Orgasmushilfe, „Religionsbericht“ und Sissi – der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat fertig
„Das ist ein toller Typ, aber er kommt nicht.“
Leider muss ich Ihnen bei diesem Satz jede Hoffnung zerstören, hier sei von einer verspäteten Verabredung zum Tee die Rede. Tatsächlich durfte ich heute morgen im Auto eine halbe Stunde lang Ohrenzeuge sein, wie pubertierende Radiomoderatoren und -moderatorinnen die Frage debattierten, ob man beim Sex dazu verpflichtet sei, dafür zu sorgen, dass der Geschlechtspartner einen sexuellen Höhepunkt, ergo einen Orgasmus, bekommt.
Ich bin ein bisschen altmodisch, ich bevorzuge immer noch das persönliche Gespräch über persönliche Fragen. Diese Themen im Vormittagsprogramm eines Radiosenders zu hören, halte ich dann schon für geschmacklos, aber eine freie Gesellschaft muss das nach meiner Meinung aushalten können. Immerhin kann ich so mal wieder an der großen Psychoanalytiker Sigmund Freud erinnern, der zu recht feststellte: „Der Verlust der Scham ist ein sicheres Anzeichen für beginnenden Schwachsinn.“
Sie ahnen es: Ich hörte 1Live, die Jugendwelle des Westdeutschen Rotfunks (WDR), der einst gegründet zur „Grundversorgung“ der Nachkriegsdeutschen mit Information und Unterhaltung wurde. Und von allen Haushalten mit Zwangsgebühren üppigst alimentiert wird.
Nun hat gerade Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff von der CDU mit einem Taschenspielertrick die erneute Erhöhung des Rundfunkbeitrages um 0,86 Cent im Monat pro Haushalt erstmal verhindert, nachdem man wochenlang darüber gestritten hatte, ob die AfD-Abgeordneten im Landtag auch Menschen sind. Nicht ganz so überspitzt natürlich, aber tatsächlich grenzt es inzwischen ans Absurde, wenn die AfD richtigerweise zu einer politischen Position kommt, und alle anderen hyperventilieren, um bloß nicht parallel genau so abzustimmen wie die. Also Beispiel: die AfD im Landtag beantragt, dass in Mathematik-Schulbüchern mit der Aufgabe 2 plus 2 ist vier eingestiegen wird. Obwohl die Gesetze der Mathematik für alle gelten, können CDU, FDP, Grüne und so weiter diesem Antrag nicht zu stimmen. 2 plus 2 ist aber zweifelsohne 4, doch nicht, wenn die AfD zum gleichen Ergebnis kommt. Dann ist 2+2=5. Oder die Abstimmung wird erstmal verschoben. Bin gespannt, wie lange dieses lächerliche Possenspiel noch weiter gespielt wird.
Doch zurück zum Staatsfunk, den man durchaus so nennen kann, wenn der Staat – in diesem Fall die 16 Landtage – einstimmig einer Erhöhung des Rundfunkbeitrages zustimmen müssen – oder es eben keine Erhöhung gibt.
Nachdem Sachsen-Anhalt die Notbremse gezogen hatte, eilten ARD, ZDF und Deutschlandradio direkt mit Eilanträgen zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die Verfassungsrichter – ich liebe unseren Rechtsstaat – lehnten das Begehren der Staatsfunker ab. Und ARD-Vorsitzender Tom Buhrow droht nun mit der schärfsten ihm zur Verfügung stehenden Waffe: „Ohne die ausreichende, unabhängig ermittelte Finanzierung wird das Programmangebot, das in allen Regionen Deutschlands verwurzelt ist, darunter leiden.“
Das fordert direkt meine Neugier heraus – mal schauen, was im Programm angeboten wird, während Deutschland im Corona-Lockdown Weihnachten feiert. Im Ersten am Heiligen Abend Besinnliches: „Die jungen Ärzte“, eine Krankenhausserie, gefolgt von der unverwüstlichen „Feuerzangenbowle“ mit Heinz Rühmann. Nicht mehr ganz taufrisch, weil von 1944, aber trift sicher den Geschmack eines großen Teils der deutschen Weihnachts-Community im Wohnzimmer. Nachdem die ARD bereits um 20.10 Uhr einen christlichen Weihnachtshammer herausgehauen hat – eine gemeinsame fünfminütige ökumenische Weihnachtsansprache von Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, und Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der EKD – wird „Das Erste“ um 23.20 Uhr eine katholische Christmette aus dem Städtchen Lobberich im niederländischen Grenzgebiet übertragen. Die Zeitschrift „TV-Spielfilm“ entblödet sich nicht, diesen Programmpunkt einzusortieren unter „Religionsbericht“. Aber die TV Spielfilm wird wenigstens nicht mit Zwangsgebühren finanziert.
Das ZDF präsentiert am Heiligen Abend die unverwüstliche Carmen Nebel mit „heiterer Musik, leckerem Essen und gepflegter Unterhaltung“ (Vorankündigung). Kann man so machen, meinetwegen auch als Grundversorgung. Und so weiter und so weiter „Sissi, die junge Kaiserin“, die Ansprache des Bundespräsidenten, die „Feuerzangenbowle“ um 0.30 Uhr am nächsten Morgen nochmal wiederholt. Das ZDF nachmittags mit „Die kleine Hexe“, ohne einen Zusammenhang mit 20.15 Uhr konstruieren zu wollen, wenn Helene Fischer dran ist. Nicht live wg. Corona natürlich.
Verstehen Sie mich nicht falsch: das kann man alles machen, und man kann das alles ansehen. Carmen Nebel und Helene Fischer werden mega Quoten haben, aber warum um alles in der Welt ist das eine Staatsaufgabe? Es gibt Sender und Streamingdienste ohne Ende – warum müssen wir die 500. Wiederholung der „Feuerzangenbowle“ mit Zwangebühren finanzieren? Warum stellt niemand dieses System grundsätzlich in Frage?
Ihnen allen übrigens gesegnete Weihnachten! Ich weiß nicht, ob wir die Kiste über Weihnachten überhaupt anschalten. In unserer Familie spricht man bisweilen auch noch miteinander. Und wenn doch Bewegtbild, dann schauen wir wahrscheinlich den „Polarexpress“, der läuft auf einem Privatsender und Sie müssen mein Fernsehvergnügen nicht bezahlen…
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