GASTSPIEL: BIRGIT KELLE über die Rente, einen Generationenvertrag, der gar keiner ist

Eine der größten Lügen der deutschen Nachkriegspolitik liegt sicher in dem Satz „Die Rente ist sicher“ von Norbert Blüm. Es war in der Zeit, als die LINKE nicht mehr SED, aber schon PDS hieß. Norbert Blüm verkörperte damals in der Regierungskoalition den Kleinen Mann nicht nur körperlich, sondern auch politisch-ideell. Den Satz, den er damals als Arbeits- und Sozialminister im Kabinett Kohl in einer hitzigen Bundestagsdebatte vom 10. Oktober 1997 unvorsichtiger Weise von sich gab, klingt heute wie der reinste Hohn. Ich möchte ihm zugutehalten, dass er das damals selbst geglaubt hat. Irgendwie war die Welt damals auch noch halbwegs in Ordnung. Menschen bekamen regelmäßig Kinder, Ehen wurden mehrheitlich nicht geschieden und Paare wurden noch gemeinsam alt, was die Altersarmut von Frauen übrigens in Grenzen hielt, waren sie doch durch ihre Ehemänner auch später als Witwe noch abgesichert.

Damals diskutierte man die Frage des Rentenniveaus. Experten stritten darüber, ob eine Rente nur ein Existenzminimum abdecken sollte, oder den bisherigen Lebensstandard, den ein Mensch sich erarbeitet hatte, auch im Rentenalter gewährleisten müsse. Aus heutiger Sicht fast schon eine Luxusdebatte, ist man doch heute froh, wenn die zu erwartende Rente zumindest die Armutsgrenze übersteigen wird. Faktisch wurde damals gegen den erbitterten Widerstand der Opposition die schrittweise Absenkung des Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent des Durchschnitts-Nettolohns von CDU/CSU und FDP beschlossen. Blüm sagte damals auch kluge Sätze wie, dass Generationensolidarität durch Generationsgerechtigkeit gestärkt werde, und man nicht Jung gegen Alt ausspielen solle. Heute sagt Norbert Blüm, wenn er nicht gerade eines seiner Bücher anpreist oder in Flüchtlingslagern symbolisch im Schlafsack liegt, übrigens fast nur noch kluge Sätze, auch über die Rente und die Altersarmut von Müttern. Schade nur, dass die Sätze erst heute kommen, da er keinen politischen Einfluss mehr hat und das Kind bereits im Brunnen langsam aber sicher ertrinkt. Und während die SPD damals noch mit ihrem Redner Rudolf Dressler die Theorie vertrat, der „demografische Faktor“ sei ein „pseudowissenschaftliches Alibi und politischer Unsinn“ ergänzte der CDU-Abgeordnete Wolfgang Vogt in besagter Debatte, die finanziellen Folgen des demografischen Wandels könnten nicht allein von den Jungen getragen werden. Solidarität sei keine Einbahnstraße.

Aus damaliger Sicht, war die Rentenreform ein einschneidender Akt, aus heutiger Sicht war sie zaghaft und das eigentliche Problem, der demographische Wandel, wurde damals einerseits noch nicht entscheidend wahrgenommen, von anderen nicht einmal ernst genommen. Absehbar war es aber schon damals. Eines ist jedoch klar, damals wie heute: Redet man in Deutschland über Rente, dann redet man über Neid und Missgunst. In keiner anderen Debatte ist man schneller bei dem Begriff „Unsozial“. Da sind plötzlich alle da, die glauben, ein Recht auf eine Rente zu haben, die sich ungerecht behandelt fühlen. Und dann kommen noch Begriffe wie „Lebensleistung“ ins Spiel, und man ist endgültig emotional in einer Sackgasse politisch festgefahren.

Ich schicke es also vorsorglich vorweg, bevor Rentnerhorden auf mich eindreschen: Ich finde die Renten der derzeitigen Rentnergeneration angemessen und ansonsten unantastbar. Erst letzte Woche ereilte uns die Meldung, dass das Rentenniveau derzeit so hoch ist, wie seit 23 Jahren nicht mehr. Ab Juli erwarten die deutschen Rentner eine Steigerung auf ihrer Abrechnung, was einfach an der guten Konjunktur liegt. Ich gönne es ihnen, sie haben hart gearbeitet und uns großgezogen, ich will ihnen nichts wegnehmen. Nahezu gleichzeitig veröffentlichte der Westdeutsche Rundfunk seine Renten-Weissagung, dass jedem zweiten Bundesbürger wegen des sinkenden Rentenniveaus im Alter eine gesetzliche Rente unterhalb der Armutsgrenze drohe. Lassen wir beiseite, dass die Berechnungen des WDR etwas wirr und mehr aus dem Bauch heraus, denn durch wissenschaftliche Arbeit belegt waren und deswegen zu recht kritisiert wurden. Ganz falsch waren sie aber dennoch nicht. Dass meine Generation im Alter durch ganz normale Berufstätigkeit niemals das Rentenniveau meiner Elterngeneration erreichen kann, ist inzwischen Binsenweisheit. Das lässt sich jedoch nicht verändern, indem wir den heutigen Rentnern etwas weg nehmen, sondern indem wir eine nahezu radikale Rentenreform durchführen, die – wie man an anderer Stelle immer so gerne sagt – mit der Zeit geht und sich den modernen Lebensweisen anpasst.

Wir können nicht rückwirkend Rentenansprüche verändern, das wäre unfair all denjenigen gegenüber, die Jahrzehnte eingezahlt und sich auf ihre Erwartungen verlassen haben. Wir müssen nicht Alt gegen Jung bemühen in dieser Debatte sondern die eigentliche Front endlich benennen und eröffnen: Eltern gegen Kinderlose. Gut, das wird Ihnen kein Politiker so deutlich sagen. Erstens, weil diese Front das Potential für soziale Unruhen hat, zweitens, weil die Neid-Debatte damit garantiert ist, drittens, weil düstere Rentenaussichten für stetig wachsende, kinderlose Bevölkerungsteile politisch nicht opportun erscheinen, um wieder gewählt zu werden und viertens, weil zunehmend mehr Politiker ebenfalls kinderlos sind, was ihr Verständnis für die Sorgen und Nöte von Eltern nicht gerade verstärkt.

Die Front Eltern gegen Kinderlose macht aber Sinn, weil die Zahl der Kinderlosen wächst und ihre Renten mit hoher Wahrscheinlichkeit sicher sind. Gleichzeitig sinkt der Anteil der Eltern an der Bevölkerung, ihre Renten werden immer unsicherer. Besonders unfair wird es, weil der Bevölkerungsteil der Eltern durchschnittlich höhere Leistungen für das Rentensystem erbringt, während sich die kinderlose Bevölkerung den Mühen und Kosten des Kinderkriegens entzieht und somit auch den Investitionen in die nächste Generation, von der dieselben Menschen aber dennoch eine Rente erwarten.

Da schlägt dann der sogenannte Generationenvertrag zu, der jedenfalls auf dem Papier sagt, dass wir heute die Renten unsere Eltern finanzieren, weil sie uns ja freundlicherweise großgezogen und ihr Geld in uns investiert haben und dafür unsere Kinder später in Dankbarkeit und Respekt unsere Renten erwirtschaften und auszahlen werden. Auf dem Papier wie gesagt. Klappt aber, wie man sieht nur dann, wenn man Kinder zeugt, die dann auf dem Arbeitsmarkt tätig sind und in eine Rentenkasse einzahlen. Und klappt nicht, wenn nicht genug Kinder da sind, dafür aber Alte, die trotzdem eine Rente haben wollen.

Es ist so banal und einfach, dass ich mich manchmal frage, wieso wir unser sterbendes Rentensystem nicht längst modernisiert haben. Es muss mit den vier oben genannten Gründen zu tun haben. Sonst ist man immer gerne dabei, die Dinge an moderne Zeiten anzupassen, gerade in Familienfragen, nicht jedoch bei der Rente. Unser Rentensystem stammt noch aus der Adenauer-Zeit. Sie wissen schon, damals, „Kinder kriegen die Menschen immer“-Adenauer. Ein Zitat, das sich heute als genauso fatal falsch herausstellt wie Blüms „Die Rente ist sicher“. Beide hatten in ihrer Zeit Recht für den Fall, dass sich nichts an den gesellschaftlichen Strukturen ändert. Da aber heute schon fast ein Drittel aller jungen Menschen dauerhaft aus verschiedenen Gründen kinderlos bleibt, muss eine nachhaltige Rentenpolitik diesen Wandel der Gesellschaft mit denken.

Heute sind wir 70 Jahre weiter, haben aber immer noch das gleiche System. Vielleicht müssen wir damit anfangen, der jungen Generation noch einmal den Unterschied zwischen Kapitalversicherung und umlagefinanzierter Rente zu erklären, damit sie sich nicht weiterhin dem Irrglauben hingibt, mit ihren Einzahlungen in die Rentenkasse irgendwelche Ansprüche zu erwerben oder gar Kapital anzusparen.

Es gilt als Tabu in der Rentendiskussion, dass man Menschen, die Kinder groß gezogen haben, mehr Rente auszahlt, als Menschen, die keine Kinder groß gezogen haben. Wer einmal so einen Vorschlag mit Kinderlosen diskutiert hat, weiß, wovon ich rede. Bei solchen Forderungen ist gleich wieder Aufschrei. Schnell wird dann von einer „Schlechterstellung“ und „Bestrafung“ von Kinderlosen gesprochen. Die Frage ist jedoch, wieso man sie besser stellt, als Eltern, die Kinder groß gezogen haben und damit zusätzlich Leistungen erbracht haben?

Ja, zusätzliche Leistung, man muss auch das aussprechen. Schieben Sie einfach mal bei Seite dass viele Kinderlose gerne aufzählen, was sie alles für das Gemeinwohl tun, Schulen und Unis bezahlen, Kitas und Ganztagsschulen finanzieren, obwohl sie doch selbst keine Kinder haben. Dazu muss man sagen: Auch der nicht TV-Gucker zahlt dennoch die GEZ mit, der Nichtraucher zahlt die Gesundheitsschäden der Raucher in seiner Krankenkasse mit, der Radfahrer zahlt trotzdem den Bau von Autobahnen mit, der Autofahrer hingegen zahlt auch den öffentlichen Personennahverkehr und der Leistungswillige zahlt immer den Schläfer im System, der morgens keinen Bock hat. Will sagen: Im staatlichen Solidarsystem zahlen wir alle nicht zu knapp und immer auch für Dinge, die wir weder wollen, noch brauchen, und die auch nicht allen nutzen, die aber in ihrer Gesamtheit zu Stabilität und Wachstum der Gesellschaft beitragen. Gerade Schulen und Universitäten nutzen hier eine Menge. Denn eine nicht ausgebildete Kindergeneration wird keine Renten zahlen, sondern allen anderen zeitlebens auf der Tasche liegen.

Deswegen nochmal zum Generationenvertrag, der ja gar keiner ist, denn zumindest eine Generation ist weder geschäftsfähig, um juristisch zuzustimmen, und wäre sie es, sie wäre wohl nicht einverstanden mit diesem Vertrag, den Eltern und Großeltern geschlossen haben, ohne ihre Kinder zu fragen. Dieser Vertrag sieht Verpflichtungen in zwei Richtungen vor: Gegenüber den Eltern, aber auch in die Investition in die nächste Generation der Rentenzahler. Fortpflanzungsverweigerer entziehen sich also der einen Richtung. Und ich höre schon das nächste schlagenden Argument: Was ist mit den ungewollt Kinderlosen? Willst du die jetzt noch doppelt bestrafen, indem sie entweder weniger Rente bekommen oder höhere Beiträge zahlen? Ja, ungewollt Kinderlose kenne ich zu Hauf, faktisch ist es aber völlig egal, warum sie keine Kinder bekommen. Weil uns das als Gesellschaft nichts angeht, warum jemand Kinder hat oder warum nicht. Ob er welche wollte oder nicht, ob er zeugungsunfähig ist oder zeugungsunwillig. Weil es keine Pflicht gibt, sich fortzupflanzen und wir auch keine Mutterkreuze verteilen wollen, diese Kinder aber faktisch und ökonomisch gebraucht werden für ein Umlagesystem in der Rente. Weil ungeborene Kinder nicht ins System einzahlen. Kinder als Alterssicherung ist ja kein neues Konzept. Früher musste man diese nur selbst zeugen, um im Alter abgesichert zu sein. Dank des staatlichen Rentensystems reicht heute das Fremdgebährenlassen, um ebenfalls eine Alterssicherung zu bekommen. Allein das ist neu.

Am Ende bleibt also einfach nur der Fakt stehen: Derjenige, der keine Kinder großzieht und Zeit seines Lebens nur für sich selbst ein Einkommen erwirtschaften muss, hat mehr Geld zur Verfügung auch für seine private Alterssicherung, als derjenige, der mit seinem Einkommen ein, zwei oder gar noch mehr Kinder aufzieht.

Experten einer Studie der Ruhr-Universität Bochum im Auftrag der Bertelsmann Stiftung haben versucht dies zu berücksichtigen und ein gerechtes Rentenmodell aufgemacht, das Investitionen der Eltern mit berücksichtigt und honoriert. Ergebnis: Eine „Basisrente mit Fertilitätsfaktor“, weil es eine „Fehlkonstruktion“ sei, dass die Renten im derzeitigen Umlagesystem immer vom Einkommen der künftigen Generation abhingen, die Kosten für diese Generation aber nur die Familien trügen. Und die Kosten sind erheblich. Je nach Berechnungen sind das übrigens zwischen 120- und 160-tausend Euro pro Kind, die Eltern investieren, bis ihre Kinder finanziell eigenständig sind. Das Geld fehlt dann für private Vorsorge im Alter und ist genau das Geld, das kinderlose nicht für die nächste Generation ausgegeben haben.

Wer keine Kinder erzieht, spart sich das Geld, kann privat vorsorgen und durch ein umfangreiches Erwerbsleben sogar höhere Rentenansprüche erwerben als diejenigen, die Kinder haben, so benennt es die Studie ganz klar. Die Empfehlung lautet, eine Basisrente zu berechnen, die dann je nach Kinderzahl aufgestockt wird. Je mehr Kinder, desto mehr Rente. Eigentlich logisch.

Ganz nebenbei bestätigen die Forscher der Uni Bochum übrigens auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2001. Unsere obersten Verfassungshüter hatten damals bereits am Beispiel der Pflegeversicherung angemahnt, die bestehenden Ungerechtigkeiten im umlagefinanzierten Sozialsystem abzubauen. Also in der Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung. Passiert ist nichts, obwohl das Gericht festhielt, dass Eltern allein schon durch das Aufziehen der nächsten Zahler-Generation einen „generativen Beitrag“ an das System leisten und deswegen bei den Zahlungen in die Kassen deutlich entlastet werden müssten. Das Urteil ist nicht das Papier wert, auf dem es geschrieben wurde. Es ist eben kein Geld da, wir können es uns nicht leisten. Ja, wirklich schlimme Zeiten. Und sie werden noch schlimmer werden, wenn junge Menschen der Meinung sind, sie könnten sich Kinder nicht mehr leisten.

Aber möglicherweise muss es auch erst schlimmer kommen. Ich bin gespannt, welcher Jahrgang es sein wird, bei dem das Rentensystem zahlungsunfähig wird. Oder bei dem die Generation der Jungen sagt: Wir kündigen euren Generationenvertrag einseitig auf, schaut wo ihr bleibt, liebe Alten, denn wir zahlen nicht mehr für ein System, aus dem wir selbst nichts mehr heraus bekommen werden. Dieser Tag wird kommen. Wer glaubt, es könnte heute sozial unruhig werden, wenn man die Rentendebatte ehrlich führt, hat keine Ahnung, was uns blüht, wenn wir diese Debatte verweigern. Dann rette sich wer kann und dann schlägt übrigens wieder die große Stunde der Familien: Gut wer dann eine hat, wenn das staatliche Rentensystem nicht mehr kann.

Dieser Beitrag erschein zuerst im April 2016 auf http://wirtschaftswunder.at