Auf dem Fließband zum Herrn Doktor….

Ich hoffe, Sie alle sind gesund. Oder zumindest nur so krank, dass Sie es mit Aspirin, Paracetamol und ein paar Hausmittelchen und grünem Tee im Griff haben. Sonst ist nämlich schlecht.

Vorweg: Wir leben in einem Staat, wo Sie – egal ob reich oder arm, alt oder jung, weiß oder bunt – medizinisch zuverlässig versorgt werden.

Wer mal wirklich in Not war, weiß das. Als ich 2016 einen schweren Herzinfarkt hatte, war der erste von zwei Notärzten nach dem Anruf 112 innerhalb von nicht einmal drei Minuten bei uns im Haus.

Und jemand hat mir mal erzählt, dass wenn Sie einen schweren Autounfall haben, im Durchschnitt der Rettungshubschrauber innerhalb von 12 Minuten da ist, um sie in die Klinik zu fliegen. Also, wir klagen und schimpfen in Deutschland oft auf höchstem Niveau, was wir aber auch dürfen.

Wenn man allerdings in die Materie tiefer einsteigt, in den Alltag der medizinischen Versorgung, dann schaut es leider gar nicht mehr so rosig aus.

Am 2. November 2013 hatte ich ein Stück in der Rheinischen Post in meiner Kolumne „Politisch inkorrekt“ genau zu dem Thema geschrieben. Die Überschrift von damals passt auch heute: Auf dem Fließband zum Herrn Doktor. Ich schilderte den Lesern damals, wie ich meine Mutter zur Kontrolle zu ihrem Augenarzt begleitete:

„In dieser Woche war ich mit meiner Mutter beim Augenarzt. Sie hatte um einen Termin gebeten und nun, zwei Monate später, war es so weit. Als sie pünktlich zur vereinbarten Zeit um 9.30 Uhr die Praxisräume betrat, saßen und standen dort sage und schreibe 35 weitere Patienten, die noch vor ihr dran waren. Während ich im Flur der Praxis mangels Sitzplätzen an der Wand lehnte, habe ich sie gezählt. Der Unmut im Wartezimmer wuchs indes von Minute zu Minute. (…) Nach einer Stunde und 15 Minuten wurde meine Mutter vorgelassen. Untersuchung und Gespräch beim Arzt dauerten rund vier Minuten.“

Ich werde wirklich nie verstehen, warum es nicht möglich ist, die Terminvergabe in Arztpraxen patientenfreundlich zu gestalten.

Wenn ich einen Termin bei meiner Hausärztin oder meiner Zahnärztin vereinbare, dann weiß ich, dass ich wenn ich ankomme nie länger als 10 Minuten warten muss, bevor ich aufgerufen werde. Nie. Und klar, wenn ein Notfall ist, jemand bei der Behandlung kollabiert oder einer kommt, der „den Arm ab hat“ – dann versteht jede, dass das Vorrang vor unseren Halsschmerzen haben muss.

Aber wenn Sie einen Termin beim Facharzt brauchen – eine einzige Katastrophe

Ich bin ja nun langsam in einem Alter, wo die Besuche in Arztpraxen häufiger sind, als die auf Parteitagen – was für einen politischen Journalisten eine Aussage ist. Und – die gute Nachricht – bisher bin ich noch ganz gut in Schuss. Zweimal pro Jahr Check, letztes Mal wunderte sich meine Hausärztin beim Nachgespräch, dass meine Cholesterinwerte so topp sind: „Das hatte ich bei Ihnen gar nicht erwartet…“ Na, danke schön…

Aber als ich neulich mal zum Hals-Nasen-Ohren-Experten musste – nachmittags 15 Uhr, gleich nach der Pause – standen die anderen Patienten zwei Etagen durchs ganze Treppenhaus bis zur Praxistür. Ich war an sechster Stelle draußen, auf dem Gehweg. Als ich 20 Minuten später am Empfang stand, sagte mir die Arzthelferin, nun sei voll, ich müsse gleich morgen um 8 Uhr wiederkommen. Dann erführe ich, wie es weitergeht.

Am nächsten Morgen war ich um 7.40 Uhr dort, um zu bemerken, dass die Praxis aber erst um 9 Uhr die Pforten öffnet. So stand ich 80 Minuten an, gab meine Versichertenkarte ab und setzte mich ins bereits überfüllte Wartezimmer. Die resolute Arzthelferin des Vortages kam herein, bat um Aufmerksamkeit und kündigte an, wir würden nun Karte für Karte alle „abgearbeitet“. Wir sollten uns aber darauf einstellen, dass es eine Wartezeit zwischen drei und fünf Stunden geben werde.

Sie kennen mich: Ich stand auf, holte mein Versichertenkärtchen vorne ab und ging

Und versicherte mir noch im Treppenhaus, dass ich niemals mehr dort hingehen werde. HNO gibt es aber in dieser Stadt sonst nicht. „Ich weiß auch nicht weiter“, sagte mir meine Hausärztin später am Telefon. „Versuchen sie es mal in Spandau….“

Ja, HNO ist eben so, werden sie jetzt vielleicht denken. Aber leider brauche ich auch noch einen Facharzt anderer Profession. Vorgestern rief ich in der empfohlenen Praxis an – man könne mir einen Termin im September anbieten….

Wahrscheinlich liegt es einfach daran, dass ich Kassenpatient bin…




Karl Lauterbach macht mal was richtig

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will homöopathische Behandlungen nicht mehr aus dem Geldtopf der gesetzlichen Krankenkassen finanzieren. Im milliardenschweren Gesundheitsgeschäft sind die daraus zu sparenden Mittel eher ein Tropfen auf den heißen Stein. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass Lauterbach in den nächsten Tagen jede Menge Ärger bekommen wird, E-Mails und Waschkörbe voller wütender Briefe von Wählern. Homöopathie – das funktioniert offensichtlich nur, wenn man ganz, ganz fest daran glaubt. Und dann auch nur manchmal

Vor drei Jahren hatten die Grünen – ausgerechnet die Grünen – auf einem Bundesparteitag schon einen Vorstoß in diese Richtung unternommen. In dem Beschluss hieß es damals: es würden nur Behandlungen übernommen, „die medizinisch sinnvoll und gerechtfertigt sind und deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist“.

Ich habe wirklich überlegt, ob ich die Homöopathie heute an dieser Stelle wirklich zum Thema machen soll, denn da stehen sich zwei geschlossene Patientengruppen gegenüber, die sie mit ruhig vorgetragenen Argumenten nicht überzeugen können. Und auch der Kolumnist will keinen Streit mit seinen Lesern.

Ich habe es ja auch immer mal wieder versucht. Als Kind musste ich wegen meiner starken Gräserpollenallergie monatelang zu einem Heilpraktiker und mir irgendwas in den Bauch injizieren lassen. Wirkung absolut null.

Später hatte ich ein Gebrechen, gegen das ich die berühmten „Luftpillen“ nehmen sollte, sie wissen schon, diese kleinen weißen Kügelchen. Wirkung absolut null.

Ein einziges Mal in meinem Leben bekam ich ein homöopathisches Nasenspray verabreicht – das funktionierte.

Aber unter dem Strich ist meine persönliche Erfahrung: Homöopathie bringt mir nichts, wenn ich krank bin.

Doch ich kenne die vielen Menschen auch in meinem Freundeskreis, die darauf schwören auf diese Luftpillen. Ich hatte auch vor 30 Jahren mal eine wunderbare Freundin in Niederdachsen, deren Eltern im Wohnzimmer unter den Sesseln Kupferringe liegen hatten wegen Irgendwas. Und wenn wir mit dem Hund spazieren gingen, erklärte sie mir manchmal, wo hier unter dem Waldboden Wasseradern verlaufen, die ganz wichtig für unsere Gesundheit seien. Aber überzeugen konnte mich nix.

Macht, was Ihr wollt, Freunde. Jeder ist seines Glückes und seiner Gesundheit Schmied. Aber ich halte das alles für Hokuspokus, genauso wie „Chemtrails“ oder „Reptiloiden“. Echter Unsinn, völlig unwissenschaftlich.

Und deshalb stimme ich Karl Lauterbach zu bei seinem Vorhaben, das erste Mal, seit ich seinen Namen überhaupt gehört habe.




GASTSPIEL: Birgit Kelle über eine Sendung, die den Blutdruck hochtreibt

Die chronisch gut gelaunten Moderatoren des öffentlich-rechtlichen „Morgenmagazins“ (MoMa) beschäftigen sich in dieser Woche mit den Ängsten und Befürchtungen der Bevölkerung in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise. Will man seinen Blutdruck also schon morgens in Form bringen, lohnt das Einschalten bei den Öffentlich-Rechtlichen allemal. Sie schaffen in 10 Minuten mehr Bluthochdruck als eine ganze Kanne Kaffee. Heute Morgen war das Thema Kranken- und Rentenversicherung dran und die Frage, ob der Zustrom der Flüchtlinge nicht enorme Kosten und Belastungen mit sich bringe. Brav hatte man dazu ein paar besorgte Bürgerstimmen eingefangen, die das äußerten und erwartungsgemäß endete der Beitrag mit dem Ergebnis: Befürchtung unbegründet. Dazu präsentierte man die völlig nutzlose Zahl, dass in den vergangenen Jahren schließlich 900.000 Einzahler mit Migrationshintergrund in die Rentenkasse hinzugekommen sind. Dazu der rührselige Bericht eines fleißigen Einwanderers (wenigstens war auf das Klischee syrischer Arzt verzichtet worden), dem von seinem Arbeitgeber ab nächstes Jahr eine Festanstellung versprochen wurde. Quod erat demonstrandum, oder etwa nicht?

Die interessanten Zahlen hatte man beim MoMa leider nicht parat, nämlich die Frage, wieviel Prozent der Einwanderer tatschlich als Einzahler und nicht als Empfänger in der Rentenkasse zu erwarten sind. Oder gar, wie viele Prozent der jetzt Zuwandernden überhaupt jemals auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen werden. Schon heute haben wir es in Deutschland mit einer extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit unter den Bewohnern Deutschlands mit Migrationshintergrund zu tun. Und die leben teilweise bereits seit ihrer Geburt hier, waren auf deutschen Schulen, landen aber dennoch anstatt auf dem Arbeitsmarkt nicht selten zielsicher in Hartz 4. Wie schwer wird es also werden, Einwanderer, die in der Regel kein Deutsch sprechen und in nicht unerheblicher Zahl nicht einmal lesen und schreiben können, in einen Job mit Mindestlohn zu bekommen?

Immerhin nötigte sich das MOMA noch den Expertenhinweis ab, für die Rentenkasse werde ausschlaggebend sein, wie viele der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Wie das verlaufen wird, steht in den Sternen, sieht aber nicht rosig aus. Erste Frage also schon mal nicht beantwortet. Es folgte das System der Krankenkassen. Auch hier steht die Befürchtung im Raum, die Versorgung der Flüchtlinge werde zu einer hohen Zusatzbelastung für das System. Um dies zu entkräften stand die SPD-Gesundheits-Allzweckwaffe Karl Lauterbach als Experte parat mit der aberwitzigen Behauptung, der Gesundheitszustand der Flüchtlinge sei durch die monatelange Flucht gestärkt und im Schnitt wohl sogar besser als der der Deutschen. Fast hätte ich kurzfristig zum Koffer gegriffen und schnell ein paar Sachen gepackt, um zur Kur nach Syrien aufzubrechen. Immer noch nichts zur eigentlichen Frage, nämlich der finanziellen Mehrbelastung für unser Krankenkassensystem. Stattdessen wieder Lauterbach, der beklagt, dass es immer noch keine Krankenkarte für Flüchtlinge gibt, mit der sie unbürokratisch zum Arzt gehen können. Sie müssen sich nämlich vorher sowas genehmigen lassen. Das scheint wohl unzumutbar. Ins allgemeine Gequassel gepackt die Information, dass die ersten 15 Monate eine kostenlose ärztliche Versorgung für alle gewährleistet sei. Die Kosten hierfür, als auch für die medizinische Erstversorgung, das Impfen der Flüchtlinge und die zahnmedizinischen Behandlungen, die in den ersten 15 Monaten anfallen, hätten mich dann als Zuschauer doch interessiert. Auch die Frage, aus wessen Geldbeutel das beglichen wird. Dazu kamen sie aber nicht im MoMa, wahrscheinlich ging zu viel Zeit drauf, das Morgenrätsel redaktionell vorzubereiten. Zweite Frage auch nicht beantwortet.

Fakt bleibt, selbstverständlich führt der nicht enden wollende Flüchtlingsstrom erst einmal für gewaltige Kosten im Krankensystem, die von uns allen getragen werden. Ob über unsere Beiträge in den Krankenkassen oder über Steuern, ist da schon nahezu unerheblich. Ob das System Rentenkassen-Rettung mittels Zuwanderungspolitik jemals aufgehen wird, ist ebenfalls fragwürdig. Es bräuchte Millionen von Einwanderern, die sofort auf dem Arbeitsmarkt loslegen und dazu auch noch viele Kinder bekommen, um unser umlagefinanziertes System zu stabilisieren. Arbeitsministerin Andrea Nahles rechnet mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen und einem Zusatzpaket von drei Milliarden, die sie für Programme zur Integration auf den Arbeitsmarkt, Deutschkurse und die Sicherung des Lebensunterhalts von Flüchtlingen benötigt. Ohne Zweifel werden wir erst einmal eine hohe finanzielle Kraftanstrengung brauchen, wenn der Flüchtlingsstrom sich jemals positiv auf die Bilanzen der sozialen Sicherungssysteme auswirken sollen. Und ganz nebenbei fällt bei dem Thema eine nahezu groteske Argumentations-Diskrepanz auf. Was haben Einwanderer aus allen Teilen der Welt und Mütter im Erziehungsurlaub gemeinsam? Man sollte meinen nichts, und doch verbindet ein Thema: Die Frage ihrer Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt. Geht es um Flüchtlinge, gilt neuerdings jeder als brauchbar und integrierbar auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass doch viele von ihnen, gerade aus Syrien, sogar studiert hätten, und wir brauchen ja Arbeitskräfte. Jetzt schnell ein bisschen Deutsch lernen und dann sollte es kein Problem sein, für einen Flüchtling, der Willens ist zu arbeiten, auch eine bezahlte Aufgabe zu finden. Geht es hingegen um Mütter, die mehr als ein Jahr oder – Gott behüte – sogar drei Jahre oder mehr vom Arbeitsplatz fern bleiben, weil sie sich um die Kinder kümmern, heißt es komischerweise immer: Wer so lange aus dem Job raus ist, hat kaum eine Chance, wieder genommen zu werden. Deshalb bitte am besten nach sechs Monaten wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren, und die Kinder in die Krippe geben.
Ein Flüchtling ohne Deutschkenntnisse und ohne deutschen Abschluss ist also für den Arbeitsmarkt zu gebrauchen, eine deutschsprachige Mutter mit Universitätsabschluss in Deutschland, sei aber angeblich bereits nach drei Jahren Elternzeit geistig nicht mehr voll einsatzfähig. Ist es nicht eine seltsame Diskrepanz in der Argumentation? Ja, das ist es.

Morgen will man sich im Morgenmagazin mit den Befürchtungen der Bevölkerung um die kulturelle Identität Deutschlands befassen. Ich bin nicht sicher, ob mein Arzt mir die Sendung genehmigt. Ich packe doch lieber Koffer, und fahre zur Kur. Nach Syrien.