GASTSPIEL THILO SCHNEIDER: Das ein Davidsterne-Hotel  

Stellen Sie sich folgenden Fall vor: Sie stehen in einer Schlange vor dem Check-In eines Hotels, in dem ein verzweifelter Hotelmitarbeiter versucht, seine EDV in den Griff zu kriegen. Sie sind brav und geduldig und bemerken, dass Leute hinter Ihnen in der Schlange plötzlich seitens der Hotelleitung an einen weiteren Counter vorgezogen werden.

Als Sie endlich an die Reihe kommen und nachfragen, warum andere Gäste vorgezogen wurden, erklärt Ihnen der Concierge, dass er „die Schlange entzerren wollte“, in der Sie selbst ja standen. Er wollte sie also „entzerren“ – aber ohne Sie. Und er bittet Sie, Ihren offen sichtbaren Anhänger mit dem Namen Allahs abzunehmen. Auch ein anderer Mitarbeiter, der in der Nähe steht, bittet Sie darum. Muslime werden hier anscheinend benachzugt bedient.

Wahrscheinlich würde Sie das nicht einmal so sehr verwundern oder stören, wenn fett und falsch „Hermann’s Hotel“ auf der Banderole des zwei-Sterne-Tempels in Heidewitzka/Ostsachsen stünde. Sie sind eben im hintersten Finsterwalde oder dem finstersten Hinterwalde in einem abgeranzten Schuppen abgestiegen, dessen Inhaber und Personal Muslime mit einer Mischung aus Argwohn, Furcht und Verachtung betrachten. Und wahrscheinlich würden Sie kaum aufmucken, wenn und weil diese Wohlfühloase das einzige Etablissement vor Ort wäre – obwohl es auch gerade dann sehr leichtsinnig wäre, seine Gäste wie Kehricht zu behandeln. Andererseits würden Sie vielleicht wenig Laune verspüren, Gast von offensichtlich rechtsradikalen Ausländerfeinden zu sein und dafür auch noch mit Euro statt Reichsmark zu bezahlen. Und für eine Nacht geht auch ein umgeklappter Autositz.

Sie haben das Bild? Dann ersetzen Sie den Anhänger mit dem Namen Allahs durch einen Davidstern. Ersetzen Sie Heidewitzka durch Leipzig. Ersetzen Sie „Hermann´s Hotel“ durch „Westin“. Den exakt so wurde laut Eigenaussage der Sänger Gil Ofarim dort behandelt. Sein „Vergehen“ – sein offenes Bekenntnis zu seinem Judentum in Form eines „Magen David“. Der Countermanager ist dennoch zuvorkommend: Wenn Ofarim den Stern „wegpackt“, dann darf er einchecken. Wer kein Instagram hat und dem link nicht folgen kann: Ofarim schildert die Situation, sichtlich den Tränen nahe, auf dem Bordstein vor dem „Westin“ Leipzig in einem Video. Er hat den Stern nicht eingepackt und im Hotel nicht ausgepackt. Zu Recht(s).

Ich kenne den im Video angesprochenen Concierge, „Herrn W.“ nicht und auch nicht den weiteren im Bunde: Aber wenn sich das so, wie von Ofarim geschildert, zugetragen hat, dann ist das ein antisemitischer Skandal allererster Güte. In welchem Land leben wir eigentlich, in dem jüdische  Bürger verdroschen werden oder nicht in ein Hotel einchecken dürfen, weil sie einen Davidstern tragen? Ist das das gleiche Land, dessen Politiker ihr „Nie wieder!“ mantramässig vor sich hertragen, aber vor tatsächlichem Antisemitismus die Augen ganz feste schließen?

Ich wäre auf die Aussagen und armfuchtelnden Erklärungen von Herrn W. und seinem Kollegen höchst gespannt, warum sie Ofarim den Check-In im West-In verweigert haben. „Unklug“ war das in jedem Fall. Und das „Westin“ ist kein kleiner Laden, sondern ein wahrer Hoteltempel der Marriott-Gruppe mit alleine in Leipzig 436 Zimmern und 4000 Quadratmetern Konferenzräumen. Es ist auch kein Hobby für Sozialhilfeempfänger, ich selbst bin oft genug dort abgestiegen und habe für das „besondere Ambiente“ hier ca. 100,- Euro gelatzt. Und das sind die Zimmer für die Billigtouristen. Wer es besonders hübsch und gediegen mag, der kann auch bis zu rund 360,- Euro für die Nacht hinblättern. Um, laut Eigenwerbung, „eine beispiellose Fusion von lokaler Geschichte und modernem Design in Leipzig“ zu erleben. Beispielsweise die Geschichte der Jahre 1933 bis 1945?  Zumindest kann Gil Ofarim bestätigen, dass er „die besondere Atmosphäre“ wahrgenommen hat, die dort herrscht.

Vielleicht hat Ofarim auch nur eine etwas andere Vorstellung von der „ungeteilten Aufmerksamkeit“, mit der sich „um alle Ihre Bedürfnisse mit exzellentem und zuvorkommendem Service“ gekümmert wird“ als dieses Puzzlestückchen und Sahnehäubchen der Marriott-Kette? Vielleicht werden offensichtliche Juden ja dort tatsächlich „mit besonderer Aufmerksamkeit“ bedient? Ja, sogar „sonderbehandelt“? „Besondere Aufmerksamkeit“ ist ein neutraler Begriff…

Ich kann mir das, ehm, „unglückliche“ Verhalten eines Counters in einem derartigen Nobelhobel nur dadurch erklären, dass dort möglicherweise gleichzeitig mehrere hochrangige Regierungs-Delegationen Saudi-Arabiens, des Iran, der Fatah, der Hamas und der Taliban abgestiegen sind, die sich angesichts eines Juden mit Davidstern und Nasenring sofort spontan selbst entzündet hätten. Aber selbst dann…

Update: Das „Westin“ versucht laut einem Bericht des Focus „mit allen Mitteln“ mit Ofarim „in Verbindung zu treten“, während sie „nachforschen, was passiert ist“. Na, dann nassforscht mal nach…

Hotelkritik: 1 von 5 möglichen Davidsternen.

(Weitere Hotel-Kritiken des Autors unter www.politticker.de)  

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.