Die Lehrerinnen und Lehrer – ein besonderer Menschenschlag

„Helden des Alltags“, so nannten wir früher bei Radio Hundert,6 in Berlin Menschen, die nie in der Zeitung stehen, die nie einen Orden oder auch nur eine öffentliche Würdigung erhalten. Und die dennoch ihre Arbeit tun. Alleinerziehende Mütter sind meistens solche. Krankenschwestern und Pfleger, die trotz verbesserungswürdiger Bezahlung und Arbeitsbedingungen und Corona jeden Morgen zur Arbeit gehen. Man könnte so viele nennen, doch heute morgen kamen mir in diesem Zusammenhang auch die Lehrer in den Sinn.

Als ich noch jung und kinderlos war, hatte ich keine gute Meinung von den meist linkssozialisierten Staatsdienern mit gefühlt fünf Monaten Urlaub im Jahr. Als wir und damit auch ich dann aber selbst schulpflichtige Kinder hatte, dann begriff ich schnell, wie falsch meine Geringschätzung der Pädagogen vorher war.

Natürlich gibt es in jedem Lehrerkollegium immer ein, zwei Ausfälle, die Arbeit vermeiden, dauernd krankgeschrieben sind, im Unterricht nur das tun, was sie unbedingt müssen. Aber ich habe als Vater in den vergangenen 15 Jahren so unfassbar viele engagierte und pädagogisch wie menschliche großartige Menschen kennenlernen dürfen, das ich ihnen persönlich auch dankbar bin, für das, was sie für unsere Kinder geleistet haben und weiter leisten.

Frau F. fällt mir das gerade ein, Bücher-Vorlesenacht bei Kerzenlicht, Pizza und Schlafsäcken in der Turnhalle. Hätte sie nicht tun müssen, aber ein Lehrer und eine Lehrerin, die ihren Job nicht als Beruf verstehen, sondern als Berufung, die leisten viel mehr. Sie sind Vorbilder, und sie vergessen ihre Schützlinge auch dann nicht, wenn die das Schulgelände verlassen haben.

Warum schreibe ich Ihnen das heute? Wegen Gerald Miebs.

Gerald wer? So werden Sie jetzt denken, und ja, ich kannte den Namen heute Morgen auch noch nicht, bis ich den Artikel über den Leiter der deutschen Schule in Kiew erhielt.

Leiter der deutschen Schule in der umkämpften und mit Raketen beschossenen ukrainischen Hauptstadt. 180 Schüler und 50 Kinder im Kindergarten sind seine Berufung. Der Unterricht findet natürlich weiter online statt – und zwar streng nach Stundenplan, so wie man sich deutsche Lehrer so vorstellt anderswo. Ein Teil der Pädagogen aus Kiew sind irgendwo im noch freien Westteil der Ukraine, manche sind inzwischen auch in Deutschland und unterrichten ihre Klassen von hier aus per Zoom. Auch Miebs musste inzwischen vor dem Krieg nach Berlin fliehen und wartet, dass er zurückkehren und sich wieder um seine Schule und die Kinder kümmern kann. «Ich kriege das von meinen Familien mit, die sagen: „Wenn das zu Ende ist, kommen wir wieder zurück.“

Der Krieg habe seine Schule um mehrere Jahre zurückgeworfen. «Das wird alles sehr viel Aufbauarbeit brauchen», sagte er. «Aber der Wille ist da.»

Ich kenne Gerals Kniebs nicht und werde ihn vermutlich auch nie kennenlernen. Hoffentlich kann er mit seinem Lehrerkollegium und den Kindern bald zurück, wenn die Waffen endlich schweigen. Aber ich möchte mich vor diesem Mann verneigen, der einfach seine Pflicht erfüllt, egal was da draußen passiert.

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Wir sind Deutsche, und das ist auch gut so

Doch plötzlich ist es schon zehn nach elf
Und sie sagt: „Ey, du musst ja spätestens um zwölf wieder drüben sein“
Sonst gibt’s die größten Nervereien
Denn du hast ja nur ’n Tagesschein“
Udo Lindenberg in seinem Lied vom Mädchen aus Ost-Berlin. Ja, so war das damals. Tagesschein und Zwangsumtausch. Die Existenz der DDR war einer von zwei Gründen, warum ich im Alter von 16 Jahren beschloss, mich politisch zu engagieren. Eine Mauer quer durch unser Land, eine Trennlinie, an der scharf geschossen wurde auf die, die es nicht mehr aushielten im Arbeiter- und Bauernstaat, die zu ihren Familien nach drüben wollten, ein bisschen Wohlstand ergattern, so wie die Landsleute im Westen, deren Wirtschaftswunder man allabendlich heimlich im verwackelten Westfernsehen bestaunte.
Was haben Ostdeutsche alles unternommen, um rauszukommen aus dem SED-Staat, versteckt im Kofferraum, Tunnel gebuddelt, aus Stoffbahnen einen Heißluftballon geschneidert, gestartet, abgestürzt, wieder Stoff gekauft, noch einmal  versucht…diesmal erfolgreich. Unglaubliche Geschichten, die zu recht sogar Hollywood faszinierten.
Der Platz hier reicht nicht ansatzweise aus, um alle Gedanken aufzuschreiben, die mich mit der Teilung und der DDR verbinden. Dabei hatte ich keine Verwandten „drüben“, schickte zu Weihnachten keine Pakete mit Kaffee und Damenstrümpfen. An wen denn auch?
Aber sie übte eine schaurige Faszination auf mich aus, diese DDR, die doch Deutschland war wie der Westteil, in dem ich zufällig geboren wurde und leben durfte, ohne selbst etwas dafür geleistet zu haben. Bis 1989 war ich nie „drüben“, nur die regelmäßigen Autofahrten auf den Transitautobahnen waren ein Mini-Kontakt. Die ungehobelten Grenzer, die uns mit kleinen Schikanen nervten („Fahren Sie einen Meter bis zu der Linie zurück und warten Sie, bis sie eine Zeichen bekommen…“), waren dann der Grund, warum ich irgendwann auf PanAm umstieg, um von Bremen mit einer 48-sitzigen Propellermaschine Montags nach Tempelhof und Freitags wieder zurückzufliegen. Ich arbeitete damals bei Berlins erstem privaten Rundfunksender Hundert,6, ein Feindsender, wie man das in Ost-Berlin zu recht sah.
Wir verbreiteten nicht nur gute Laune in der geteilten Stadt, wir berichten auch so, als gäbe es die DDR gar nicht. Die Nachrichtenredaktion war angewiesen, niemals „DDR“ zu sagen, sondern „der andere Teil Deutschlands“, niemals „Transitstrecken“, sondern immer „die Autobahnen ins übrige Bundesgebiet“ und der stündliche Verkehrsbericht listete die Staus in Charlottenburg und Zehlendorf einfach neben denen aus Lichtenberg und Pankow auf. Herrlich, eine wunderbare Zeit mit der besten Redaktion in der Stadt damals. Mein Boss damals übrigens ein „Ossi“, der im Kofferraum eines Autos geflohen war, dann erst beim RIAS arbeitete, bevor er beim „CDU-Funk“ anheuerte. Dieser Sender war für ihn auch ein Stück weit die Aufarbeitung der eigenen Lebensgeschichte.
Es gäbe noch viel zu erzählen über die Zeit der Wende, stundenlang. Über einen meiner ersten Reportageeinsätze im November 1989 auf dem Alex, wo überall Gruppen von Menschen standen und heiß diskutieren, wie es jetzt weitergehen soll. Ich holte ein paar O-Töne ein und schickte einen Beitrag zum Sender in der Paulsborner Straße. Dann mischte ich mich ins Getümmel, um einem SED-Fan lautstark zu widersprechen, der den Umstehenden erzählte, nun begänne die Verelendung in der schönen DDR, weil im Westen ja alle arm und unterdrückt seien. Ich bekam mehrfach offenen Beifall von Ost-Berlinern, die hören wollten, das es auch eine andere Sicht auf die Dinge geben könnte.
Ich könnte noch erzählen von Carmen, einer wunderbaren Kollegin aus Ost-Berlin, die morgens einen einminütigen, wirklich belanglosen, Nachrichtenbeitrag versemmelt hatte und abends eine Stunde vor meinem Büro im Halbdunklen saß, um mich dann anzusprechen und in Tränen auszubrechen, weil sie dachte, sie würde nun gefeuert. Oder mein erster Tag 1993 als Chefredakteur des privatisierten Berliner Rundfunks. Elf Wessis, die jedes Klischee erfüllten (Cabrios, Ray Ban Sonnenbrillen, fast alle CDU-Wähler) trafen auf 20 Ossis, alle in Leipzig studiert, unterirdische Begräbnis-Stimmung. Einer hatte zur Begrüßung einen Artikel ans Schwarze Brett gehängt, dass Kelle zwei Jahre Pressesprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion in Bremen war. Alles klar, jetzt kommt da ein Scheiß-Wessi von der CDU und entlässt uns alle. Natürlich entließ ich keinen, half noch heimlich, dass ein Betriebsrat gegründet werden konnte, mahnte auch die Ost-Kollegin nicht ab, die aus dem Sender-WC heimlich massenweise Klopapier rausschleppte für zu Hause (die erste Pandemie drohte wohl). Es dauerte ganze sechs Monate, bis sich der erste „Ossi“ mit seinem Tablett mittags in der Kantine an unseren „Wessi-Tisch“ setzte und das Eis brach.
Meine Assistentin Simone aus Ost-Berlin, die mir erzählte, dass kein Mensch mehr den Sozialismus oder die DDR zurückhaben wolle, ihr aber die Musik von früher fehlt, die nicht mehr im Radio gespielt werde. Über K., die in einem ansonsten leeren halb verfallenen Mietshaus wohnte und mich zum Abendessen einlud, um danach bei flackerndem Kerzenlicht aufzustehen und ihr Talent als Opernsängerin unter Beweis zu stellen. Ein unvergesslicher Abend. Oder die junge Frau aus Ost-Berlin, die in der Nacht des 9. November 1989 mit ihrem Motorrad in der Nähe des Brandenburger Tors liegenblieb und uns ansprach. Wir konnten helfen und sie bedankte sich und fragte: „Seid Ihr eigentlich alle im Westen so nett?“ Ich antwortete wahrheitsgemäß: „Nein, leider nicht.“
Heute veröffentlicht die Berliner Zeitung ein großes Interview mit dem letzten DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel (DSU). Ich empfehle Ihnen allen, es zu lesen hier
Dann verstehen Sie, warum viele unserer Landsleute in Ostdeutschland unzufrieden mit der Entwicklung in den vergangenen 30 Jahren sind. Und nebenbei, dass Diestel den Einheitskanzler Helmut Kohl bis heute bewundert  („Ich schätze ihn als ganz klugen Kopf, der uns schräge Ossis mochte.“), und warum er als Melker so gut war. Diestel sagt:
„Es gibt unter den 200 deutschen Botschaftern und den 500 Generälen nicht einen einzigen Ostdeutschen. Von 84 Universitäten und Hochschulen in Deutschland wird nicht eine von Ostdeutschen geleitet. In den ostdeutschen Landeshauptstädten kommen 90 Prozent aller Staatssekretäre, Abteilungsleiter, Hauptabteilungsleiter aus dem Westen, fast 100 Prozent sind es in Brandenburg. Nicht ein einziger Ostdeutscher ist in den Alt-Bundesländern Staatssekretär, Hauptabteilungsleiter, Minister. Wir haben fünf Oberlandesgerichte, die mit Altbundesdeutschen besetzt sind. Das ist verfassungswidrig.“
Wer will da widersprechen?
Es ist nicht alles prima, die Mentalitäten zwischen Ost- und Westdeutschen sind auch 30 Jahre nach Vollendung der Deutschen Einheit sehr unterschiedlich. Aber zusammen sind wir schon eine Mannschaft, die sich sehen lassen kann. Ich werde übermorgen vor unserem Haus eine Fahne aufziehen und eine Flasche Rotkäppchen-Sekt öffnen. Zeit meines Lebens habe ich mir gewünscht, dass Deutschland wieder ein Land wird. Politisch sind wir das, in den Köpfen vieler leider immer noch nicht. Aber auch nach 30 Jahren empfinde ich persönlich die Einheit unseres Vaterlandes als ein echtes Geschenk. So viele Freunde habe ich, haben wir, in Westdeutschland ebenso wie in Ostdeutschland. Und es ist völlig wurscht, woher jemand kommt. Wir sind Deutsche, und das ist auch gut so.
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