Marietta Slomka
Der Weg von meinem Parkplatz zur Haustür führt durch eine schnuckelige Wohnanlage, einst eine Fabrik mit Ziegelwänden und Stahltreppen außen. Stellen Sie sich die Anmutung ein bisschen wie die Kulisse von West Side Story vor. Neue Mieter sind kürzlich ikn eine Wohnung eingezogen, die einen Balkon zum Innenhof hat. Darauf steht ein Stehtisch, und ich sehe den Mieter frühabends oft dort stehen und irgendwas trinken, vermutlich ein Feierabendbier, während er der Sonne beim Untergehen zuguckt und vor sich hinchillt. Inzwischen grüßen wir uns auch immer, wenn ich da vorbeispaziere.
Eben, als ich von der Kirche kam – Gründonnerstag und so – bemerkte ich etwas Seltames. Bei einem Haus flimmerte offenbar im Wohnzimmer im Erdgeschoss ein gigantischer Bildschirm. Sowas, das man schnell noch auf Kredit anschafft am Tag vor dem ersten Spiel der deutschen Mannschaft bei der Fußball-WM. Oder um den Freunden zu signalisieren: Seht her, ich leiste mir ein Sky Abo!
Nun bin ich echt kein Spanner, wie Sie hoffentlich wissen, aber im Vorbeigehen schaute ich dann doch noch mal kurz rüber, was denn da gerade lief. Sie werden es nicht glauben: live und in Farbe Marietta Slomka vom ZDF. Und verstehen Sie mich nicht falsch: Frau Slomka ist eine respektable Journalistin und Moderatorin, sie hat tolle Fernsehreportagen über Afrika und Südamerika produziert, mehrfach den Deutschen Fernsehpreis erhalten und den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis verliehen bekommen. Und sympathisch scheint sie auch zu sein, und dass sie so viele Sendungen in einem Studio gemeinsam mit Claus Kleber beim „Heute Journal“ durchgestanden hat – Hut ab! Ganz ehrlich.
Aber was mich eigentlich fasziniert ist nicht Kollegin Marietta. Sondern es sind die Menschen, die in dieser Wohnung leben. Und die mit einem gigantischen Fernsehapparat – einer Kinoleinwand gleich – am Abend vor einem bundesweiten Feiertag nicht Netflix oder amazon prime gucken, keine Tierdoku oder die 80. Wiederholung von „Ben Hur“, sondern das wirklich überflüssige ZDF – das ist der Wahnsinn. Ich muss diese Nachbarn unbedingt demnächst mal persönlich kennenlernen. Weil ich solche Menschen, glaube ich, sonst nicht mehr kenne.