Was Schottland deutlich sichtbar macht
Auf Schottland blickt derzeit die ganze Welt, und weil das selten ist, können wir die Volksabstimmung nutzen, um einmal über Heimat und Stolz nachzudenken. Und das, bevor wir wissen, wie die Abstimmung ausgegangen ist. Die Welt rückt zusammen. Wenn es um Wirtschaft und Finanzen geht, ist die Erde bereits heute ein globales Dorf. Wir alle haben das spätestens feststellen müssen, als die amerikanische Mega-Bank Lehman Brothers 2007 zusammenbrach und ganze Volkswirtschaften auch in Europa an den Rand einer Katastrophe brachte. Die großen Kraftzentren USA, die neuen Riesen China und Indien oder auch Brasilien schreien geradezu nach großen Einheiten, um allen Herausforderungen der Zukunft begegnen zu können. Die EU ist die größte und gemessen an ihrer Wirtschaftskraft zweifellos stärkste dieser Einheiten.
Doch eine zunehmende Zahl von Menschen fühlt sich unwohl dabei. Man fürchtet den großen Moloch, der alles regelt und gegen den Niemand mehr mit Aussicht auf Erfolg aufstehen kann. Bedauerlicherweise unternimmt Brüssel alles, um diesen Ängsten Nahrung zu geben, etwa wenn man sich mit dem Gender-Quatsch aktiv einmischt, wie Familien zu leben und Menschen zu denken haben. Jeder will Heimat haben, das kleine alltägliche Glück suchen und in einem Umfeld gedeihen, das vertraut ist und auf das man stolz ist. Kaum ein Volksstamm in Europa steht so dafür wie die Schotten. Dudelsack, Kilt und der zweifellos beste Whisky auf dem Planeten sind sichtbarer Ausdruck eines Selbstbewusstseins, das man ähnlich in unserem Land wohl nur noch in Bayern findet.
Wer darauf keine Rücksicht nimmt, wer den Bravehearts einen Lebensstil aufdrängen will, der darf Widerstand erwarten. Von London regiert zu werden, das erscheint vielen Schotten nicht mehr zumutbar, und das, obwohl die Zentralregierung immer wieder Zugeständnisse in puncto Selbstverwaltung gemacht hat.
Interessant in Deutschland ist, dass gerade viele Konservative einen Erfolg der Yes-Fraktion geradezu herbeisehnen. Wenn die Schotten das schaffen, dann werden es auch die Katalanen schaffen, und dann bröselt die EU zusammen, ist ihr Kalkül. Das allerdings dürfte nicht aufgehen, denn viele Schotten haben in Umfragen angegeben, sie würden auch für die Unabhängigkeit stimmen, weil sie nicht mitgezogen werden wollen, wenn die britischen Tories das Vereinigte Königreich aus der EU rausdrängt. Ja, die Mehrheit der Schotten fühlt sich in der EU offenbar ganz wohl, und wenn ihnen das britische Pfund demnächst verweigert werden sollte, dann nehmen sie halt gern den Euro.
Was kann man – unabhängig vom Ergebnis – aus dem ganzen Vorgang lernen? Menschen wollen eine Heimat haben, in der sie ihr Leben in einer vertrauten Umgebung und mit vertrauten Traditionen möglichst frei leben dürfen. Sie sind bereit, sich mit anderen zu Bündnissen zusammenzuschließen, auch um des eigenen Vorteils willen. Aber sie wollen nicht fremdbestimmt werden. Oder übertragen: Die EU macht Sinn und wird funktionieren, wenn sie ein Bündnis von souveränen Staaten bleibt, das eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik organisiert. Als eine Zentralregierung, die den Menschen vorschreibt, was sie glauben, essen und akzeptieren müssen, wird sie nie zur Ruhe kommen. Und vielleicht sogar letztlich scheitern.