Julian Assange ist frei – gut so!

Jeder, der das Video gesehen hat, wird es nie wieder vergessen. Das Video von diesem Hubschrauberangriff in Bagdad, wo erbarmungslos eine Gruppe Zivilisten von oben auf der Straße zusammengeschossen, gerade niedergemäht wurde. Es war ein amerikanischer Hubschrauber, und niemand sollte solche Kriegsverbrechen begehen, aber von Amerikanern erwartet man – Land of the Free – dass sowas ganz besonders ausgeschlossen wird.

Der Australier Julian Assange, ein ehemaliger Hacker und Aktivist, brachte all diese Schweinereien an Tageslicht.

Im Jahr 2006 gründete er zusammen mit anderen die Enthüllungsplattform Wikileaks, auf der fortan Geheimdokumente und sensible Daten hauptsächlich über die US-Kriege gegen Afghanistan und den Irak veröffentlicht wurden, gesammelt von Investigativjournalisten und sogenannten „Whistleblowern“.

Assanges Geschichte ist oft niedergeschrieben und erzählt worden. Er ist eine bekannte Persönlichkeit rund um den Erdball. Und durch einen Deal mit den US-Justizbehörden ist er jetzt auf freiem Fuß, nach jahrelangem Versteckspiel in der ecuadorianischen Botschaft in London und Untersuchungshaft in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis.

Die Amerikaner hätten Julian Assange gern zu fassen gekriegt

Ihn vor Gericht gestellt und ihn selbst eingesperrt, aber im Westen, in Großbritannien allzumal, ist die Justiz weitgehend unabhängig. Auch Landesverräter werden da nicht mit einem Kopfschuss an der Kremlmauer abgelegt oder bekommen ein paar Tropfen des Nervengases Nowitschok in den Tee im Samowar geträufelt.

Rechtsstaat nennen wir das, und selbst die mächtigen USA vermochten es nicht, Ecuador und die Briten so unter Druck zu setzen, dass sie Assange abschoben.

Bunte Kacheln mit „Julian ist frei“ überschwemmen nun das Internet. Und ich finde es auch gut und richtig, dass dieses Drama nun endlich endet.

Aber wie bei allen großen und wichtigen Themen, bin ich nicht bereit, den Fall Assange nur einseitig zu betrachten. Es gibt immer, wirklich immer, auch die Grautöne.

Jemand, der militärische Geheimdokumente veröffentlicht, macht sich strafbar. In jedem Land der Welt. Aber wenn das erfolgt, um schlimme Verbrechen aufzudecken – ja, natürlich muss das dann geschehen. Damit sich sowas nicht wiederholt. Damit man die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen kann. Übrigens: ist das in diesem Fall eigentlich geschehen?




Wie lange ist es Investigativjournalismus, ab wann ist es Landesverrat?

Zwei Trauzeugen, vier Gäste, ein Kuchen, die Braut trägt ein Kleid von Vivienne Westwood, der Bräutigam einen Kilt.

Klingt nach einer runden Sache, die Hochzeit von Wikileaks-Gründer Julian Assange und seiner Verlobten Stella Moris, die er während seines siebenjährigen Asyls in der Londoner Botschaft Ecuadors kennen- und liebengelernt hat.

Das Problem allerdings: Die Eheschließung findet im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh statt, und alle Gäste müssen unmittelbar nach der Zeremonie die Location wieder verlassen. Assange und Moris werde dann „eine kurze Zeit der Zweisamkeit erlaubt“, heißt es, und ich will gar nicht darüber nachdenken, was damit wohl gemeint sein könnte.

Dem 50-jährigen Assange drohen – sollte er an die USA ausgeliefert werden – bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft. Denn er soll – ich glaube, man darf sagen er hat – gemeinsam mit einer Whistleblowerin namens Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht. Damit hätten die Beiden das Leben von Amerikanern in Gefahr gebracht, lautet der Vorwurf.

Seine Unterstützer sehen in Assange einen Helden, der – inestigativ und unter großen Risiken – Kriegsverbrechen aufgedeckt hat.

Ich muss zugeben, ich tue mich mit dem gebürtigen Ausstralier Assange  schwer. Natürlich ist es gut, wenn Kriegsverbrechen aufgedeckt werden, keine Frage. Und die Causa Assange hier in vollem Umfang zu schildern, würde jeden uns möglichen Rahmen sprengen. Sein Werdegang als Blogger, seine Verstrickung in eine New Age-Sekte, der „Haftbefehl in Schweden wegen Vergewaltigung“, die Flucht in die ecuadorianische Botschaft in London, die Drohungen bekannter US-Konservativer wie Limbaugh und Huckebee in Amerika, Assange hinzurichten zu lassen, wenn man seiner habhaft werde, Sie kennen die ganze Geschichte zumindest in groben Umrissen und die Videos und Veröffentlichungen von Manning über die Kriege auch. Denken Sie nur an den gefilmten Drohnenangriff auf eine Gruppe Zivilisten, die einfach irgendwo an einer Straße standen, ich meine, es war im Irak!

Nein, mein Thema hier ist: Wo fängt Investigativjournalismus an, der Verbrechen ans Licht bringt, und wo ist es Geheimnisverrat? Denn Manning hat geheime Unterlagen gestohlen, an Assange weitergegeben, der sie dann weltweit veröffentlich hat. Und keine Armee der Welt, kein Staat betrachtet so etwas als einen gut gemeinten Akt der Nächstenliebe. Denn natürlich wird durch solche Veröffentlichungen auch das Leben von Beteiligten gefährdet.

Aber eine westliche Demokratie muss andere Maßstäbe anlegen als…sagen wir…andere Länder, wo Leute wie Assange längst mit Nowitschok im Tee verschieden wäre oder Manning beim Joggen versehentlich in den Kopf geschossen worden wäre. Andere Länder haben andere Sitten.

Aber, wenn – nur als Beispiel – ein Offizier oder ein Geheimdienstler einer fremden Macht zu uns überläuft und Geheimdokumente mitbringt, dann feiern wir diese Leute – zu recht. Weil es ja der Sicherheit des eigenen Landes dient, die Sauereien des Gegners zu kennen und reagieren zu können. Aber was ist mit den Sauereien des eigenen Teams? Also richtige Verbrechen, ungerechtfertigte Tötungen, die objektiv nicht erlaubt sind? Warum muss jemand, der das aufdeckt, 175 Jahre in eine Zelle oder gar auf den Elektrischen Stuhl?

Es müsste ein Verfahren geben, wo ein Whistleblower, der etwas Relevantes zu erzählen hat, die Informationen an den richtigen Stellen abwirft, ohne persönlich haftbar zu sein. Und wenn so ein Weg geschaffen würde, müsste es ja nicht der globalen Öffentlichkeit erzählt werden, sondern Ermittlern, die dann die Schuldigen zur Verantwortung ziehen.

Aber haben wir alle, hat das globale Dorf dann nicht dennoch das Recht, davon zu erfahren, was ihre Staaten, was ihre Vorturner so machen? In was sie verwickelt sind? Und wofür man vielleicht eine Regierung auch mal aus dem Amt jagen müsste?

Es gibt keine einfach Lösungen, wenn man etwas rechtsstaatlich, transparent, korrekt machen will. Der Facebook-Stammtisch kann in Schwarz und Weiß einteilen. Demokratische Rechtsstaaten können das nicht, was sie ja von den undemokratischen Staaten positiv unterscheidet. Manning und Assange sind Verräter, sie haben geheime Dokumente und Videos veröffentlicht, was sie bei Strafandrohung nicht dürfen. Aber sie haben gleichzeitig schwere Verbrechen aufgedeckt, was richtig und bewundernswert ist. Und für was man weder hingerichtet noch 175 Jahre eingesperrt werden sollte.

Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit übrigens, Julian und Stella!

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