Europa hätte die Flüchtlingskrise locker wuppen können

Nüchtern betrachtet hätte die Flüchtlingskrise Ende 2015 gar nicht zu einem solchen Problem werden müssen. Eine Million Menschen, verteilt auf die Länder in der EU, in der zusammen 500 Millionen Menschen leben – das hätten „wir“ geschafft. Aber das Leben ist eben nicht so, denn die meisten Länder in der Gemeinschaft wollten nicht mitmachen. Zurück blieben allen voran Deutschland, dessen famose Kanzlerin die Grenzen unseres Landes für Wochen weit öffnen und jeden herein ließ, der es bis hierhin geschafft hat. Österreich und Schweden trugen die Last mit, Frankreich ein bisschen, wohl mehr aus kosmetischen Gründen.

Das, was ich Frau Merkel persönlich bis heute vorwerfe, ist – neben mehrfachem Rechtsbruch – dass ausgerechnet sie als Antreiberin der europäischen Integration einsame Entscheidungen getroffen hat, ohne vorher zumindest mit den wichtigsten europäischen Partnern zu einer Vereinbarung über die Aufnahme von Flüchtlingen zu kommen. So landeten 890.000 in einem Jahr hier bei uns – mit all den Problemen, von denen wir jeden Tag in der Zeitung lesen können.




Breakfast in Europa: Warum ich weiter an unseren Kontinent glaube

Man muss sich immer mal vergewissern – über sich selbst sowieso, über seine Überzeugungen natürlich und über das Wahrnehmen der Realität um sich herum. Wie Leser meiner Kolumnen wissen, bin ich zur Zeit in Rom, und gestern habe ich an dieser Stelle darüber geschrieben, wie gut es ist, dass wir endlich keine Roaminggebühren mehr bezahlen müssen, wenn wir im EU-Ausland telefonieren. Über Jahre eine skandalöse Abzocke, gewissermaßen alternativlos, und nun außer Kraft. Dank der EU.

Ja, ja, an dieser Stelle steigt bei vielen Lesern der Blutdruck an. Griechenland bekommt für seinen maroden Haushalt wieder frisches Geld und überhaupt: warum haben die den Euro bekommen? Uns so viele Kredite? Und Bürgschaften…von uns! Sie haben recht: Wie die Bürokraten in Brüssel und Berlin damals vorgegangen sind, ist nicht schönzureden. Aber unser Wirtschafts- und Finanzsystem ist nicht zusammengebrochen. Und der Euro? 2008 haben mir Freunde, die sich selbst im Gegensatz zu mir als kleinem Journalisten, „wirtschaftlichen Sachverstand“ bescheinigen, gesagt, der werde in Kürze abgeschafft, DM-Scheine seien bereits gedruckt und nachts Laster in Deutschland unterwegs, die die Sparkassen-Filialen bestücken. Erinnern Sie sich noch daran? Wir haben Mitte 2017, und selbst heute deutet nichts außer den Kassandrarufen einiger Profiteure, die in Büchern und Talkshows viel Geld mit dem vermeintlich bevorstehenden Untergang verdienen, darauf hin, dass so etwas in absehbarer Zeit geschehen könnte.

Europa ist nicht die EU – natürlich nicht. Und einen Nationalstaat EU sehe ich nicht einmal als schemenhafte Silhouette am Horizont. Ein Staatenbund Europa, eine Gemeinschaft freier Länder auf gleichen Wertüberzeugungen basierend – Freiheit, Demokratie, Recht, Abendland – das ist es. Dazu muss man kein Romantiker sein, um der Idee Europas etwas abzugewinnen, das geht auch als Realist. Aber Romantiker sein, das ist auch nicht schlecht.

Gestern sprachen wir darüber als wir mit Freunden spätabends auf der berühmten Scalinata di Trinità dei Monti im Herzen der Ewigen Stadt saßen, die wir Deutsche die Spanische Treppe nennen. 1723 erbaut, eine Folge städtebaulicher Ambitionen des Papstes Innozenz XIII., ist sie rund um die Uhr ein Anziehungspunkt für vorzugsweise junge Menschen im Herzen dieser wirklich pulsierenden italienischen Metropole, die wahrlich auch eine euroäische ist. Ein paar Stufen vor uns eine Schulklasse aus Spanien, einer der Schüler – wohl der Klassenclown – führt etwas vor, alle Lachen. Wir auch, obwohl wir nicht ein Wort von den Faxen verstehen, die er aufführt. So wie auch die Italiener um uns herum, irgendwo sprechen welche auf Englisch. Ein Sicherheitsmann schlendert durch die Reihen, begleitet von einem Carabinieri. Alkohol ist hier auf der Treppe strikt verboten. Doch es ist heiß im Frühling in Rom, auch um 23 Uhr noch. Ein junger Mann – #wirschaffendas – kommt mit einer grünen Plastiktüte durch die Reihen, eiskaltes italienisches Bier in 0,5-Liter-Dosen, das Stück für 3 Euro. Wir kaufen sechs und verbergen sie unsichtbar für die Aufpasser hinter unseren Waden. Und trinken sie aus.

Die Länder Europas und die Mentalitäten ihrer Bewohnen sind ganz unterschiedlich. Solche Abende gibt es auch in anderen europäischen Metropolen. In Kopenhagen oder Dublin sind sie immer friedlich, man schließt schnell Freundschaft mit Menschen aus anderen Teilen der Welt. In Paris, Berlin oder London gibt es solche spontanen Straßenfeste auch, aber man weiß, dass dort die Stimmung auch aggressiv umschlagen kann. Menschen aus Ländern, die oft Kriege geführt haben, sind wohl doch anders als die Bewohner des Auenlandes.

Heute Morgen Frühstück auf der Dachterrasse unseres Hotels mit herrlichem Blick über die Stadt mit den vielen Kuppeln und Kirchen. Zwei Tische weiter ein junges Paar, vielleicht um die 30 herum. Zwischen Kaffee und diesen unfassbar leckeren italienischen Backwaren haben sie eine kleine dänische Fahne aufgestellt, nur für sich. Meine Frau und ich beschließen spontan, uns auh eine kleine Deutschlandfahne zu besorgen. Für den Fall, dass wir mal wieder irgendwo in Europa frühstücken…




Der Vormarsch der Wütenden gerät spürbar ins Stocken

Marine Le Pen hat ein starkes Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich eingefahren. Und verloren. Zuvor hatte in den Niederlanden Geert Wilders kein so berauschendes Ergebnis eingefahren. Aber auch verloren. Nach dem Saarland kam die AfD in Schleswig-Holstein zum zweiten Mal mit nur rund sechs Prozent in den Landtag. Nachdem sie zum Jahresbeginn in manchen Umfragen bei 14 Prozent gehandelt wurde. Die Kampagnen rechter und konservativer Parteien in Europa sind deutlich ins Stocken geraten. Stattdessen wählten 65 Prozent der Franzosen den klar pro europäisch eingestellten Emmanuell Macron.

Über die Gründe dieser Entwicklungen kann man trefflich streiten. In Deutschland sind sie hausgemacht, in Frankreich hat der FN ein eindrucksvolles Ergebnis eingefahren, also erstmal aus seiner Sicht alles richtig gemacht.

Mit dem Schüren der Wut auf „die da oben“, auf die „Brüsseler Bürokraten“ und Wall Street kann man leicht Protest mobilisieren. Man kann schnelle Wahlerfolge erzielen, wenn Euro-Krise und Flüchtlings-Krise die Menschen kurz hintereinander treffen und empören.

Aber Politik ist letztlich dann doch trotz vieler Kaspereien ein ernsthaftes Geschäft, das Bohren dicker Bretter, wie man sagt. Aus Mandaten politisch etwas machen außer Dienstwagen verteilen.




Wilders deutlich hinter Rutte: So einfach ist eine Revolution auch nicht

Bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden hat der Islam-Kritiker Geert Wilders 13 Prozent der Stimmen bekommen und blieb damit weit, sehr weit, hinter den Rechtsliberalen des alten und wohl auch neuen Regierungschefs Mark Rutte zurück, dessen Partei acht Prozent vor Wilders landete.

Heute Morgen werden wohl manche auch hierzulande enttäuscht sein, die schon in Österreich gehofft hatten, dass die FPÖ erstmals den Bundespräsidenten stellen, Wilders die Niederlande vom Islam befreien und demnächst Le Pen Frankreich aus der EU führen wird. Auch das wird übrigens nicht passieren. Dazu muss man nicht einmal etwas von Politik verstehen, sondern von reiner Mathematik.

Viele verweisen dann auf Donald Trump, der es in den Vereinigten Staaten ja auch „geschafft“ habe, als kantiger Außenseiter Präsident zu werden. Doch Trump und die GOP lagen im Wahlkampf in den Umfragen stets über 40 Prozent. Da kann man auch mal gewinnen. Mit 13 Prozent, 8,5 Prozent oder in Frankreich aktuell 25 Prozent für den FN gibt es keine Chance auf Beteiligung an der Macht für Konservative, Rechte oder wie immer man das nennen mag. Wobei ich auch an dieser Stelle erwähnen möchte, dass Wilders, Petry, Le Pen und ihre Parteien außer der Abneigung gegen den Islam und Massenzuwanderung wenig gemeinsam haben.

Ist also der Sturm auf das Establishment, auf Kanzleramt und EU nun vorbei? Mitnichten! Die „rechtspopulistischen Parteien“ – der FN ist eher eine sozialistische, die holländische PVV eine durchaus linksliberale Partei (Homo-„Ehe“, Mindestlohn) – aber nennen wir sie so, werden in unseren Gesellschaften auf Sicht einen Platz besetzen und den Finger in die Wunde legen, dort, wo die etablierte Politik ihrer Funktion nicht mehr nachkommt. Das ist Demokratie. Und das ist auch gut so. Die Revolution, der Sturz „des Systems“, die Abschaffung der EU – all das ist erst einmal abgeblasen.




Wenn Trump „Amerika zuerst!“! aufruft, dann bringt uns das erst richtig in Form

Lehnen wir uns mal einen Moment zurück und schließen die Augen! Lassen wir alles bei Seite: die Polterei des neuen Präsidenten Trump gegen die Medien, den peinlichen ersten Auftritt des White House-Sprechers und das Gezanke über die Teilnehmerzahlen der Amtseinführung. Lassen Sie uns mal einen kleinen Augenblick wieder über Politik nachdenken.

Donald Trump hat klare Ansagen gemacht: Amerika zuerst! Wer sein Unternehmen außer Land verlegt und Arbeitsplätze in den USA abbaut, muss künftig mit schmerzhaften Strafzöllen rechen, wenn er in den Vereinigten Staaten seine Produkte verkaufen will. Das sind ungewohnte Töne in Zeiten von Globalisierung und offenen Grenzen. Aber ist es deshalb falsch? Nur weil wir es nicht mehr gewohnt sind? Weil Trump eine deutlich andere Sprache spricht, als die US-Präsidenten vor ihm?

Amerika zuerst! Das ist nicht nur eine Drohung für Europa und damit auch für Deutschland. Das ist das Denken eines Unternehmers. Und so etwas ist erst einmal nicht schlecht, zumindest für seine eigenen Leute, seine Wähler.

Statt zu Jammern und Wehzuklagen kann Trumps Vorgehen auch ein Weckruf sein für uns im alten und im neuen Europa. Er hat doch recht, wenn er uns als träge und wenig innovativ ansieht. Klar bauen Deutsche immer noch die besten Autos der Welt, sind globale Marktführer in vielen Nischenbereichen. Aber Innovation, Kreativität? Da spielt die Musik immer noch deutlich und wachsend zuerst in Kalifornien und nicht auf unserem Kontinent.

Wir sollten die Herausforderung annehmen. Wenn der neue US-Präsident erst einmal nur an sein Land denken will, dann ist das eine Chance für uns. Europa und seine souveränen Staaten können auch was, wir müssen uns nur auf die eigene Kraft besinnen. Zu lange haben wir es uns gemütlich eingerichtet, übrigens auch bei der Verteidigung. Warum müssen 300 Millionen Amerikaner 500 Millionen Europäer schützen – vor wem auch immer? Warum kümmern wir uns nicht selbst darum, dass unsere Armeen wieder leistungsfähiger werden? Dass wir Marine-Hubschrauber produzieren, die auch über großen Wasserflächen noch funktionieren…

Donald Trump ist eine Herausforderung vor allem für die Staaten Europas. Vielleicht kitzelt er uns bewusst, provoziert und und fordert uns heraus, um unsere eigene Leistungsfähigkeit neu zu wecken.