Möchte ich eigentlich in Ostdeutschland leben?

Am letzten Abend meiner jüngsten kleinen Tour durch Thüringen und Sachsen stehe ich mit meinem Gastgeber vor dem „La Grappa“ in Erfurt, einem urgemütlichen Italiener, bei dem ich das zarteste Rinderfilet in meinem ganzen Leben gegessen habe. Und glauben Sie mir: Ich habe viel Rinderfilet in diesem Leben gegessen. Mein Gastgeber, ein Facebook-Freund seit Jahren, hatte gelesen, dass ich in Erfurt bin und mich spontan eingeladen, damit wir uns auch mal persönlich kennenlernen. Und nun stehen wir da also vor dem Lokal, kurz bevor wir uns verabschieden, und er sagt: Warum ziehst Du nicht nach Ostdeutschland?

Was für eine Frage? Warum ziehe, warum lebe ich eigentlich nicht in Ostdeutschland? Wobei „lebe ich“ die falsche Frage ist, denn nicht „ich“ lebe irgendwo, sondern wir, meine Familie, meine Frau, unsere Kinder.

Aber irgendwie hat es sich nicht ergeben bisher. Ich habe zur Wendezeit sieben Jahre lang in Berlin gelebt und war beruflich viel im Ostteil unterwegs, klar, als Journalist zur Wendezeit. Ich hatte 1991 in Magdeburg eine kleine Firma und verlegte ein wöchentliches Anzeigenblatt – von West-Berlin aus. Dann gründete ich ein Anzeigenblatt in Frankfurt/Oder und verkaufte es später mit Gewinn weiter. Ich war viel unterwegs in den neuen Bundesländern, habe viele großartige Menschen kennengelernt und skurile Erlebnisse gehabt, die ich vielleicht ein anderes Mal hier erzähle.

Warum lebe ich eigentlich nicht in Thüringen, Sachsen oder MeckPomm? Meine jüngsten Erfahrungen waren durchweg gut. Spannende Gespräche, sehr freundliche und hilfsbereite Menschen, höflich, selbst in der S-Bahn.. Die Städte sehen klasse aus, Kneipen und Restaurants auf höchstem Standard, Kultur an jeder Ecke und…ja, linke Schmierereien an vielen Hauswänden. So wie im Westen auch. Nur einer meiner Freunde da fängt immer mal wieder mit Wessi und Ossi an. Brauchen wir eigentlich nicht mehr, oder?

Mein Eindruck war, dass viele Leute sich ehrlich freuen, wenn mal so ein Besserwessi wie ich vorbeischaut, die Schnauze hält und zuhört, wenn man erzählt, was in Chemnitz wirklich passiert ist. Und dabei auch gern noch ein drittes Pils mittrinkt.

Erfurt, Leipzig und Dresden waren die Stationen vergangene Woche, in diesem Jahr war ich auch in Pirna und Potsdam, jetzt wurden wir eingeladen, mal zum Wandern in die Sächsische Schweiz zu kommen. Ich glaube, das machen wir. Leben in Ostdeutschland? Natürlich, warum denn nicht?