Pflichterfüllung und Loyalität: Nachruf auf einen außergewöhnlichen Politiker: Danke, Wolfgang Schäuble!
Es gibt keinen Politiker, an dem nicht herumgemeckert wird. Zu Lebzeiten nicht und natürlich auch nicht nach dem Tod.
Gestern Abend ist der frühere Bundestagspräsident, Bundesinnenminister, Kanzleramtsminister und CDU-Vorsitzender Wolfgang Schäuble im Alter von 81 Jahren an seinem Krebsleiden verstorben. Er wurde 81 Jahre alt und schlief im Kreise sein Familie friedlich ein.
Dieser Politiker galt als ein Musterbeispiel an Pflichterfüllung und Loyalität in der Politik, wie man das heute nur noch sehr selten findet. Als einer der Architekten des Einigungsvertrages hatte er maßgeblichen Anteil daran, die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes zu gestalten. War alles perfekt? Natürlich nicht. Nur Politiker, die nichts tun, machen keine Fehler. Aber allein für seine Rolle bei der Ausgestaltung des Einigungsprozesses verdient Schäuble unser aller Dank.
Nach einem Attentat, wo ihn bei einer Wahlveranstatung ein psychisch-gestörter Täter mit einem Schuss so schwer verletzte, dass er seitdem an den Rollstuhl gefesselt war, erfüllte Wolfgang Schäuble weiter seine Pflicht.
1942 in Freiburg geboren, galt er stets als ein Mann mit konservativen Grundüberzeugungen, der auch lange Zeit seinen Parteifreund Hans-Georg Maaßen gegen allerlei vollkommen überzogene Angriffe in Schutz nahm. Dennoch begleitete Schäube den Aufstieg der „linken“ Angela Merkel an die Spitze von Partei und Land ebenso aktiv, wie er ein loyaler Diener ihres Vorgängers Helmut Kohl war, der ihn in der Nachfolgefrage böse düppierte. Danach wandte sich Schäuble öffentlich von Kohl ab.
Ich sebst erinnere mich an zwei persönliche Momente mit Wolfgang Schäuble
Das eine Mal war eine Podiumsdiskussion in Bremerhaven, eine Wahlveranstaltung der CDU, die ich die Ehre hatte, moderieren zu dürfen. 500 Bürger im Saal, gute Stimmung, für Schäuble ein Heimspiel. Für mich ein Job.
Als die Veranstaltung vorbei war und alle sich anschickten, den Saal zu verlassen, räumte ich meine Unterlagen zusammen und achtete gar nicht mehr groß aufs Drumherum, als plötzlich der Innenminister von einem Mitarbeiter geschoben in seinem Rohlstuhl vor mir stand. Überrascht blickt ich den Politiker an, der mir die Hand entgegenstreckte und sagte: „Vielen Dank für die Moderation, Sie haben das sehr gut gemacht.“ Ich war echt baff, denn Schäuble war mir als strenger und unnahbarer Politiker beschrieben worden. Und so wichtig war und bin ich nun wirklich nicht, dass er das hätte zun müssen. Aber das hat mich damals – ich war 26 – sehr beeindruckt.
Das andere Mal war am 20. Juni 1991 in Bonn
Entscheidung über die zukünftige Bundeshauptstadt. Der Fraktionszwang war aufgehoben. Viele Abgeordnete aller Parteien hatten es sich am Rhein gemütlich gemacht, ein Appartment oder ein kleines Häuschen, alles übersichtlich und beschaulich. Wer will denn da nach Berlin?
Ich war als Berichterstatter damals in Bonn vor Ort dabei. Es stand spitz auf Knopf, wie man so schön sagt. Keiner wusste morgens, wie es ausgehen würde.
Und dann kam Wolfgang Schäuble und überzeugte die Mehrheit mit einer Rede, die mir heute noch Gänsehaut macht. Schäuble sagte:
„Und das Symbol für Einheit und Freiheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für das ganze Deutschland war wie keine andere Stadt immer Berlin: von der Luftbrücke über den 17. Juni 1953, den Mauerbau im August 1961 bis zum 9. November 1989 und bis zum 3. Oktober im vergangenen Jahr. Die Einbindung in die Einigung Europas und in das Bündnis des freien Westens hat uns Frieden und Freiheit bewahrt und die Einheit ermöglicht. Aber auch diese Solidarität der freien Welt mit der Einheit und Freiheit der Deutschen hat sich doch nirgends stärker als in Berlin ausgedrückt. Ob wir wirklich ohne Berlin heute wiedervereinigt wären? Ich glaube es nicht.“
Und er endete:
„Deswegen bitte ich Sie herzlich: Stimmen Sie mit mir für Berlin.“
Und das taten sie mit 338 gegen 320 Stimmen.
Als jemand, der vor Ort war und die Stimmung im Bundestag geradezu aufgesogen hat, sage ich Ihnen: Ich bin bis heute überzeugt, dass es Wolfgang Schäuble allein war, der mit seiner historischen Rede die Stimmung im deutschen Parlament damals gedreht hat.
Wen es interessiert: Die ganze Rede können Sie hier nachlesen…