus allen denkbaren Seiten. Eine der launigsten Geschichten spielte sich vor einem guten Jahr ab. Facebook-Freunde teilten mir mit, US-Präsident Barack Obama habe an einem bestimmten Tag auf einem bestimmten großen und bekannten US-Militärstützpunkt in Deutschland eine Rede gehalten und „zugegeben“, dass Deutschland immer noch ein besetztes Land sei und das auch bleiben werde. Normalerweise wende ich mich bei solchem Irrsinn immer direkt ab. Nicht, dass ich grundsätzlich etwas gegen Verschwörungstheorien hätte, aber ein bisschen gehaltvoller sollten sie schon sein. Was mich aber bei diesem Thema faszinierte, war, dass es nicht versiegte. Nicht nur im Netz, sondern auch bei öffentlichen Veranstaltungen und sogar im privaten Freundeskreis fanden sich immer in geselliger Runde Leute, die mir zuraunten: „Wir sind ja gar kein souveränes Land.“ Deutschland, so die Geschichte, sei so eine Art Protektorat der Vereinigten Staaten. Eine Deutschland GmbH. Und: „Wissen Sie eigentlich, dass wir noch immer keinen Friedensverttrag mit den Siegermächten haben?“ Ja, wissen wir. Und ich habe 71 Jahre nach Kriegsende auch nicht den Eindruck, dass wir unbedingt einen bräuchten.

Es gibt ganz andere Probleme heutzutage. Und es gibt zweifellos Einflüsse, die unsere nationale Souveränität beeinflussen. Vielleicht haben Sie – im Internet – den Schnippsel gesehen, wo Finanzminister Schäuble sagt: „Das können wir nicht allein entscheiden….“ Bumm! Endlich der Beweis! Erst hat Obama was zugegeben. Und nun auch noch Schäuble. Aber was? Dass wir zwischen vielen souveränen Staaten viele Verträge geschlossen haben? Nicht immer nur gute zweifello. Aber was ist daran der Skandal, das Aufregende? Ich bin der Geschichte von Obamas Rede damals nachgegangen. Er war am 5. Juni 2009 zwar auf der Basis in Ramstein, aber er hat dort keine Ansprache gehalten. Es gibt keine Medienberichte darüber, und wer glaubt, dass ja alle Zeitungen und Sender von Washington, wahlweise der CIA oder Goldman Sachs gesteuert werden – es gibt auch keine Aufnahmen mit Smartphones der zahlreich anwesenden Soldaten, die der angeblichen Rede zuhörten. Es gibt übrigens auch keinen einzigen Menschen, der dort war und behauptet hat, der US-Präsident habe irgendetwas in dieser Art von sich gegeben. Diese Geschichte ist frei erfunden. Und doch wurde sie überall geglaubt und weiterverbreitet. Weil man es glauben wollte, weil man den Nervenkitzel genießt, die geheimen Strippenzieher endlich mal so richtig zu entlarven. Und weil man seine Vorurteile gern pflegt. Und es waren nicht nur Trolle und Deppen, sondern eine Menge kluger Leute, die auf diesen – neudeutsch – „Hoax“ reinfielen.

In jüngster Zeit schicken mir verstärkt Freunde auf Facebook den Link zu einem Film des US-„Think Tanks“ namens Stratfor zu. Deren Leiter, George Friedman, behaupte dort – so meine Freunde – dass das Hauptziel der amerikanischen Außenpolitik sei, ein Bündnis zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Weil man nämlich Angst hätte, dass dies dann global mächtiger sei als Amerika. Ich freue mich schon darauf. Ich werde es anschauen und Ihnen meine Eindrücke berichten. Versprochen! Das Video wird übrigens von einem Absender „Deutschland-Russland“ im Internet verbreitet. Der bietet auch andere Beiträge an: „Der Plan der USA zur globalen Weltherrschaft“ und „Wladimir Putins Liebeserklärung an Deutschland“….




So, und jetzt: Anpfiff!

Endlich hat mal wieder ein Interview in einer deutschen Qualitätszeitung für Furore gesorgt. Die beiden Redakteure Eckart Lohse und Markus Wehner führten es vergangenen Mittwoch in Potsdam mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Alternative für Deutschland (kurz: AfD), wobei wir hier – anders als in anderen Medien – den Zusatz „rechtspopulistischen“ heute mal weglassen, weil wir ja bei Frau Wagenknecht von der Linken auch nicht penetrant „linkspopulistischen“ hinzufügen.

Die beiden genannten Journalisten stehen in Lohn und Brot beim Verlag Frankfurter Allgemeine Zeitung, der damit wirbt, dass hinter seiner Tageszeitung immer ein kluger Kopf stehe oder sitze. Wie man außerdem im Umfeld von Herrn Gauland hörte, soll es sich bei dem Gespräch in Potsdam eigentlich um ein „Hintergrundgespräch“ gehandelt haben, das so genannt wird, weil man sich zwar offen die Meinung sagt, aber nicht anschließend darüber berichtet. Nun, sei’s drum. Was als „Gauland beleidigt Boateng“ durch Veröffentlichungen landauf, landab durch die Gazetten waberte, wurde aus einem einzigen Satz destilliert, den Gauland gesagt haben soll: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Peng! Das saß. Aber hatte der Politiker das wirklich gesagt? Nach eigener Stellungnahme nicht, denn – so Gauland – er habe gar keine Ahnung von Fußball. Auch die FAZ-Redakteure räumten später ein, dass sie selbst es wohl gewesen sind, die den Namen Boateng ins Spiel brachten. Und „Aufzeichnungen“ habe es auch gegeben, versicherte die FAZ, was den Eindruck hinterließ, es habe sich um Aufzeichnungen mit einem Bandgerät gehandelt. Erst später stellte sich heraus, dass die Aufzeichnungen mit einem Kugelschreiber angefertigt wurden. Der ganze Vorgang dokumentiert eindrucksvoll, warum so viele Menschen in Deutschland den Medien nicht mehr vertrauen, warum „Lügenpresse“-Sprechchöre bei Demonstrationen „besorgter Bürger“ in Deutschlands Straßen inzwischen zum Alltag gehören.

In gut einer Woche beginnt übrigens die Fußball-Europameisterschaft mit dem Spiel zwischen Frankreich und Rumänien in Paris. Die Sicherheitslage dort wäre wahrlich ein Thema, das mehr Beachtung finden sollte, als die Posse um Gauland und den Nationalspieler Jerome Boateng. Der ist als Ziel rassistischer Attacken nämlich wirklich völlig ungeeignet. Deutscher Staatsbürger mit deutscher Mutter, in Deutschland aufgewachsen, keine Integration nötig, und Christ ist er auch noch. Warum also um alles in der Welt sollte man nicht neben ihm wohnen wollen? Und warum sollte ein Politiker so dämlich sein, kurz vor dem großen Turnier einen unserer deutschen Spieler zu beleidigen? Gestern traf ich unsere Nachbarin. Sie hatte einen Cowboy-Hut in Schwarz-Rot-Gold auf dem Kopf und diverse Fußball-Devotionalien in der Einkaufs-Tüte. Millionen Deutsche freuen sich, dass der Ball endlich wieder rollt. Wer will da diesen Schwachsinn hören?

Der frühere deutsche Nationalspieler Gerald Asamoah setzte am Wochenende den überaus launigen Schlusspunkt in der Debatte um Gauland und Boateng. Der dunkelhäutige Fußballer (darf man das eigentlich sagen?) zwitscherte im Internet: „War gestern irgendwas mit Jerome Boateng & Gauland? Hab nix mitbekommen, war den ganzen Tag bei meinem Nachbarn.“ So, und jetzt: Anpfiff!

Zuerst erschienen als „Tagespost-ing“ in der Tagespost vom 2. Juni 2016 (www.die-tagespost.de)




Was ist bloß mit unserem Land los?

In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 130 Kinder getötet – die meisten von Verwandten. 80 Prozent der Opfer waren jünger als sechs Jahre. Es gab auch noch weitere 52 Tötungsversuche.

Die Zahl der fahrlässigen Kindstötungen stieg bundesweit um 51 Prozent, in Sachsen und Rheinland-Pfalz sogar um 300, in Hessen um 500 Prozent. Körperlich misshandelt wurden knapp 4.000, sexuelle Gewalt erlebten 13.929 Kinder. Das sind wohlgemerkt nur die Fälle, die bekannt geworden sind. Außerdem wurden 6.560 Fälle von Kinderpornografie festgestellt und von der Justiz verfolgt.

Quelle: Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (BKA)




GASTSPIEL: Felix Honekamp über Boateng, Gauland und die Journalisten an sich…

Eigentlich (!) hasse ich ja auch solche Formulierungen wie „Eigentlich … aber …“: Eigentlich bin ich ja kein Rassist, aber … Eigentlich schaue ich kein Big Brother, aber … Im Falle der AfD bleibt einem aber oft gar nichts anderes übrig. Denn eigentlich bin ich kein Anhänger dieser Partei, habe sie noch nie gewählt und kann mir bei derzeitigem Personal und deren Unbeholfenheit auch nicht vorstellen, das absehbar zu tun. Der wirtschaftsliberale Flügel findet offenbar nicht mehr statt, was auch daran liegen mag, dass die Themenfokussierung im Moment eine andere ist. Aber eine reine Anti-Euro-und-Migrations-und-Islamkritik-Partei würde ich selbst dann nicht wählen, wenn ich deren Einschätzungen dazu teilte. Nun gut, die AfD hat ein Parteiprogramm und in den kommenden Monaten wird sich zeigen, wie das genau zu verstehen ist und ob sich die unterschiedlichen Flügel daran zu halten gedenken. Dann kann man überlegen, ob es einem gefällt und wenn ja, die Partei in Erwägung ziehen. Bislang allerdings befindet sich die Partei eher auf dem Weg zu einer weiteren staatstragenden Organisation, die staatliche Einflussnahme mit anderen Zielsetzungen einsetzen will als die meisten anderen. Eine Alternative ist das für einen Liberalen nicht!

Eigentlich bin ich also kein besonderer Freund der AfD, aber … ich frage mich in den vergangenen Tagen, was eigentlich Funktionäre anderer Organisationen oder auch Medien umtreibt, diese Partei derart thematisch zu hypen. Keine offiziellen AfD-Vertreter beim Katholikentag, verbunden mit der wachsweichen Formulierung, Mitglieder und Anhänger könnten aber selbstverständlich kommen – „Ja, danke“, werden die sich gesagt haben, „wenn Ihr meine Positionen gar nicht hören wollt, warum soll ich dann kommen?“ Und jetzt die Aufregung um ein Interview Alexander Gaulands mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). Hat er nun, oder hat er nicht gesagt, dass er Fußballnationalspieler Jérôme Boateng nicht als Nachbar haben will? Nein, hat er nicht, hat eigentlich auch niemand behauptet, aber so werden die Sätze „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ gerne verstanden. Gauland beleidigt Boateng … muss man bei dieser Formulierung erst mal drauf kommen. Dabei dementiert Herr Gauland bereits, das überhaupt so gesagt zu haben – die FAS-Redakteure beharren aber darauf, sich daran ganz genau zu erinnern – wobei sie offenbar nicht mal in der Lage sind, sich noch zu erinnern, ob sie den FAS-Artikel nun aufgrund eines Tonbandes oder schriftlicher Aufzeichnungen verfasst haben. Fragen?

Was er, Gauland, nach eigener Aussage habe ausdrücken wollen war, dass es eben eine Menge Leute gäbe, die durchaus Fan eines Jerome Boateng seien, aber nicht in der Nachbarschaft von Menschen mit Migrationshintergrund leben wollten. Herr Boateng sei ein Beispiel gelungener Integration … und Peng, schießt es wieder aus allen Rohren: Boateng ist schließlich in Deutschland geboren, hat eine deutsche Mutter und einen ghanaischen Vater, ist bekennender Christ – wieso solle der sich denn integrieren? Das sei erneut ein Ausweis des Rassismus eines Herrn Gauland. So kann man wohl einen Zustand beobachten, in dem der Betreffende nichts mehr richtig machen kann: Darf man nicht sagen, dass ein Deutscher mit ausländischen Wurzeln – in dem Fall des Vaters – einen Migrationshintergrund hat? Und kann es nicht sein, dass es für Boatengs Eltern nicht ganz einfach gewesen sein wird, ihren Sohn in Deutschland aufwachsen zu lassen? Eben weil es Nachbarschaften gibt, die eine Familie mit einem dunkelhäutigen Vater nicht in ihrer Nähe haben wollen? Und ist das dann nicht eine gelungene Integration, wenn jemand aus diesen Verhältnissen aufsteigt?

Ob Herr Gauland ein Rassist ist oder nicht … keine Ahnung, an seinen Aussagen im und nach dem FAS-Interview wird man das jedenfalls nicht festmachen können. Allerdings gibt es auch eine Kehrseite der Medaille: Nämlich die Solidaritätsbekundungen an Herrn Gauland zu einem Zeitpunkt, zu dem man noch annehmen konnte, er habe tatsächlich gemeint, er wolle ihn nicht in seiner Nachbarschaft wohnen haben. Sicher, die entsprechenden „Kritiker“ Boatengs werden so schnell nicht in die Verdrückung kommen, mit ihm in Nachbarschaft leben zu „müssen“, dafür ist er zu erfolgreich und seine Wohngegen zu exquisit. Wer nun aber tatsächlich meint, eine Nachbarschaft mit einem Fußballer mit Migrationshintergrund sei ihm nicht zuzumuten, der enttarnt sich als Rassist. Die AfD darf sich also bei vielen ihrer Anhänger bedanken, dass sie über das mediale Stöckchen gesprungen sind, und sich auf die Seite eines vermeintlichen (!) Rassisten gestellt haben. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass das sogar die Absicht des FAS-Beitrags war: Einen Shitstorm auslösen und beobachten, wer sich mit dem Betreffenden aus welchen Gründen solidarisiert. Und voilà: Da sieht man mal wieder, was die AfD – wenn nicht die Funktionäre dann aber doch deren Wähler – für Nazis sind!

Mit Journalismus hätte das aber ebenso wenig zu tun wie die Reaktionen der Möchtergern-Gauland-Verteidiger mit einem wenigstens rationalen, geschweige denn christlichen Menschenbild. Mit Politik hat es auch nichts zu tun, wenn man einen Shitstorm einfach für die eigenen Zwecke nutzt und so tut, als würde es einen intellektuell überfordern, gesellschaftliche Mutmaßungen und rassistische Beleidigungen auseinanderzuhalten. AfD-Wähler – vor allem die, die mit Rassismus nichts am Hut haben – werden in diesen Tagen sehr fein beobachten, wie sich die Medien-und-Polit-Maschinerie auf diese Partei und ihren Vize einschießt. Dabei dürfen wir sicher sein, dass etwas hängen bleiben wird, dafür werden die Protagonisten schon sorgen: Jetzt ist es dann eben nicht mehr nur die Partei des Schießbefehls auf Flüchtlinge sondern auch die Partei, deren Verantwortliche nicht in der gleichen Nachbarschaft mit Jérôme Boateng oder ganz generell mit Menschen mit Migrationshintergrund leben wollen. Hat zwar beides so keiner gesagt – aber hey, es trifft doch die Richtigen!

Eigentlich, ja, eigentlich bin ich kein Wähler oder Sympathisant der AfD. Aber wer meint, eine Partei auf diese Weise demontieren zu können, sollte sich nicht wundern, wenn sie am Ende größer wird, als man sich das bis dahin vorstellen konnte. Die Erfahrungen aus den jüngsten Landtagswahlen und der Bundespräsidentenwahl in Österreich sollten den Medien und den etablierten Parteien ausreichend Lehren liefern – scheint aber noch nicht angekommen zu sein. Die FAS hat dem Kampf gegen den Begriff der „Lügenpresse“ mit der Aktion jedenfalls einen Bärendienst erwiesen – und der Rest macht mit, weil es so einfach ist!

Achso, und ich warte weiter auf eine echte Wahlalternative!

Dieser Beitrag von Felix Hinekamp erschien zuerst auf dem Papsttreuen Blog unter http://papsttreuerblog.de/2016/05/30/gauland-und-boateng-auf-gute-nachbarschaft/