Nur mal zur Erinnerung: Bei Politik geht es um Überzeugungen, nicht um Dienstwagen
Hätten Franz-Josef Strauß oder Herbert Wehner in unseren heutigen real existierenden Volksparteien jemals politische Karriere machen können? Wären sie – und andere aus der Zeit – jemals nach ganz oben gekommen? Könnten solche kantigen Typen Deutschlands Geschicke heute noch maßgeblich beeinflussen?
Gestern Abend war ich mit einem bekannten Abgeordneten in meinem Lieblingslokal in Düsseldorf zum Essen verabredet. Er hatte Fisch, ich Lammrücken bestellt, und wir teilten uns einen herrlichen italienischen Rotwein. Es ging um dies und das und irgendwann um den bevorstehenden CDU-Bundesparteitag am Montag. Keine Sekunde sprachen wir darüber, dass der Koalitionsvertrag von den Delegierten abgelehnt werden könnte. Die CDU wird der SPD, die derzeit in Umfragen bei 16 Prozent liegt, einen Punkt vor der rechtskonservativen AfD, wesentliche Schlüsselressorts im neuen Kabinett überlassen. CDU und SPD werden wieder ein GroKo-Bündnis schließen, das bei der jüngsten Bundestagswahl 13,6 Prozent an Stimmen der Wähler verloren hat. Die CDU gibt wesentliche Kernpositionen in der Europapolitik auf, sie wird ihre verhängnisvolle – man mag es eigentlich gar nicht so nennen – Familienpolitik weiterführen. Anders als im Wahlkampf versprochen, tut sie nichts für den Mittelstand. Steuerentlastungen für die Unternehmer, die den Karren am Laufen halten? Fehlanzeige! Die Bundeswehr ist in einem bemitleidenswerten Zustand – unter CDU-Führung.
Und haben wir beim Essen auch darüber gesprochen, ob es irgendeine Reaktion der CDU-Delegierten auf all das geben wird? Nein. Werden Sie ihre Vorsitzende wieder mit stehenden Ovationen feiern? Toppen sie die 11:40 Minuten vom vergangenen Mal, wohl wissend, wie lächerlich sie sich damit in der Öffentlichkeit machen? Sie werden es tun, denn es ist ihnen egal.
Unser Parteiensystem hat sich überholt, auch wenn es noch immer gute Politiker und kluge Abgeordnete in allen Parteien gibt. Aber was sich verändert hat: Bei vielen von Ihnen ist nicht mehr erkennbar, welchen politischen Überzeugungen sie folgen. Was treibt sie an? Warum sind sie irgendwann in die Politik gegangen? Wie leidenschaftlich wurde früher im Deutschen Bundestag gestritten? Nicht manchmal, sondern immer… Und heute?
Unser System krankt daran, dass es nicht mehr die grundsätzlichen Debatten gibt, wirklichen Streit um wichtige Themen. Selbst die Öffnung der deutschen Grenzen für einen wochenlang vollkommen ungeregelten Massenzuzug aus dem islamischen Kulturkreis löste im Parlament keinen Streit aus. Bei so einem Thema kein Ringen um den richtigen Weg. Deutsche Grenzen sind nicht zu sichern – und es löst keinen massiven Widerspruch im Hohen Haus aus. Schon wegen dieses Einheitsbreis ist es richtig, dass die AfD dort nun für Widerspruch sorgt. Nicht jedesmal eine Bereicherung, aber manchmal schon, wie man schon bei den ersten Debatten sehen konnte. Und endlich, endlich ist wieder Streit. Denn davon lebt die Demokratie.
Beim doppelten Espresso, bevor wir das Lokal verließen, waren sich mein Gesprächspartner und ich gestern einig. Strauß und Wehner hätten heute keine Chance, politische Karriere zu machen. Weil sie nicht bereit gewesen wären, immer und überall für das eigene Fortkommen und die Altersversorgung faule Kompromisse zu machen. Weil sie nicht Politiker geworden sind, um einen Dienstwagen zu bekommen, sondern weil sie feste politische Überzeugungen hatten.