Lasst den Leuten doch ein kleines bisschen Freiheit!

Zum 20. Jahrestag der demokratisch legitimierten Machtübernahme Putins in Russland, wollen wir nicht versäumen, von hier aus einen Glückwunsch an den Kreml-Chef zu senden. Die Bundesregierung gratuliert auch jedem, außer unserem wichtigsten Verbündeten, versteht sich.

Viele Tausend Russen (und Russinen) haben gestern in Moskau demonstriert – nicht gegen etwas, sondern für etwas. Für freie Wahlen, in vielen Ländern der Welt etwas Selbstverständliches. Kandidaten und Programme konkurrieren darum, was das Beste für  ihre Bürger ist. Und die entscheiden dann in einer freien, gleichen und geheimen Wahl.

Das gibt es auch in Putins Russland, nur dass es da noch eine kleine Vorbehaltsklausel gibt. Kandidaten, die der herrschenden Klasse offen widersprechen, werden einfach nicht zugelassen. Und alle, die der Herrschenden Klasse zu Diensten sind oder sein wollen, verbunden mit Privilegien, ordentlichem Gehalt und Dienstwagen, dürfen kandidieren. Ganz frei. Nun, es gibt wirklich auch Schlimmeres. Putin hat auch schon Leute, die seiner Macht gefährlich werden könnten, für zehn Jahre ins Straflager sperren lassen. So wie Michail Chodorkowski. Immerhin wurde dessem Gnadengesuch 2013 entsprochen, und heute lebt er in London. Da ist aber bekanntermaßen Polonium verbreitet…. Also vorsichtig sein, Michail!

Ich treffe in jüngster Zeit immer wieder Menschen, die man in der Bewertung von Putin ernstnehmen kann und sogar muss. Die sagen mir: Ja, Russland kann man nicht mit unseren westlichen Gesellschaften vergleichen. Die meisten Russen mögen ihn, mögen, dass er sein Land zurück auf die Weltbühne führt und ihnen Futter für ihren nationalen Stolz gibt.

Putin hat eine Mehrheit hinter sich, davon bin ich überzeugt. Aber warum lässt er die Leute nicht in Ruhe demonstrieren? Warum lässt er gestern in Moskau willkührlich friedliche Demonstranten, alte Leute, junge Familien mit Kindern, nicht einfach demonstrieren? Sondern lässt sie festnehmen und einsperren?

Ich habe mich das schon gefragt, als es die DDR noch gab. Im Juni 1988 trat der amerikansche Pop-Superstar Michael Jackson vor dem Reichstag vor 50.000 Zuschauern auf. Mehrere Tausend Jugendliche aus Ost-Berlin versammelten sich am Brandenburger Tor in der Hoffnung, dass die Musik zu ihnen herüberwehte und sie eine große Party feiern könnten. Letztlich war wenig zu hören oder nur sehr dünn. Aber Mielkes Schlägertrupps marschierten dennoch auf und trieben die jungen Bürger mit Knüppeleinsatz auseinander. Es gab 30 Festnahmen. Bei einem Konzert von Bryan Adams hatte es in Ostberlin vorher schon mal solche Szenen gegeben – mit noch mehr Festnahmen.

Warum haben Despoten solche Angst vo Kultur? Warum lassen sie den Leuten nicht einfach ihren Spaß oder – wie jetzt in Moskau – dieses kleine Stückchen Freiheit? Ich werde das nie verstehen, denn durch solches Vorgehen wächst der Druck im Kessel erst richtig.