Von der totalen Ohnmacht am Hudson River

Wäre das nicht schön? Eine Weltorganisation, die Willen und genug Kraft hat, Frieden und Menschenrechte global durchzusetzen? Unterstützt von den großen, reichen und militärisch starken Nationen? Alle Menschen werden Brüder, sozusagen? Die Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) heute hat eindrucksvoll dokumentiert, wie weit entfernt die Menschheit von diesem Zustand der Vernunft wirklich ist. Lippenbekenntnisse von allen Seiten, nichts Konkretes. Obama und Putin unversöhnlich, ein gemeinsames Vorgehen zur Bekämpfung des IS, ja zur Befriedung des Nahen Ostens insgesamt, ist nirgendwo in Aussicht. Es ist ernüchternd zu sehen, dass es das große gemeinsame Ziel der Weltgemeinschaft nicht gibt. Der IS wird weiter köpfen, Assad wird weiter Fassbomben auf Zivilisten abwerfen lassen, und Millionen Menschen werden sich weiter zu Fuß auf die große Reise nach Europa machen. Es ist zum Weinen.




Peinlich, Herr Kardinal

Die Aussage von Kardinal Marx „Verbloggung führt manchmal zur Verblödung“ erinnert mich an einen Bekannten, der bis heute kein Faxgerät angeschafft hat, weil er „nicht jede Mode mitmachen will“.




Die Politik und die einfache Logik

Heute Morgen hatte ich das Vergnügen, mit Julie Lenarz vom „Human Security Centre“ in London zu frühstücken. Die junge Frau ist in Großbritannien eine der Top-Experten für den Nahen Osten und den islamistischen Terror und berät dort Politiker ebenso wie z. B. den Menschenrechtsausschuss der EU. „Angela Merkel betreibt ein Entvölkerungsprogramm für Syrien“, sagte sie. Statt zu überlegen, wie immer mehr Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen werden könnten, sollte sich Frau Merkel lieber damit beschäftigen, was wir tun müssen, damit der Bürgerkrieg in Syrien beendet wird, und sich Flüchtlinge überhaupt nicht mehr auf den Weg nach Deutschland machen. Eine eigentlich ganz einfache Wahrheit, nur eben mal deutlich auf den Punkt gebracht.




Mit Verlaub, ich formuliere wie ich will

Rainald Becker hat’s getan, und peng! sofort springt die Empörungsmaschine an. In einem Kommentar in den ARD-„Tagesthemen“ benutzte er den Terminus „Grüne und linke Gutmenschen“. Und die sind nun alle ganz empört über das „wording“. „Gutmensch“, das ist fast so schlimm wie „gesunder Menschenverstand“ oder – jetzt Ohren zuhalten – „Autobahn“. Die geht gar nicht, wie wir durch Johannes B. Kerners längst vom Winde verwehte Show einst erfahren haben. Ich persönlich finde ja, in einer freien Gesellschaft sollte jeder Mensch selbst entscheiden können, wie er formuliert – Journalisten sowieso. Das eigentlich Erstaunliche ist aber, dass sich unter den besonders Empörten in diesem Fall viele Menschen befinden, die nichts dagegen haben, eine staatliche Förderung für Familien mit Kindern als „Herdprämie“ oder „Verdummungsprämie“ zu bezeichnen, und die sich lachend auf die Schenkel klopfen, wenn engagierte Mütter als „Heimchen am Herd“ beleidigt werden. Denn merke: Gleich heißt im modernen Deutschland noch lange nicht gleich! Die PC-Wächter wollen entscheiden, wie man zu formulieren hat. Tun wir ihnen diesen Gefallen nicht!




Im Zug von Krefeld nach Kleve

Die Stimmung in der Regionalbahn von Krefeld nach Kleve war schlecht, Tendenz sinkend. Ich hatte den letzten Klappsitz ganz links für mich sichern können, vor mir drei junge Frauen mit Kopftuch, in der Reihe neben mir – so weit man das optisch einsortieren kann – ausnahmslos junge Männer mit, wie das heute so schön heißt, Migrationshintergrund. Einer von ihnen sehr laut. Er redete unablässig in sein Smartphone, in seiner Sprache und unfassbar laut. Niemand sagte etwas, alle schauten unbewegt geradeaus, man will ja in diesen Zeiten nicht unangenehm auffallen.

Nach zehn Minuten wurde es einem älteren Ehepaar – beide sicher 70 – auf der gegenüberliegenden Seite zu bunt. „Können Sie mal etwas leiser sein? Hier wollen auch Leute ihre Ruhe haben….“ Der Angesprochene unterbrach sein Telefonat und blaffte die Frau an: „Warum denn? Was hast Du?“ „Sie sind zu laut, sie stören andere Leute.“ „Warum sagst Du das, was willst Du von mir?“ Andere riefen jetzt auch dazwischen. Manche in einer Sprache, die ich nicht verstand, andere auf Deutsch. Aus einer der Reihen wehte ein Satzfetzen zu mir herüber: „…man mal sehen, was das für Typen sind, die wir uns hier ins Land holen.“ Wie gesagt, die Stimmung war wirklich unangenehm und sehr angespannt in diesem randvollen Wagen der Nordwestbahn.

Schließlich stand der neben mir sitzende Mann auf, zeigte auf den Telefonierer und sprach ihn mit ziemlich düsterem Blick unmissverständlich an. „Du, sprich jetzt leiser. Die Leute wollen ihre Ruhe haben und Du benimmst Dich jetzt!“ Wenn ein stämmiger gut 1,90-Meter-Mann so etwas nachdrücklich sagt, verfehlt das seine Wirkung in der Regel nicht, und es wurde tatsächlich augenblicklich deutlich ruhiger. Mein Nachbar setzte sich wieder, schaute mich an und sagte: „Die Deutschen sind schlimm.“ Ich fragte: „Warum?“ Und er sagte: „Ich habe schon in vielen Ländern gelebt, aber hier ist es am schlimmsten.“ Ja, aber was ist denn so schlimm, muss doch keiner nach Deutschland kommen? Er sagte: „Wenn sich in anderen Ländern in einem Zug jemand daneben benimmt, stehen die anderen auf und werfen ihn an der nächsten Station raus, zur Not auch aus dem Fenster.“ Ein interessanter Gedanke, dachte ich, sagte aber: „Nun, so etwas ist in Deutschland eigentlich nicht üblich.“ Und ich versuchte zu erklären: „Es kommen derzeit viele Menschen, und es ist schwierig mit unterschiedlicher Religion und fremden Kulturen….“ „Das hat nichts mit Kultur oder Religion zu tun, sondern mit Gesetzen“, erwiderte er, zeigte auf den Smartphone-Mann und erklärte mir: „Wenn der wüsste, dass er sich benehmen muss und sonst kein Geld mehr bekommt, dann würde er sich benehmen. Aber es sagt ihm niemand.“ Auf der weiteren Fahrt erfuhr ich noch, dass mein Sitznachbar aus dem Iran stammt, seit zehn Jahren in Deutschland lebt und übrigens auch für seinen Lebensunterhalt arbeitet. Als wir schließlich austiegen, verabschiedeten wir uns mit Handschlag voneinander.




Wo sind all die Hilfsbereiten eigentlich bisher gewesen?

Es ist rund 30 Jahre her, seit ich in Bremen gelebt habe. An einem Sonnentag war ich in der Sögestraße unterwegs, einer schönen, Großstadt-typischen Einkaufsstraße mit Geschäft an Geschäft. Und als ich da langflanierte, sah ich einen Mann, wohl einen Obdachlosen, vollgekotzt in einem Blumenbeet liegen. Er bewegte sich, lebte also offenbar, hatte sich aber nicht unter Kontrolle. Nur wenige Meter entfernt waren in einem Straßencafé alle Tische besetzt, es gab Eisbecher mit Sonnenschirmchen, Torte und – draußen gibt’s nur Kännchen – Kaffee. Zahlreiche Bummler und Einkaufswillige gingen vorbei – so wie ich auch. Niemand kümmerte sich, eine tragische Existenz vom Bodensatz unserer wohlhabenden Gesellschaft, lag hilflos in seinem Erbrochenen. Ich habe dieses kurze Erlebnis bis heute nicht vergessen, und im Grunde schäme ich mich noch immer dafür, dass ich damals nichts unternommen habe.

Vielleicht hat der ein oder andere beim Vorbeigehen gedacht „Schrecklich, da müsste der Staat doch etwas tun.“ Gar nicht so einfach. Klar, einer hilflosen Person muss man helfen, aber was wenn er morgen wieder da liegt, aus eigener Entscheidung besoffen bis zum Abwinken. Und Obdachlose oder Drogensüchtige einfach einsammeln, gar kasernieren, gegen ihren Willen wieder zurück in die bürgerliche Gesellschaft führen – das darf der Staat in einer freien Gesellschaft gar nicht. Und dann noch das Geld-Argument: Wer sollte denn so ein rabiates Hilfsprogramm finanzieren bei den klammen Kassen unserer Öffentlichen Haushalte?

Und sehen Sie, DAS ist der Grund, warum ich heute überhaupt mit dieser alten Geschichte zu Ihnen, meinen Lesern, komme. Hunderttausende Flüchtlinge strömen derzeit in dieses Land. Und es funktioniert auf einmal alles. Es gibt Unterkünfte, es werden Milliarden Hilfsgelder zur Verfügung gestellt, Kirchengemeinden und ganz normale Bürger nehmen wildfemde Leute in einer Notlage bei sich auf. Und unwillkürlich stellt sich mir die Frage: Warum hat diese Gesellschaft, warum haben Staat und Kirche früher nicht mit gleicher Hilfsbereitschaft auf unsere Landsleute in Not reagiert? Warum hat man Menschen, denen vielleicht nach einer Scheidung oder Pleite das Leben völlig entglitten ist, nicht ebenso geholfen? Wenn ich jetzt die Bilder von jubelnden Menschen mit „refugeeswelcome“-Schildern sehe, frage ich mich unwillkürlich: Wo wart ihr eigentlich bisher?




Beifall klatschend in die Isolation

Der schwedische Ministerpräsident hat vor zwei Tagen ein medientaugliches Bild formuliert. Bei einer Pressekonferenz an der Seite der Bundeskanzlerin erklärte er, was derzeit in Europa mit dem Zustrom an Flüchtlingen passiert. Man müsse sich das so vorstellen, dass da in einem Raum 500 Leute seien, und nun käme halt einer dazu. Seine Betrachtung lässt mich am hochgelobten skandinavischen Bildungssystem zweifeln. Er hätte recht, wenn da eine Million Flüchtlinge in eine Region mit 500 Millionen Einwohnern kommen. Aber so ist es nicht, denn die Mehrheit der Bewohner dieses imaginären Raumes macht die Schotten dicht. Während ich diese Zeilen schreibe, hat unser Nachbarland Dänemark den Zugverkehr mit Deutschland unterbrochen. Man will nicht, dass Flüchtlinge ins Land kommen, auch wenn sie weiter nach Schweden wollen, wo dieser Rechenkünstler regiert. Rund 300 Flüchtlinge, die illegal bereits nach Dänemark gelangt sind, gehen in diesem Augenblick zu Fuß, eskortiert von der Polizei, auf einer dänischen Autobahn in Richtung Norden auf Schweden zu. Frankreich nimmt nochmal 1.000 (!) Flüchtlinge auf, verspricht Herr Hollande, weil man den deutschen Nachbarn nicht im Stich lassen wolle. 1.000! Zynismus pur, nenne ich das. Polen macht komplett zu, so wie die anderen Osteuropäer auch.

Und so sind wir – gemeinsam mit Österreich und Schweden – in einem Raum mit nur 100 Leuten, und es kommt einer hinzu. Aber der, der da hinzu kommt, ist jung, er ist männlich, und er ist Muslim. Und bei den Leuten in diesem Raum sind aber viele alt, übergewichtig und glauben an nix, außer Urlaub auf Malle und Die Geissens auf RTL II. Und so sind in dem Raum vielleicht nur 30 vergleichbare Leute, zu denen nun einer hinzu kommt. Auch das könnte vielleicht noch alles klappen, wenn in diesem Raum alles in Ordnung wäre. Aber wer Duisburg-Marxloh, den Dortmunder Norden oder Berlin-Friedrichshain kennt, weiß das das nicht so ist.

Und so schleicht sich nach und nach ein Gedanke ins Bewusstsein, den man nicht wieder los wird. Deutschland hilft im Moment großzügig, Deutschland klatscht Beifall und zeigt sich von seiner Sonnenseite. Aber allein wird und diese Entwicklung mittel- bis langfristig überfordern. Nicht finanziell, aber kulturell und gesellschaftlich. Und dann?




Der Minister und seine Sorge um die Kinder

Der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel von den Grünen war jetzt zu Gast in der ARD-Sendung „Beckmann“. Es ging um die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland. Beckmann fragte den Minister, ob es nicht gefährlich sei, „wenn Wölfe etwa in der Nähe eines Waldkindergartens“ auftauchen. Die Antwort des mitfühlenden Grünen: Im Straßenverkehr kämen jedes Jahr 3.000 Menschen zu Tode. Die Opfer von Wölfen könne man dagegen „an zwei Händen“ abzählen.

Ja, dann…




Nun seht ihr mal, wie es vor dem Ersticken im LKW so ist

Eine mehr als fragwürdige Aktion fand am Mittwoch in Bochum statt. Das Schauspielhaus und ein Speditionsunternehmer baten auf dem Hans-Schalla-Platz zu einem überaus grenzwertigen „Happening“. In eine LKW derselben Art, wie dem, in dem man jüngst in Österreich 71 tote Flüchtlinge entdeckte, stellten sich nun gestern 71 Menschen aus Bochum, um mal zu erleben, wie beengend es in so einem Transporter ist. Hunderte standen drumherum und schauten zu, Journalisten inklusive.

Er möchte „diesem Moment Raum geben“, sagte Chefdramaturg Olaf Kröck, und alle gruselten sich wie gewünscht, manche sollen geweint haben. es passiert viel in diesen Tagen, um Solidarität mit den Flüchtlingen zu zeigen, die es aus dem Nahen Osten bis nach Deutschland geschafft haben. Und uns alle verbindet wohl die Abscheu gegenüber den Schlepperbanden, die gewaltige Vermögen mit dem Leid anderer Menschen anhäufen, und denen Menschenleben vollkommen egal sind. Doch eine solche Aktion wie jetzt in Bochum ist in meinen Augen obszön und ekelhaft. Im Wohlstandsland Deutschland stellen sich Wohlstandsbürger in einen LKW – Tür auf – , um mal ein paar Augenblicke nachzuempfinden, wie das wohl sein muss, kurz bevor man elendig erstickt. Es ist einfach nur krank.




Wenn der IS doch bloß ein paar Bücher bekommen würde….

In den sozialen Netzwerken des Internets werden täglich viele Bilder mit mehr oder weniger intelligenten Sinnsprüchen verbreitet. Oft sind kreative und witzige Ideen dabei, oft handelt es sich aber auch um billige Hetze und dümmliche Scherzchen. Und manchmal ist etwas für Romantiker dabei. Gestern fand ich ein Zitat von Malala Yousafzai, einer weltbekannten pakistanischen Kinderrechtlerin, die vergangenes Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Zweifellos eine bessere Wahl als es US-Präsident Obama und einige andere vorher waren.

„Wenn Ihr den Krieg beenden wollt“, so steht da auf diesem Bild im Internet, das helle Kieselsteinchen und bunten Blütenblättern zeigt, „sendet Bücher statt Waffen. Sendet Stifte statt Panzer. Sendet Lehrer statt Soldaten.“ Ist das nicht schön? Ich bin zu Tränen gerührt, allerdings nicht über die Botschaft, sondern über die grenzenlose Naivität, die sie ausdrücken und die von zahlreichen Fans begeistert gefeiert wird. Da werden „die Regierungen“ angeprangert, die den Krieg wollen – allen voran natürlich die USA. Da wird über Weltherrschaft fabuliert, über die Milliardenumsätze der Rüstungsindustrie und, und, und…. das Übliche halt. Nicht einer wirft die Frage auf, was Boko Haram in Nigeria wohl mit einer Schiffsladung Bücher tun würde. Oder wie es um die Köpfe von Lehrern im Islamischen Staat (IS) bestellt wäre, die zum Beispiel Mädchen unterrichten wollen würden. Mir ist auch nicht bekannt, dass die Kurden den Westen um Buntstifte zur Verteidigung gegen die mordenden Banden gebeten hätte.

Man soll ja nicht lästern, und ich gebe zu, dass ich Menschen wirklich mag, die sich eine bessere Welt wünschen. Insofern ist es durchaus schön, was Frau Yousafzai da gesagt hat. Aber es ist weltfremd, es ignoriert die grausame Realität dort draußen, und es trägt dazu bei, dass all die Träumer in unseren Wohlstandsgesellschaften denken, so funktioniere die Welt. So lange nicht ein paar Lehrer mit Büchern und Stiften in den Nahen Osten reisen und den IS dazu bewegen, das Morden, Kreuzigen und Enthaupten zu beenden, werde ich den oben geäußerten Gedanken weiterhin Schwachsinn nennen, auch wenn viele jetzt weinen und Räucherstäbchen entzünden werden.