Was unser Staat von Herrn Biedermann lernen kann
In seinem herausragenden Drama „Biedermann und die Brandstifter“ erzählt Max Frisch die Geschichte von Herrn Biedermann, der zwei Männer in seinem Haus aufnimmt und sie auf dem Dachboden wohnen lässt. Bald stellt sich heraus, dass die Gäste beabsichtigen, Biedermanns Haus anzuzünden. So dauert es nicht lange, und ihn beschleicht ein ungutes Gefühl. Spätestens als er Benzinkanister und Zünder entdeckt, unternimmt er wenig überzeugende Anstrengungen, die beiden Brandstifter loszuwerden. Biedermann redet den Männern freundlich zu, er gibt ihnen zu Ehren ein üppiges Abendessen mit Gans und Wein. Man lacht und singt gemeinsam „Fuchs Du hast die Gans gestohlen“. Statt drastische Schritte zu ergreifen, versucht der Hausbesitzer, die Fremden zu Freunden zu machen. Doch die lassen sich in ihrem Vorhaben nicht beirren, Biedermanns Haus geht in Flammen auf.
Ein Leser meines Blogs macht mich gestern in einer langen Mail auf Parallelen des Dramas mit der heutigen Zeit aufmerksam. In Lochham wurde vor wenigen Tagen eine schwangere Frau Opfer eines brutalen Überfalls. Zwei 15 und 16 Jahre alte Kriminelle „mit Migrationshintergrund“ schlugen und traten auf ihr Opfer ein. Als die Frau mit Nasenbeinbruch und Gehirnerschütterung blutend am Boden lag, schnappten sich die Täter ihre Tasche und rannten davon. In Presseartikeln wurden die Gewalttäter als „Buben“ bezeichnet. Mein Blog-Leser schreibt „da hätte nur noch die ‚Laus‘ davor gefehlt“. Zeitungleser erfuhren auch, dass die beiden Schläger bereits polizeibekannt waren.
In einem Altersheim in der Nähe, so berichtete mein Leser weiter, würden regelmäßig jugendliche Straftäter vorstellig, um ihre Sozialstunden abzuleisten. Dabei gäbe es einige, die ihre Taten tatsächlich bereuen und den auferlegten Dienst ableisten. Aber da seien auch die anderen, die bereits beim Antritt klar machten, dass sie hier keinen Finger rühren werden, und wenn jemand von der Belegschaft Einwände dagegen habe oder sich gar weigere, die Anwesenheitsbestätigung abzuzeichnen, man den Sachverhalt gerne unter Beisein der Familie des Straftäters abends auf dem Parkplatz ausdiskutieren könnte. Das Ende vom Lied sei in solchen Fällen dann meist, dass „diese Typen draußen auf der Terrasse sitzen, rauchend und Red-Bull-saufend ihren Kumpels am iPhone erklären, wie sie den Laden hier als Boss rocken“, und nachdem sie zur Erleichterung aller weg sind, räumt die Belegschaft noch den Müll hinter ihnen auf. Meist würden dann im Nachweis noch mehr Stunden aufgeschrieben und gerne von der Belegschaft unterzeichnet, damit die Strafe, die vor allem eine Strafe für die Beschäftigten des Altersheims ist, schnell vorbei sei.
Unser Rundum-wohlfühl-Land hat verlernt, die Ernsthaftigkeit seiner Gesetze zu vermitteln und durchzusetzen. Warum wird die Notwendigkeit des Strafvollzugs vom Staat auf Sozialeinrichtungen abgeschoben? Werden dort nicht aggressive Jugendliche zu der Erkenntnis kommen, wenn sie weiter aggressiv sind, zahlt sich das für sie aus? Wer annimmt, dass Nachsicht und Toleranz gegenüber Gewalttätern von diesen goutiert werden, sie zur Vernunft bringen, der muss scheitern. Oder er wird so enden, wie Herr Biedermann, der aus Toleranz, Feigheit und dem Bemühen, stets freundlich zu wirken, letztlich sein Haus und sein Leben verliert.