Wo man ganz weit weg von den Problemen der Leute ist

Es ist faszinierend, aber irgendwie auch beängstigend, wie sich ein Teil der Gesellschaft, unserer Gesellschaft, der Deutschen, von der etablierten Politik abwendet. Das Phänomen ist nicht neu, über Politiker wurde, wird und wird auch in Zukunft immer geschimpft. Wie sollte es anders sein, in einer Demokratie? Und die Kritiker der etablierten Parteien haben ja recht mit ihrer Kritik. Kritik an der personellen aber vor allem inhaltlichen Alternativlosigkeit. Wenn in Umfragen 70 Prozent der Deutschen sagen, sie wünschen keinen weiteren Massenzuzug aus islamischen Ländern nach Deutschland, und im Bundestag steht kein einziger Abgeordneter auf, und sagt genau das, was diese Wähler meinen, dann suchen sich die Leute eben andere Abgeordnete. So einfach ist das. Flüchtlinge, Integration, Atomausstieg, Gender Mainstreaming – es wird nicht mehr kontrovers diskutiert, es wird nicht mehr gestritten. Man ist sich einig. Das Bundeskabinett hat jetzt wieder viel Geld zur Verfügung gestellt, um 100.000 Kita-Plätze zu schaffen. Warum nicht, wenn so viele Familien das wollen oder brauchen? Man muss ja mal daran erinnern, dass es auch viele Familien in Deutschland gibt, die solche Plätze in Anspruch nehmen MÜSSEN, weil sie sonst ihr Arbeits-Leben nicht organisieren können. Weil sie das Geld brauchen, um ihr und das Leben ihrer Kinder zu finanzieren. Da kann man die traditionelle Familie loben und preisen, aber da gibt es eben auch die normative Kraft des Faktischen.

Und da gibt es die Berater, die PR-Strategen, die Spin-Doktoren, die Einflüsterer in Berlin, die bei Gambas in Curryrahm sitzen, italienischen Edel-Rotwein schlürfen und Politikern gute Ratschläge erteilen, obwohl sie selbst nichts verstehen. Ein paar von ihnen kenne ich, sind auch nette Kerle dabei (Frauen übrigens, wie ich gerade merke, überhaupt nicht… sollten wir da nicht mal ein paar staatliche Beauftrage auf dieses Problem ansetzen, damit die Diskriminierung nicht weiter fortschreitet?) Aber zurück zu den „PR-Spezialisten“. Einer von ihnen, der mich bei Facebook aus der Freundesliste gekickt hat, weil ich mich nicht tief genug vor der Bundeskanzlerin verneigen wollte, ist mir in bester Erinnerung geblieben. Immer wenn irgendwo in den Netzwerken jemand was von Verbrechen schrieb, in denen Flüchtlinge als Akteure waren, grätschte er rein. Frauen massenhaft durch Nordafrikaner sexuell belästigt, Islamisten, die einen FKK-Strand in der Provinz stürmen, Hassprediger, die öffentlich in unseren Fußgängerzonen predigen und ihre Bücher verteilen – sie nehmen es gar nicht zur Kenntnis, was sich in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren verändert hat. Die Arbeitslosenzahlen sind deutlich gesunken, sagen sie dann. Und die Rente steigt. Und geht es uns im Vergleich zu den meisten Ländern der Erde nicht gut? Klar! Aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist unsere Nachbarin, die nachmittags an der Tür klingelt, völlig aufgelöst, weil sie mit ihrem achtjährigen Sohn Kastanien im Stadtpark sammeln wollte. So wie früher, vor #wirschaffendas. So, wie auch meine Mutter mit mir früher Kastanien sammelte im Stadtpark. Ohne dass da dutzende junge Männer aus Nordafrika betrunken abhängen – wahrscheinlich die, die intensiv Deutschkurse besuchen – und sie und ihren Sohn anpöbeln, beleidigen und obszöne Gesten machen. Unserer Nachbarin ist egal, ob sie später 2,40 Euro Rente im Monat mehr bekommt. Die will wissen, wo man einen Verteidigungskurs machen kann. Und ob wir im Wechsel unsere Kinder mit dem Auto fahren können, weil wir keine ruhige Minute mehr haben, wenn wir die Achtjährigen morgens im Dunklen mit dem Fahrrad zwei Kilometer zur Schule fahren lassen. Einen Brief an einen Politiker schreiben? Auf den Gedanken würde sie gar nicht kommen. Jüngst hörte ich von einer Bundestagsabgeordneten, die jetzt ins EU-Parlament wechseln will. Sie erzählte im kleinen Kreis, dass das für sie besser sei, weil man nicht mehr so viel reisen müsste und sie dann mehr Zeit für ihre Kinder habe. Ob sie wohl Leute wie unsere Nachbarin kennt?

Und damit komme ich noch einmal zum Anfang dieses Beitrages zurück. Horst Seehofer, CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident, hat gestern etwas Gutes und Richtiges gesagt. An die Adresse von Frau Merkel und ihrer CDU sagte er: Wenn nach der Bundestagswahl 2017 eine Koalition unter Führung der CDU zustande kommen könnte, wird die CSU nur dann dabei sein, wenn es eine feste Obergrenze von maximal 200.000 für die Aufnahme von Flüchtlingen gibt. Andernfalls gehe die CSU in die Opposition. Gegen die CDU. Spontan sprang ich von meinem Bürostuhl auf und begann, 12:25 Uhr Minuten zu klatschen. Doch heute Morgen, auf Facebook war es genau anders herum. „Der bayerische Löwe miaut mal wieder“, „Dampfplauderer“, „Lächerlich – wer soll das glauben“, „der labert wieder nur“ und so weiter und so weiter. Mein PR-Kollege in Berlin wird das leider nicht lesen. Der hat mich ja blockiert. Da bleiben ihm die schlechten Nachrichten für seine Auftraggeber erspart….




Meine Deutschlandreise durch die Union

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben. Als Journalist sowieso. Aber wenn die Reise auch noch durch die Unionsparteien führt, dann ist es in diesen Tagen besonders spannend. Unionsparteien – Sie erinnern sich! Volksparteien, die unsere Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg entscheident geprägt haben. Kanzler wie Adenauer und Kohl, die die Weichen richtig stellten, als die politische Konkurrenz noch – vielleicht in diesem Zusammenhang unpassend formuliert – im Schützengraben saß. Die Union traf die richtigen Entscheidungen für ein demokratisches und rechtsstaatliches System, für eine (damals) freie und (heute noch) soziale Marktwirtschaft. Für die Westbindung, für Europa, für die Einheit… Die Bilanz kann sich sehen lassen, auch wenn es natürlich Fehler gab, wie etwa Frau von der Leyen zur Bundesfamilienministerin zu machen. Schwamm drüber, jetzt sorgt sie für Schminktische in Kasernen, und als Familienministerin war sie bei den Deutschen überaus populär. Man darf mit Fug und Recht annehmen, dass sie bei roten und grünen Wählern eine Menge Zustimmung mit ihrem Krippenausbau gefunden hat. Weniger im eigenen Lager. Und damit kommen wir zu Angela Merkel.

Ich war die ganze Woche unterwegs, in Berlin, München, Düsseldorf und anderswo. Und meine Hauptbeschäftigung war, mich mit Abgeordneten von CDU und CSU zu treffen, um zu erfahren, wie die Stimmung hinter den Kulissen eine gute Woche vor dem nächsten Bundesparteitag wohl sein wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass ich niemanden mit Namen zitieren darf. Wer sich also nicht für die Union interessiert oder nicht glaubt, dass Politiker mit einem wie mir sprechen, dem empfehle ich, an dieser Stelle auszusteigen und etwas anderes zu lesen.

Den verbleibenden Leserinnen und Lesern (bei Bedarf auch den anderen 60 Geschlechtern) möchte ich erzählen von einem Abgeordneten und Kreisvorsitzenden, der am Montag, also einen Tag nach der Ankündigung Angela Merkels, sie werde erneut als Bundeskanzlerin kandidieren, 17 Parteiaustritte in seinem Briefkasten vorfand. Begründung unisono: jetzt reicht’s uns endgültig! Ich möchte Ihnen erzählen von Abgeordneten, die dem Defätismus frönen, also der Mutlosigkeit. Die seit #wirschaffendas am Telefon und an Straßenständen beschimpft werden. Deutschland kann seine Grenzen nicht mehr schützen? Kann doch wohl nicht angehen.

Ich möchte Ihnen von Unions-Abgeordneten erzählen, die mir sagten, dass ihnen der sogenannte „Modernisierung-Kurs“ besonders der CDU nicht behagt, die sinnfreie Aufgabe von als unerschütterlich angesehenen Überzeugungen. Aber die auch klar sagen: Jetzt ist Wahlkampf, jetzt müssen wir erstmal gewinnen. Und dann sehen wir weiter. Und überhaupt: wer soll es denn machen, wenn nicht die Angela? Und wenn Rot-Rot-Grün gewinnt, wird es doch alles noch schlimmer.

Doch es gibt auch noch andere, einen Mann zum Beispiel, der eine Menge Einfluss hat in seiner Partei. Er sagte mir: Bis zur Flüchtlingskrise hatte ich ein distanziertes Verhältnis zu Merkel, aber vergangenes Jahr hat sie endlich mal klar einen Standpunkt bezogen. Und Horst Seehofer aus Bayern und Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz, die eine Woche vor der Landtagswahl die Richtung änderte, um dann zu verlieren – bei diesen beiden Parteifreunden steigt sein Blutdruck: „Man muss auch mal Kurs halten, wenn Gegenwind kommt…“




Ein paar Antworten auf ganz einfache Fragen wären schön

Im Berliner Konrad-Adenauer-Haus ist man verschnupft. Der Vorsitzende des Koalitionspartners SPD, Sigmar Gabriel, hat doch tatsächlich gewagt, die Kanzlerin und ihr Flüchtlings-Management (wenn man das so nennen darf) frontal anzugreifen. Allein immer zu wiederholen „Wir schaffen das“, das sei ein bisschen zu wenig als Reaktion auf die Massenzuwanderung nach Deutschland in diesem Jahr. Der andere Koalitionspartner, die CSU und ihr Vorsitzender Horst Seehofer, hatten bereits vor Wochen deutlich Kritik an Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik geübt. CDU-General Peter Tauber keilt heute gegen Gabriel zurück. Es sei zu wenig, mit einem „Refugee welcome“-Button herumzulaufen, giftete er gegen die Sozis. Koalitions-Harmonie geht anders.

Als einfacher Bürger interessiert mich dieses Schattenboxen der Parteien nicht im Geringsten, auch wenn kommendes Jahr Bundestagswahlen anstehen. Die Fragen, die mich interessieren, sind: Wie bekommen wir das aus dem Ruder gelaufene Flüchtlingsproblem in den Griff? Wie nimmt die Politik die eigene Stamm-Bevölkerung bei diesem Thema mit? Wie gehen wir mit denen um, die in Deutschland integriert werden sollen? Und vor allem: Was machen wir mit denjenigen, die kein Recht auf Asyl in Deutschland haben und dennoch hier herumhängen? Die Antwort von Frau Merkel darauf würde mich wirklich interessieren und nicht das Berliner Kasperle-Theater.




Seehofers Watschn hat ganz andere Gründe

Wir leben in seltsamen Zeiten. Da wird Cem Özdemir erneut zum Parteisprecher der Grünen gewählt und erhält 76,9 Prozent der Stimmen – was von den Medien weithin als großer persönlicher Erfolg gefeiert wird. Und da wird auch Horst Seehofer wieder zum Parteichef der CSU gewählt. Er erhält 87,2 Prozent der Stimmen, was die Medien landauf-landab für eine schwere persönliche Schlappe halten. Egal, die Maßstäbe, die man an die CSU anlegt, sind offenbar höher, und das ist gut so, denn die CSU ist seit Jahrzehnten eine ungewöhnlich erfolgreiche Partei.

Horst Seehofer hat einen ordentlichen Dämpfer erhalten, das sieht jeder, der rechnen kann. Und viele Kommentatoren hatten wohl beim Blick auf ihre verblichenden „refugeeswelcome-Schildchen an der Pinwand die Hoffnung, man könne Seehofers vergleichsweise schwaches Abschneiden damit erklären, dass er Bundeskanzlerin Merkel am Vortag frostig abgefertigt hatte. Die Rache der „Merkelianer“ sozusagen. Was für eine Fehleinschätzung! Wer sich nur ein wenig in der CSU auskennt, weiß, dass die Merkel-Freunde in der Flüchtlings-Debatte unter den CSUlern nur eine kleine Minderheit sind, in der Machtarithmetik bedeutungslos. Meine These nach ein wenig Recherche in der bayerischen Regierungspartei ist eine ganz andere. Ohne seine harte Gangart gegenüber Merkel vom Vortag hätte Seehofer eine deutlich heftigere Watschn der Delegierten kassiert.

Die Gründe sind schnell aufgezählt. Da ist zum einen, dass der Ministerpräsident in der Flüchtlingsfrage vollmundig gestartet ist, in der Berliner Regierungskoalition aber bisher kaum etwas Zählbares durchsetzen konnte. Die CSU-Basis erwartet vom bayerischen Löwen Zählbares im Ringen mit den beiden Partnern. Der zweite, wahrscheinlich wichtigere Grund ist innerbayerisch. Kronprinz Markus Söder hat sich im innerparteilichen Rennen um die Nachfolge Seehofers in den vergangenen Monaten deutlich an der Spitze absetzen können. Auch Oberbayern neigt inzwischen wohl mehrheitlich dem forschen Finanzminister zu. Zwar werden auch andere Namen genannt, aber Ilse Aigner zum Beispiel wird von vielen in der Partei zwar als ministrabel und sympathisch angesehen, nicht aber als auch nur annähernd so durchsetzungstark wie Söder. Der aber wird von Seehofer seit längerem immer wieder öffentlich gedemütigt, was seinen inzwischen zahlreichen Anhängern naturgemäß nicht gefällt. Dass sich das irgendwann auch in Stimmergebnissen bei Seehofer zeigen würde, ist logisch.