Kein Gift, keine Stromstöße und auch keine Kugeln mehr!

Viele Menschen in den Vereinigten Staaten lieben es, wenn ihr Land als „God’s own Country“ bezeichnet wird, also als das Land Gottes. Ich bin selbst Christ und ich bezweifle stark, dass Gott irgendeinen Gefallen an der derzeitigen Diskussion in den USA über die effektivste Hinrichtungsmethode findet. Eine klare Mehrheit der Amerikaner, das belegen alle Umfragen, ist für die Todesstrafe als härteste Sanktion für Gewaltverbrecher. Nun gehen den Justizvollziehern aber offenbar die Chemikalien aus, um Giftspritzen damit befüllen zu können, was ja die „humanste Art“ des Tötens sein soll. Elektrischer Stuhl gilt als störanfällig und besonders unmenschlich, so denkt man jetzt im Bundesstaat Utah darüber nach, ob man wieder Erschießungskommandos einführen soll. Als zivilisierter Mitteleuropäer verfolge ich diese Diskussion fassungslos.
Natürlich habe ich mich auch schon bei wenig verständnisvollen Gedanken ertappt, wenn irgendwo ein schlimmes Verbrechen bekannt wird. Es ist unfassbar, zu was Menschen offenbar fähig sind, was sie anderen Menschen mitleidslos antun können, selbst Kindern, kleinen Kindern. Und in solchen Fällen gibt es auch bei mir Gedankenreflexe, die nicht zitierfähig sind. Welches Recht zu leben hat ein Charles Manson noch? Oder der Schreiner aus Witten, der 1994 drei Kinder mit insgesamt 119 Messerstichen zu Tode metzelte, und der zur Zeit darum kämpft, vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden? Warum Mitleid haben mit Terroristen, Kindermördern und Vergewaltigern, die unbeschreibliches Leid über andere Menschen gebracht und viele Leben zerstört haben?
Doch diese Reflexe verschwinden bei mir immer sofort wieder, wenn ich an die andere Seite denke – uns selbst. Woher nehmen wir das Recht, zu töten? Aus dem Gesetz? Woher nehmen die Gesetzemacher dieses Recht? Ist das Lebensrecht nicht uneingeschränkt? Ist das nicht der Rechtsgrundsatz, auf dem Verfassungen basieren? Trennt nicht gerade das uns von Unrechtsregimen und Barbaren, dass wir unsere eigenen Grundsätze auch in extremen Ausnahmesituationen ernst nehmen?
Vielleicht denkt jetzt der ein oder andere: Was ist denn mit dem Kelle los? Und damit ich nicht missverstanden werde: Ich bin für die volle Härte des Gesetzes gegen Gewalttäter alles Art. Und ich bin dafür, dass „Lebenslang“ auch lebenslang sein sollte. Aber ich bin aus tiefer Überzeugung Gegner der Todesstrafe. In der europäischen Staatengemeinschaft ist sie abgeschafft. In den USA nicht, dem Land, das für freiheitliches Denken steht, wie kein zweites auf der Welt. Wer aber Anführer der demokratischen, rechtsstaatlichen und freien Welt sein will, sollte sich von der Todesstrafe verabschieden. Ebenso wie von dem Gefangenenlager Guantanamo. Legitimation und Respekt bekommt man nicht durch bloße Stärke, sondern durch überzeugendes Handeln.